Bewegende Geschichte
Letzte Spur Berlin„...Ertränke dein Herz nicht in Trauer. Manchmal ist es einfach besser, nicht zu wissen, was die Zukunft für einen bereit hält. Wenn Allah will, dann werden wir uns wiedersehen...“
Mit diesen Worten schickt ...
„...Ertränke dein Herz nicht in Trauer. Manchmal ist es einfach besser, nicht zu wissen, was die Zukunft für einen bereit hält. Wenn Allah will, dann werden wir uns wiedersehen...“
Mit diesen Worten schickt im Iran eine Mutter ihren Sohn Mehdi 1959 in die Ferne. Es ist die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten. Was war dem vorausgegangen?
Nach dem Tode des Vaters schließt sich Mehdi immer mehr seinem Freund Amin an. Der nimmt ihn zu Veranstaltungen der Tudeh – Partei mit. Das aber ist im damaligen Iran lebensgefährlich.
Der Autor hat akribisch die Vergangenheit seines Vaters Mehdi recherchiert, der 1959 in die BRD kam und im August 1988 nach dem Grenzübertritt an der Bornholmer Straße spurlos verschwunden ist.
Der Schriftstil ist abwechslungsreich. Im ersten Teil wird die Kindheit bis zur Flucht erzählt. Danach folgt ein Zeitsprung von ca. 20 Jahren, bevor das Leben in der BRD geschildert wird.
Auffallend sind ab und an Sätze, die die blumige Sprache bedienen, wie sie in orientalischen Märchen üblich ist. Sie geben der Geschichte ein besonderes Flair. Dazu gehört der folgende Satz von Amin:
„...Wer würde sich schon an zwei kleine Sandkörner aus der Wüste der Hoffnungslosigkeit erinnern?...“
Hier wird mit wenigen bildhaften Ausdrücken das Leben beschrieben, sowie es Amin empfindet. Iran ist ein Land, wo großer Reichtum auf bittere Armut trifft. Nach dem Tode des Vaters fällt es Mehdis Familie schwer, den Lebensstandard zu halten. Für mich gehörten sie vorher zur Mittelschicht.
Schon hier deutet sich an, was sich später wiederholt. Mehdi lässt sich leicht verführen. Er ordnet sich unter. Amin ist ein Schlitzohr. Er weiß, wie man gekonnt durchs Leben kommt.
Wie so oft sind es die Mütter, die die Opfer bringen. Mehdis ältere Bruder verpflichtet sich bei der Armee. Seine Mutter ist alles andere als glücklich, doch damit wird die Familie unterhalten. Und dann muss Mehdi gehen. Selbst die besten Beziehungen helfen nun nicht mehr. Wenn er bleibt, ist er der gefundene Sündenbock.
Mit der Flucht beginnt Mehdi, Tagebuch zu führen. Ausschnitte daraus zeigen ein zerrissenes Leben, das sich in der BRD fortsetzt. 1980 verdient sich Mehdi seinen Unterhalt mit Autodiebstählen und deren Transport gen Osten. Ob er sich noch ab und zu an die letzten Worte seines Vaters erinnert?
„...Versprich mir, dass du in Zukunft niemals arm werden wirst und versuche immer ehrlich zu dir selbst und zu deinen Mitmenschen zu sein...“
Hatte er je die Chance dazu? Vermutlich haben acht Jahre als Flüchtling ohne Arbeitserlaubnis tiefe Spuren hinterlassen. Wie Mehdi ins kriminelle Milieu abrutschte, bleibt unerwähnt. Das es solange gut ging, ist fast ein Wunder. 1980 bekommt er einen neuen Partner. Ali erinnert mich in gewisser Weise an Amin. Er hat ein Auge für Gefahren. Er plant akribisch voraus und mag spontane Entscheidungen gar nicht. Mehdi geht alles eher naiv und unbekümmert an.
In diesem Teil wird die Sprache härter. Das ist dem Geschehen geschuldet. Wer sich auf illegale Wege begibt, redet nicht lange um den heißen Brei herum.
Der stilistische Höhepunkt ist für mich das Gespräch mit einer alten Dame im Seniorenheim, wo Mehdi Sozialstunden ableisten musste. Sie spricht unter anderen über die Liebe und den Sinn des Lebens. Ob sie der Auslöser war für das, was später geschah? Wer weiß! Der folgende Satz von ihr macht nachdenklich:
„...Dabei weiß ich eigentlich gar nicht, warum alle so viel Furcht vor dem Ende des Lebens haben. Etwas, das unausweichlich und absolut ist, muss doch nicht zwangsläufig schlecht sein...“
Auf den letzten Seiten erläutert der Autor, wie es zum Entstehen des Buches kam. Gleichzeitig ist die Trauer eines Sohnes über den Verlust des Vaters in jeder Zeile spürbar. Die letzten Nachrichten kamen aus der Türkei. Doch sind sie wahr?
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ein persönliches Schicksal wirkt ganz anders als die Erfindung eines Autors. Natürlich lässt die Geschichte Fragen offen. Das ist dann so.