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Veröffentlicht am 08.08.2020

Mit anderen Augen

Das längste Verhör
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Grobe Fakten über den D-Day und das Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Europa und Amerika wohl vielen Menschen geläufig. Briten und Amerikaner gingen in Frankreich an Land, arbeiteten sich vor und befreiten ...

Grobe Fakten über den D-Day und das Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Europa und Amerika wohl vielen Menschen geläufig. Briten und Amerikaner gingen in Frankreich an Land, arbeiteten sich vor und befreiten Städte und Dörfer von den Besatzern.

Wer da genau anlandete, was ihre Ziele waren, woher sie kamen und was sie erlebten, ist der Mehrheit (leider) unbekannt. “Das längste Verhör” ist ein fiktiver Roman über die Tage Anfang Juni 1944, fußt aber auf vielen realen Details und Erlebnissen.

Als ein Beispiel von vielen “namenlosen Helden” dient hier Adam Ruby, amerikanischer Soldat, dessen Hauptaufgabe es ist, feindliche Kämpfer zu verhören um mit den gewonnen Informationen den Krieg effizienter und schneller beenden zu können. Oder um zumindest einen entscheidenden Vorteil zu bekommen.

Der Leser begleitet ihn vom Abflug aus Großbritannien, über die Landung bis einige Tage danach auf einer intensiven Wanderung durch potenziell tödliche, immer schwierige Situationen, mit wenig Schlaf, ständiger Anspannung und nervenzehrendem Warten auf das nahende Kriegsende.

Robert Lankes Fachwissen und die vielen Quellen die er erschließen konnte, machen die Geschichte des Adam Ruby realistisch, beklemmend und lebendig. Außerdem führt sie uns vor Augen, wie viel Leid und Entbehrungen Kriege mit sich bringen, wie viele Gefahren und Missverständnisse in diesen wirren Zeiten an jeder Ecke lauern können.

Vielleicht lassen uns Bücher und Filme über diese Zeiten mehr wertschätzen dass in den meisten Staaten der Erde grundsätzlich Frieden herrscht. Vielleicht lehren sie uns auch, Situationen in aktuellen Kriegs- und Katastrophengebieten mit anderen Augen zu sehen.

Veröffentlicht am 18.07.2020

Zwischen grandios und kurios

Broken - Sechs Geschichten
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Don Winslow, Meister des amerikanischen Thrill, hat sich hier an ein etwas anderes Buch gewagt. 6 Kurzgeschichten, allesamt spannend und speziell, finden sich hier. Interessant ist, dass einige davon in ...

Don Winslow, Meister des amerikanischen Thrill, hat sich hier an ein etwas anderes Buch gewagt. 6 Kurzgeschichten, allesamt spannend und speziell, finden sich hier. Interessant ist, dass einige davon in der selben Stadt spielen und es dadurch auch einen Polizisten gibt, der mehrfach auftritt, wenn auch nicht immer in der Hauptrolle.

Die Geschichten drehen sich allesamt um ein paar sehr witzige und auch verrückte Ideen, die wohl für einen 500-Seiten-Thriller nicht ausreichen würden, aber so als Häppchen für rund 80-100 Seiten genau richtig sind. Von Drogenhandel über Straßenkriminalität bis zu Schmuckraub und einem Affen mit Revolver ist alles dabei.

Auch das Lebensgefühl der West Coast kommt nicht zu kurz. Sonne, Strand, Surfer und Reichtum wechseln sich mit den dunklen Ecken, hochrangigen Kriminellen und zwielichtigen Gestalten ab.

Trotz seiner mehr als 512 Seiten kommt man durch dieses stolze Hardcover recht flott durch - denn die 6 Geschichten selbst hab keine klaren Kapitel oder Abschnitte, lediglich größere Absätze oder Sternchen. Wer nicht unterbrechen muss, kann somit die in sich geschlossenen Handlungen jeweils am Stück genießen.

Veröffentlicht am 08.07.2020

Mit den Ohren durch die Straßen Wiens

Die rote Frau
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“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder ...

“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder langsam gemütlich machen und Pläne für die Stadt und ihre eigenen Habseligkeiten schmieden, hungern und siechen Tausende dahin.

Die Spuren des Krieges sind unter ihnen besonders sichtbar und auch Emmerich laboriert immer noch an seiner Kriegsverletzung. Doch so sehr ihn sein Bein quält, weiß er es mittlerweile auch einzusetzen und seine Vorteile daraus zu ziehen.

Dank Emmerichs ungewöhnlicher und kompromissloser Art ist es eine Freude, ihn in einem Team mit seinem Assistenten Ferdinand Winter zu wissen, der oftmals eine etwas anderes Sicht der Dinge hat, ihn aber nicht überstimmen kann. Diese durchaus komischen Momente tun dem Krimi gut, der ansonsten viel Ernsthaftigkeit mitbringt. Ernste Probleme, Mord, Machenschaften und Armut prägen das Stadtbild und die Atmosphäre des feinfühlig recherchierten Krimis.

August Emmerich, selbst nicht aus angesehenen Verhältnissen stammend, hat sein Herz am rechten Fleck und riskiert für die, denen es noch schlechter geht als ihm (er hat zumindest Arbeit), schon mal Kopf und Kragen. Seine Sturheit ist amüsant und beeindruckend, reitet ihn aber zwischendurch auch in scheinbar ausweglose Situationen und von Zeit und Zeit kann auch er irren.

