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Veröffentlicht am 20.02.2017

Durchgehend spannend

Danowski: Blutapfel
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Bäume mit Blutäpfeln stehen in der Hainapfel-Siedlung, in die die Ermittlungen in einem Mordfall den Hamburger Hauptkommissar Adam Danowski führen. Dort hat das Opfer Oliver Wiebusch gewohnt, unauffällig, ...

Bäume mit Blutäpfeln stehen in der Hainapfel-Siedlung, in die die Ermittlungen in einem Mordfall den Hamburger Hauptkommissar Adam Danowski führen. Dort hat das Opfer Oliver Wiebusch gewohnt, unauffällig, freundlich und gerne hilfsbereit beispielsweise beim Beschneiden der Apfelbäume beim Nachbarn. Unverständlich also, dass Wiebusch auf der Fahrt durch den Elbtunnel in seinem eigenen Auto erschossen wurde und der Täter unerkannt entkommen konnte.

„Blutapfel“ von Till Raether ist der zweite Fall für den Ermittler Danowski. Das Buch lässt sich ohne Vorkenntnisse des ersten Bands problemlos lesen, denn auch ich kenne den ersten Fall nicht. Mit dem Prolog stellt der Autor den Leser zunächst vor ein Rätsel, denn dort begegnet er der Geheimdienstagentin Tracy Harris, die nicht mit der Wimper zuckt während zwei ihrer Kollegen jemanden unter Gewaltanwendung verhören und dabei misshandeln. Zunächst scheint kein Zusammenhang mit dem Fall von Adam Danowski zu bestehen.

Erste Ermittlungserkenntnisse im Mordfall geben Hinweise in Richtung Organisierte Kriminalität. Bei einem gezielten Einsatz mit dem Ziel, die Täter festzunehmen, sollen Schulterkameras eingesetzt werden. Tracy Harris begleitet diesen Einsatz als Product Deployment Manager des Unternehmens, das die Kameras vertreibt. Obwohl sehr lange die Hintergründe des Verbrechens an Wiebusch unbekannt bleiben, hat der Leser ab diesem Zeitpunkt gegenüber Danowski den Vorteil, dass er über die Agententätigkeit von Harris Bescheid weiß. So kann er einige Situationen und Handlungen von ihr besser einschätzen als Danowski, der sich von ihr täuschen lässt.

Der Leser lernt Adam Danowski nicht nur bei der Ausübung seines Berufs kennen, sondern auch im Privatleben. Seine Frau ist Lehrerin, er hat zwei Kinder und gemeinsam wünschen sie sich mehr Platz zum Wohnen. Er grübelt darüber, ob er in Teilzeit gehen und sich dann mehr um die Kinder kümmern soll, wenn seine Frau eine Rektorenstelle annimmt. Aber so ein wenig ist er auch eifersüchtig über die Beförderung eines Mitarbeiters und würde sich diese eigentlich selber wünschen.

Der Charakter Danowski wirkt sehr realistisch. Der Umgang mit den Kollegen ist stimmig ebenso wie sein Verhalten zur Vorgesetzten. Neben dem Hauptkommissar gibt es gerade im beruflichen Umfeld des Ermittlers eine ganze Reihe Figuren mit liebenswerten Ticks und Eigenheiten wie beispielsweise die ständig an ihrem Pferdeschwanz nestelnde und auf richtliniengenaues Vorgehen achtende Meta Jurkschat. Sie ersetzt seinen früheren, Zoten liebenden Partner Andreas Finzel, genannt Finzi, der zum Anfang des Buch in einem Pflegeheim untergebracht ist, praktisch bewegungsunfähig und stumm nach einem Alkoholexzess. Niemand glaubt seine Behauptung, dass jhm jemand nach dem Leben trachtet. Finzi sorgt im Buch für eine große Überraschung.

