Ein kurzer Blick auf eine Parallelgesellschaft in Deutschland
Wusstet Ihr was oder wer die Mhallamiye sind? Es sind Flüchtlinge. Schon seit bald 100 Jahren müssen sie immer wieder fliehen. Zuerst aus der Türkei in den Libanon, dann, als dort der Bürgerkrieg ausbrach ...
Wusstet Ihr was oder wer die Mhallamiye sind? Es sind Flüchtlinge. Schon seit bald 100 Jahren müssen sie immer wieder fliehen. Zuerst aus der Türkei in den Libanon, dann, als dort der Bürgerkrieg ausbrach weiter, nach Westeuropa. Seit etwa 1980 gibt es sie auch in Deutschland. Im Schutz der Demokratie haben sie eine eigene Parallelgesellschaft mit eigenen Gesetzen und Strukturen entwickelt. Schule? Ausbildung? Beruf? Ist nicht nötig. Für Mädchen sowieso nicht, die werden eh an den meistbietenden als Ehefrau verkauft, Jungs erlernen das Nötige (Schießen, Einbrechen, Autos stehlen, usw.) in der Familie, von den Vätern oder den älteren Brüdern. Wenn einer sich aber als intelligent genug erweist für einen Schulbesuch, dann bitte, dann darf er Rechtsanwalt oder Zahnmedizin studieren. Um danach dem Clan kostenlos zur Verfügung zu stehen. Aus dieser Welt brechen zwei junge Menschen aus. Sie lieben sich, halten aber ihre Liebe geheim, denn in ihren Familien wäre das undenkbar. Er ist der Sohn des Paten der Bremer Mhallamiye und sie ist aus einer untergeordneten rangniedrigen Familie. Und ein Mädchen muss sowieso dem Mann gehorchen, den ihr älterer Bruder bestimmt. Die Flucht gelingt nur für einige Jahre. Dann stirbt er.
Die ermittelnden Polizisten unterstützt von der Staatsanwältin Chastity Riley kommen der Wahrheit auf die Spur und machen auch die Schattenwelt der Mhallamiye sichtbar. Dabei haben sie selber auch mit ihren eigenen Schatten und Alpträumen zu kämpfen, die sei mit Alkohol und Zigaretten in Schach halten.
Die Sprache des Krimis ist faszinierend. Einfach, geradlinig. Wenn mal Nebensätze verwendet werden, dann wie um Nebensächliches en passant mitzuteilen. Und hinterher geht es einem auf, dass da Ungeheuerliches bekannt gegeben wurde: dass der Vater einer der Ermittler bei einer Schießerei der Mhallamiye Clans als Polizist zwischen die Fronten geriet und erschossen wurde, dass Chastitys Geliebter bei einem Anschlag einen Arm verlor, dass Stepanovic hoffnungslos in die Staatsanwältin verliebt ist. Und dann gibt es Sätze die wie unumstößliche Sentenzen klingen und so perfekt und in sich abgerundet sind wie eine Sphäre. Lasst Euch mal folgende Passagen auf der Zunge zergehen: „Dosenbier kannst Du nur dann mit Würde trinken, wenn du weißt, wie der Regen im Rinnstein schmeckt“ (S. 167). Oder das Polizeimuseum: „Die Kollegen da sind alle dienstunfähig. Ist wirklich ’ne ganz schöne Stimmung.“ (S. 107). Trocken und auf den Punkt, vermag es diese Sprache perfekt die Stimmung im Buch wieder zu geben.
Fazit: Volle, maximale Punktzahl für Simone Buchholz.