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Veröffentlicht am 06.08.2020

Psychodrama um das Haus auf den Klippen

Ich will dein Leben
1

1986: Die 16jährige Tamsyn lebt in der hintersten Ecke Cornwalls. Arbeitslosigkeit, Trostlosigkeit und Mutlosigkeit prägt ihr Umfeld und seit ihr geliebter Vater bei einer Seenotrettung ums Leben gekommen ...

1986: Die 16jährige Tamsyn lebt in der hintersten Ecke Cornwalls. Arbeitslosigkeit, Trostlosigkeit und Mutlosigkeit prägt ihr Umfeld und seit ihr geliebter Vater bei einer Seenotrettung ums Leben gekommen ist gibt es für Tamsyn nur eine Sache, an der sie noch Freude findet: Hoch auf einer Klippe über dem Meer steht ein wunderschönes weißes Herrenhaus, in dessen Pool sie verbotenerweise mit ihrem Vater schwimmen war und an das sie die besten Erinnerungen ihres Lebens hat. Das junge Mädchen ist fasziniert von dem Haus und beobachtet alles akribisch, was dort abläuft. Sie entwickelt eine regelrechte Obsession hinsichtlich der Bewohner des Hauses, der Familie Davenport aus London. Als diese eines Sommers ihre Tochter Edie mitbringen freundet sich diese mit Tamsyn an, nichtsahnend, dass diese eigentlich nur eines möchte: Ein Leben, wie Edie es lebt.

Das Cover des Buches ist absolut passend und fasst gut seine Quintessenz zusammen: Ein rothaariges Mädchen, das auf die weiße Villa auf den Klippen schaut. Insofern passt der Originaltitel des Buches „The Cliff House“ auch ideal und hätte meiner Meinung nach auch für die deutsche Ausgabe verwendet werden können, da „Ich will dein Leben“ etwas falsche Erwartungen bei mir als Leser geweckt hat – denn es ist tatsächlich das Haus, das Dreh- und Angelpunkt und Ziel von Tamsyns Streben ist und nicht Edies Leben als Ganzes. Sie ist von der Haus und der Vorstellung dort zu leben besessen, nicht von Edie als Person.

Die beiden Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens sind auf den ersten Blick extrem unterschiedlich: Tamsyn hat früh ihren Vater verloren und kommt aus ärmlichen, aber liebevollen Verhältnissen. Sie ist sehr introvertiert und wirkt teilweise noch sehr kindlich-naiv. Edie hingegen ist die rebellische Tochter reicher Eltern, die krampfhaft um deren Aufmerksamkeit buhlt und insgesamt sehr selbstbewusst auftritt. Doch beide Elternteile sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie der Tochter die Liebe und Aufmerksamkeit geben könnten, die sie braucht und geben ihr lediglich finanzielle Sicherheit. Tamsyn jedoch glaubt in den Davenports die personalisierte Perfektion vorzufinden, sie ist absolut verblendet und besessen von dem Wunsch, Edies Leben zu führen. Sie ist besessen davon, in dem geliebten Haus auf den Klippen zu blieben und tut alles, um Zugang zur Familie zu haben. Dabei gerät sie immer mehr in eine Opferrolle und lässt sich von der abgebrühten Edie sowie ihrer Mutter respektlos und demütigend behandeln. Die beiden Frauen der Familie Davenport haben mich in ihrer mangelnden Empathie und ihrem Egoismus teilweise richtig angeekelt. Beide Mädchen verbindet die Einsamkeit, die jede auf ihre eigene Art und Weise verspürt; die unterschiedlichen, aber dennoch schwierigen Familienverhältnisse und die erschreckenden psychischen Abgründe, die sich bei beiden auftun. Letztlich teilen beide ein ähnliches Schicksal in verschiedenen sozialen Schichten.
Sämtliche Personen sowie deren Konstellation hätten großes Potenzial für ein spannendes Buch, das sogar als psychologische Charakterstudie hätte durchgehen können, geboten. Leider blieb jedoch die Charakterentwicklung der einzelnen Figuren etwas auf der Strecke, die Personen haben nach meinem Geschmack etwas zu wenig Tiefe und sind blass geblieben. Auch waren sie in ihren Handlungen teilweise inkonsistent und unberechenbar und somit wenig authentisch. Auch das Spiel mit typischen Klischees wurde etwas übertrieben.