Das Buch wechselt in nicht zu langen Kapiteln immer wieder die Perspektive. Eine der Personen auf die sich dabei der Fokus richtet ist Trickster, der wie das Mordopfer das Hobby Urban Exploring teilt und zu diesem in Konkurrenz stand. Sehr interessant fand ich die Beschreibungen über die Ausübung dieses Hobbies, dass mir bisher unbekannt war.

Mehrere mögliche Täter und dadurch Taterklärungen machen diesen Krimi spannend von Beginn an. Eingeflochtene Nebenhandlungen, die mit den am Fall beteiligten Figuren verbunden sind, steigern die Spannung zusätzlich und lassen diese nicht abreißen. Zum Schluss gibt es eine überraschende Lösung. Mir hat „Blutapfel“ sehr gut gefallen und ich empfehle ihn daher gerne an Krimileser weiter.

Veröffentlicht am 20.02.2017

Von Beginn an fesselnd

Elias & Laia - Die Herrschaft der Masken
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Der Fantasyroman „Elias & Laia – Die Herrschaft der Masken“ ist der Debütroman der Amerikanerin Sabaa Tahir, die asiatische Wurzeln hat. Ihre Erzählung hat sie in einem mittelalterlich anmutenden Setting ...

Der Fantasyroman „Elias & Laia – Die Herrschaft der Masken“ ist der Debütroman der Amerikanerin Sabaa Tahir, die asiatische Wurzeln hat. Ihre Erzählung hat sie in einem mittelalterlich anmutenden Setting angesiedelt. Die Stadt Serra ist der Haupthandlungsort und von Wüste umgeben. Die Widrigkeiten dieser Gegend bringt die Autorin, die in der Mojave-Wüste aufgewachsen ist, also aus eigener Erfahrung spricht, mit in ihre Erzählung ein. Doch dies ist nur ein kleiner Beitrag zum Eindruck den das Buch bei mir hinterlassen hat. Zu meinem persönlichen Gefallen hat noch einiges andere beigetragen.

Den oberen Teil des Covers zieren Augen, die von einer Maske nur unvollendet eingerahmt werden. Einer der Protagonisten dieses Buches, der 20 jährige Elias, wurde 14 Jahre in der Militärakademie Schwarzkliff ausgebildet. Er hasst die Maske, die den älteren, die harte Schule überlebenden Schülern zum ständigen Tragen verliehen wird. Daher nimmt er die Maske ab, wann immer es ihm möglich ist und verhindert so deren Verwachsen mit der Gesichtshaut. Er könnte derjenige sein, der den Leser vom Titel her anschaut. Wie die Auguren mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten in der Geschichte vorhersehen, ist einer der Absolventen seines Jahrgangs zu Großem berufen und wenige Auserwählte sollen sich dazu ganz besonderen Prüfungen unterziehen. Doch die Zukunft, die Elias für sich selber plant, steht denen des Imperiums entgegen.

Einer der erfahrenen Maskenkämpfer war es, der die Familie der 17 jährigen Laia überfallen und ihre Großeltern, bei denen sie lebt, getötet hat. Ihr Bruder Darin hat wichtige Informationen zusammengetragen, die dem Widerstand gegen die Herrschaft von Nutzen sein könnten. Er wird gefangengenommen und Laias einziges Ziel ist es, ihn zu befreien. Sie sucht dazu den Widerstand auf, zu dem schon ihre verstorbenen Eltern gehört haben. Doch deren Einsatz hat einen hohen Preis für sie.

Das Buch lebt von dem Wechsel der insgesamt 50 Kapitel zwischen den beiden Ich-Erzählern Elias und Laia. Die Kapitel sind eingeteilt in drei Teile, von denen der erste Teil seinen Fokus legt auf den Überfall auf Laias Familie, während Elias kurz vor seinem Abschluss seiner militärischen Ausbildung steht. Im zweiten Teil stehen die Prüfungen, an denen Elias teilzunehmen hat, im Mittelpunkt. Und schließlich widmet sich der dritte Teil dem Erreichen von eigenen Zielen durch Einsatz von Geist und Stärke der beiden Protagonisten.

