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Veröffentlicht am 20.04.2021

Roman nach Erfolgsrezept für Kurzgegartes

Die dritte Frau
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Wolfram Fleischhauer ist zu bewundern, mit welcher Chuzpe er diesen Aufguss seines Romans „Die Purpurlinie“ serviert. Der Autor eben dieser Purpurlinie (Wolfram Fleischhauer in echt), der nie namentlich ...

Wolfram Fleischhauer ist zu bewundern, mit welcher Chuzpe er diesen Aufguss seines Romans „Die Purpurlinie“ serviert. Der Autor eben dieser Purpurlinie (Wolfram Fleischhauer in echt), der nie namentlich genannte Autor-in-der Geschichte, puzzelt erneut am historischen Stoff seines Erstlingswerkes herum, nämlich der Amouren des französischen Königs Henri IV. und seiner nacheinander von eben diesem verlassenen Mätressen Gabrielle d'Estrées und Henriette de Balzac d'Entragues.
Das Rezept für das Funktionieren dieses Romans legt er selbst dar (S. 76 ff.): Der historische Roman sei tot, im Moment liefen nur Thriller, aber „in der Gegenwart bitte sehr, sonst ist es aussichtslos“. Der Held dürfe kein Male sein: „Warum keine Malerin? […] Weibliche Hauptfigur. […] Und eine starke Liebesgeschichte, nicht mehr als hunderttausend Wörter.“ Der Tipp der Lektorin in der Geschichte (eine „lector in fabula“ namens Moran, Anagramm zu Roman, haha!) ist „eine moderne Rahmengeschichte um die Sache“ herum. Außerdem brauche es „eine starke Frauenfigur“. Später (S. 166 f.) sinnieren die starke Frauenfigur Camille Balzac und der Autor-in-der-Geschichte darüber, „ein Roman ohne Liebesgeschichte ist eigentlich kaum vorstellbar sei. Sehr ironisch betont der Autor-in-.der-Geschichte, er gehöre nicht zu den Schriftstellern, die ihr eben in Literatur verwandelten.
Das stimmt freilich. Vermutlich. Auch wenn viele äußere Merkmale des Autors-in-der Geschichte dem wahren Wolfram Fleischhauer ähneln, sollte man sie bitte keinesfalls verwechseln. Ist also sehr ironisch, wie auch der Exkurs über Roland Barthes‘ angesprochenen „Tod des Autors“ (S. 131) – wieder im Gespräch mi der Lektorin Moran, die allesamt als metatextliche Betrachtungen zum allgemeinen Literaturbetrieb amüsant zu lesen sind. Überdies offenbart sich Fleischhauer hier in ironischer Brechung als süffisanter Kommentator seiner selbst.
Am Schluss (S. 262 f.) widmet sich der Autor (in-der-Geschichte?) der Frage, wie sich Text, Autor und Wahrheit zusammenfinden können – und ob es überhaupt klappen kann. Kann sich der Autor Fleischhauer seinen Figuren nähern, oder ist er unfähig, „eine wahrhaftige Beziehung zu einem anderen Menschen einzugehen, eine andere Wirklichkeit als seine eigene leben zu können“? Ist also der ganze Roman „Die dritte Frau“ eine Therapie des beziehungsgestörten Autors(in-der-Geschichte)? Oder eine notwendige Geldbeschaffungsmaßnahme?
Ich weiß es nicht, ich finde allerdings, dass Fleischhauer uns eine Menge exquisiter Zutaten zu einem tollen Roman präsentiert und auch super erzählt (etwa die Gleichnisse zum Autor-Figuren-Wahrheit-Problem in Form eines Nachtfalters, der durch eine Lichtkuppel nicht hindurch kann, weile er die Barriere als solche nicht erkennt; oder die Verletzung des Auges, was den Autor zum Halb-Sehenden macht).
Aber er täuscht nicht darüber hinweg, dass die ganze Stoffmenge für den historischen Roman, die vielen Textschnipsel, die Faksimiles im Buch, die vielen Überlegungen über Henriette, Gabrielle und Henri IV. letztlich nur Würzmittel sind und halbgares Vehikel für eine ebenso halbgare Liebesgeschichte sind, die beiläufig ins Ziel geführt werden. Lediglich Camille Balzac ist eine durch und durch faszinierende Figur, deren rätselhafte Handlungen Spannung bis zum Schluss erzeugen: die dritte Frau nämlich.
Fleischhauer ist zurück in sein Archiv gegangen, aus dem er schon „Die Purpurlinie“ mit offenem Ende gezogen hat, um erneut keine Antworten zu geben. Da der Roman aber wahrscheinlich die von der Lektorin Moran empfohlene Zahl von hunderttausend Wörtern nicht übersteigt, bleibt die Lektüre kurzweilig genug.