Gut gefallen hat mir hingegen der langsame Spannungsaufbau, welcher der Autorin ganz wunderbar geglückt ist. Über dem gesamten Buch schwebt eine düstere, bedrohliche Atmosphäre, als Leser spürt man das Unheil regelrecht langsam unterschwellig näherkommen. Der Schreibstil ist flüssig und unaufgeregt, eine permanente undefinierbare Bedrohung schwingt jedoch bereits sehr früh mit den Zeilen mit. Amanda Jennings ist es ganz großartig gelungen, die Emotionen ihrer Protagonisten zu beschreiben, so dass diese direkt auf mich als Leser übergesprungen sind. Auch gut gefallen haben mir die zahlreichen Perspektivwechsel – so gut wie jede Figur kommt hier einmal in den Fokus. Warum lediglich Jagos Sicht aus der „Ich“-Perspektive in Gegenwart geschildert wurde hat sich mir aber leider nicht erschlossen. Die geheimnisvollen mit „Heute“ überschriebenen Kapitel haben Spielraum für Fantasie und Spekulation gelassen, sie waren bis zum Schluss sehr vage und haben keinerlei Hinweis auf das Ende des Buches gegeben. Dieser Mix aus Vergangenheit und Gegenwart hat noch zusätzlich die Spannung erhöht und auf das Ende hinfiebern lassen.
Dieses spielt sich eigentlich komplett im letzten Drittel des Buches ab, was vorher langsam vor sich hingebrodelt hat entlädt sich alles auf einmal. Sehr viele Entscheidendes und Dramatisches passiert in wenigen Kapiteln, so dass das eigentliche Ende sogar etwas unspektakulär wirkt. Für mich war die Auflösung der „Heute“-Kapitel allerdings überraschend und nicht vorhersehbar, leider aber auch ein wenig unglaubwürdig. Die Geschichte als Ganzes war aber schlüssig, da ein Happy End wäre hier sehr konstruiert gewesen wäre.

Ganz nebenher wird Cornwall mit all seiner Schönheit, aber auch Problemen sehr gut beschrieben. Sehr anschaulich zeigt die Autorin, wie der wirtschaftliche Niedergang eine ehemals florierende Provinzstadt getroffen hat und welche sozialen und gesellschaftlichen Probleme (Drogen, Arbeitslosigkeit, Mutlosigkeit) dadurch entstehen.

Alles in Allem hatte ich eine gute Lesezeit und der langsame Verlauf der Geschichte mit der düsteren, unterschwelligen Bedrohung hat mir gut gefallen. Psychologisch hätte ich mir allerdings mehr erhofft und auch die Handlung hätte besser verteilt werden können. Alles in allem ein nettes Buch, das mich aber nicht hundert prozentig überzeugt hat.

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Veröffentlicht am 27.07.2020

Dave Robicheaux´ zehnter Fall – und mein erster

Sumpffieber
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Vor etlichen Jahren wurde in New Iberia ein radikaler Gewerkschaftsführer auf brutale Art und Weise ermordet. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden, die Täter sind nach wie vor auf freiem Fuß. Jahrzehnte ...

Vor etlichen Jahren wurde in New Iberia ein radikaler Gewerkschaftsführer auf brutale Art und Weise ermordet. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden, die Täter sind nach wie vor auf freiem Fuß. Jahrzehnte später sind die Kinder dieses Mannes, Megan und Cisco Flynn, zurück in der Gegend – scheinbar um zu arbeiten. Als wenige Tage nach ihrer Ankunft zwei weiße Brüder nach der Vergewaltigung eines schwarzen Mädchens kaltblütig erschossen werden fällt der Verdacht auf einen Mann, der auch schon damals beteiligt gewesen sein soll: Alex Guidry. David Robicheaux ermittelt in diesem Fall, kann aber auch den Cold Case nicht fallen lassen – insbesondere deshalb nicht, weil Megan immer wieder seine Nähe und Unterstützung sucht. Als der Verdächtige kurz bevor er Robicheaux die Wahrheit erzählen kann ebenfalls ermordet wird weiß dieser, dass er auf der richtigen Spur ist. Und sich mit gefährlichen Leuten angelegt hat.

„Sumpffieber“ ist der inzwischen zehnte Fall (von 23!) der „Dave-Robicheaux-Reihe“ des amerikanischen Bestsellerautors James Lee Burke – und mein erster! Ich bin hin und weg von seinem großartigen, wortgewaltigen Schreibstil! Absolut außergewöhnlich und ganz anders als das, was einem normalerweise in Büchern begegnet. Auch die – sicherlich nicht einfache – Übersetzung dieser poetischen und intelligenten Sprache ist gut geglückt und hochwertig. Etwas schwach fand ich lediglich die oftmals sehr kurzen und wenig aussagekräftigen Dialoge zwischen den Figuren.