Elias und Laia sind zwei grundsätzlich verschiedene Charaktere, die sich im Laufe der Handlung weiterentwickeln. Elias verabscheut die Gewalt, die er anzuwenden gezwungen ist und versucht ihr zu entkommen. Ein Augur zeigt ihm einen Weg auf, den er sich bisher nicht vorstellen konnte, auf den er sich aber nach reiflicher Überlegung einlässt. Zunächst sieht es nach einer falschen Entscheidung aus, doch es gibt einige unerwarteten Wendungen. Aus der unbeschwerten Laia wird durch den Überfall die Hoffnungsträgerin ihres Bruders, die eine große Verantwortung zu tragen hat und dadurch viel Leid auf sich nimmt. In dem sie sich immer wieder ihre Vorbilder und Ziele ins Gedächtnis ruft, gelingt es ihr, ihre Angst und Schwäche zu überwinden.

Sabaa Tahir setzt die Gewalt und den Kampf in ihrer Fantasy bewusst ein, damit ihre Protagonisten ihren Mut und ihre Tapferkeit zeigen können. Blutige Handlungen und schmerzhafte Bestrafungen, grausame Geisterwesen und brutale Krieger sind an der Tagesordnung. Doch in ihren Beschreibungen geht die Autorin nicht ins Detail. Für Elias und Laia ist es wichtig, dabei die Hoffnung nicht aufzugeben. Denn die Anwendung von Gewalt erzeugt meist Widerstand, der nicht immer mit Waffen ausgetragen wird. So ist es auch möglich mit List und Tücke gegen scheinbar unüberwindbare Gegner vorzugehen und siegreich zu sein. Der Originaltitel des Buchs lautet „An ember in the ashes“ und so wie aus der noch glühenden Asche wieder ein Feuer entstehen kann, so kann sich alles aus kleinsten Anfängen eine große Kraft, ein innerer Antrieb entwickeln.

Der Roman lässt sich locker und leicht lesen, dank einer schnellen Handlung mit überraschenden Momenten und einer überschaubaren Anzahl handelnder Personen, die für den Ablauf wichtig sind. Neben Ängsten und Hass, Mut und Tapferkeit, zeigen die Protagonisten auch Liebe und Leidenschaft. Doch auch hier müssen sich Laia und Elias ihrer Gefühle erst bewusst werden, denn in dem Spiel zwischen Macht und Zielerreichung ist es schwierig, die wahren Absichten derjenigen zu erkennen, zu denen man sich hingezogen fühlt.

Das Programm des Verlags One richtet sich gleichermaßen an junge Erwachsene und ältere Leser und dieses Buch erfüllt diese Anforderungen. Die Geschichten von Elias & Laia, die zunächst parallel laufen, sich dann kreuzen und schließlich zu einer werden, haben mich von Beginn an gefesselt. Das Buch ist ein glühender Stern am Fantasyhimmel. Nun scheint es auch eine Fortsetzung zu geben, auf die ich mich schon freue.

Veröffentlicht am 16.02.2017

Gelungener Debütroman

Tierchen unlimited
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„Tierchen Unlimited“ heißt der Debütroman von Tijan Sila. Doch Tierchen Unlimited sieht der Protagonist der Geschichte nur im Traum, wenn er sich eine wohlige Umgebung mit pelzigen Mitbewohnern wünscht. ...

„Tierchen Unlimited“ heißt der Debütroman von Tijan Sila. Doch Tierchen Unlimited sieht der Protagonist der Geschichte nur im Traum, wenn er sich eine wohlige Umgebung mit pelzigen Mitbewohnern wünscht. Aber die Gegenwart sieht anders aus. Er lebt in Sarajevo während des bosnischen Bürgerkriegs der 1990er, in dem Sentimentalität bei heranwachsenden Jungen nicht gefragt ist. Im Traum des unbenannten Ich-Erzählers, der autobiographisch einige Gemeinsamkeit mit dem Autor aufweist, blitzt der Wunsch nach Frieden auf. Das Cover des Buchs zeigt eine Unterteilung in schwarz und weiß. Dadurch ergibt sich deutlich eine fiktive Abgrenzung, durch Regeln und Normen gezogen, die der Hauptfigur des Romans dazu dienen, sie zu übertreten.

