Sieben junge Menschen erwachen ohne Erinnerungen an ihre Vergangenheit mitten in einer völlig fremden Welt. Drei Mädchen und vier Jungs, die weder wissen, wer sie sind, noch, wo sie herkommen. Selbst allein für die Beschreibung der fremden Welt fehlen ihnen die Begrifflichkeiten. Sie sind nackt, finden neben sich aber einen Rucksack mit Kleidung und Nahrung. Und einer von ihnen findet zusätzlich einen Zettel mit einer Nachricht, die sie alle betrifft und die eine grausame Wahrheit enthält.
Das Szenario, das Rainer Wekwerth für seine Labyrinth-Trilogie entwickelt hat, ist von Anfang an ungemein interessant und spannend. Als Leser kann man gar nicht anders, als sich zu fragen, wo man hier zusammen mit den jungen Leuten gelandet ist. Warum man dort mit ihnen gelandet ist. Und was es mit dem Labyrinth auf sich hat. Nach und nach streut der Autor Informationen oder auch nur leise Andeutungen ein, die nach und nach ein Bild ergeben. Zwar hat dieses noch einige Lücken, die in den Folgebänden hoffentlich geschlossen werden. Doch man merkt sofort, dass hier ein logisch durchdachter und authentisch konstruierter Plot zugrunde liegt.
Es braucht acht Kapitel, um die sieben jungen Leute vorzustellen und sie zusammenzuführen. Jeder Charakter ist bildhaft gezeichnet und mit Eigenheiten versehen, die ihn von den anderen unterscheiden. Doch nicht jede Figur in diesem Buch ist leicht zu durchschauen. Im Gegenteil: Da meint man, man hätte ihr wahres Wesen erkannt, da verhält sich die Figur auf einmal völlig unerwartet und wider ihre Natur. Und plötzlich steht man als Leser wieder vor der Frage, was man von demjenigen / derjenigen halten soll. Das sorgt natürlich nicht nur für Verwunderung, sondern immer wieder auch für Überraschung und Spannung. Es macht Spaß, die Figuren zu beobachten, ihr Verhalten zu analysieren, um dann doch wieder vor den Kopf geschlagen zu werden, wenn sie sich um 180 Grad drehen.
Als die sieben Figuren als Gruppe zusammentreffen und fortan gemeinsam ihren Weg durch diese unbekannte Welt, in der sie gelandet sind, suchen, erwächst schnell ein Gemeinschaftsgefühl. Denn es wird deutlich, dass man nur gemeinsam in dieser Welt bestehen kann, die so fremd und irgendwie auch unheimlich ist. Denn irgendetwas macht Jagd auf die Gruppe. Immer wieder hören die Charaktere Schreie und Rufe. Und stand nicht auch in der mysteriösen Botschaft etwas davon, dass sich die jungen Leute ihren Ängsten stellen müssen, um das Labyrinth zu durchlaufen?
Doch nicht jeder hat Interesse daran, sich für andere aufzuopfern und die Nahrungsvorräte zu teilen. Manch einer lässt sehr stark seinen Egoismus raushängen, ein anderer Charakter wiederum sucht sich das stärkste Glied der Gruppe, um es auf seine Seite zu ziehen. Es entwickeln sich wahre Machtkämpfe und Intrigen innerhalb der Gruppe, die man als Leser ungläubig beobachten muss. Der Autor hat wirklich ganze Arbeit dabei geleistet, Abwechslung in die Handlung zu bringen.
Obwohl das Buch aus Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben ist, hat der Leser doch Anteil an der Gefühlswelt der Charaktere, da der Autor von Zeit zu Zeit in Kursiv ihre Gedanken wiedergibt. Dadurch wirken die Figuren noch lebendiger und es fällt leichter, sich als Leser in sie hineinzuversetzen und sie besser zu verstehen. Während die Charaktere zunächst ohne jegliche Erinnerungen an ihre Vergangenheit aufwachen, gibt es im Laufe des Buches doch immer wieder Szenen, in denen die Figuren plötzlich von Erinnerungen überrascht werden. Auch diese sind in Kursiv gedruckt und helfen ebenfalls dabei, die Figuren besser kennenzulernen. Nicht jede Erinnerung ist schön. Im Gegenteil: Meist sind es bedrückende und beängstigende Bilder, mit denen die Charaktere aus heiterem Himmel konfrontiert werden. Und hier fragt man sich als Leser natürlich auch, was es mit den Erinnerungen auf sich hat und wie sie in das Gesamtbild passen.
Der allwissende Erzähler springt sehr oft und in kurzen Abständen zwischen den einzelnen Charakteren hin und her. Das hat den Vorteil, dass der Leser jeden einzelnen Charakter umfassend kennenlernen kann und das Buch sich nicht zu stark auf eine Hauptperson konzentriert. Andererseits erfordern diese Sprünge auch ein gewisses Maß an Konzentration. Als Leser muss man sich merken, was zu welchem Charakter verraten wird, um ihn einschätzen und dem Buch folgen zu können.
Der Schreibstil des Autors ist bildhaft und sehr kurzweilig. Einfache Sätze sorgen für einen angenehmen Lesefluss und ein hohes Tempo. Jedes Kapitel bietet einen eigenen Höhepunkt oder eine überraschende Wendung, sodass der Spannungsbogen stets aufrecht erhalten bleibt. Als Leser kann man gar nicht anders, als ständig weiterzulesen. Allein das zweite Buch wird etwas ruhiger. Zwar ist hier immer noch eine unterschwellige Bedrohung vorhanden, aber vor allem auf den letzten 70 Seiten des Buches geht es eher um die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Figuren.
Während des Lesens bleibt im Hinterkopf ständig die Frage danach, wie das Buch wohl enden wird. Wer stark genug ist, die Reise durch die fremde Welt zu überstehen. Aber auch, wer stark genug ist, sich gegen die anderen durchzusetzen. Hierzu wird an dieser Stelle aber nichts weiter verraten. Lest am besten selbst!
Mein Fazit:
Bedrohlich, fesselnd und enorm spannend - das Labyrinth lässt seine Leser nicht mehr los.