Träume groß, auch wenn du klein bist.
Dreams of Yesterday"Unsere Wohnungen sind kein Zuhause, sondern wie so eine Art Regal. Nein, noch schlimmer, eher wie Container. Man stopft uns hinein, sorgt dafür, dass wir so wenig Platz beanspruchen wie irgend möglich. ...
"Unsere Wohnungen sind kein Zuhause, sondern wie so eine Art Regal. Nein, noch schlimmer, eher wie Container. Man stopft uns hinein, sorgt dafür, dass wir so wenig Platz beanspruchen wie irgend möglich. […] Es gibt keine Gärten in denen wir sitzen können, nichts, was irgendwie erfreulich anzusehen wäre. Nur Beton und Staub und Lärm und Träume so groß, dass wir vielleicht bei dem Versuch, sie in uns zu begraben, entzweibrechen werden."
L.H. Cosway schreibt in ihrem Buch "Dreams of yesterday" - den Auftakt einer Dilogie - nicht nur über zwei Jugendliche, die beide mit ihren Schicksalen im Armenviertel von Dublin aufwachsen und sich zufällig begegnen und zueinander finden. Sie beschreibt auch, wie grausam das Leben sein kann, verarbeitet teilweise Themen wie Mobbing, Homophobie, Armut, Depressionen und Körperverletzung mit Folgen. Keines Dieser Themen wird vordergründig behandelt, sondern in die Geschichte als Päckchen, die die Figuren zutragen haben, verarbeitet und in die Geschichte integriert.
Wichtig ist bei diesem Buch zu wissen, dass man auf den Klappentext nichts geben sollte, denn dieser ist meiner Meinung nach nur zur Hälfte zutreffend, zum Viertel oberflächlich und zu zwei Achteln falsch.
Die junge Evelyn, bei ihrer Tante lebend, hat mit ihren siebzehn Jahren schon einiges familiär mitgemacht. Sie fühlt sich zwar in dem Dubliner Armenviertel "St. Mary´s Villas" (wie ironisch) nicht sonderlich wohl, findet das Leben dort aber ausreichend für sich selbst. Ihrem Charakter nach ist sie eine durch und durch positive Optimistin, die stets das Gute an der Situation sucht. Eines Tages trifft sie auf den ebenso mit einer traurigen Vergangenheit belasteten Dylan. Dieser wiederum ist eher ein philosophischer Schwarzmaler, der von mehr träumt, als ein Leben in Schmutz und Dreck - Armut und Vorurteilen. Beide finden zueinander und der Leser erfährt von Dylans Traum und, wie er versucht, Evelyn auch dafür zu begeistern. Die Handlung des Buches beschreibt das Leben der Charaktere in den Villas von Dublin, wie gutmütig arme Leute, wie grässlich innerlich leere Menschen sein können und zusätzlich, wie Liebe diese verändern kann. Ein grauenhaftes Ereignis führt schließlich dazu, dass Evelyn dazu gezwungen wird, ihr Wesen zu ändern; es bringt Dylan dazu, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und sich an die Erfüllung seines Traums zu machen.
Es geht um unterschiedliche Jugendliche, die von besserem träumen aber sich mit unterschiedlichen Zielen zufrieden geben.
Die Handlung ist nicht immer außergewöhnlich spannend oder von vielen Wendepunkten geprägt, was sie aber nicht hemmt oder weniger packend macht.
Die Autorin hat sich fantastisch liebevolle Charaktere ausgedacht. Einer eigener als der andere, mit einer erstaunlich präzisen Individualität.
Evelyn, kurz Ev genannt, ist eine von Grund auf liebenswürdige Persönlichkeit, aus deren Sicht sämtlich Geschehnisse beschrieben werden; in deren Gefühlswelt sich der Leser zu bewegen scheint. Im kompletten Handlungsverlauf lernt man sie als selbstlose Optimistin kennen, die sich gleichzeitig bis zum Schluss selbst treu bleibt und meint, ihre Grenzen zu kennen. Wenngleich sie auch ängstlich ist, wenn es heißt, sich größere Ziele zu stecken und von Dingen zu träumen, die unwahrscheinlich, aber nicht unerreichbar sind. Mit ihrem bunten Hobbygarten auf dem Dach des grauen Häuserblocks schafft sie einen Kontrast, genauso wie ihre Persönlichkeit zu ihrem Umfeld.
Dylan ist im Grunde genau das Gegenteil. An ihm ist ein kleiner Philosoph verloren gegangen, der gleichzeitig unheimlich wissensdurstig scheint und mit viel Intelligenz und einer wortwörtlich begabten Nase gesegnet ist. Von Anfang an wird er als sehr erwachsen dargestellt, im Laufe des Werkes erkennt man aber vor allem durch ausgesprochene Gedanken oder unüberlegtes Handeln, dass er immer noch ein Junge ist, der aufgrund eines tragischen Verlustes viel zu früh erwachsen werden musste.
Ev und Dylan passen einfach zusammen, wie zwei füreinander gemachte Puzzleteile und es ist schön zu sehen, wie sich ihre Verliebtheit in Liebe verwandelt und wie sich beide auf positive Art durch diese Beziehung verändern - aus sich heraus kommen und schlechte Gewohnheiten ablegen.
Die Nebencharaktere, vor allem Sam Kennedy, sind umwerfende Figuren. Sam ist unbeschreiblich, man muss ihn einfach selbst kennenlernen. Er ist der Knaller an diesem Buch, der dem ganzen trostlosen Setting Glanz, Humor und Sonnenschein verleiht.
L.H. Cosway hat einen unglaublich authentischen, sehr poetischen Schreibstil. Mit Worten kreiert sie realistische Bilder vor dem inneren Auge des Lesers, versetzt ihn in die Protagonisten hinein, lässt ihn Szenen hautnah miterleben und induziert vor allem viele Emotionen. Ganz gleich wann, ich habe zu jeder Zeit die Gefühle der einzelnen Personen verstehen und mitempfinden können.
Ich hatte hier keinen Moment das Gefühl, dass ein Ereignis, ein Gefühl, ein Problem zu viel oder zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.
Es ist bei einem Buch wie diesem wichtig, sich in die einzelnen Charaktere hineinzuversetzen, damit man ihre Taten und ihre Denkweisen verstehen kann. Man darf nicht zu fixiert auf diese "Liebesgeschichte" sein, denn sonst übersieht man einiges. Hier geht es meiner Meinung nach nicht nur um die Liebe, sondern auch um andere, uns vielleicht unbekanntere Lebensumstände, um Situationsbewältigung und um Schicksal. Es geht darum zu verstehen, warum Dylan O´Dea so groß träumt und warum Evelyn Flynn es sich eben nicht traut.
Für mich ist dieses Buch zu einem Herzensbuch geworden, denn selbst auf wenig Seiten werden hier viele emotionale Höhe- und Tiefpunkte realistisch rüber gebracht. Einiges scheint oberflächlich, wenn man aber etwas länger darüber nachdenkt und mit diesen Gedanken weiterliest, lässt sich eine gewissen Tiefgründigkeit erkennen. Mir hat dieses Buch unglaublich viel Spaß gemacht, es hat mir das Herz gebrochen und neuen Mut eingeflößt.