Das Fahrrad, das mühelos dort balanciert wo die Farben des Titels aufeinandertreffen, ist ein wichtiges Requisit des Erzählers zu Beginn der Geschichte, denn es bringt ihn aus einer Gefahrenzone. Wer jetzt denkt, das Buch beginnt während der Zeit des Bürgerkriegs, liegt falsch.

Zum ersten Mal begegnete ich dem Protagonisten im Buch in einer Situation, in der er wieder einmal eine ihm gesetzte Grenze überschritten hat. Nackt und verwundet wird er bei seiner Flucht mit dem Rad von mitleidigen Menschen ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht und dort verarztet. Dort begegnet er einer guten Freundin wieder, die inzwischen Polizistin ist. Er hat sie kennengelernt, nachdem er bereits einige Monate mit seinen Eltern in Deutschland lebte. Sie ringt gerne und ständig und (be-)nutzt ihn als Partner. Der Erzähler fühlt sich zu ihr hingezogen und ist von ihren Lebensumständen und ihrer Kraft fasziniert. Das ist für ihn neu, denn die Anforderungen und Erwartungen seiner bisherigen Freundschaften konnte er besser einordnen. Seine Überlegungen führen ihn und damit den Leser Jahre zurück zu seiner Jugend während der Kriegsjahre.

Bei seinen anschaulichen Schilderungen des Alltags im Krieg habe ich manches Mal erschreckt verharrt, wenn sich das Ende einer Waffenruhe ankündigte und der Protagonist immer noch auf den Straßen unterwegs war. Für die im Kriegsgebiet Wohnenden musste das Leben weitergehen, auch wenn es an Nahrungsmitteln oft fehlte. Es ist beängstigend zu lesen und macht betroffen. Aber Tijan Sila erzählt die Erlebnisse des Jungen mit einer großen Selbstverständlichkeit, die nicht in Wehmut an bessere Zeiten endet, sondern das Beste aus den Gegebenheiten macht. Und dazu gehören für einen Heranwachsenden Raufereien und Lügen. Es ist eine gefährliche und turbulente Zeit. Auch nach seiner Ankunft in Deutschland frönt der Ich-Erzähler keinem ereignislosen Alltag, was hauptsächlich an seiner erwachenden Liebe und einigen Bekannten mit nationalsozialistische Einstellung liegt.

Die Sprache des Autors ist schnörkellos und gerade, er scheut sich nicht die Dinge beim Namen zu nennen. Seine Erzählung ist realistisch und ich habe mich beim Lesen oft gefragt, welche Situationen der Autor selbst erlebt hat. In den Abschnitten über sein Leben in Deutschland fliegt er dann hier und da über die Realität hinaus, was dem Roman ein gehörige Portion Würze verleiht. Hatte der Protagonist in Bosnien noch mein Mitgefühl so war ich zunehmend amüsiert und es schlich sich eine Menge Häme bei seinen weiteren Schilderungen ein in denen er von unangenehmen Situationen erzählt, die sich durch sein grenzwertiges beziehungsweise normenüberschreitendes Verhalten ergeben. Hier kommt zwar zum Ausdruck, dass er nun mehr Möglichkeiten und die Freiheit hat, seine Zukunft zu gestalten, jedoch entbehrt das Ganze nicht einer gewissen Härte und Durchsetzungsfähigkeit.

