Profilbild von Fornika

Fornika

Lesejury Star
offline

Fornika ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Fornika über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.02.2017

The american dream

Das geträumte Land
0

Der Kameruner Jende Jonga hat mit Hilfe seines Cousins den Absprung nach New York geschafft. Nachdem er sich als Taxifahrer durchgeschlagen hat, konnte er sogar Frau und Sohn nachholen. Einziges Manko: ...

Der Kameruner Jende Jonga hat mit Hilfe seines Cousins den Absprung nach New York geschafft. Nachdem er sich als Taxifahrer durchgeschlagen hat, konnte er sogar Frau und Sohn nachholen. Einziges Manko: bisher hat Jende nur eine Arbeitserlaubnis, seine Frau nur ein Studentenvisum. Wenn sie langfristig in Amerika bleiben wollen, brauchen sie dringend richtige Papiere. Das Glück scheint auf ihrer Seite, als Jende einen Job bei Clarke Edwards bekommt. Der ist bei Lehman Brothers ganz oben mit dabei und so scheint Jende endlich eine Perspektive zu haben.

Imbolo Mbue hat mich mit ihrem Debut absolut überzeugt. Eine warmherzige Geschichte, die gleichzeitig nachdenklich macht, sozialkritisch ist, hochaktuelle Themen wie eben der Fall von Lehman Brothers und dessen Folgen aufgreift. Mbue erzählt authentisch vom Leben der Jongas, ihren Bemühungen sich zu integrieren, ihrem Kampf mit den Behörden. Dem Leser wird wehmütig ums Herz, wenn man sieht welche Früchte die harte Arbeit tragen (wenige), wie die Jongas an ihrem Leben in New York hängen (sehr), wie sie ihre Zukunft in den USA planen (zuversichtlich). Auf der anderen Seite weiß man was Lehman Brothers droht, welche Folgen sich für das ganze Land ergeben werden. Und trotzdem hofft man mit aller Kraft für Jende und seine Frau Neni. Auf der anderen Seite hofft man auch für Clarke Edwards und seine Familie, die zwar einen anderen Ausgangspunkt haben (sie gehören zur High Society), aber trotzdem auch ihr Päckchen zu tragen haben. Diese Gegensätze der beiden Familien, der sozialen Schichten und Kulturen machen einen großen Reiz des Buches aus. Ebenso natürlich der Erzählstil der Autorin, der mich wirklich begeistert hat. Authentisch, bilderreich und warmherzig, weise und doch nicht belehrend. Eine hervorragende Mischung, die mich durch die Seiten des Buches hat fliegen lassen.
Ein wunderbarer Roman, der die harte Wirklichkeit nicht verheimlicht, aber trotzdem Zuversicht und Hoffnung ausstrahlt. Der alte amerikanische Traum, neu erzählt.

Veröffentlicht am 06.02.2017

(K)ein Engel auf Erden

Die dunklen Gassen des Himmels
0

Bobby Dollar ist ein Engel. Doch keiner mit Flügeln, Harfe und verklärtem Blick. Er streift auch nicht über grüne Wiesen irgendwo im Himmelreich, sondern durch die dunklen Gassen von San Judas. Dort betätigt ...

Bobby Dollar ist ein Engel. Doch keiner mit Flügeln, Harfe und verklärtem Blick. Er streift auch nicht über grüne Wiesen irgendwo im Himmelreich, sondern durch die dunklen Gassen von San Judas. Dort betätigt er sich als Anwalt für die Frischgestorbenen, die müssen nämlich direkt nach ihrem Tod erst mal ein Gerichtsverfahren um ihre unsterbliche Seele bestehen. Gegenspieler Bobbys sind Anwälte der Hölle. Zwielichte, hinterhältige Gestalten. Kein Wunder also, dass die erst mal in Verdacht geraten als die Seele eines Verstorbenen einfach so verschwindet. Doch was steckt wirklich dahinter?

