Hohe Literatur
Die Richterin Gabrielle entscheidet am österreichischem Gericht in zweiter Instanz über Asylanträge. Als Grundlage dient ihr das Asylrecht. Aber praktisch ist sie diejenige die als Person vor Menschen ...
Die Richterin Gabrielle entscheidet am österreichischem Gericht in zweiter Instanz über Asylanträge. Als Grundlage dient ihr das Asylrecht. Aber praktisch ist sie diejenige die als Person vor Menschen treten muss und über ihr Schicksal entscheidet. Sie wirkt unnahbar, würdevoll und streng aber ihr Gedankenspiel ist sehr eindrucksvoll. Und auch ihr Privatleben läßt ihr keine Ruhe. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist bizarr und nicht ganz einfach. Und ihre Familiengeschichte ist eine Tragödie. Und durch dieses ganze Wirrwar an Eindrücken wird der Leser wie in einen Strudel geworfen aus dem er nicht entfliehen kann. Durch den ungewöhnlichen Schreibstil wird man unweigerlich auch emotional mit dem Thema konfrontiert.
Jeder Satz ist fast wie ein Statement. Jeder Satz hat Bedeutung und manche Sätze sind wie Kunstwerke. Der Text ist streng, so wie die Richterin. er verlangt die volle Konzentration und schreit förmlich: Lies mich mit all deiner Aufmerksamkeit. Dies wird vor allem durch die fehlende wörtliche Rede verursacht. Die Worte sind manchmal sehr hart und man schreckt im ersten Augenblick zurück. In einer Szene sind Gabrielle mit ihrem Mann in einem Restaurant. Ein Bordell gleich in der Nähe. Und dann der Satz: „Gabrielle zerteilte den Fisch, während woanders rohe Körperöffnungen vermietet wurden. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen trat als Restposten von Enteignungsformen von Körperteilen auf.“ Man beginnt über solche Sätze länger nachzudenken und man gerät in die Stimmung die gegeben Dinge zu hinterfragen. Was wir uns als Gesellschaft bzw. als Mensch erlauben können. Und das auch im Hinblick auf das Asylrecht und den Verkauf von Waffen, die wiederum erst Kriegsflüchtlinge erschaffen.
Einen Abschnitt fand ich sehr bedrückend. Darin denkt die Richterin daran, dass die Asylsuchenden nach ihrem Urteil in ein Flugzeug steigen und in zwei Stunden die Strecke zurücklegen, die sie vorher Wochen oder Monate lang gelaufen bzw. über das Mittelmeer geflohen sind. Das ist eine wirklich sehr bedrückende Vorstellung. Dieses Buch innerhalb einer kurzen Rezension zu beschreiben ist mir fast unmöglich. Dafür ist es zu großartig. Es steckt so viel Bedeutung darin, dass man es beim ersten Lesen unmöglich erfassen kann. Es wirft viele Fragen auf, die das Potential für lange Diskussionsrunden haben. Diese Buch ist nicht dafür gedacht sich angenehm unterhalten zu lassen und es „nebenbei“ zu lesen. Dieses Buch fordert und will verstanden werden.