Den Mutigen hilft Fortuna… oder doch nicht?
Fortunas RacheDen Mutigen hilft Fortuna… oder doch nicht?
„Du wirst dich schon bald in ernste Schwierigkeiten bringen.“ Ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen, und ging. Um bei mir Schwierigkeiten vorauszusehen, ...
Den Mutigen hilft Fortuna… oder doch nicht?
„Du wirst dich schon bald in ernste Schwierigkeiten bringen.“ Ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen, und ging. Um bei mir Schwierigkeiten vorauszusehen, brauchte man nun wirklich keine hellseherischen Fähigkeiten.“ (Zitat Invita)
Invita lebt als Sklavin im Hause von Legatus Augusti pro Praetore, dem mächtigen und einflussreichen Statthalter von Treveris. Ihren vorherigen Besitzern ist es zu verdanken, dass die Siebzehnjährige Bildung erfahren durfte, mehrere Sprachen spricht und des Lesens, Schreibens und Rechnens mächtig ist. Ihre große Schwäche für Dichter und Philosophen bringt sie immer wieder in Schwierigkeiten. Invita gilt als aufsässig, vorlaut und unzuverlässig. Aufgrund ihrer Neigung, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit Schriftrollen aus dem Haus ihrer Eigentümer auszuleihen, wird sie wiederholt des Diebstahls bezichtigt. Ihre permanenten Verstöße gegen die Hausregeln tragen darüber hinaus dazu bei, dass sie sowohl der Hausverwalter Diodoros, als auch der Aufseher Celsus, scharf im Auge behalten. Nachdem Modestus, der stille und gutmütige Bote des Statthalters, Invita ein Geheimnis anvertraut hat, verschwindet er spurlos. Die junge Sklavin mit dem vorlauten Mundwerk beschließt, Nachforschungen anzustellen und bringt sich dadurch in Lebensgefahr.
Nachdem ich bereits mit großer Begeisterung mehrere Romane der Autorin Maria W. Peter gelesen habe, wurde ich nun mit der Buchreihe um die junge Sklavin Invita auf einige frühere Werke der Autorin aufmerksam. Im vorliegenden ersten Band „Fortunas Rache“ lernt der Leser die ungewöhnlich gebildete Protagonistin kennen, die sich nach geistiger Nahrung verzehrt, zu ihrem Leidwesen jedoch nicht gerade mit Gehorsam und Diplomatie gesegnet ist. Laufende Konfrontationen und drastische Strafen sind die Folgen ihres Ungehorsams, doch widerspenstig und starrköpfig fordert Invita ihr Schicksal täglich aufs Neue heraus. Der Ich-Erzählerin Invita stehen etliche Nebenfiguren zur Seite, der Schauplatz der Handlung ist die bereits erwähnte Hauptstadt der Treverer an der Mosel. Während Invita mit den Sklavinnen Foeda und Bricia ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, machen ihr die boshafte und manipulative Sklavin Rapida, der griesgrämige Hausverwalter Diodoros und der grausame Aufseher Celsus das Leben schwer. Die hellsichtige Heilkundige Selena gibt nur zögernd begehrte Informationen preis, den selbstbewussten Kriegsgefangenen Flavus betrachtet Invita als versklavten Barbaren und ungehobelten Alemannen. Eine wichtige Rolle im Buch spielt auch die kränkliche Tochter des Statthalters namens Marcella, die eine schützende Hand über Invita hält. Doch ebenso wie einige andere Bewohner dieses Hauses ist Marcella äußerst bedacht darauf, ihre Geheimnisse zu wahren.
Der Autorin ist es hervorragend gelungen, historische Fakten mit einer spannenden Krimihandlung zu vereinen. Man erfährt interessante Einzelheiten über das Alltagsleben der römischen Elite, liest von Errungenschaften wie beispielsweise Toiletten oder Fußbodenheizung in den Häusern der wohlhabenden Familien. Durch Invita erhält man Einblicke in das Leben der Sklaven bei einflussreichen, begüterten und von sich selbst überzeugten Römern.
„Die Römer sind so von der Einzigartigkeit und Ewigkeit ihrer eigenen Weltordnung überzeugt, dass sie vergessen, dass es schon eine Welt vor der Zeit Roms gab und ebenso eine danach existieren wird.“
Die Autorin hat den Kriminalfall um den spurlos verschwundenen Modestus sehr gut umgesetzt. Der Spannungsbogen bleibt zudem durch die laufenden Missgeschicke und Verstöße der Protagonistin konstant aufrecht. Maria W. Peters Schreibstil ist flüssig und einnehmend. Was mir persönlich nicht zusagte waren die derben Ausdrücke im Buch, die wohl die Schlichtheit und fehlende Bildung unter den Sklaven verdeutlichen sollten. Sehr gut gefallen haben mir die in einige Dialoge eingebrachten Zitate Senecas. Wiederholt zum Schmunzeln veranlassten mich jene Gedankengänge und Aussagen Invitas, welche von ihrem trockenen Humor zeugen:
„Schon als ich den kostspieligen Papyrus in die Hand nahm, rollte er sich von selber auf. Ich grinste. Die Anziehung zwischen Schriftrollen und mir beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Einen Moment lang kämpfte mein besseres Ich gegen die Versuchung, einen kurzen Blick auf den Inhalt zu werfen. Das bessere Ich unterlag.“ (Invita)
Bei der Bewertung der Charakterzeichnung der handelnden Figuren war ich ein wenig zwiegespalten. Invita als Ich-Erzählerin erlaubt großzügige Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelt und lässt die Leser auch an ihren Beobachtungen der anderen Charaktere teilhaben. Die beiden Antagonisten Diodoros und Celsus empfand ich ebenfalls als glaubwürdig ausgearbeitet. Einige Nebenfiguren empfand ich jedoch etwas zu blass – die Haussklaven und der eigenmächtige Alemanne Flavus blieben mir bis zuletzt ein wenig fremd, sie konnten mich emotional nicht einbeziehen. Da es sich bei dem vorliegenden Roman um den Beginn einer Buchreihe handelt, gehe ich jedoch davon aus, dass der Fokus der Autorin sich vermutlich erst im nächsten Band auf Flavus und einige der aktuell etwas vernachlässigt wirkenden Randfiguren richten wird. Ich bin schon jetzt gespannt darauf, Näheres über diesen Personenkreis zu erfahren.
Abschließend möchte ich noch auf die überaus ansprechende optische Aufmachung dieses Buches hinweisen sowie auf die Tatsache, dass Maria W. Peter ihren Lesern im Anhang nicht nur eine Karte des römischen Trier im dritten Jahrhundert nach Christi zur Verfügung stellt, sondern auch ein aus meiner Sicht äußerst hilfreiches Glossar zu den im Buch verwendeten lateinischen Ausdrücken. Das Nachwort liefert detaillierte geschichtlichen Fakten zu Zeit und Schauplatz der Handlung.
Fazit: Maria W. Peter entführte mich in „Fortunas Rache“ an der Seite der jungen Sklavin Invita auf eine abenteuerliche und spannende Reise in die Vergangenheit, wo ich im Jahre 260 n. Chr. interessante Einzelheiten über das Alltagsleben der römischen Oberschicht und jenes ihrer Sklaven in Erfahrung bringen durfte. Der flüssige und einnehmende Schreibstil, eine vorlaute und waghalsige Protagonistin und ein ausgeklügelter Kriminalfall bescherten mir großes Lesevergnügen. Ich freue mich bereits darauf zu erfahren, welche Abenteuer Invita in den Nachfolgebänden erwarten.