Ich habe diesen beschwingten Roman außerordentlich genossen, vor allem weil er mir sehr kurzweilige und humorvolle Einblicke in die Kunstwelt gewährt hat. Der Autor hat mit seiner Erzählerfigur Constantin ...
Ich habe diesen beschwingten Roman außerordentlich genossen, vor allem weil er mir sehr kurzweilige und humorvolle Einblicke in die Kunstwelt gewährt hat. Der Autor hat mit seiner Erzählerfigur Constantin Marx einen ausgezeichneten Beobachter geschaffen, der den Spagat zwischen sympathischer Zurückhaltung und nuanciertem Urteil mühelos schafft. Seine Beschreibungen der Förderverein-Mitglieder sind entlarvend, aber gleichzeitig voller Zuneigung für diese selbsternannte Akademiker-Elite. Ebenso gelungen ist die schrittweise Annäherung an den eigenbrötlerischen Künstler, der sich schließlich auf erfrischende Weise als Mensch entpuppt. Der Roman ist einfach richtig gut gemachte, niveauvolle und geschickte Unterhaltung, die bei mir tatsächlich auch noch eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Wesen der Kunst ausgelöst hat. Lesenswert!
Willy kann ihre Liebe zur Musik im New York der Zwanziger Jahre nicht ausleben: Frauen, vor allem aus ihrer Schicht, sind in der Branche nicht willkommen. Dennoch setzt Willy alles daran, ihren Traum zu ...
Willy kann ihre Liebe zur Musik im New York der Zwanziger Jahre nicht ausleben: Frauen, vor allem aus ihrer Schicht, sind in der Branche nicht willkommen. Dennoch setzt Willy alles daran, ihren Traum zu verwirklichen. Auf ihrem hindernisreichen Weg, eine der ersten Dirigentinnen in der Musikgeschichte zu werden, stolpert Willy über ein Familiengeheimnis, das sie zu Antonia werden lässt, findet Freunde und Feinde, reist durch die Welt und kämpft für und gegen die Liebe.
Willys Geschichte hat mich fasziniert, in Atem gehalten, Musik fühlen lassen und mich auch über weite Strecken begeistert. Der Roman fühlt sich gut in die begrenzte Lebenswelt von Frauen in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein. Willys Weg ist im Kontext dieser Beschränkungen einfach außergewöhnlich und der Stoff, den man typischerweise als Drehbuch für einen Oscar-Film kennt (nicht umsonst ist die Autorin von Haus aus auch Drehbuchschreiberin). Dies ist schön und sehr solide, mitreißend und durchaus inspirierend, aber birgt keine Überraschungen. Ohne zu viel zu verraten: selbst der Handlungsstrang um Robin hat mich nicht erstaunt - genau das hatte ich die ganze Zeit schon vermutet. Über die Vorhersehbarkeit der Geschichte konnte ich grundsätzlich jedoch gut hinwegsehen, da sie an sich sehr reizvoll ist. Problematischer ist die Tatsache, dass der Roman meiner Ansicht nach zeitweise immer mal wieder seinen historischen Kontext in der Figurenzeichnung und Figurenhandlung und auch in der Darstellung des settings aus den Augen verliert, nur um sich dann wieder sehr machtvoll daran zu erinnern. Da hätte ich mir mehr Konstanz gewünscht.
Durch die Perspektivenwechsel zwischen Willy/Antonia, Frank und Robin wird die Handlung sehr lebendig und vielseitig. Der Aufbau des Romans animiert zum beständigen Weiterlesen, das Buch legt man in der Tat nur schwer aus der Hand. Stilistisch war ich mit dem Roman nicht immer einverstanden. Zwar zeichnet er sich durch eine sehr hohe Lesbarkeit und auch einige gelungene Passagen aus, aber es gibt auch Passagen, in denen Dialoge in der Wortwahl einfach zu modern daherkommen - dies mag natürlich auch der Übersetzung geschuldet sein.
Die Figurenzeichnung ist grundsätzlich nicht schlecht, allerdings schwanken alle im Roman auftretenden Charaktere zwischen sehr starker Fortschrittlichkeit und überaus konservativer Rückwärtsgewandtheit. Dazu bin ich immer etwas empfindlich, wenn im historischen Roman zu viel erklärt und gelehrt wird - natürlich möchte ich etwas über die Zeit lernen und wissen, aber dies sollte in die Handlung und die Figurenzeichnung subtil und elegant eingebunden werden. In Die Dirigentin wird der beginnende Feminsimus teilweise zu grob in den Text eingefügt bzw. den Figuren in den Mund gelegt.