Tad Williams hat mich mit diesem Trilogieauftakt restlos begeistert. Er entwirft ein sehr ansprechendes, plastisches und überzeugendes Himmel-Hölle-Szenario, für dessen Einführung er sich lange Zeit nimmt. Seine Beschreibungen lassen eine interessante Parallelwelt entstehen, die sich hervorragend in die realen Gegebenheiten einfügt. Auch seine Figuren sind dem Erzähler sehr gut gelungen, allen voran Bobby Dollar, der mich mit seiner sympathischen Art direkt überzeugt hat. Er ist mitnichten ein „Engel“ in der landläufigen Bedeutung, hat so seine Fehler und Macken und natürlich auch einen gewissen Hang das Establishment – naja, sagen wir mal vorsichtig – zu umgehen. Ein sehr großer Sympathieträger, dem man gerne durch die Seiten folgt. Aber auch alle anderen Figuren, egal ob sie einen großen oder kleinen Part der Story ausmachen, sind fantasievoll und dreidimensional gestaltet. Die Handlung entwickelt sich sehr spannend, sodass einen nicht nur Williams‘ Erzählstil und Humor, sondern auch ein knallharter Kriminalfall an die Seiten fesselt. Obwohl es sich um Band eins der Trilogie handelt, ist die Handlung für sich gut abgeschlossen, man wird nicht mit endlosen Cliffhangern in der Luft hängen gelassen. Trotzdem ist meine Neugier geweckt und Band 2 wird sicherlich bald gelesen werden wollen.

Veröffentlicht am 05.02.2017

Krimifans aufgepasst: Sean ermittelt wieder

Rain Dogs
0

Wir schreiben das Jahr 1987. Irland steckt immer noch mitten in den Troubles, Duffy steckt immer noch in persönlichen Krisen. Freundin weg, schlechte Musik im Radio und dann bekommt er auch noch den Fall ...

Wir schreiben das Jahr 1987. Irland steckt immer noch mitten in den Troubles, Duffy steckt immer noch in persönlichen Krisen. Freundin weg, schlechte Musik im Radio und dann bekommt er auch noch den Fall einer vermeintlichen Selbstmörderin aufs Auge gedrückt. Doch Sean zweifelt, nicht zuletzt weil die einzige Alternative eine locked room mystery ist. Aber zweimal innerhalb weniger Jahre? Der Fall wird nicht weniger brisant als eine finnische Delegation in Duffys Fokus gerät, von denen der wirtschaftliche Aufschwung der ganzen Region abhängen könnte. Maulkorb für Duffy vorprogrammiert…

Adrian McKinty schafft es immer wieder mich mit seinen Büchern zu begeistern. Präziser, oft reduzierter Stil, düstere und griffige Atmosphäre, schwarzer Humor und knallharte Sozialkritik. Das alles erzählt einen interessanten und spannenden Kriminalfall, bei dem natürlich nichts so ist wie es zunächst scheint. Als Hauptfigur der etwas schnodderige, mittelmäßig erfolgreiche Duffy, der seinem Frust schon auch mal mit Alkohol und dem täglichen Joint entflieht. Der gleichzeitig mit seinem Musik- und Literaturgeschmack, seiner intelligenten aber auch zynischen Ausdrucksweise und seinem Sinn für Gerechtigkeit (wohlgemerkt Gerechtigkeit nicht Recht) einfach grundsympathisch ist. Ich mag Duffy einfach ; ) McKinty verknüpft Fiktion und Realität, Damaliges und Heutiges geschickt und auf seine einmalige Art. Ein kritischer Blick auf Gesellschaft und Politik vermischt sich mit dem fiktiven Geschehen derart mitreißend, sodass ich hinterher nur sagen kann: Rain Dogs war reines Lesevergnügen. Wie immer bei McKinty.

Veröffentlicht am 30.01.2017

Zwölf Sterne

Zwölf Leben
0

Hattie ist gerade 17 als sie Mutter wird; und nur ein paar Tage älter als sie die Kleinen wieder verliert. Schwer werden auch die nächsten Jahre und Jahrzehnte, mit insgesamt 11 Kindern ist das Leben kein ...