Aber Emmerich wäre nicht Emmerich wenn sich seine Sturheit nicht irgendwann auszahlen würde. Er wartet mit genialen Einfällen auf, ohne am Ende als “Supermann” dazustehen. Die Geschichte bleibt in sich glaubwürdig, ebenso wie alle ihre Charaktere. Ebenfalls stimmig ist Sprecher Cornelius Obonya. Wie schon in “Der zweite Reiter” spricht er die Protagonisten und die Nebenrollen jede mit ihrer eigenen wiedererkennbaren Stimme. Alleine schon deshalb ist der Krimi ein echtes Hörerlebnis, dazu unterstreicht seine Stimmlage auf fesselnde Weise den Schreibstil der Autorin.

Veröffentlicht am 28.05.2020

Spannendes und stimmiges Wiener Krimi-Hörspiel

Der zweite Reiter
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Ein wahres Hörvergnügen und viel Rätselspaß bietet “Der zweite Reiter” von Alex Beer, gelesen von Cornelius Obonya. Rayonsinspektor August Emmerich ermittelt außerhalb seiner Zuständigkeit und kommt durch ...

Ein wahres Hörvergnügen und viel Rätselspaß bietet “Der zweite Reiter” von Alex Beer, gelesen von Cornelius Obonya. Rayonsinspektor August Emmerich ermittelt außerhalb seiner Zuständigkeit und kommt durch unglückliche Umstände und ein wenig Dummheit in allerlei schwierige Situationen.

Manches lässt sich schon erahnen, wenn die Stimmung (und Stimme) ein wenig umschlägt und man sich schon denkt “das hätte er jetzt besser nicht getan”, dann steigt die Spannung, es wird brenzlig und man fiebert mit dem so eigenwilligen Emmerich mit. Er hat seine Schwächen und nimmt nicht jede Regel ganz genau, aber hat das Herz am rechten Fleck.

Cornelius Obonya liest dieses Hörbuch schon fast wie ein Hörspiel, hat für jede wichtige Figur eine eigene Stimmfärbung, die man schon erkennt, noch bevor man im Buch wissen würde, wer denn spricht (weil diese Information erst nach dem Zitat eingestreut wird).

Zudem kommt somit auch die “Wiener Stimmung” sehr gut beim Hörer an, es wäre schade, wenn das wegfallen würde. Eine absolut richtige und wichtige Wahl um die volle Authentizität und den Charme des Buches zu erhalten!

Dass das Buch für die Lesung gekürzt wurde, fällt kaum auf, nur bei einer Stelle hatte ich die Vermutung, dass ein bestimmter Name eigentlich nicht hätte fallen dürfen weil derjenige davon nicht wissen konnte.

Veröffentlicht am 21.04.2020

Rücksichtsloser als die Polizei erlaubt

Die Toten von Marnow
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Man merkt es nicht gleich von Beginn an, aber es klingt so nach und nach durch: Dieser Krimi spielt nicht ganz in der Gegenwart und zwar im Jahr 2003. Das bringt ein paar nette Anmerkungen mit sich (der ...

Man merkt es nicht gleich von Beginn an, aber es klingt so nach und nach durch: Dieser Krimi spielt nicht ganz in der Gegenwart und zwar im Jahr 2003. Das bringt ein paar nette Anmerkungen mit sich (der Euro ist noch eher neu, ebenso größere Shops bei Tankstellen, Laubbläser sind der letzte Schrei) und macht manches einfacher aber auch schwieriger (es gibt noch keine Smartphones oder Wlan-Hotspots, ebenso spielt Facebook noch keine Rolle). Aber vor allem hat Autor Holger Karsten Schmidt die Handlung so gelegt, weil ansonsten der eine oder andere fiktive Charakter nicht mehr am Leben wäre um in der Geschichte mitzuspielen.

Die Rostocker Kriminalhauptkommissare Frank Elling und Lona Mendt bekommen es nämlich in ihrem ersten Band mit einem harten Fall zu tun, der weit in die DDR-Zeit zurückreicht. Und wie mit (fast) allem, was dann später über bestimmte Jahrzehnte so ans Licht kam, gibt es auch hier einen wahren Kern in dieser grausamen Erzählung.

Aber von Anfang an: Geht in Rostock ein Serienmörder um oder bekommen Elling und Mendt einfach nur zwei sehr seltsame Morde auf ihren Schreibtisch, rein zufällig kurz hintereinander? Noch dazu wo die beiden Opfer bis auf ihr Geschlecht und den Kehlschnitt nichts gemeinsam haben.

In klassischer Polizeiarbeit mit vielen Befragungen und Hypothesen beginnen die ungleichen und dennoch einander verbundenen Ermittler ihre Arbeit. Zwischendrin gibts Einblicke in ihre Privatleben und eigenen Geschichten.

Und die sind mitunter sehr wichtig, denn sie beeinflussen stark wie Mendt und Elling sich in gewissen Schlüsselsituationen verhalten. Sie loten Grenzen aus, überschreiten sie auch. Manchmal zögerlicher, manchmal sehr zielstrebig. Sie setzen sich durch, sie haben auch ihre zweifelhaften Methoden um zu Lösungen zu gelangen.

Manche Ergebnisse geben ihnen recht und dennoch - unsere Helden sind keine “Saubermänner” und haben auch ihre deutlichen dunklen Seiten. “Auge um Auge” ist so ein klassischer Sager, aber in diesem Krimi hat man immer wieder das Gefühl, dass es das am besten beschreibt. Die beiden sind, wenn sie sich dazu genötigt sehen, auch mit einer Prise Rücksichtslosigkeit unterwegs.

“Die Toten von Marnow” wird vom Verlag als “Start einer Krimireihe” bezeichnet, was Fans gepflegter Krimi-Literatur mit Actionelementen hoffen lässt. Aufgrund der aktuellen Lage gibt es da logischerweise noch kein verlässliches Datum.