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Veröffentlicht am 26.02.2021

Affentheater, aber kein bisschen affig!

Sprich mit mir
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T.C. Boyle gehört zu den profiliertesten Autoren der USA, der es versteht, in die Seele und die Abgründe Amerikas zu schauen und literarisch in Szene zu setzen, was schief läuft im Land der unbegrenzten ...

T.C. Boyle gehört zu den profiliertesten Autoren der USA, der es versteht, in die Seele und die Abgründe Amerikas zu schauen und literarisch in Szene zu setzen, was schief läuft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zuwanderung, Fremdenhass, Arbeitslosigkeit, angehängte weiß0e Mittelschicht, Gesundsheitswahn, Bigotterie in der Bewertung von Drogen, gesellschaftliche Ausbrüche der Hippiezeit oder des New Age – in Boyles Romanen findet sich Menschliches, Allzumenschliches. Immer wieder drängt Boyle auch die Frage, wie es um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur bestellt ist – ob militante Umweltschützer, weltabgewandte Vogelforscher oder eskalierender Utilitarismus wie zuletzt in den „Terranauten“, wo ein Marsexperiment menschlich daran scheitert, dass Menschen die Menschen vollständig dem „Guten, Wahren, Richtigen“ unterordnen, also der Zweck alle Mittel heiligt, wenn nur der Zweck „gut™“ genug ist.

In „Sprich mit mir“ nähert sich Boyle der Frage, was das Menschliche im Menschen ist, und was davon womöglich in unserem nächsten Verwandten wiederzufinden ist – im Affen. Das Arrangement des Romans entspricht dem Versuchsaufbau des Professors Guy Schermerhorn, der den Schimpansen Sam wie einen Menschenjungen aufzieht und ihn so zu einem umgekehrten Mowgli machen möchte: ohne Bewusstsein des Nicht-Menschlichen in ihm. Sam ist sehr intelligent und eine Kommunikation in Gebärdensprache ist möglich. Das ist faszinierend und eigentlich schon Ergebnis genug für das Experiment, doch im Versuchsaufbau sind einige Schwächen installiert, die zur Eskalation führen: Erstens ist Sam als Versuchsobjekt nur geeignet, solange er jung ist; doch was dann? Zweitens entstehen Probleme, wenn das Objekt zum Subjekt wird – verliebe dich nie in dein Versuchsobjekt, sagt Guy wiederholt. Doch genau dies passiert Aimee, der dritten Hauptfigur des Romans – neben Guy und Sam –, sie empfindet fast schon mütterliche Liebe zu Sam. Und drittens vergessen alle Beteiligten, dass Sam trotz seiner beeindruckenden Fähigkeiten zur Kommunikation eines bleibt: ein Tier, und eines nie wird: ein Mensch.

„Sprich mit mir“ ist die Geschichte mehrerer großer Missverständnisse, die unweigerlich zur Katstrophe führen müssen. Das größte Missverständnis ist der Glaube des Menschen, die Natur nicht nur vollständig verstehen, sondern auch beherrschen zu können. Diesem Irrglauben sitzen alle auf – allen voran Aimee, die es gut meint, Guy, der an den Fortschritt glaubt, und selbst dessen Chef Professor Donald Moncrief, wobei dessen Fehler darin besteht, die Natur nicht zu über-, sondern zu unterschätzen, also für beherrschbar zu halten.

T.C. Boyle hat für seinen Roman offensichtlich tief recherchiert und schafft es, in seinem Roman nicht nur Erkenntnisse über die Primatenforschung zu vermitteln, sondern auch Vieles über die Psyche von Affen (und Affenforschern) aufzudecken, was nachdneklich stimmt oder verblüfft – etwa dasss ein Affe zum kalkulierten und geplanten Selbstmord fähig ist, was ein festes Bewusstsein voraussetzt.