Als Leser spürt man deutlich die Verbundenheit des Autors mit der Gegend in Louisiana, in der er nicht nur seine Bücher ansiedelt, sondern auch selbst lebt. Burke beschreibt insbesondere Landschaften und alltägliche Situationen sehr metaphernreich und atmosphärisch. Man kann die Bayous, Bäume und Sumpflandschaften der Südstaaten regelrecht riechen und fühlen, so anschaulich werden sie dargestellt. In diese idyllischen Landschaftsbeschreibungen siedelt er als krassen Kontrast das Böse, von Menschen Gemachte an: Rassismus, Gewalt, Alkoholismus, Kriminalität und Armut. Diese Themen werden in all ihren dunklen Facetten ungeschönt beschrieben, was mir teilweise etwas zu brutal war. Burke zeichnet ein grausames Bild von Amerikas Südstaaten. Insbesondere das Rassismus-Thema war sehr präsent. Das stimmte mich sehr traurig, da das Buch schon über 20 Jahre alt ist, Burkes gesellschaftskritische Themen allerdings gerade in der momentanen Zeit aktueller sind denn je.

Zunächst fiel es mir zugegebenermaßen etwas schwer, aufgrund der sehr schnellen Gedankensprünge in die Geschichte hineinzukommen. „Sumpffieber“ ist aus Sicht von Robicheaux geschrieben, ohne dass es großer Erklärungen bedarf. Spannend fand ich auch die ab und an auftretenden Perspektivwechsel. Der Anfang erfolgte sehr schnell, man wurde regelrecht in die Story hineinkatapultiert. Robicheaux war mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt und auch die verschiedenen Handlungsstränge und zahlreichen Personen zu erfassen empfand ich als kompliziert.

Robicheaux agierte wie ein moderner Robin Hood, so ganz konnte ich seine Rolle zwischen Polizist, und Privatperson bis zum Ende hin nicht einordnen. Auch gab es unzählige undurchsichtige Figuren, so dass bis zum Schluss unklar blieb, wer eigentlich Opfer oder Täter oder beides war. Diese Figurenzeichnung empfand ich als recht spannend, da die meisten weder gut noch schlecht, sondern als Produkt ihrer Sozialisation präsentiert werden. Zum Ende hin war ich deshalb leider aber sehr verwirrt. So ganz habe ich nicht mehr zusammenbekommen, wer wie mit drin steckt und bin leider zugegebenermaßen etwas ausgestiegen, was mir sonst eigentlich nie passiert. Schade auch, dass es keine gerechte Strafe für die wirklich Schuldigen gab.

Insgesamt muss man durchgängig aufmerksam bleiben und sehr genau lesen, um den roten Faden nicht zu verlieren – das Buch ist definitiv nichts fürs schnelle, unkomplizierte Entspannungslesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.05.2020

Grausame Kunst oder die Kunst des Grausamen

Der Künstler
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Die junge Laura Stürmer möchte nach Beendigung ihres Kunstgeschichte-Studiums eine neue berufliche Richtung einschlagen und bewirbt sich deshalb auf ein Praktikum bei der Essener Polizei. Anders als erhofft ...

Die junge Laura Stürmer möchte nach Beendigung ihres Kunstgeschichte-Studiums eine neue berufliche Richtung einschlagen und bewirbt sich deshalb auf ein Praktikum bei der Essener Polizei. Anders als erhofft landet sie aber lediglich bei der wenig aufregenden Verkehrspolizei. Die spannenden Fälle finden sich im Morddezernat des kantigen Kommissars Alexander Michelsen, der aktuell einen grausigen Serienmörder jagt: Ein Mörder richtet seine Opfer brutal zugrunde und inszeniert sie auffällig und detailreich. Zufällig sieht Laura eines der Tatortfotos und erkennt, dass der Mörder auf brutale Art und Weise die Gemälde bekannter Künstler nachstellt, nach eigener Aussage „damit ihnen wieder die Aufmerksamkeit zu teil wird, die ihnen zusteht“ (S.122). Bevor Laura Kommissar Michelsen auf eine weitere Spur mit Bezug zur Kunstwelt aufmerksam machen kann, gerät sie selbst ins Visier des „Künstlers“…

Der Einstieg in das Buch „Der Künstler“ gestaltet sich sehr rasant, der Leser ist sofort mitten im Geschehen und in neugieriger Haltung auf das weitere Geschehen. Sowieso bleibt die Spannung durchgehend hoch, die Kapitel enden teilweise in Cliffhangern, so dass man als Leser einfach nicht aufhören kann bis das komplette Buch ausgelesen ist. Insgesamt sind die einzelnen Kapitel eher kurz gehalten und aus verschiedenen Perspektiven der Protagonisten geschrieben, was diese den Leser näher bringen.

