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Veröffentlicht am 08.10.2020

Rückblick auf viele schöne Jahre

Genau richtig
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„Ich sitze dem allen jetzt ganz allein gegenüber. Das ist jedoch irgendwie auch ein gutes Gefühl. Es bedeutet eine gewisse Freiheit. Ich muss ganz für mich selbst eine Entscheidung treffen. Aber wenn ich ...

„Ich sitze dem allen jetzt ganz allein gegenüber. Das ist jedoch irgendwie auch ein gutes Gefühl. Es bedeutet eine gewisse Freiheit. Ich muss ganz für mich selbst eine Entscheidung treffen. Aber wenn ich das tue, dann wird es für uns beide sein, ich meine, für uns alle fünf.“

Inhalt

Albert und Eirin haben fast ihr ganzes Leben gemeinsam verbracht, sie sind durch viele Höhen und Tiefen gegangen, haben aber letztlich aneinander festgehalten und ihren Lebensweg gemeinsam bestritten. Und während Eirin auf einem Kongress weit weg von ihrem Mann ist, erhält dieser von seiner Ärztin, die ehemals auch seine Geliebte war, die vernichtende Diagnose über eine Krankheit, die ihn binnen kurzer Zeit zum Pflegefall machen wird und ihn letztlich das Leben kosten wird. Er fährt noch einmal hinaus an das gemeinsame Haus am See, füllt dort die Seiten des Hüttenbuchs mit seinen Erinnerungen an ein gelebtes Leben und muss sich allein darüber im Klaren werden, ob er die wenige Zeit, die ihm noch bleibt, mit seiner Familie verbringen möchte, oder ob er dem unaufhaltsamen Prozess des Sterben entgegeneilt, um ohne unvermeidliche Verluste einen Schlussstrich zu ziehen.

Meinung

Vor vielen Jahren habe ich vom norwegischen Bestsellerautor Jostein Gaarder sein Buch „Sophies Welt“ gelesen und vor nicht allzu langer Zeit seinen Roman „Ein treuer Freund“. Beide Bücher beschäftigen sich mit einem Themenkomplex, den ich wahnsinnig gern in literarischen Texten wahrnehme, weil es dabei um viel mehr geht, als um ein Leben und das individuelle Schicksal, vielmehr sind es die großen Zusammenhänge der Welt, die Menschlichkeit und die Ängste Einzelner, die durch Interaktion mit anderen gemildert werden. Und so geht es auch hier um einen sterbenskranken Mann, dem es in Anbetracht seiner ihm noch verbleibenden Lebenszeit zwar gut geht, dessen Stunden aber gezählt sind.

Mit dem Untertitel „Die kurze Geschichte einer langen Nacht“, trifft es den Inhalt des Buches schon sehr genau, denn Albert macht nichts weiter, als sich an sein Leben zu erinnern. Im Rückblick beschreibt er seine Liebesbeziehung zu Eirin und sein Verhältnis zu Marianne, er lässt Augenblicke des Glücks und der Freude Revue passieren und versetzt sich in Vergangenes hinein, um möglicherweise eine Frage zu finden, die ihm mit dem, was kommen wird, versöhnen könnte. Was passiert mit dem Mensch, wenn er nicht mehr da ist? Was geschieht der Menschheit, wenn alles so schrecklich vergänglich ist und nichts von Bestand? Wer wird sich an ihn erinnern, wenn er gestorben ist und welche Spuren konnte er überhaupt hinterlassen?

