"Die Schönheit der Nacht" von Nina George hat mir sehr gut gefallen.
Claire ist erfolgreiche Verhaltensbiologie-Professorin in Paris, Mutter, Ehefrau. Julie eine Angestellte in einem Hotel, indem Claire sich mit einem Fremden trifft, um von ihm gesehen zu werden, um Leidenschaft zu spüren, um sich nicht verloren zu fühlen, um als Frau zu fühlen, nicht als Mutter, Ehefrau oder kalküle Biologie-Professorin. Als Claire das Hotel verlässt, um in ihren Alltag zurückzukehren, begegnet sie der jungen Frau. Diese offenbarte in einem unbeobachteten Moment, dass sie eine leidenschaftliche Sängerin ist, dies jedoch vor der Welt versteckt. Und wie der Zufall es will, ist Julie außerdem die neue Freundin ihres Sohnes, wie sich im späteren Verlauf der Geschichte herausstellt.
Beide Frauen wahren das Geheimnis der anderen, fühlen eine Verbindung zueinander, die sie jedoch anfangs unwirklich, beschämend, unverständlich finden.
Als jedoch ein Umstand zum anderen kommt und letztendlich Claire, ihr Mann Gilles, ihr Sohn Nicolas und Julie gemeinsam in die Bretagne fahren, um dort den Sommer zu verbringen, gibt es Momente, in denen die beiden Frauen ihre gemeinsame Verbindung zueinander ergründen, ihre individuellen Gefühle reflektieren und beginnen, ihr Leben zu überdenken...
Nina George hat ein außerordentlich zartes Feingespür für sinnliche Momente. Sie beschreibt Farben, Formen, Momente, Umgebungen und Gefühle auf eine solche emotional eingefärbte Weise, das ich mich beim Lesen jedes Mal wieder in den grade beschriebenen Ort oder Moment verliebt habe. Emotional geballte Gedankenkraft durchfließen diesen Roman, über das Leben, Lieben und Entscheiden von zwei Frauen. Die Frau, die wird und die Frau, die geworden ist. Aus der Sichtweise von Julie und Claire erscheint das Leben bzw. der umschriebene Moment unterschiedlich eingefärbt. Während sich Julie nach Höhepunkten, emotional aufgeladenen Momenten, Action, Spaß, Freude und den leidenschaftlichsten Rauscherfahrungen in ihrem jungen Leben sehnt, nach einem Feuer, dass in ihr entbrannt wird, erkennt Claire sich in ihr wieder. Von einem unbändigen Drang getrieben, Julie zu zeigen, dass eine Frau wie sie, Claire, für Mann, Sohn und Beruf Verantwortung übernimmt, möglicherweise eigene Bedürfnisse aus Liebe zurückstellt, kommt es zu Augenblicken mit wenigen Worten, in denen so viel mehr steckt, als das Gesagte und optisch beschriebene. In denen Claire erkennt, dass sie mehr vom Leben möchte, dass sie Wegweiser sein möchte, dass auch sie den Rausch des Lebens nach Freude, purer Schaffensfreude und Hingabe ersehnt. Nina George schafft es, dass die Gefühle die Handlung des Romans erzählen, Stück für Stück mehr von den Hauptfiguren offenbaren und sich in eine sinnlichen Spannungsbogen zu einem Fazit ausweiten.
Ein Höhepunkt der Geschichte beschreibt einen Moment, in dem die Schönheit der Nacht einen Tunnel öffnet, in dem die beiden Frauen sich näher kommen und einander erkennen, wie sie sind und fühlen...
Um eins klar zu stellen. Claire ist nicht einfach eine Fremdgeherin. Viele Motive und Gründe führten sie zu den Glauben, sich diesbezüglich auszuleben. Wie das Beobachten von Affären ihres Mannes, dessen Handlungen sie auf die ein oder andere Weise verstehen kann. Da sie nicht nur als Verhaltensbiologin ein ausgezeichnetes Verständnis für das Lesen von Menschen mitbringt, sondern auch als Frau starke empathische Fähigkeiten besitzt. Und Julie trägt Ängste in sich, die sie in eine Richtung treiben, in der sie womöglich ihre eigenen Bedürfnisse unterdrückt. Das Singen scheint ihr wichtig zu sein. Dennoch ließ die Angst bisher nicht zu es auszuleben und es für die Zukunft relevant zu machen.
Anfangs hatte ich die Befürchtung, das ich diese Rezension unmöglich dem Buch gerecht werdend schreiben könnte. Da mich beim Lesen eine Welle von so vielen unterschiedlichen Emotionen einholte und ich die eigentlich passierte Handlung des Buches für recht schnell zu erklären befand. Denn der Roman ist so voller intensiver Weiblichkeit und beschreibt so tiefsinnig das Fühlen und Denken der beiden Frauen, macht keinen Halt vor unbequemen Themen, spricht Sexualität, wie Alltag, wie Mut und Unmut an, ohne dabei zu Urteilen oder zu Bereuen.
Wenn ich das Buch vor ein paar Jahren gelesen hätte, hätte ich es vielleicht nicht so gut verstanden oder verinnerlicht. Ich bin jetzt 29 und bin wirklich glücklich, dass ich das Buch von Nina George gelesen habe. Gerne möchte ich weitere Werke von ihr lesen und mich so emotional abholen lassen. Wen die Rolle der Frau in unserer Zeit, Feminismus und große Gefühle, das Werden und Vergehen ansprechen, sollte einen Blick ins Buch wagen.
Einigen könnt ihr Schreibstil zu poetisch sein. Sie nutzt Metaphern und verliert sich in der Beschreibung des Augenblicks. Ein zügiges Voranschreiten der Handlung ist somit nicht der Fall. Was, meiner Meinung nach, ihre Authentizität und Sichtweise auch nicht entspricht.
"Die Schönheit der Nacht" ist für mich ein sehr tiefgründiges Werk, ich empfinde es als wichtige und wunderschöne Frauenliteratur der Neuzeit. Mit philosophisch angehauchten Fragen und auch spannenenden Allgemeinwissen, das hier und da aufgegriffen wird, regt es zum Nachdenken an und macht Lust auf den Rausch des Lebens.
Trotz melancholischen Unterton, steckt so viel Liebe im Detail, so viel Liebe in der Beschreibung, dass ich mich am Ende von der Geschichte umarmt fühlte und mir die Wärme ins Herz stieg. Wunderschön!