„Uns gehört die Nacht“ von Jardine Libaire ist ein außergewöhnliches Buch. Es hat mich verwirrt, fasziniert, abgestoßen, verwundert, in Staunen versetzt, nachdenklich gemacht und noch vieles mehr. Es ist schwer zu beschreiben und daher auch schwer zu bewerten. Dennoch versuche ich hier, ein paar meiner Eindrücke aufzuschreiben.
Das Buch erzählt die Geschichte von Elise und Jamey. Sie ist unter den denkbar schlechtesten Voraussetzungen in einem gefährlichen, heruntergekommenen Viertel zwischen Armut, Drogen und Gewalt aufgewachsen, wo sie schon viel zu früh Erwachsen werden musste. Er ist unter den angeblich besten Voraussetzungen aufgewachsen, hineingeboren in eine reiche Familie, viel Geld, viele Ferienhäuser, viele Nannys, viele Bewunderer, viel von allem, aber wenig Liebe. Die findet er, als er in New Haven seine Nachbarin Elise kennenlernt, die so anders ist als all die Frauen, die ihn normalerweise umgarnen. Was er nicht weiß, ist, dass sie ihn will und auch bekommen wird, ganz gleich was seine Familie und Freunde, die Welt dazu sagt.
Der Erzählstil der Autorin ist anders und macht das Buch, meiner Meinung nach, zu etwas Außergewöhnlichem. Das Buch wird von einem allwissenden Erzähler erzählt, der jedoch nicht sein ganzes Wissen Preis gibt, nur Schnipsel, kleine Stücke, Ausschnitte des Lebens. Ich würde den Stil schon fast als nüchtern bezeichnen, wie einen Nachrichtenbericht, ohne Gefühle und Emotionen, eine simple Abfolge der Handlungen und Ereignisse. Gleichzeitig ist da die fast schon poetische Seite, wie man sie in Gedichten findet: Bilder, Vergleiche, Um- und Beschreibungen, Metaphern, alles wunderbar verpackt zu einem wahren Genuss an kreativen Satzfindungen.
„Ihre pockennarbige DNA, greift wie Blauschimmelkäse, ihre Traditionen wie die braun gewordenen Ränder einer aufgeschnittenen Birne.“
Das Buch ist, meiner Meinung nach, viel weniger ein Liebesroman als die Verknüpfung vieler kleiner Schicksale, Menschen und Geschichten einer aufmerksamen Beobachterin verwoben in einem Buch, das durch die Geschichte um Elise und Jamey zusammengehalten wird. Sie bilden den Rahmen, um den sich zahllose Menschen, Leben und Orte ranken. So erinnert mich das Buch ein wenig an eine literarische Form der „Humans of New York“. Es werden zahlreiche Menschen und Ausschnitte aus ihrem Leben beschrieben, obwohl sie mit der Geschichte nicht mehr zu tun haben, als dass sie auf der Straße an Elise vorbeilaufen oder Jamey im Park begegnen.
Menschen aller Schichten, Klassen und Rassen finden ihren Weg in dieses Buch und das hat mich fasziniert. Diese kleinen Schnipsel aus unterschiedlichen Leben, die so authentisch und nah wirken, als würde man selbst über einen Markt laufen und sich überlegen, wie wer gerade lebt und wieso.
Dennoch wurde es mir manchmal ein bisschen zu viel, da die Geschichte um Elise und Jamey in den Hintergrund zu rücken schien und ich gerne gewusst hätte, wie es denn weitergeht und wo das Ganze denn hinführt. Diese Frage ist mir allerdings bis zum Schluss geblieben, der merkwürdig offen bleibt, aber so zu diesem merkwürdigen Buch passt. Und merkwürdig meine ich in diesem Fall nicht negativ, sondern völlig wertungsfrei als Tatsache.
Dieses Buch hat sich für mich wie einer der spanischen Filme angefühlt, es lässt einen verwirrt und Stirn runzelnd zurück, es hallt nach, obwohl man gar nicht weiß warum und das beschäftigt einen noch Tagelang. Ich kann wirklich nicht sagen, was ich von dem Buch halten soll, da es mich so verwirrt und gleichzeitig irgendwie auch berührt hat. Es gab diesen Drang, weiterzulesen, mehr zu erfahren und sich gleichzeitig in dieser seltsamen Atmosphäre, die geschaffen wurde, dieser distanzierten Nähe, zu verlieren.
Wer also mal etwas anderes lesen, sich in Worten verlieren und zum Nachdenken angeregt werden möchte, ist mit diesem Buch gut bedient. Wer eine herzerwärmende, dramatisch angehauchte Liebesgeschichte erwartet, die man mal schnell im Zug oder Wartezimmer verschlingen kann, dem rate ich eher von diesem Buch ab.