Diese philosophischen Ansätze haben mir, wie immer sehr gut gefallen. Sie äußern sich in schönen Sätzen, über die man gerne nachdenkt. Es geht um das Leben, die Verluste, die Wünsche, die Rückschläge und die tiefe innere Überzeugung, das jedes Individuum, wie klein es auch sein mag und wie kurz es auch auf Erden existierte, immer irgendwo eine Entwicklung voranbringt, die in ihrer Summe einzigartig und wunderschön ist. Dadurch das dieser kurze Roman aber nur 125 Seiten umfasst und stellenweise sehr profane Dinge schildert, fehlt ihm eine gewisse Präsenz. Manchmal versteigt sich Albert regelrecht in seine Erörterungen, er fabuliert und denkt, ohne sich der tatsächlichen Auswirkungen seiner Selbst bewusst zu werden. Dadurch bleibt die emotionale Ebene, die dieses Buch direkt ansprechen könnte, seltsam leer. Es missfällt mir wirklich, wenn die an sich schon traurige Botschaft, das alles endlich ist, so nachhaltig vergeistigt wird und es nicht mehr um den Menschen geht, sondern nur noch um das Universum. Ich denke, diese distanzierte Schreibweise hätte sich auch nicht geändert, wenn der Roman den doppelten Umfang gehabt hätte. Deshalb war er so, wie er ist genau richtig.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne, die ich zu 4 aufrunde. Leider erfüllt das Buch nicht den Anspruch, den ich ursprünglich an es hatte, obwohl fast alle Gedankengänge, die aufgegriffen werden, plausibel erscheinen, konnte es mein Leserherz nicht erreichen. Vieles bleibt im Verborgenen, die Protagonisten sind eher willkürlich und ersetzbar, die endgültige Entscheidung für oder gegen einen Sachverhalt wird zwar gefällt, nicht aber ausreichend begründet. Manches scheint Zufall, vieles scheint Schicksal, alles scheint einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Dennoch hat mir die Geschichte an sich gut gefallen, vielleicht muss man auch ein Auge zudrücken und nicht so viel Vergleiche mit anderen Texten ziehen, um diesen hier wirklich genießen zu können. Als Einstieg in die Materie der philosophischen Gedankenwelt ist es ein gutes Buch, wer bereits andere Bücher mit ähnlichen Strukturen kennt, wird möglicherweise enttäuscht sein.

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Veröffentlicht am 19.08.2020

Was uns zusammenhält

Ein Sonntag mit Elena
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„Wir sind immer viel gereist. Unser Vater, Sonia, Ale. Von mir ganz zu schweigen – ich lebe praktisch aus dem Koffer. Aber zu Hause war ja Mama: Sie drehte sich mit uns, durch uns, und wir kreisten ...

„Wir sind immer viel gereist. Unser Vater, Sonia, Ale. Von mir ganz zu schweigen – ich lebe praktisch aus dem Koffer. Aber zu Hause war ja Mama: Sie drehte sich mit uns, durch uns, und wir kreisten um die Wohnung am Lungo Po Antonelli wie Satelliten um einen Planeten.“

Inhalt

Giulia, die mittlere von drei Geschwistern erzählt hier rückblickend die Geschichte der eigenen Familie. Vom Vater, der nun allein in der Turiner Wohnung lebt, nachdem die Mutter bei einem tragischen Unfall das Leben verlor, von der großen Schwester, die mit ihrer Familie fortgezogen ist und vom kleinen Bruder, der als erfolgreicher Chemiker ständig um die Welt reist. Sie beschreibt den langsamen und erwartbaren Zerfall einer Familie, nachdem alle Kinder erwachsen geworden sind und ihrer eigenen Wege gehen. Dabei spart sie weder die kleinen noch die großen Verletzungen aus, die in der Vergangenheit geschehen sind, sie schildert ehrlich und manchmal auch anklagend all jene zwischenmenschlichen Verfehlungen, die nun dazu geführt haben, dass „Papa“ allein in seiner Wohnung sitzt und sich damit auseinandersetzen muss, den Lebensabschnitt des Alters neu zu strukturieren. Eine Zufallsbekanntschaft, die er eines Sonntags im Park trifft, wird ihm dabei helfen, ebenso wie er dieser unbekannten Frau mit dem Namen Elena neue Perspektiven eröffnet.