Leider sind mir diese nicht wirklich sympathisch. Alexander Michelsen wirkt impulsiv und abgebrüht, für mich wirkt es wie ein Bruch in seiner Darstellung, dass er Laura so schnell so tief in die Ermittlungen mit einbezieht. Das wirkte auf mich wenig authentisch und eher unverständlich. Laura wirkt zunächst schwach und naiv-kindlich, sie ist nah am Wasser gebaut und oftmals den Tränen nahe. Insgesamt sind beide keine wirklich überzeugenden Figuren für mich.

Die Idee, die Kunstszene mit grausamen Morden in Verbindung zu bringen, finde ich ausgesprochen interessant und kreativ vom Autor Paul Buderath. Das ausgeartete, pervertierte Kunstverständnis des Mörders wird anschaulich dargestellt, der Leser an seine abstrusen Gedankengänge so herangeführt, dass sie – in seinem Sinne – verständlich werden. Die „Kunstwerke“ des Mörders werden sehr detailliert beschrieben, diese und andere blutrünstige Szenen werden sehr explizit dargestellt und sind somit nichts für schwache Nerven. Dies lässt aber bereits das Cover vermuten, auf dem ja auch nicht an Blut und Mordwerkzeugen gespart wird – bei der Betrachtung ist der Grusel bereits vorprogrammiert.

Zum Ende des Thrillers hin ist der Schuldige recht früh und unspektakulär bekannt geworden und nach kurzer Verfolgungsjagd wird er in einem kurzen Showdown gestoppt – hier ging dann alles etwas schnell. Des Weiteren habe ich die Lösung als nicht besonders kreativ und ausgeklügelt empfunden und hätte mich eine vertraktere Auflösung mit mehr Rätseln und Irrwegen gewünscht, hatte aber trotzdem eine spannende und angenehme Lesezeit, bei der die Seiten nur so dahingeflogen sind.

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Veröffentlicht am 30.04.2020

Vom Suchen und Finden des eigenen Platzes im Leben

Denn das Leben ist eine Reise
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Aimée Thalers Kindheit war alles andere als einfach: Ihre Mutter Marilou hielt es an keinem Ort wirklich lange aus, die beiden lebten im Wohnwagen an verschiedensten Plätzen und zogen immer weiter, wenn ...

Aimée Thalers Kindheit war alles andere als einfach: Ihre Mutter Marilou hielt es an keinem Ort wirklich lange aus, die beiden lebten im Wohnwagen an verschiedensten Plätzen und zogen immer weiter, wenn ihnen der Sinn danach stand. So außergewöhnlich und lustig das für die kleine Aimée war, umso schwieriger wurde es im Laufe der Zeit. Marilou musste sesshaft werden und gestaltete dies auf ihre eigene Art und Weise – indem sie sich einer Kommune anschloss, Trödel verkaufte und alkoholabhängig wurde. Glücklicherweise hatte Aimée Daniel, den Sohn aus dem Nachbarwagen, auf den sie sich immer verlassen konnte. Mit 18 schenkten ihr die Kommunenmitglieder einen alten VW Bulli, in dem sie fortan alleine wohnen konnte. Eines Tages besucht Per den Trödelverkauf und es war um Aimée geschehen – er konnte ihr alles bieten, was sie sich immer wünschte: Sicherheit und ein Zuhause. Hals über Kopf verlässt sie die Kommune, heiratet Per und bekommt einen Sohn mit ihm, Len. Doch auch hier wird sie nicht glücklich… Einige Jahre später eskaliert die Situation mit Per so sehr, dass sich Aimée Len schnappt und gemeinsam mit ihm wieder mit dem alten Bulli auf Reisen geht – auf eine Reise in die Vergangenheit, in der sie wieder Daniel und Marilou begegnet und mit dem Leben konfrontiert wird, dem sie eigentlich entfliehen wollte…