Der Roman zeigt, dass jede Zeit, jede Umgebung, jede persönliche Einstellung und jedes Alter seine Tücken und Probleme mit sich bringt. Es ist nicht nur eine Gegebenheit die unser Leben gestaltet, sondern viele Dinge tragen dazu bei. Nicht aufzugeben, sein Vertrauen nicht verlieren und auf die Zukunft hoffen, ist die Essenz davon. „Tierchen Unlimited“ ist ein gelungenes Debüt, das ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 02.02.2017

Facetten einer langen Freundschaft

Meine geniale Freundin
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„Meine geniale Freundin“ ist der erste Band einer vierteiligen Serie einer italienischen Autorin, die unter ihrem Pseudonym Elena Ferrante veröffentlicht. Die Buchreihe handelt von einer Frauenfreundschaft, ...

„Meine geniale Freundin“ ist der erste Band einer vierteiligen Serie einer italienischen Autorin, die unter ihrem Pseudonym Elena Ferrante veröffentlicht. Die Buchreihe handelt von einer Frauenfreundschaft, die in Neapel in den 1950er Jahren beginnt und inzwischen mehr als 60 Jahre besteht. Der Ich-Erzählerin Elena, von Freunden auch Lenù genannt, begegnete ich erstmals im Prolog des Romans in der Gegenwart. Sie wohnt inzwischen in Turin und erhält von Rino, dem Sohn ihrer Freundin, einen Anruf aus Neapel, denn seine Mutter ist seit zwei Wochen verschwunden. Ihre Freundin Raffaella, die von Elena nur Lila gerufen wird, hat seit etwa drei Jahrzehnen angekündigt, dass sie sich irgendwann spurlos auflösen würde, sie wollte auf ihre ganz eigene Art ihr vergangenes Leben auslöschen.

Ich vertraue darauf, dass ihre geniale Freundin Elena in der Lage ist, sie zu finden. So habe ich gerne damit begonnen, die Geschichte der beiden Protagonistinnen zu lesen, deren Freundschaft mit einer Mutprobe begann. Ich bin gespannt, ob Elena die Suche nach ihrer Freundin aufnehmen und sie sogar aufspüren wird.

Lila und Elena sind im gleichen Alter und besuchen die gleiche Grundschulklasse. Wie in den 1950er Jahren allgemein üblich, wurde sehr viel im Freien gespielt. Elena und ihre Freunde halten sich dabei bis etwa zum Ende ihrer Grundschulzeit ausschließlich in ihrem Wohnviertel auf. In Gebäuden mit mehreren Stockwerken leben hier Handwerker mit ihren Familien, städtische Angestellte mit kleinem Gehalt oder auch Kaufleute, die Waren des täglichen Bedarfs vor Ort verkaufen. Um den Überblick über die Mitglieder der für die Erzählung wichtigsten Familien nicht zu verlieren, findet sich am Anfang des Buchs ein Personenverzeichnis. Ein Lesezeichen mit einer ähnlichen Auflistung liegt dem Roman bei.

Lilas Vater repariert Schuhe und Elenas ist Pförtner in der Stadtverwaltung. Die Freundinnen sind nicht nur äußerlich sehr unterschiedlich. Vor allem fällt Lila durch ihre Vorwitzigkeit auf. Lesen, Schreiben und Rechnen kann sie bereits vor Schulbeginn. Ihr Bruder ist sechs Jahre älter, in ihm hat sie ein Vorbild dem sie nacheifert. Durch das Lesen von geliehenen Büchern aus der örtlichen Bibliothek erweitert sie ihr Wissen über die allgemeinen Kenntnisse der Bewohner des Viertels hinaus. Elena bewundert Lila. Sie selbst ist ruhig, wirkt eher schüchtern und hat nur jüngere Geschwister. Ihre Eltern setzen daher mit ihren Entscheidungen in Bezug auf die Erziehung von Elena Maßstäbe für ihre übrigen Kinder, sie erwarten von ihrer Ältesten vorbildliches Verhalten.