Die Dirigentin ist ein historischer Roman, der manchmal seinen Kontext vergisst, sich für Frauen stark macht und page turner-Qualität hat. Er ist ein schöner, unterhaltender Roman für Leser, die sich in Hollywood-Stoffen verlieren können und über ein paar unelegante Anachronismen hinwegsehen können.
Maria W. Peter widmet sich in ihrem historischen Roman einem hierzulande weitestgehend vergessenen Konflikt – dem deutsch-französischen Krieg, der vor 150 Jahren dazu führte, dass das Elsass und Lothringen ...
Maria W. Peter widmet sich in ihrem historischen Roman einem hierzulande weitestgehend vergessenen Konflikt – dem deutsch-französischen Krieg, der vor 150 Jahren dazu führte, dass das Elsass und Lothringen nicht länger Teil Frankreichs waren. Ihre Geschichte baut die Autorin um die Schicksale von fünf Figuren auf, deren Leben miteinander verknüpft sind: den preußischen Stabsarzt Paul und seine französische Verlobte Madeleine, ihren Bruder Clément und das algerische Dienstmädchen Djamila sowie deren Bruder Kamil.
Eine Liebe zwischen den Fronten ist ein absolut superb recherchierter und minutiös ausgearbeiteter Roman, der, was den historischen Kontext angeht, nichts dem Zufall überlässt. Die Autorin hat sich mit einem unglaublichen Maß an Engagement, Ausdauer und Hingabe den historischen Fakten gewidmet, von der Art der eingesetzten Gewehre über (Alltags-)Anekdoten bis hin zu den großen Schlachten und den historischen Persönlichkeiten. Entstanden ist ein in seinem Umfang und seiner historischen Verwurzelung geradezu monumentales Werk, das dem Leser sehr wertvolle, lehrreiche und neue Einblicke in einen eher in den Untiefen des kollektiven Gedächtnisses verschwundenen Konflikt bietet.
Allerdings kann die Fülle an Informationen zeitweise auch etwas erschlagen, was durch die Schwere der Thematik verstärkt wird. Ein Krieg ist nun einmal kein freudiges Ereignis. Insgesamt fehlte mir daher im Gesamtbild vielleicht etwas die Balance. So sind die Figuren gut konzipiert, besonders Clément ist ein sehr realistischer und überzeugender Charakter, aber ihre Geschichte tritt angesichts des großen Ganzen manchmal auch etwas in den Hintergrund.
Die Perspektiven- und Handlungswechsel sind äußerst abwechslungsreich und der gesamte strukturelle Aufbau des Romans hervorragend gelungen, aber ich hatte zeitweise Schwierigkeiten, eine emotionale Bezugsebene zu den Figuren zu finden, da der Handlungsaufbau und der Figureneinsatz stark an die historische Abfolge gebunden waren und so die Entwicklungs- und Aktionsmöglichkeiten der Figuren der Illustration des historischen Kontexts untergeordnet wurden. Dieser Kritikpunkt bezieht sich nicht auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten, an die die Figuren gebunden waren – im Gegenteil, ich schätze die Autorin für ihre absolute Konsequenz, Lesererwartungen und -hoffnungen durchaus auch zu enttäuschen.
Ich habe Eine Liebe zwischen den Fronten, auch wenn es mich nicht vollends mitgerissen hat, sehr gern gelesen und bin insbesondere von der Aufbereitung des historischen Kontexts unglaublich fasziniert.
Elija, Noa und Loth sind als Schwestern untrennbar miteinander verbunden, aber ihre Leben und Werte könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf einer Wanderung, die an vergangene Kindheitstage erinnern soll, ...
Elija, Noa und Loth sind als Schwestern untrennbar miteinander verbunden, aber ihre Leben und Werte könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf einer Wanderung, die an vergangene Kindheitstage erinnern soll, tritt deutlich zutage, dass man zwar zusammen aufwachsen, aber nicht zusammen erwachsen sein kann.