„Denn das Leben ist eine Reise“ befasst sich intensiv mit familiären Konstellationen: Aimée hat ein sehr schwieriges, gestörtes Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter; in der Vergangenheit ist Schreckliches geschehen, dass sie ihr nicht verzeihen kann. All das möchte sie bei ihrem eigenen Kind besser machen und ist Len eine großartige Mutter. Sie selbst als Protagonistin wurde mir sehr sympathisch, auch wenn ihr ihre impulsive Reaktion, einfach mit Len auf und davon zu verschwinden, nicht wirklich nachvollziehen konnte und dies auf mich etwas überstürzt wirke. Len ist ein ganz fantastischer, sensibler Junge, den man sofort ins Herz schließt und beschützen möchte. Die Mutter-Sohn-Beziehung wird als absolut liebevoll beschrieben, die enge Verbindung und die gegenseitigen Gefühle werden spürbar und haben mich emotional berührt. Schade fand ich nur, dass sich Aimée am Ende dann doch nicht als so selbständig und emanzipiert herausgestellt hat, wie es zuvor den Anschein erweckt hat – das hätte besser zu der Protagonistin gepasst, die sich im Laufe der Geschichte entwickelte.

Insgesamt herrscht in dem Buch eine eher melancholische Stimmung. Mir wurde lange nicht klar, was Aimées Ziel ist und worauf die Geschichte eigentlich hinaus will. Zu Beginn wurden viele Passagen aus Aimées Leben beschrieben und es ging eher gemächlich voran. Im letzten Drittel überschlagen sich dann die Ereignisse, eine dramatische lebensverändernde Situation jagt die nächste und gipfelt in einem Happy End, das einfach zu harmonisch ist, um wahr zu sein. Die plötzliche heile Welt kam noch dazu viel zu schnell und allumfassend, um noch realistisch zu sein. Leider wirkte das Buch auch in anderen Punkten konstruiert und war deshalb leider wenig glaubwürdig. Besonders gestört hat mich, das viele Szenen absolut vorhersehbar waren und mich nicht mehr überraschen konnten.

Was mir ausgesprochen gut gefallen hat ist der Schreibstil der Autorin. Hanna Miller gelingt es ganz fabelhaft, auf subtile und anschauliche Art und Weise Atmosphären und Bilder zu erschaffen und gefühlvoll Einblicke in die Beziehungsgeflechte der Personen untereinander zu geben. Dieser schöne Umgang mit Worten, welche liebevoll und bewusst gewählt wirken, geben dem Buch trotz melancholischer Stimmung eine gewisse Leichtigkeit beim Lesen. Deutlich wird das zu Beginn eines jeden Kapitels, die mit kurzen Gedanken oder Erinnerungen aus Aimées Kindheit eingeleitet werden. Die Aneinanderreihung der Kapitel folgt keiner festen Chronologie, teilweise finden größere Zeitsprünge statt, an die man sich erst etwas gewöhnen musste. Ich persönlich fand es aber toll, dass man als Leser jedes Mal mitdenken und "raten" konnte, in welcher von Aimeés Lebensphasen man sich im jeweiligen Kapitel befindet. Insbesondere an diesen Rückblenden in Aimées Kindheit, die von einem locker-fröhlichem Leben unterwegs und einem liebevollen und unkonventionelle Mutter-Tochter-Verhältnis erzählen, erkennt man, dass Aimée permanent auf der Suche nach dem Platz ist, an den sie gehört. Sie versucht der eigenen Vergangenheit zu entfliehen um dann zu merken, dass ohne Vergangenheit keine Zukunft möglich ist und sich die Herkunft nicht verleugnen lässt – und diese auch nicht gezwungenermaßen schlecht sein muss.

Fazit:

„Denn das Leben ist eine Reise“ beschreibt gefühlvoll die Suche einer Frau nach einem Zuhause, um endlich irgendwo anzukommen, wo sie als der Mensch akzeptiert wird, der sie ist. Das Buch widmet sich dabei insbesondere dem nicht immer leichten Thema der familiären Beziehungen. Trotz der spürbaren Melancholie ist es sehr angenehm zu lesen, durch die bildhaften Worte der Autorin wird der Leser regelrecht durch die Seiten getragen. Auch wenn mir das Buch in vielen Stellen zu vorhersehbar war habe ich es gerne gelesen und kann es weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 17.03.2020

(Irr)Glaube und Selbstfindung

Ein wenig Glaube
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Lyle Hovde ist 65 Jahre alt, glücklich mit seiner Frau Peg und lebt seit er denken kann im kleinen Ort Redford in Wisconsin. Seit dem Tod seines Sohnes Peter hat er mit Gott nicht mehr viel am Hut, er ...

