Leben heißt rückwärts gelesen Nebel, und dieser verklärt die Sicht
NebelkinderLilith steht vor einer allumfassenden Entscheidung - sie soll das uneheliche Kind ihres Geliebten und ihrer besten Freundin bei sich aufnehmen und großziehen. Doch wie soll ihr das gelingen, wo ihr doch ...
Lilith steht vor einer allumfassenden Entscheidung - sie soll das uneheliche Kind ihres Geliebten und ihrer besten Freundin bei sich aufnehmen und großziehen. Doch wie soll ihr das gelingen, wo ihr doch die eigene Mutter über Jahre hinweg fremd und distanziert geblieben ist. Damit Lilith besser ihre eigene Familiengeschichte versteht, fährt Ana mit ihr nach Breslau und erzählt ihr endlich, was sich damals wirklich zugetragen hat. Die Nebel lichten sich...
Stefanie Gregg widmet sich in diesem Buch den Nebelkindern, einer ganzen Generation von Kriegsenkeln, die über vieles, was damals geschehen ist, bewusst von ihren Eltern und Großeltern im Unklaren gelassen werden. Die Erlebnisse der Kriegsgeneration werfen bis heute ihre Schatten voraus und sorgen dafür, dass ein gewisser Abstand zwischen den einzelnen Generationen vorhanden ist und manchmal unüberwindbar scheint.
Die Autorin lässt die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges wieder lebendig werden, die eisige Kälte und der frostige Winter dringend regelrecht durch die Seiten und fressen sich in die eigenen Knochen. Flucht und Vertreibung, Angst und Hunger und die traumatischen Erlebnisse des Flüchtlingstrecks werden für den Leser spür- & erlebbar, wenn Ana für Lilith die Zeit zurückdreht und endlich erzählt, was sie als Jugendliche erlebt hat.
Käthe, Liliths Großmutter, kämpft wie eine Löwin für das Überleben ihrer Kinder und wird dabei selbst zur Gejagten, die ein Leben lang die Narben von Not, Elend und Misshandlung während des Krieges auf ihrer geschunden Seele trägt und diese nicht mehr heilt. Ihr psychisches Trauma lässt eine emotionale Verarbeitung der Kriegserlebnisse nicht zu und sorgt so dafür, dass ihr die eigenen Kinder fremd bleiben und sie sie körperlich und gefühlsmäßig auf Abstand hält.
Dieses Verhalten für dazu, dass sich dieses "erlernte" Muster auf Ana und ihre Tochter Lilith überträgt und so eine enge Mutter-Tochter-Verbindung kaum möglich ist.
Stefanie Gregg schildert mit leisen, einfühlsamen, aber doch sehr eindringlich Worten die Geschichte, haucht ihren Figuren Leben ein und lässt so das Gefühl entstehen, dass sich Ana im Dialog mit dem Leser befindet. Die Szenen sind mit plastischen Bildern unterlegt und so wird das Buch zu einem ganz besonderen Leseereignis. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Generationen der Familie werden für den Leser deutlich und ermöglichen so, in die Rollen der jeweiligen Protagonisten zu schlüpfen und so die unbewusste Übermittlung der Erfahrungen mitzuerleben, mitzufühlen und ebenfalls zu erleiden.
Ein sehr gefühlvolles Buch, das zum Nachdenken über die eigene Familiengeschichte anregt und noch lange, lange nachklingt.
Absolute Leseempfehlung !