Bedrückendes Thema, packend erzählt
Frank Goldammer erzählt in „Zwei fremde Leben“ die Geschichte zweier Frauen: Ricarda, noch keine 20 Jahre alt, bekommt 1973 ihr erstes Kind in einem Dresdener Frauenklinikum. Obwohl sie eine problemlose ...
Frank Goldammer erzählt in „Zwei fremde Leben“ die Geschichte zweier Frauen: Ricarda, noch keine 20 Jahre alt, bekommt 1973 ihr erstes Kind in einem Dresdener Frauenklinikum. Obwohl sie eine problemlose Schwangerschaft hatte und die Wehen pünktlich am errechneten Stichtag einsetzen, läuft die Geburt fürchterlich schief und ihr Baby kommt tot zur Welt – behauptet zumindest das Krankenhauspersonal. Ricarda darf ihr Neugeborenes noch nicht mal sehen. Von nun an bestimmt dieses Trauma ihr Leben, sowie nagende Zweifel, ob man ihr wirklich die Wahrheit gesagt hat. Denn vielleicht lebt ihr Kind ja doch noch?
Die 16-jährige Claudia erfährt dagegen 1989 eine Wahrheit, die ihr Leben verändert: Sie ist nicht die leibliche Tochter der linientreuen Funktionäre, die sie aufgezogen haben. Doch wer ist sie dann – und wie kann sie das herausfinden, wenn alle schweigen?
Nach den ersten paar Kapiteln hatte ich die Befürchtung, dass dieser Roman doch etwas vorhersehbar sein könnte. Überdies kamen mir die Personen ziemlich holzschnittartig vor: Da gab es die sympathischen, mitfühlenden Regelbrecher und die herzlosen Parteisoldaten – letztere natürlich immer am längeren Hebel. Doch „Zwei fremde Leben“ überraschte mich positiv. Es ist dann doch nicht alles so einfach, wie es anfangs scheint, und einige Figuren sind viel komplexer angelegt als erwartet. Zeit- und Perspektivsprünge tragen dazu bei, dass sich der Roman sehr abwechslungsreich liest. Dem Autor gelingt es außerdem bestens, die Verzweiflung und Hilflosigkeit der beiden weiblichen Hauptfiguren einzufangen. Wie sie sich Autoritäten ausgeliefert fühlen, liest sich nachvollziehbar und beklemmend. Man bekommt einen Eindruck, was es bedeutet, wenn man in einem totalitären Staat nicht wie gewünscht funktioniert und es nicht schafft, unter dem Radar zu bleiben.
Aber auch die Wende lässt Goldammer nicht unkommentiert und für viele seiner Figuren ist sie nicht der erhoffte Heilsbringer. Die Handlung zieht sich bis ins Jahr 2018. Ricardas deutsch-deutsches Leben begleiten die Lesenden so über fast fünf Jahrzehnte; ihre Darstellung hat mich dann auch am meisten überzeugt.
Sicher ist kein Zwangsadoptionsschicksal wie das andere. „Zwei fremde Leben“ nähert sich dem Thema von verschiedenen Seiten und geht dabei behutsamer vor, als der Anfang vermuten lässt. Ich war positiv überrascht.
Ich habe dieses Buch als Leseexemplar erhalten.