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Muehlenkind

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.09.2020

Sprachliche Virtuosität, gepaart mit tiefster Menschlichkeit – hinreißend!

Der Halbbart
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Die Schweiz 1313: der halbwüchsige Sebi lebt mit 2 Brüdern und seiner Mutter in einem kleinen Dorf mehr schlecht als recht und oft von der Hand in den Mund. Und weil der Sebi für ein Handwerk nicht gemacht ...

Die Schweiz 1313: der halbwüchsige Sebi lebt mit 2 Brüdern und seiner Mutter in einem kleinen Dorf mehr schlecht als recht und oft von der Hand in den Mund. Und weil der Sebi für ein Handwerk nicht gemacht und weil ihm die Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen aufgrund seiner Herkunft verwehrt ist, sucht er nach seinem Platz im Leben. Dabei hilft ihm „Der Halbbart“, der plötzlich am Rande des Dorfes auftaucht, fremd und fremd aussehend, an Leib und Seele gezeichnet, weise und weitblickend. Und so begleitet der Leser Sebi während seiner Entwicklung vom Kind zum jungen Mann und wird durch Sebis Augen zum Zeitzeugen der Schweiz des späten Mittelalters.

Es ist die Zeit der Judenprogrome, die Zeit von König und Gegenkönig. Es ist die Zeit der Herrschaft der Habsburger und der Kampf der Schweizer Eidgenossen um Unabhängigkeit wird in die Geschichte eingehen. Es ist auch die Zeit tiefer Gläubigkeit und genauso ausgeprägten Aberglaubens. Es ist die Zeit von Hass, Grausamkeit und bitterer Armut, von der Lehre der Unfehlbarkeit der Kirche und ihrer daraus resultierenden Unantastbarkeit und Allmacht. Es ist aber auch die Zeit überlieferten Kräuterwissens, erster weitergehender medizinischer Erkenntnisse und der bauernschlauen Wehrhaftigkeit gegen die verhasste Obrigkeit, die weit entfernt vom Leben der ländlichen Dorfgemeinschaften schaltet, waltet, prasst und völlt.
‚Der Halbbart‘ ist weit mehr als nur ein historischer Roman, zu viele Themen verbergen sich in den Geschichten in der Geschichte, zu viel Heutiges reflektiert im Gestrigen, Rassismus und Judenhass und das bodenlose Misstrauen gegenüber dem Anderen, Andersartigen. Der blinde Fanatismus, der nur einen Führer braucht und das Bedürfnis nach der Wichtigkeit des eigenen, unbedeutenden Lebens. Die Grausamkeit der Entwurzelten des Krieges, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht mehr finden und verlernt haben, mitzufühlen. Die Traumata derer, die zum Opfer werden. Die Realität, die einer guten Geschichte nicht standhalten kann und der Schein, der das wahre Sein erschlägt.

Lewinskys Roman ist vor allem ein ungeheuer unterhaltsames Buch, dabei prall von Wissen um historische Zusammenhänge und geschichtliche Hintergründe. Es ist gleichzeitig aber auch eine sprachlich mitreißende Reise in die Welt der ‚Mehrbesseren‘, ‚Finöggel‘ und in ihrer Schlichtheit ergreifend schöner Wahrheiten, die universeller und aktueller nicht sein könnten:
‚Wenn einer zu viel Mut hat, habe ich einmal sagen hören, bleibt kein Platz für den Verstand.‘ (Seite 61);
‚Aber was zwischen den Menschen passiert, das hat nicht der Himmel gemacht, sondern wir selber…‘ (Seite 106);
‚Wer eine Waffe hat, muss dem, der ohne kommt, keine Komplimente machen…‘ (Seite 128);
‚“Man soll keinen Menschen hassen“, hat er gesagt, „mit Hass fängt es an, und mit Asche hört es auf,…“‘ (Seite 202).
Zu keiner Zeit erhebt er aber den Zeigefinger und überlässt es jedem Leser selbst, welche der unaufdringlich erzählten Weisheiten er für sich entdeckt

Lewinsky erzählt voller Lust am Erzählen, voller sprachlicher Virtuosität und ein wenig, so scheint es, hat der Autor die eigene Lust am Erzählen an Sebi weitergereicht und diese Lust teilt sich mit.
‚Der Halbbart‘ ist ein hinreißendes Stück Literatur, das man jedem Leser nur aufs Wärmste ans Herz legen kann!

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Spannend, humorvoll und sehr menschlich - absolut lesenswert!

Soko mit Handicap: Der Tote und der Taucher
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Der Psychologiestudent Theo, Anfang 20, lebt in einer WG für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Als sein Freund Mike, an ALS erkrankt und wie Theo dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen, am Morgen einer ...

