Warmherziger Anti-Heimat-Roman
GipskindHineingeboren in die ärmlichen Verhältnisse auf dem Land spürt Andrea bald den täglichen Überlebenskampf. Sie ist als Kleinkind immer wieder im Krankenhaus und ihren Eltern fehlt es an Zeit, ...
Hineingeboren in die ärmlichen Verhältnisse auf dem Land spürt Andrea bald den täglichen Überlebenskampf. Sie ist als Kleinkind immer wieder im Krankenhaus und ihren Eltern fehlt es an Zeit, Liebe und Verständnis, sich viel um sie zu kümmern. Nur die Oma ist immer da und das spürt die Kleine. Mit zunehmendem Alter lernt sie, Schwächen strategisch einzusetzen und sich ungeahnte Freiräume zu erobern, ihre Träume zu verwirklichen.
„Gabriele Kögls Antiheimatroman gleicht einer bäuerlichen Familienaufstellung aus den sechziger Jahren, in der ein auf seine Mängel reduziertes Kind aus dem Schatten tritt und sein Leben in die Hand nimmt.“
Ein eindrucksvolles Bild des bäuerlichen Milieus der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist Gabriele Kögl gelungen. In einer Sprache, die so einfach daherkommt aber doch so kunstvoll in Szene gesetzt ist, dass es nicht besser möglich wäre. Sie schreibt in der hier gesprochenen Umgangssprache - „wir fahren auf Graz“ nicht …nach Graz. Lokalkolorit sagt man wohl dazu. Mir ist dieser Dialekt vertraut, hat er doch viele Gemeinsamkeiten mit dem bayrischen. So habe ich mich gleich heimisch gefühlt, „die Kleine“ und die Ihren gut verstanden.
Über weite Strecken ist sie nur die Kleine und durch ihre nie ganz korrigierte Fehlstellung die nicht so gerade daherkommende Bauerstochter. Die Mutter sagt, die Kleine stellt blöde Fragen. Die Oma dagegen erkennt, dass die Fragen sehr gescheite sind. So war das von Anfang an und die Kleine – Andrea – erkennt früh, dass sie auf sich schauen muss. Nichts wird einem geschenkt im Leben, man muss sich durchkämpfen. Und sie geht ihren Weg. Lernt Arthur und seine Familie kennen und damit eine ganz andere Welt, die so gar nichts bäuerliches hat. Was Andrea sich hart erarbeiten muss, ist Arthur in die Wiege gelegt worden.
Und immer ist ihre Oma diejenige, die bedingungslos hinter ihr steht. Andrea weiß das, die beiden verbindet vieles. „Als Kind wollte ich Papst werden“ und ihre Oma meint dazu: „Dir traue ich alles zu“. Das sind diese liebevollen Kleinigkeiten, die das Buch sehr groß machen.
Dieses Buch erzählt die Geschichte eines Mädchens, das trotz körperlicher Mängel ihren Weg geht. Das aus der Enge, der Kleingeistigkeit ihrer Umgebung ausschert. Sie hat ein Ziel, ist ihrer Umwelt gegenüber offen und herzlich, lässt sich aber nicht verbiegen. Eine Geschichte über viel Liebe und Zuneigung, aber auch über Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit seitens ihrer Umgebung.
„Vielleicht bist doch du es, die aus der Zukunft kommt. “ Das sagt Arthur zu Andrea und ich meine, das ist ein wunderschönes Kompliment, aber auch eine ganz gute Beschreibung von ihr.
Diese Geschichte um die Kleine und die dann erwachsene Andrea hat mich tief berührt. Zeigt es doch, dass man sein Schicksal durchaus in der Hand hat. Nicht alles ist vorgegeben. Ein absolut lesenswertes Buch, das ich jedem empfehlen kann, auch wenn er nicht alle österreichischen Begriffe versteht. Das Verständnis ergibt sich beim Lesen. Natürlich bewerte ich mit 5 Sternen. Top!