Sprachlosigkeit, die in Worte gefasst werden will
Das Mädchen, das ein Stück Welt retteteBis zu diesem Buch war 2020 nicht unbedingt mein Lesejahr: mit nur ~30 Büchern hab ich in diesem Jahr bislang eher wenig gelesen und auch, wenn nicht alle Titel davon schlecht waren und mir ein paar auch ...
Bis zu diesem Buch war 2020 nicht unbedingt mein Lesejahr: mit nur ~30 Büchern hab ich in diesem Jahr bislang eher wenig gelesen und auch, wenn nicht alle Titel davon schlecht waren und mir ein paar auch echt ganz gut gefallen haben, hatte mich doch bisher nichts umgeworfen. Und dann kam „das Mädchen, das ein Stück Welt rettet“, was sicherlich nicht nur mein diesjähriges Lesehighlight bleiben wird, sondern auch mein Lesehighlight der ganzen letzten Jahre ist.
In diesem Roman wird fiktional die echte Geschichte der jungen Stefania erzählt, die im 2. Weltkrieg erwachsen werden muss und sich dabei letztlich mit ihrer kleinen Schwester in einer wahren Bruchbude mit lediglich zwei Zimmern und einer Küche wiederfindet, die zunächst ein „optimales“ Haus für ihre Pläne darstellt (dabei ist es wohl mehr ein schäbiger, niedriger Anbau), einige befreundete Juden zu verstecken, zunächst in einem selbst ausgehobenen „Bunker“ unter dem Bett und später auch in einem abgeteilten Bereich des winzigen Dachbodens. Aus „einigen“ Juden werden letztlich 13 (!), denn Stefanias lapidare Erklärung: „Sie werden mich für einen versteckten Juden genauso hängen wie für zehn, also macht es keinen Unterschied“, und dann wird das zweite Zimmer auch noch deutschen Krankenschwestern zugewiesen, die gegenüber im neu eingerichteten Militärkrankenhaus – für die Nazis – arbeiten…
Diese Geschichte ist absolut unglaublich und letztlich ist „Heute ist also der Tag.“ der Satz, der sie bestimmt: Irgendwann sieht sich Stefania ständig mit diversen Punkten konfrontiert, die sie überzeugt sein lassen, dass sie eben diesen Tag nicht überleben wird, da man sie als Widerständlerin enttarnen oder die in ihrem Haus versteckten Juden entdecken wird. Und jeder Tag vergeht… Der Klappentext spricht bereits davon, dass sie „ihnen so das Leben rettete“, was bereits suggeriert, dass es für die Hauptfiguren hier ein gutes Ende genommen hat, dass sie nicht den Nazis zum Opfer gefallen sind.
Ich habe es nicht glauben können.
Im Anhang findet sich eine kurze Erklärung, wie Stefanias Leben weiterhin verlaufen ist, was aus den Menschen, die sie versteckte, geworden ist: Ich habe sehr frühzeitig vorgeblättert und mir dieses Nachwort durchgelesen, um das echte Ende zu erfahren. Dann habe ich weitergelesen – und 50 Seiten darauf mir nochmals das Nachwort durchgelesen. Wieder habe ich den Roman weitergelesen, um nach dem nächsten Kapitel erneut nachzuschauen, was letztlich aus all diesen Menschen geworden ist.
Diese Geschichte ist einfach derart unfassbar: Wir leben als Paar in einer Zweizimmerwohnung von knapp ~60qm, das Haus ist alt und die Wände hellhörig; wir hören die Nachbarn, die über uns im Dachgeschoss wohnen, auch regelmäßig dort umhertrippeln – und ich habe keine Ahnung, wie ich es in diesem inzwischen durchaus mal sanierten und modernisierten Haus hinkriegen sollte, über uns 13 Leute versteckt zu halten und versorgen zu können, ohne dass das wer noch dazu im zweiten Zimmer unserer eigenen Wohnung mitbekommen würde. Ehrlich gesagt kann ich es mir sogar kaum vorstellen, so viele Leute in einem freistehenden Häuschen in einer Reihenhaussiedlung unentdeckt versorgen zu können, selbst wenn man dazu nicht noch lediglich ein Außenklo als Sanitäranlage zur Verfügung stehen hätte und Wasser nicht aus einem Brunnen draußen schöpfen müsste…
Im Prinzip war Stefanias Einsatz also völlig wahnsinnig und wie erwähnt war auch ihre kleine Schwester da mit von der Partie; es ist so beeindruckend und manchmal braucht man einfach eine Geschichte wie die vom „Mädchen, das ein Stück Welt rettete“, um den Glauben an die Menschlichkeit so überhaupt rein gar nicht zu verlieren.
[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]