Meinung

Die Leseprobe zu diesem Buch hat mich sehr angesprochen und da ich Familienromane mit einer Botschaft sehr mag, habe ich zu dem aktuellen Roman des italienischen Autors Fabio Geda gegriffen, der eine komplexe und zugleich mühelose Handlung mit Empathie für seine Charaktere verspricht. Insgesamt bietet dieses Buch guten, weil bekannten und nachvollziehbaren Unterhaltungsstoff. Die Themen der Entfremdung und Annäherung zwischen Eltern und Kindern ziehen sich hier wie ein roter Faden durch die Geschichte. Und obwohl es inhaltlich nichts Neues ist und darüber hinaus ein ständiges Wechseln zwischen Haupt- und diversen Nebenhandlungen gibt, hat mich dieser Text dennoch bei der Stange gehalten. Dafür verantwortlich ist meines Erachtens der flüssige, liebevolle und weitsichtige Schreibstil des Autors, der in kurzen Kapiteln immer tiefer in die Geschehnisse zwischen den Familienmitgliedern hineinführt.

Am ehesten gestört hat mich die gewählte Erzählperspektive, die doch ungewöhnlich und auch nicht immer glaubhaft erscheint – die mittlere Tochter schildert hier ganze Passagen, die sie bestenfalls gehört haben könnte, jedoch nicht selbst erlebt hat. Als eine Möglichkeit, die Ereignisse intensiver und weniger individuell zu schildern kann man da noch mitgehen, allerdings hätte mir der Vater als Erzähler wesentlich besser gefallen. Wer kann schon aus zweiter Hand die Gedankengänge und Beweggründe eines anderen beschreiben?

Sehr sympathisch hingegen empfand ich die Kernaussage des Buches: Selbst wenn sich Lebenswege anders entwickeln als gehofft, bleibt die Chance, sich mit den Gegebenheiten auszusöhnen und einander wieder neu zu begegnen. Vielleicht nicht stereotypisch in der Rolle als Erziehender und Kind dafür aber auf Augenhöhe und mit der festen Absicht einander wichtig zu sein.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen generalistischen, ehrlichen Familienroman der durchaus Parallelen zum Geschehen anderer Familienverbände aufwirft. Hier kann man sich wiederfinden und hineindenken, muss wenig interpretieren oder hinterfragen, denn es fügt sich eins zum anderen. Wer eine schöne, harmonische Erzählung sucht, ist hier genau richtig. Besonders nachhaltig, anspruchsvoll und aussagekräftig ist die Lektüre aber nicht – also kein Buch, mit dem ich viele Erinnerungen teilen werde.

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Veröffentlicht am 05.04.2020

Die biografische Fernerkundung der Vergangenheit

Das flüssige Land
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„Von manchen Sehnsüchten wissen wir gar nicht, dass wir sie haben, bis wir auf sie stoßen: Ich war zum ersten Mal in meinem Leben angekommen.“

Inhalt

Ruth Schwarz hat die leidvolle Aufgabe, nach dem ...

„Von manchen Sehnsüchten wissen wir gar nicht, dass wir sie haben, bis wir auf sie stoßen: Ich war zum ersten Mal in meinem Leben angekommen.“

Inhalt

Ruth Schwarz hat die leidvolle Aufgabe, nach dem Unfalltod ihrer Eltern, deren letzten Wunsch zu erfüllen. Da beide in der österreichischen Gemeinde Groß-Einland, die seltsamerweise auf keiner Karte verzeichnet ist, aufgewachsen sind, möchten sie dort auch ihre letzte Ruhestätte finden. Ruth gelingt es, die mysteriöse Gemeinde aufzuspüren, deren Paradoxon sehr gut zum Thema von Ruths Habilitation passt: Die Zeit scheint hier stillzustehen, Monate vergehen wie Stunden und die Vergangenheit ist ebenso präsent, wie die Zukunft. Die junge Frau, fühlt sich dort aufgehoben und verliert ihr ursprüngliches Ziel schnell aus den Augen. Stattdessen erwirbt sie das Geburtshaus ihrer Eltern und tritt in die Dienste der Gräfin, die als adliges Oberhaupt der Gemeinde gilt.