Der Roman hat mich nachhaltig beeindruckt - und das, obwohl Schwestern-Geschichten mich eher wenig interessieren und der Inhalt mich auf den ersten Blick nicht so sehr angesprochen hat. Amanda Lasker-Berlin ist jedoch ein wirklich bemerkenswerter Roman gelungen, der vor allem erzähltechnisch und sprachlich sehr überzeugt. Sie versteht es, mit wenigen - oft sehr schönen - Worten sehr viel Gefühl und tiefe Emotion unterschiedlichster Färbung zu transportieren. So kann man Noas Leere und Ohnmacht ebenso greifen wie Elijas Nichtverstehen und ihren Wunsch nach Zuneigung oder Loths Wut. Diese Gefühlsebenen werden durch die Erzählperspektive zwar auch durch die Gedanken der Figuren, aber häufiger durch Handeln oder Unterlassen der Figuren illustriert. Der Schreibstil ist für mich besonders deshalb so eindrucksvoll, weil er keine Scheu hat, Dinge auszuformulieren, aber es dennoch oftmals auch dem Leser überlässt, sich einen eigenen Reim auf das Erzählte zu machen.
Das Berückende an der Handlung ist, dass die Wanderung die Rahmenhandlung für die Annäherung des Lesers an die drei Schwestern bildet. So erfährt man Stück für Stück, Fragment für Fragment, immer mehr über jede einzelne der Frauen. Die Art wie dies vonstatten geht, erinnert an menschliche Denkprozesse: erst ist man im hier und jetzt bei der Wanderung und schon driftet die Gedankenwelt in die Vergangenheit oder zu ungelösten Problemen. Das ist schon sehr, sehr gut überlegt und umgesetzt.
Die Figuren sind sehr komplex und damit sehr authentisch und auch hier hat sich die Autorin einer recht schwierigen Herausforderung gestellt. Ihr gelingt es, die Gefühlslage Elijas, die durch ihr Down-Syndrom die Welt anders wahrnimmt, ebenso nachvollziehbar einzufangen, wie die Loths, die vollkommen der rechten Gesinnung verfallen ist - beide sind keine einfachen Charaktere.
Auch wenn der Roman auf subtile Weise distanziert wirkt, so ist man doch emotional berührt - die Geschichte und die Schwestern entfalten eine Sogwirkung. Elijas Lied ist ein sehr lesenswerter Roman mit viel Interpretationspotential. Sehr gelungen!
Kent Harufs Roman ist ein kostbarer Roman, der die Stille, Langsamkeit und das Kleinstadtleben würdigt. Allen, die die Thematik des Sterbens und der Krankheit abschrecken mag, sei versichert: ja, es geht ...
Kent Harufs Roman ist ein kostbarer Roman, der die Stille, Langsamkeit und das Kleinstadtleben würdigt. Allen, die die Thematik des Sterbens und der Krankheit abschrecken mag, sei versichert: ja, es geht um das Ende des Lebens, aber nicht auf eine verstörende oder abschreckende Weise und vor allem geht es auch nicht nur um den Tod. Haruf gelingt es im Gegenteil, das Sterben zum Teil des Lebens zu machen - was es ja letztlich auch ist. So ist der Roman durchsetzt mit Erinnerungen an Fehler und Situationen, die das Leben der Figuren in Kostbare Tage beeinflusst oder auch entschieden haben. Die Handlung wechselt zwischen Dad Lewis Geschichte und Reverend Lyles Gewissenskonflikten, Alenes trauriger Liebesgeschichte, John Wesleys Teenagernöten und Alices neuem Leben in Holt, sodass an Dad Lewis Ende auch der Beginn oder die Mitte anderer Schicksale geknüpft sind, wodurch ein Panorama verschiedener menschlicher Leben in einer Kleinstadt geschaffen wird.
Beschrieben wird Holt mit seinen Einwohnern in einer sehr reduzierten, unaufgeregten und stillen Sprache, verstärkt durch den konsequenten Verzicht auf die Anführungszeichen der wörtlichen Rede. So stört nichts den ruhigen, aber unaufhaltsamen Lauf des Lebens in dem kleinen Ort. Eine Sprache, die so sehr der Romanhandlung angepasst gibt, findet man nur selten.
Eine richtige Nähe zu den Figuren kommt aufgrund der Erzählsituation und des Schreibstils zwar nicht auf, dennoch berührt der Roman. Die Trauer, Traurigkeit, Missverständnisse, Fehlentscheidungen und das Abschiednehmen sind Konstante der menschlichen Existenz und beeindrucken daher sehr. Die stärksten Szenen sind für mich die, in denen Dad Lewis auf dem Sterbebett um Vergebung bittet - ohne sich dessen selbst wirklich bewusst zu sein.
Kostbare Tage ist ein Roman, der nachwirkt und reicher macht. Schön und traurig und auch alltäglich.