Der Psychologiestudent Theo, Anfang 20, lebt in einer WG für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Als sein Freund Mike, an ALS erkrankt und wie Theo dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen, am Morgen einer unruhigen Nacht leblos in seinem Bett aufgefunden wird, attestiert der herbeigerufene Arzt zwar eine Todesursache, die aus Mikes Erkrankung resultiert, doch Theos Misstrauen aufgrund der nur oberflächlich durchgeführten Untersuchung ist geweckt. Auch das aufgeschreckte Verhalten eines weiteren Mitbewohners der WG lässt die Vermutung zu, dass Mikes Tod keineswegs nur auf seine Erkrankung zurückzuführen ist. Und so startet Theo mit Hilfe seiner WG-Freunde Paula, Helene und Scott seine eigenen Ermittlungen, in die seine Schwester Lina, von Beruf Polizistin, anfänglich nicht ganz freiwillig eingebunden wird. Bald stellt sich heraus, dass Theo mit seinen Vermutungen richtig liegt, allein, die Beweisführung ist schwierig und der Verdacht auf den Täter bleibt vage.
Die SOKO Handicap greift mehr als einmal zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um die Ermittlungen voranzutreiben und am Ende des Buches … bleibt erstmal alles offen…

Der Tote und der Taucher ist der erste Teil der SOKO mit Handicap-Dilogie von Thomas Franke. Ihm ist damit eine spannende, äußerst humorvolle erste Hälfte gelungen, die von detailliert gezeichneten Personen und originellen Twists lebt. Aber, und das ist das eigentlich Wichtige neben dem außergewöhnlichen Plot und dem noch außergewöhnlicheren Setting, Thomas Franke gelingt es auch, zutiefst menschliche Fragen zu stellen und auf Problematiken aufmerksam zu machen, die im 21. Jahrhundert und in unserer aufgeklärten Gesellschaft längst nicht mehr existieren sollten. Leicht und durchaus der Dramaturgie des Romans verpflichtet, dabei aber völlig unaufdringlich verführt der Autor zum Nachdenken über existenzielle und ethische Fragen, ohne dabei moralinsauer zu werden. Und er geht damit nicht zu weit: ob und wie man sich diese Fragen beantwortet, beantworten kann, bleibt jedem Leser selbst überlassen.

Der Tote und der Taucher – leicht, tiefgründig, originell, spannend und humorvoll – macht Lust auf mehr und mich sehr neugierig auf den 2. Teil.
Unbedingt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Spannende Jagd nach archäologischen Sensationen als Krimi

Ein Fall für Peter Conrad / Blut
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Der Sammelband ‚In Situ‘ (den ich leider hier im Verzeichnis nicht gefundenhabe) vereinigt die Bücher ‚Die Ersten‘ und ‚Blut‘. Beide gemein haben den Charakter Peter Conrad, Anthropologe und scheinbar ...

Der Sammelband ‚In Situ‘ (den ich leider hier im Verzeichnis nicht gefundenhabe) vereinigt die Bücher ‚Die Ersten‘ und ‚Blut‘. Beide gemein haben den Charakter Peter Conrad, Anthropologe und scheinbar festgefroren in dem Versuch, endlich seine Doktorarbeit zu beenden. Dieser scheitert an immer neuen archäologischen Abenteuern, in die Conrad, an sich nicht wirklich abenteuerlustig und risikobereit, jedes Mal aufs Neue gerät, weil sein fachliches Wissen von Nöten ist.
Blut: Archäologiestudentin Lisa Franks, bereits Gefährtin in einem vorangegangenen Abenteuer, schlägt Peter Conrad als Anthropologen für eine Stadtgrabung in London vor. Dort angekommen stellt dieser bald fest, dass weder das eigenwillige Forschungsteam noch die Ausgrabungen auf dem Brompton Cemetary und die damit verbundenen Funde verstümmelter Skelette und ausgebluteter mumifizierter Leichen seinem Bedürfnis nach Ruhe, Wissenschaft und der Fertigstellung seiner Doktorarbeit entgegenkommen. Nicht lange und Peter Conrad zweifelt einmal mehr an seinem Verstand und den Grundfesten aller wissenschaftlichen Erkenntnis.

Die Romane der Peter Conrad Reihe zeichnen sich durch hohen Unterhaltungswert aufgrund ihres nicht unerheblichen Sprachwitzes und der spannenden Plots in ungewöhnlichen Settings aus. Die Tatsache, dass die Autoren „vom Fach“ sind und es verstehen, archäologische Sachkenntnis mit Mythen und Verschwörungstheorien aufs Lebhafteste zu verknüpfen und dabei perfide mit den Fantasien sowohl ihrer Protagonisten als auch ihrer Leser zu spielen, fördert zusätzlich den Lesespaß.
Unbedingt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Spannende Jagd nach archäologischen Sensationen als Krimi

Ein Fall für Peter Conrad / Die Ersten
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Der Sammelband ‚In Situ‘ (den ich hier leider nicht im Verzeichnis gefunden habe) vereinigt die Bücher ‚Die Ersten‘ und ‚Blut‘. Beide gemein haben den Charakter Peter Conrad, Anthropologe und scheinbar ...