Denn Groß-Einland hat ein elementares Problem, welches Ruth durch ihre Kenntnisse der Physik möglicherweise beheben könnte. Vor Jahrzehnten war der Ort ein Bergbaurevier und die diversen Grabungen an allen möglichen Orten der Stadt führen nun dazu, das immer mehr Erdschichten absinken und mit sich die Häuser und Gebäude in die Tiefe reißen. Ganz in der Nähe des Marktplatzes befindet sich das wohl gefährlichste Objekt, ein Loch welches wie ein wildes Tier diverse Erdschichten verschluckt. Doch obwohl die Gräfin wünscht, dass Ruth der Natur Einhalt gebietet, indem sie die Gesteinsschichten vor dem Verfall bewahrt, so vehement wehrt sie sich gegen deren Erkundungen, warum der Boden so löchrig ist und wer oder was unter den bereits eingestürzten Gebieten ruht …

Meinung

Der Debütroman der niederösterreichischen Autorin Raphaela Edelbauer, verspricht eine magisch-mystische Erzählung in Verbindung mit einer spannenden Geschichte über die Opfer der Vergangenheit und den Wunsch Einzelner, Verborgenes im Verborgenen zu belassen. Tatsächlich bietet dieser ungewöhnliche Ansatz ein buntes Potpourri an Menschen, Ereignissen und Unterlassungen, sowie eine faszinierende Ausarbeitung einer eher schlichten Thematik, die auf den ersten Blick recht unscheinbar wirkt und es letztlich auch bleibt.

Die Lektüre lebt gerade zu Beginn von den Unwahrscheinlichkeiten und mysteriösen Begebenheiten, entwickelt sich aber in ihrem Verlauf zu einer Art Erkundung der Familiengeschichte, die direkt mit den Ereignissen vor Ort verknüpft zu sein scheint. Irgendwie muss man sich auf den Plot einlassen, erinnert er doch stark an ein Märchen und beschwört genau solche Bilder herauf, die dazu passen würden. Die Protagonistin selbst ist kein einfacher Mensch und lebt zwischen ihrer Drogenabhängigkeit und der Lethargie einer heimatlosen Seele, so dass man ihr die Ermittlungsarbeit nicht so ganz zutraut, doch im Anbetracht der nicht verrinnenden Zeit, der statischen Probleme und ihrer gewissenhaften Erledigung des Arbeitsauftrages, dringt immer wieder eine glasklare Entwicklung in den Vordergrund: In Groß-Einland schlummern Dinge, die bisher niemand hinterfragt hat, die möglicherweise vertuscht wurden und sich nun mit Macht ihren Weg an die Oberfläche bahnen.

Meine Kritikpunkte beziehen sich in erster Linie auf die Gestaltung des Textes, der gerade im Mittelteil unschöne Längen hat. Angefangen mit den hundertsten und tausendsten Veränderungen in einer ohnehin erdachten Welt, hin zu unbedeutenden Gesprächen in der Ortskneipe und stundenlangen Aufenthalten in der Bibliothek, zur Recherchearbeit an der Chronik. All das hat mein Lesevergnügen zusehends geschmälert, zumal keine bahnbrechenden Neuigkeiten zu Tage gefördert werden. Und obwohl Ruth zunächst ein wahres Zuhause in dieser unbekannten Gegend gefunden hat und so etwas wie Wärme und Geborgenheit empfindet, muss auch sie einsehen, dass ihre neue Heimat nicht für die Ewigkeit gemacht ist.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne, die ich zu 4 Sternen aufrunde für diesen innovativen, märchenhaften Roman, der den Leser in eine kleine Welt entführt, die sich gar nicht weit von der unsrigen in einem kurzen Abschnitt zwischen Raum und Zeit befindet. Die Ansätze bezüglich wichtiger Themen wie Herkunft, Familie, Zuhause werden jedoch von den Ereignissen vor Ort immer wieder überlagert und verschmelzen zu einem eigenartigen Gebilde aus Fantasie, Geschichte und Realität. So wie es der Protagonistin ergeht, so vollzieht sich die Wirkung auch beim Leser: man ist immer unterwegs, entdeckt etwas Neues, findet eine Antwort und stellt im gleichen Augenblick fest, wie unbedeutend sie ist. Das Buch bringt unterhaltsame Stunden in einem Paralleluniversum mit sich, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck bei mir.