Was Boyle nicht schafft, ist eine anhaltend faszinierende Erzählung aufrecht zu erhalten – gerade das erste Drittel zieht sich erheblich in die Länge. Die Entscheidung, jedes zweite Kapitel aus der Sicht Sams zu formulieren, ermöglicht einen erstaunlichen Blick in die Seelenwelt des Affen, aber erscheint mir vollkommen übergriffig: Boyle als Autor glaubt, uns Leser teilhaben zu lassen an den Gedanken im Kopf eines Schimpansen, wobei doch die Menschen des Romans genau daran scheitern, den Affen wirklich zu verstehen. Das überzeugt nicht.

Wohl aber überzeugt die Message des Romans: Vergreift Euch nicht an der Natur, ihr Menschen, und wenn ihr es noch so gut meint!

Unter den Roman von Boyle ein schwacher.

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Veröffentlicht am 22.01.2021

Onlinegaming für Anfänger und Fortgeschrittene - Ruff, taff und rough

88 Namen
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Matt Ruff ist seit „Fool on the Hill“ und „G.A.S.“ als Autor mit lockerer Zunge und dem wohlwollenden Blick für das Skurrile im allzu Menschlichen bekannt. Seit „Mirage“ spätestens befasst er sich auch ...

Matt Ruff ist seit „Fool on the Hill“ und „G.A.S.“ als Autor mit lockerer Zunge und dem wohlwollenden Blick für das Skurrile im allzu Menschlichen bekannt. Seit „Mirage“ spätestens befasst er sich auch mit den schmerzhaften Stellen der menschlichen Schwächen und stellt in seinen Texten Gegenfragen: Was wäre wenn? Ist das so? Bist du so? Dass der bekennende Nerd Ruff mit diesen Fragen bei den Internet(games) landen würde, war abzusehen. Wo, wenn nicht hier, spielen Identität und Herkunft, Sein und Wunsch gleichzeitig eine so große Rolle wie gar keine? Im Internet kann jeder jeder sein – sich etwa 88 Namen und damit 88 Gamingidentitäten zulegen.


John Chu ist ein geschäftstüchtiger Sherpa, das heißt, dass er Noobs und anderen Leuten, die für Abkürzungen und absurde Level-ups Geld hinlegen wollen (und können) den Fremdenführer, Siegpunktedealer und Gagdetsupporter gibt. Gegen echtes Geld, versteht sich. Hier verschränken sich virtuelle Wirklichkeit und Real Life, hier wird die Kommerzialisierung des Internets auf Userebene thematisiert wird: dass virtuelle Gewinne und Gadgets im Real Life (TM) mit Geld bezahlt werden und dass der digital native John Chu daraus ein Geschäftsmodell gemacht hat. Die Hoffnung, dass die Beschreibung dieses Phänomens in gesellschaftlich Relevanz kontextuiert wird, womöglich gar als virtuelle Kapitalismuskritik, zerschlägt sich aber bald. Und damit ist dann auch recht schnell klar, dass Ruff aus der Rolle des Beschreibers nicht heraustritt – ob er nicht will oder nicht kann, sei dahingestellt. Aus dem Spiel geliehener, falscher, doppelter, gegensätzlicher, inexistenter, realer, sexueller oder künstlicher Identitäten macht der Roman nichts. Die interessanten Absätze zur Genderdiskussion, zur Gewalt im virtuellen Raum und zu sexuellen Quantensprüngen auf dem Holodeck wirken fast wie Fremdkörper – letztlich zähle ja vor allem Kompetenz, Spielkompetenz nämlich. (Die fehlt mir völlig, ich wäre zu blöd, ein Onlinespiel-Massaker länger als drei Sekunden zu überleben, selbst im Schlumpfdorf.)


Zwei Sterne kullerten hier aus der Konsole, einen fing der Roman aber wieder ein, weil „88 Namen“ seicht oberhalb der Einerleilinie wenigstens spannend ist. Der Spannungsbogen im Sherpageschäft steigt dank des Auftraggebers Mr. Jones gewaltig von "Geld spielt keine Rolle" zu "wir zahlen das Doppelte". Puh!


Ich hatte viel Spaß beim Lesen, finde die Gamerwelt, soweit ich sie kenne, genial getroffen, grusele mich vor der virtuell enthemmten Darla und genieße die auf die Settings angepassten Tonfälle. Das Durchschreiten unterschiedlicher Multiplayer-Online-Spiele ist wie das Reisen durch unterschiedliche Welten, und Ruff wäre nicht Ruff, wenn aus den Zeilen nicht die eine oder andere Brachialkomik springen würde.