Damals herrschte nicht nur in Italien ein geteiltes Rollenbild vor, nach dem der Mann für die Familie zu sorgen hat indem er durch Arbeit Geld verdient und die Frau ihrem Ehemann gehorcht, den Haushalt führt und den Lebensabend durch viele Kinder absichert. Der Umgang miteinander ist oft grob und Gewalt ist an der Tagesordnung. Vorrangig dient sie zur Herstellung von Gerechtigkeit. Auch im Kampf um einen hohen Rang in der sozialen Hierarchie der Gleichaltrigen sind heftige Prügeleien keine Seltenheit, vorwiegend bei den Jungen. Beide Mädchen sind sehr intelligent und ihre Lehrerin plädiert bei den Eltern für eine Fortsetzung der Schullaufbahn. Doch Lilas Eltern sind dagegen. Zwar bringen Elenas Eltern das benötigte Geld für die Schule mühsam auf, setzen Elena damit aber auch unter einen gewissen Erfolgsdruck. Elena, die bisher Lila in allem nachgeeifert hat und eifersüchtig auf deren Erfolge war, sieht für sich selbst nun im direkten Vergleich eine glücklichere Zukunft gesichert. In der Pubertät stellen sich bei den Freundinnen aber nicht nur körperliche Veränderungen ein. In Elena blitzt die Überlegung auf, dass der voraussichtliche Lebensweg von Lila vielleicht der Beneidenswertere ist.

Elena Ferrante gewährte mir als Leser einen voyeuristischen Blick auf den Alltag von Kindern beziehungsweise Jugendlichen, die in einem Stadtviertel Neapels aufgewachsen sind. Ich konnte mich gut in deren Umfeld hineindenken und der Vergleich zu meiner eigenen Kindheit in einem kleinen deutschen Dorf lag nahe. Dabei habe ich beispielsweise Mitleid gehabt, wenn die beiden körperlich gemaßregelt wurden, habe sie aber auch um die Leihmöglichkeit von Büchern beneidet. Auch die Wahl der Ich-Form als Erzählperspektive hat die Einblicke in den Alltag für mich vertieft. Elena erzählt als Mittsechzigerin in Erinnerung an ihre Jugend. Dabei sind einige Gedanken nur vage, wieder andere jedoch sehr ausgeprägt, vor allem solche, die für sie etwas Besonderes darstellen und ihre Freundschaft zu Lila mit allen Höhen und Tiefpunkten verdeutlichen. Ihre Erzählung über ihre Grundschuljahre ist eher schlicht, von ihrer Wahrnehmung als Kind beschränkt. Als Jugendliche gehören zu ihrer Peer-Group weiterhin die Gleichaltrigen des Viertels. Doch der Besuch der weiterführenden Schule bringt für Elena ganz eigene Probleme mit sich.

Die Suche nach dem Schuldigen, Vergeltung, Liebe, Hass und Vergebung sind an der Tagesordnung in der Welt der beiden Freundinnen Elena und Lila. So anschaulich und intensiv wie die Autorin die Kindheit und Jugend beschreibt, habe ich mich oft gefragt, wie viel davon die Autorin selbst erlebt hat. Interessant fand ich es, welchen Schwankungen zwischen Abneigung und Bewunderung die Freundschaft unterliegt, war aber gleichzeitig von Beginn an beruhigt darüber, dass sie auch nach über 60 Jahren immer noch besteht. Das Buch endet mit einer neuen Erkenntnis für Lila, die meine Freude auf das Lesen des nächsten Buchs noch ein wenig steigert. Gerne empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter.

Veröffentlicht am 28.01.2017

Gewaltloser Kampf gegen die Gilde

Perfect – Willst du die perfekte Welt?
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„Perfect – Willst du die perfekte Welt“ von Cecelia Ahern ist der abschließende Band einer dystopischen Dilogie die in Dublin spielt. Perfekt ist die nun 18-jährige Protagonistin Celestine jedoch nicht ...