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Veröffentlicht am 07.03.2020

Ich will niemand sein

Der Empfänger
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Er spürte zum ersten Mal Geiz, was sein Leben anging, niemand hatte das Recht, sich Wissen über ihn zu erschleichen. Er hatte unsichtbar gelebt, und das sollte so bleiben.“

Inhalt

Josef Klein lebt in ...

Er spürte zum ersten Mal Geiz, was sein Leben anging, niemand hatte das Recht, sich Wissen über ihn zu erschleichen. Er hatte unsichtbar gelebt, und das sollte so bleiben.“

Inhalt

Josef Klein lebt in Amerika sein einfaches Leben und hat weder mit Ideologien noch mit der Politik irgendetwas am Hut. Sein Steckenpferd ist das Amateurfunken, welches er voller Leidenschaft und mit einem gewissen Know-How betreibt. Auf diesem Gebiet kann ihm so schnell keiner das Wasser reichen und genau deshalb gerät er ins Visier der deutschen Abwehr, die in Übersee zu Gunsten Hitlers ein Spionagenetzwerk etablieren will. Josef ist der ideale Mann für sie: er ist naiv, ein Könner auf seinem Gebiet und nur ein kleiner, unbedeutender Mann, der schon nicht so genau hinschauen wird, was die politischen Größen im Untergrund planen. Tatsächlich gerät er wie nebenbei an ominöse Männer, die ihm in seinem Tun bestärken aber über die genauen Hintergründe der Funkinhalte Stillschweigen bewahren. Doch Josef erkennt selbst, dass er sich hier auf die falschen Freunde eingelassen hat und er einer übergeordneten Sache dient, die nicht nur verachtenswürdig, sondern sogar gefährlich sein kann. Leider gelingt es ihm mehr schlecht als recht, der Vereinigung den Rücken zu kehren, insbesondere weil seine Fähigkeiten weiterhin benötigt werden. Doch als ein schwerer Anschlag auf die amerikanische Bevölkerung in New York verübt wird, der angeblich auf das Konto eines deutschen Spionagenetzwerkes geht, zieht sich die Schlinge um seinen Hals immer enger …

Meinung

Die deutsche Autorin Ulla Lenze widmet sich in diesem Roman einer eher unverbrauchten Thematik über die Machenschaften der Sympathisanten Hitlers im Ausland und ihren Einfluss auf den Krieg im eigenen Land. Dabei nimmt sie die Geschichte des Josef Klein als Anlass nicht nur die Tätigkeiten verbotener Organisationen im Untergrund zu erläutern, sie legt auch ein großes Augenmerk auf die persönliche Entwicklung des kleinen Mannes, der zu arglos und naiv mit den gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit umgeht. Deutlich wird vor allem die Heimatlosigkeit des Protagonisten, der sich ursprünglich in New York heimisch fühlte, dem aber dieses Wohlgefühl sehr schnell abhandenkommt, weil er immer mehr zum Objekt degradiert wird und nur noch eine Aufgabe erfüllen soll, mit der er sich in keiner Weise identifiziert. Doch eine Rückkehr nach Deutschland ist ebenso unvorstellbar, denn selbst nach Ende des Krieges, und trotz vorhandener Familie, hat er den Bezug zur ursprünglichen Heimat längst verloren. Ein kurzer Aufenthalt zeigt ihm, wie groß die persönliche Kluft zwischen ihm und dem Leben des Bruders geworden ist. Josef ist allein, ein zerriebenes Rad im Getriebe, ohne Orientierung und für ihn gibt es nur noch eine Möglichkeit: sein Leben als Reisender zwischen Ländern und Grundsätzen zu verbringen.