Der Sammelband ‚In Situ‘ (den ich hier leider nicht im Verzeichnis gefunden habe) vereinigt die Bücher ‚Die Ersten‘ und ‚Blut‘. Beide gemein haben den Charakter Peter Conrad, Anthropologe und scheinbar festgefroren in dem Versuch, endlich seine Doktorarbeit zu beenden. Dieser scheitert an immer neuen archäologischen Abenteuern, in die Conrad, an sich nicht wirklich abenteuerlustig und risikobereit, jedes Mal aufs Neue gerät, weil sein fachliches Wissen von Nöten ist.
Die Ersten: Gerade erst von einer lebensgefährlichen Forschungsreise zurückgekehrt, begibt sich Peter Conrad unfreiwillig Hals über Kopf in das nächste Abenteuer. Seine Anwesenheit auf einer Wikinger-Ausgrabung in Kanada ist notwendig, um einen Kollegen zu ersetzen. Murrend macht sich Peter auf den Weg, nicht ahnend, dass auch diese Ausgrabung seinem Bedürfnis nach unaufgeregter Forschungsarbeit nicht entgegenkommen wird und äußerst gefährliche Geheimnisse birgt. Im Verlauf der Ausgrabungsarbeiten stößt das internationale Forscherteam auf Funde, die eine archäologische Sensation vermuten lassen.
Und so dauert es nicht lange, bis geweckte Begehrlichkeiten und falscher Ehrgeiz in eine tödliche Gefahr umschlagen, die auch Peter Conrad erneut bis aufs Äußerte fordert.
Die Romane der Peter Conrad Reihe zeichnen sich durch hohen Unterhaltungswert aufgrund ihres nicht unerheblichen Sprachwitzes und der spannenden Plots in ungewöhnlichen Settings aus. Die Tatsache, dass die Autoren „vom Fach“ sind und es verstehen, archäologische Sachkenntnis mit Mythen und Verschwörungstheorien aufs Lebhafteste zu verknüpfen und dabei perfide mit den Fantasien sowohl ihrer Protagonisten als auch ihrer Leser zu spielen, fördert zusätzlich den Lesespaß.
Unbedingt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 27.08.2020

Historisch, spannend und sehr unterhaltsam!

Der erste König
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Sabrina Qunajs Roman taucht tief ein das Britannien des 8. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte Offa von Merciens über eine Zeitspanne von rd. 26 Jahren (von 747 bis 773 n.Chr.).

In eine adlige Familie ...

Sabrina Qunajs Roman taucht tief ein das Britannien des 8. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte Offa von Merciens über eine Zeitspanne von rd. 26 Jahren (von 747 bis 773 n.Chr.).

In eine adlige Familie und eine Zeit erheblicher Thronwirren hineingeboren, wird Offa als noch junger Mann von 17 Jahren König von Mercia. Seine ganze Kraft widmet er fortan dem Bemühen, die verschiedenen Königreiche unter einem Machthaber zu einen und das durch viele Kriege geschwächte Britannien zu einer Stärke zu führen, die auch gegen die Stärke des überseeischen Frankenlandes Bestand haben kann.
Er baut Handelsbeziehungen aus und gestaltet das Münzwesen neu.
Ihm zur Seite steht Cynetryth (Drida), die auf Urkunden mit ‚Königin Mercias von Gottes Gnaden‘ zeichnet und deren Persönlichkeit in überbrachten Geschichten und Legenden sehr ambivalent dargestellt wird. Zweifelsohne war ihre Rolle in Offas Regentschaft aber eine bedeutende, war sie tatsächlich auf vielen Münzen dieser Zeit abgebildet. Auch ihre Unterschrift als Zeugin vieler von Offa verfasster Dokumente und Urkunden lässt auf ihre (für eine Frau dieser Zeit) herausgehobene Stellung schließen.

Der im Roman gezeichnete Zeitraum beschäftigt sich sehr unterhaltsam mit der Entwicklung Offas vom Adligen-Sohn hin zum Regenten Mercias, der sich nur ein Jahr nach dem im Roman umrissenen Zeitraum, ab dem Jahr 774 n.Chr. ‚Rex Anglorum‘ nennen wird.
Ausgesprochen gut recherchiert, gelingt es dem Buch sehr unterhaltsam, Fakten mit Überliefertem und Fiktivem zu verbinden, historische Lücken mit denkbaren Anworten zu füllen und dabei Empathie für die Akteure zu wecken.
Hier ist der Roman tatsächlich besonders stark: in dem, was sich zwischen den Zeilen abspielt, in der Zeichnung auch der Nebenfiguren, deren Geschichte nicht minder fesselnd ist wie die der Hauptcharaktere.
Der Autorin gelingt es, die Figuren nicht nur in Schwarz-Weiß zu zeichnen, sondern die Zerrissenheit der handelnden Personen sichtbar zu machen und Mitgefühl auch für den größten Bösewicht zu wecken.
Einzig die dem heutigen Zeitgeist geschuldete, doch sehr an unsere Zeit angepasste Sprache hätte ich mir ein wenig näher am Mittelalter gewünscht, dies aber nur als minimales „Schönheitsfehlerchen“ am Rande.
Insgesamt sticht dieser Roman aus der Vielzahl der (so scheint es manchmal) im Eiltempo verfassten historischen Schriftwerke unserer Zeit mehr als angenehm heraus und beschert spannende, stilvolle, kurzweilige und durchaus berührende Unterhaltung.
Absolut empfehlenswert!

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