„Perfect – Willst du die perfekte Welt“ von Cecelia Ahern ist der abschließende Band einer dystopischen Dilogie die in Dublin spielt. Perfekt ist die nun 18-jährige Protagonistin Celestine jedoch nicht mehr seit sie einem älteren fehlerhaften Mann im Bus geholfen und selbst als Fehlerhafte gebrandmarkt wurde. Durch ein unvorhergesehenes Brandmal an geheimer Stelle wurde sie zu einer Art Waffe im Kampf gegen die Gilde, die über das moralische Verhalten der irischen Bürger urteilt.

Wie mächtig ein politisches System sein kann wenn es darum geht, Staatsangehörige in Bezug auf unerwünschte Meinungen zum Stillschweigen zu bringen, konnte man im ersten Teil der Dilogie lesen. Doch allen Anfeindungen zum Trotz hat Celestine auch Helfer an ihrer Seite. Einer davon ist ihr Großvater bei dem sie Unterschlupf sucht nachdem sie geflohen ist. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass sie bei ihm nicht sicher ist. Bei ihrer weiteren Flucht fällt es Celestine schwer zu erkennen, wer ihr helfen möchte und wer gegen sie arbeitet. Von liebgewonnenen Personen fühlt sie sich verraten und ist enttäuscht. Anderen bringt sie kein Vertrauen entgegen und wird von ihnen positiv überrascht. Wird sie eine Möglichkeit finden Richter Crevan, der sie verurteilt hat und mit ihm vielleicht die ganze Gilde zu Fall zu bringen?

Die Autorin beschreibt am Anfang noch einmal in geraffter Form die Ereignisse des ersten Buchs „Flawed“ und ergänzt im weiteren Verlauf an entsprechenden Stellen immer wieder ihre Ausführungen, so dass man den abschließenden Band auch ohne Vorkenntnisse lesen kann. Allerdings hat gerade „Flawed“ mir einige unvergessene Gänsehautmomente beschert auf die man dann verzichten würde.

Nach einem furiosen ersten Band hatte ich bedenken, ob die Geschichte so spannend weitergehen könnte. Doch bereits nach den ersten Seiten war ich fasziniert und wieder voll im Geschehen. Von Beginn an kämpft Celestine darum, wieder ihre vollen Bürgerrechte zu erhalten. Durch etliche geschickte Drehs und Wendungen nahm die Erzählung immer wieder einen anderen Verlauf.

Cecilia Ahern liefert für Charaktere, die mir zutiefst unsympathisch waren, Hintergründe und Erklärungen, warum sie entsprechend handeln. Dadurch wirken ihre Figuren realistisch. Aber auch Personen, die Celestine unterstützen, erhalten Motive für ihr Vorgehen. Sehr schön war es zu sehen, dass auch Celestine an ihren Aufgaben wächst, die durch die Hoffnung der Fehlerhaften die auf ihr ruhen genährt werden. Gerade für ihr jugendliches Alter kommt sie damit an ihr Limit. Der Roman ist für Jugendliche ab etwa 15 Jahren geeignet und gibt nicht nur dieser Altersgruppe ein Beispiel für einen gewaltfreien Kampf gegen eine Staatsmacht gerade in einer Zeit in der man sich fragt, wie in einigen Ländern Machthaber an die Spitze ihres Landes gefunden haben.

Von Beginn an steht bei diesem Buch die Vernichtung der Gilde im Vordergrund und hieran verankert die Autorin ihre Spannungsmomente. Doch ganz nebenher muss Celestine sich auch mit ihren Liebesgefühlen auseinandersetzen, die an das Vertrauen in die Person gekoppelt sind und natürlich in den Krisenzeiten in denen sie momentan lebt, nicht ganz einfach einzuordnen sind.

Das Buch bildet einen grundsoliden Abschluss der Dilogie, die mich vom Thema her fasziniert hat. Gerne gebe ich dem Buch meine Leseempfehlung.