Prinzipiell hat mir die Geschichte gut gefallen, gerade weil sie eine literarisch unverbrauchte Szenerie heraufbeschwört, die durch Zeitsprünge und diverse Portraits besticht. Der Hauptprotagonist passt charakteristisch hervorragend zum Buch, er ist ein schwer durchschaubarer, eher blasser Mann, der sich mit seinem Verhalten gekonnt durch brenzlige Situationen schmuggelt und eigentlich nichts weiter will, als seine Ruhe und ein Fleckchen Erde um er selbst zu sein. Der Leser begleitet ihn durch turbulente Zeiten und streift wie nebenbei andere Lebensläufe, die sich parallel entfalten: die kurze Liebesbeziehung zu einer befreundeten Funkerkollegin, das biedere Leben des Bruders und seiner Familie, die wendigen, geschäftstüchtigen Männer, die ihren eigenen Vorteil über den des Landes stellen und solche, die immer wieder auf die Beine fallen, selbst nachdem sie für ihre Taten bestraft wurden.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Roman über politische Netzwerke, fragwürdige Identitäten und der großen Frage nach der Heimat im Herzen. Mein größter Kritikpunkt ist der allgemeine Handlungsverlauf, der mir zu wenig konkrete Aussagen liefert, ein netter aber unspektakulärer Protagonist und seine endlose Suche nach dem, was wirklich Bestand hat. Irgendwie zieht sich ein grauer, unscheinbarer Nebel über die Geschichte, der sie letztlich ziemlich bedeutungslos erscheinen lässt und ich habe die Story zwar gern gelesen, kann aber keinen Mehrwert darin erkennen. Prädikat: gut geschrieben, hinreichend interessant aber nur mäßig in der Durchschlagskraft.

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Veröffentlicht am 09.12.2018

Zeit, die Erinnerung zu überschreiben

Sechzehn Wörter
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„Von einem neuen Ort angezogen werden allein reicht nicht. Der alte Ort muss einen auch wegschieben. „Ich glaube“, sagte er, nachdem er die Tasse wieder abgestellt hatte, „dass man immer eher weggeschoben ...

„Von einem neuen Ort angezogen werden allein reicht nicht. Der alte Ort muss einen auch wegschieben. „Ich glaube“, sagte er, nachdem er die Tasse wieder abgestellt hatte, „dass man immer eher weggeschoben wird, auch, wenn man glaubt, angezogen zu werden.“


Inhalt


Bereits als Kind kommt die junge Iranerin Mona Nazemi nach Deutschland und wächst dort auf, sie selbst sieht sich als Deutsche und merkt ihre Fremdartigkeit eher in den Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen, als in ihrem eigenen Denken. Allerdings erhält sie sich auch die Verbindungen zur Heimat, in der ihre Großmutter immer noch lebt und ihr leiblicher Vater ebenfalls. So anders ist das Leben dort, bietet ganz andere Reize. Für Mona sind es die Besuche in ihrem Heimatland, die sie immer wieder reflektiert und auch die Liebe zu Ramin, einem Iraner, der mittlerweile selbst verheiratet und Vater geworden ist. Es fällt ihr schwer sich ein ständiges Leben im Iran vorzustellen, doch sie liebt auch die dortigen Eindrücke und die Menschen in ihrem Leben. Als ihre Großmutter stirbt, bricht eine elementare Stütze aus der kindlichen Erinnerung weg und Mona reist gemeinsam mit ihrer Mutter in ihr altes Zuhause. Doch bei ihrer Rückkehr nach Deutschland muss sie erkennen, dass es nicht das eine, einzig wahre Leben ist, das sie ihr eigenen nennt, sondern vielmehr eine kleine Facette ihrer Persönlichkeit. Es gibt da eine Mona in Deutschland, doch obwohl sie bestens integriert ist, schleicht sich ihre wahre Herkunft immer wieder in die Gegenwart ein.