Hattie ist gerade 17 als sie Mutter wird; und nur ein paar Tage älter als sie die Kleinen wieder verliert. Schwer werden auch die nächsten Jahre und Jahrzehnte, mit insgesamt 11 Kindern ist das Leben kein Wunschkonzert. Schon gar nicht, wenn man die falsche Hautfarbe hat und im Amerika des frühen 21ten Jahrhunderts lebt.
Ayana Mathis hat einen wunderbaren Episodenroman rund um Hattie und ihre 11 Kinder verfasst. Jedem ist exakt 1 Kapitel gewidmet, dabei unterscheiden sich die Sprösslinge nicht nur im Alter, sondern auch in der gewählten Erzählperspektive. Mal wird ein Ich-Erzähler aktiv, mal schreibt jemand einen Brief. Immer abwechslungsreich und doch nicht bruchstückhaft, liest man sich so durch die Jahrzehnte. Jahrzehnte des Umbruchs, des Rassismus, man liest über kleine Probleme des Alltags und über große wie den Vietnamkrieg. Eines ist klar, langweilig ist das Leben der Shepherds nicht. Schwer haben sie es, meistens zumindest; trotzdem versinkt man nicht im Elend, sondern die starken Seiten der Figuren werden ausgearbeitet. Die Autorin beweist einen eindringlichen Erzählstil und bringt einem die Charaktere trotz der kurzen Spotlights sehr gut nahe. Voller Emotionen, jedoch nie kitschig, ist so ein tiefgründiger Roman entstanden, bei dem jedes Leben seinen eigenen Stern verdient hätte. So bleibt es halt bei 5 Sternen ; )

Veröffentlicht am 30.01.2017

A dangerous mind?

Sein blutiges Projekt
0

Im Sommer 1869 macht sich der 17jährige Roderick „Roddy“ Macrae auf zu seinem Nachbarn Lachlan. Im Gepäck ein Spaten und eine Spitzhacke. Als Roddy Lachlans Haus wieder verlässt, liegen dessen Kinder und ...

Im Sommer 1869 macht sich der 17jährige Roderick „Roddy“ Macrae auf zu seinem Nachbarn Lachlan. Im Gepäck ein Spaten und eine Spitzhacke. Als Roddy Lachlans Haus wieder verlässt, liegen dessen Kinder und Lachlan selbst brutal ermordet in der Küche. Roddy gesteht alles, der Fall scheint klar. Doch was steckt wirklich hinter diesen grausamen Morden?

Graeme Macrae Burnet begibt sich in diesem Buch auf die Spuren seines Vorfahren Roderick. Der hat im Gefängnis eine Art Tagebuch geführt und seine Erinnerungen aufgeschrieben, zudem hat Burnet die Geschichte mit Aussagen von Zeitzeugen, Zeitungsberichten, Gesprächsprotokollen der Ärzte u.ä. ergänzt. Diese unterschiedlichen Quellen und Schriftstücke wirken aber mitnichten zusammengestückelt, sondern ergänzen sich derart gut, dass ein sensibler und gleichzeitig düster-spannender Thriller herauskommt. Ich war fasziniert von Roddys Bericht, er schreibt feinfühlig und berührend, gleichzeitig aber sehr nüchtern und klar. Seine Herkunft als armer Bauerssohn ohne rechte Perspektive ist beklemmend, die Familiensituation angespannt, der Zwist mit Lachlan dramatisch. Der Autor verrät in einem Vorwort, dass er an Roddys Bericht kaum Hand angelegt hat, somit gibt dieser wieder wie intelligent und klar der Junge einerseits, wie verzweifelt und auswegslos seine Situation andererseits war. Pikant ist dieser Bericht auch insofern, weil sein Geisteszustand immer wieder zur Diskussion steht: kann ein so intelligenter und fügsamer Junge einen brutalen Mord begehen ohne geistesgestört zu sein? Die psychologische Komponente macht ebenfalls einen großen Reiz der Geschichte aus, Roddys Fall zeigt sehr deutlich in welchen Kinderschuhen psychologische Gutachter etc. zu dieser Zeit noch steckten. Burnet lässt zudem immer wieder sozialkritische Töne anklingen, die Kirche hat bei Roddys Schicksal ebenso scheinheilig mitgemischt wie Gutsverwalter und andere Obrigkeiten. Insgesamt gewährt dieses Buch einen deprimierenden, aber keineswegs sensationslüsternen Blick auf ein dramatisches Schicksal eines „unbedeutenden“ Jungen, der irgendwo im schottischen Niemalsland lebte und doch traurige Berühmtheit erlangte. Eine traurige Geschichte, aber hervorragend erzählt.