Lyle Hovde ist 65 Jahre alt, glücklich mit seiner Frau Peg und lebt seit er denken kann im kleinen Ort Redford in Wisconsin. Seit dem Tod seines Sohnes Peter hat er mit Gott nicht mehr viel am Hut, er hat durch das tragische Ereignis schlicht seinen Glauben an ihn verloren. Sein ländliches ruhiges Leben ändert sich, als seine Tochter Shiloh mit seinem geliebten Enkelsohn Isaac zurück in ihr Elternhaus zieht. Der kleine Junge bringt Schwung in das Leben der älteren Dorfbewohner und ist Lyles ganzer Stolz. Beunruhigt bemerken Peg und Lyle, dass Shiloh sich immer mehr in ihren Glauben zurückzieht, bedingt durch ihren Anschluss an eine neue Glaubensgemeinschaft. Diese vereinnahmt sie immer mehr und voller hilfloser Besorgnis müssen die Großeltern zusehen, wie ihr Enkelsohn ebenfalls tiefer in die Strukturen der sektenähnlichen Gemeinschaft integriert wird und dadurch in Gefahr gerät.

„Ein wenig Glaube“ von Nickolas Butler ist ein Buch, das zu Denken gibt. Es ist aus Sicht von Lyle, einem älteren Mann in einer ländlichen Gegend, der oftmals über sein bisheriges Leben reflektiert, beschrieben – eine sehr interessante Perspektive mit neuen Sichtweisen auf die kleinen und großen Dinge des Lebens. Insbesondere das Thema des Glaubens wird häufig aufgegriffen, der Leser lernt verschiedene Personen in Lyles Umfeld kennen, die alle eigene Zugänge zum Glauben für sich gefunden haben. Des Weiteren wird deutlich, wie gefährlich ein zu fanatisch ausgelebter Glauben werden kann, wenn er manipulativ eingesetzt wird – bis hin zum Gefährden der Menschen, die einem am Wichtigsten sind. Inspiriert ist die Geschichte von einer wahren Begebenheit, bei der ein kleines Mädchen aufgrund unterlassener Hilfeleistung sterben musste, da die Eltern mehr daran glaubten, es „gesundbeten“ zu können als an die Möglichkeiten der modernen Medizin.

Dem Autor ist es in dem Buch sehr gut gelungen, Lyles Emotionen zu transportieren. Seine Position des hilflosen Außenstehenden, der ausgegrenzt wird und aber nichts lieber tun würde, als das sich androhende Unheil von einem geliebten Menschen abzuwenden berührt und macht betroffen. Sowohl seine Besorgnis, als auch seine unendliche Liebe gegenüber seiner Familie wird absolut spürbar.

Nickolas Butlers verfügt über einen angenehmen Schreibstil, der sich manchmal allerdings in der blumigen Sprache mit all ihrer Vielzahl der Details verliert und sich deshalb an manchen Stellen etwas in die Länge zieht. Sowohl in der Beschreibung des manchmal erschwerten Alltags in einer ländlichen Kleinstadt Wisconsins, als auch der kleinen Freuden, welche die Menschen dort noch richtig wertschätzen und genießen können geht die Schilderung sehr tief. Gut gefallen haben mir die zahlreichen Bilder und Metaphern, die neue Blickwinkel eröffnen.

Teilweise wurde für meinen Geschmack zu viel Wert auf die Nebengeschichten und Beschreibung des „Außen-Herum“ gelegt und zu wenig Fokus auf das eigentliche Thema: Wie gelingt es der Glaubensgemeinschaft, Shiloh so massiv von ihren Eltern abzusondern und einzunehmen, dass sie sogar das Leben ihres Kindes aufs Spiel stellt? Der Leser erfährt leider zu wenig aus ihrem Alltag und hinsichtlich ihrer Sicht des Glaubens, um wirklich nachvollziehen zu können, warum es so weit kommen musste. Gefühlt wurde der eigentliche Kern des Buches zu einer Nebengeschichte abgedrängt, die noch dazu offen endet – mein größter Kritikpunkt. Viele Handlungsstränge bleiben in der Luft hängen, der Leser ratlos zurück. Gerne hätte ich mir zumindest bei manchen eine (wenn auch nur teilweise) Auflösung gewünscht.

Dennoch stimme ich der absolut treffenden Beschreibung des Klappentextes zu einhundert Prozent zu: Ein „schmerzhaft-schöner Familienroman, der die Macht und die Grenzen des Glaubens mit besonderem Feingefühl erkundet.“

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