Meinung


Die junge Autorin Nava Ebrahimi, schreibt in ihrem Debütroman sehr empathisch und mit viel Fingerspitzengefühl von einem Leben zwischen zwei Kulturen, von gegensätzlichen Erwartungen und konträren Ansprüchen. Dabei versetzt sie den Leser direkt in den Kopf ihrer Hauptprotagonistin Mona, die als Ich-Erzählerin auftritt und deren Erinnerungen so lebendig und eindringlich wirken, dass man meint selbst dabei zu sein. Scheinbar nebenbei erfährt man auch die familiären Umstände, die sie von einer Kindheit in Persien in ein Leben nach Deutschland geführt haben, erkennt die Zwänge denen ihre Mutter ausgesetzt war und die Ansprüche der Großmutter an eine Frau, die es immer noch nicht geschafft hat sich Mann und Kind zuzulegen.

Anders als in vielen Romanen über die Herkunft und die Liebe zur Heimat, bleibt Mona ein sehr sachliches Wesen und trauert ihren verpassten Chancen in einem Leben im Iran nicht nach, auch spürt man die innere Zerrissenheit nicht wirklich, denn ihrer Identität ist sie sich gänzlich bewusst. Das hat mir gut gefallen, weil ich nicht glauben mag, dass ein Leben in der Fremde immer nur mit dem Verlust des Heimatgefühls einhergeht.

Dennoch bleibt die Erzählung hinter meinen Erwartungen zurück, weil mir einfach die klare Ausrichtung fehlt, eine direkte und greifbare Entwicklung, eine Verbindung zwischen der persönlichen Geschichte und der Außenwelt. Alles dreht sich im Kreis, die Erinnerungen speisen den Text und bleiben doch nur eine Abbildung vergangener Zeiten.

Die Verluste, die Trennungen und der von mir erwartete Schmerz, bleiben aus. Mona distanziert sich von Emotionen, sie handelt mit Bedacht und nicht immer mit dem Herzen. Sie lebt einfach irgendwie vor sich hin, nimmt, was sich ihr bietet und denkt ohne große Wehmut an anderes. Man könnte meinen hier einen oberflächlichen Charakter vor sich zu haben, doch das ist es ganz und gar nicht, denn die Tiefgründigkeit ist spürbar und präsent.

Vielleicht ist dieses Verwischen einer klaren Aussage auch das Ziel der Autorin, die sich damit diverse Denkansätze offenhält und ihre Leser nicht in eine bestimmte Richtung drängt, doch genau das hätte ich mir erhofft.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Roman über eine junge Frau mit fremden Wurzeln und Bindungsängsten in der Gegenwart, die sich hier auf Spurensuche begibt und ihre Erinnerungen ausgräbt, um sie mit neuem Leben zu füllen. Sehr gelungen sind die kleinen, unscheinbaren Momentaufnahmen, die zahlreiche Differenzen zwischen Persien und Deutschland sichtbar machen. Auch sprachlich berührt das Buch, nur bleibt kaum etwas hängen, keine Assoziation, kein Wiedererkennen, kein Schmerz, keine Liebe, keine Endgültigkeit – seltsam unpersönlich bleibt der Text, fragil die Aussage und müsste ich das Buch mit Farben bewerten, so würde ich Grau wählen.