Es bleiben trotz des Lektürevergnügens – neben der verschenkten Identitätsproblematik – drei große Kritikpunkte übrig (und montieren den vierten Stern wieder ab):


Das Finale ist mehr als nur das Ende eines Romans, lieber Mr. Ruff. Es sollte auflösen, überraschen, versöhnen und abrunden. Plötzlich aus der vollständig online erzählten Handlung in die reale Welt zu wechseln, sollte wohlüberlegt sein.


Die vollständige Durchgenderung aller Figuren, die klarsichtig „woke“ gestaltete Diktion und die überkorrekte politische Korrektheit sind offensichtlich aus dem öffentlichen Diskurs linker Democrats in den Roman gesickert, allerdings leider völlig ungebrochen.


Mom ist kein cooler Deus ex machina. Niemals, egal wie cool Mom ist.


Aber sei’s drum. Wenn die Fortsetzung „Nur noch 84 Namen“ kommt, werde ich sie dennoch sofort lesen wollen.

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Veröffentlicht am 21.12.2020

Lola rennt weiter

Capitana
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Mit „Capitana“ gehen die Abenteuer der taffen Lola weiter, die in Los Angeles eine familiäre Drogengang anführt, sich um ihre Adoptivtochter Lucy und die Nachbarschaft kümmert und sich gegen böse Jungs ...

Mit „Capitana“ gehen die Abenteuer der taffen Lola weiter, die in Los Angeles eine familiäre Drogengang anführt, sich um ihre Adoptivtochter Lucy und die Nachbarschaft kümmert und sich gegen böse Jungs wehren muss. Der Autorin Melissa Scrivner Love gelingt es erneut, ihre Hauptfigur zum Sympathieträger zu machen, sofern es bei der Lektüre gelingt auszublenden, dass Lola nicht Schokoriegel vertickt, sondern Heroin.

Wieder wird Lola wieder mit einer übermächtigen Konkurrenz konfrontiert, diesmal dem Rivera-Kartell, das offensichtlich mit langem Atem plant und schon lange im Geschäft ist, ehe es in Los Angeles Fuß fassen möchte. Lolas Partnerin Andrea, zugleich Staatsanwältin und Drogenbaronin, zieht hier ebenfalls ihre Strippen, und es sind vor allem ihre langangelegten Pläne und Kniffe, die der Handlung ihre Würze und Tiefe verleihen.

Denn - Hand aufs Herz - Lola ist Popcorn, ein Action-Movie mit Abziehtypen und Klischeegangstern. Das hat allerdings Vor- und Nachteile. Der Vorteil liegt klar auf der Hand: „Capitana“ liest sich rasant und spannend, spart nicht mit herzerwärmenden Momenten (in denen meist Lucy mitspielt) oder solchen, die für Herzklopfen sorgen (meist wenn Lola wieder einmal nur mit einem Messer zu einer Schießerei kommt).

Der Nachteil ist, dass Scricner Love wie eine Holywood-Drehbuchautorin Plotelemente dann einsetzt, wenn sie sie braucht, ohne sie logisch herzuleiten. Lola etwa reist nach Texas zur Recherche, stöbert herum, wird ins Hotel verfolgt, um dort von Andreas Lieblings-Polizisten Bubba aufgeschreckt zu werden, der ihr eine dringende Nachricht bringen muss. Warum reist Bubba hinterher? Woher weiß er, wo Lola ist? Warum ruft er nicht an für seine einfache Nachricht? Weil Scrivner Love die Schrecksekunde zeigen und ein wenig an der Dramaschraube drehen wollte. Das ist eine in Actionfilmen leider grassierende Unart, wird aber vom Publikum häufig hingenommen. Drama schlägt Logik. Das ist offenbar eine Geschmacksfrage - für mich eher eine Grundsatzfrage.

Die andere Grundsatzfrage ist Lolas Broterwerb: Ich kann nämlich nicht ausblenden, was Lola da tut, und sei sie noch auf weiteren dreißig Seiten die Robynne ihrer Hood. Heroin bleibt Heroin, und Lola ist kein Tony Soprano.

Unter dem Strich ist „Capitana“ spannend und rasant, liefert ein paar coole Szenen und Typen, ist also eine Lektüre, die lohnt, wenn man weiß auf welche Action man sich einlässt.

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Veröffentlicht am 28.08.2020

Licht und Schatten und kein Lied des Wolfes

Das Lied des Wolfes
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Vaelin al Sorna ist zurück – der Held der „Rabenschatten“-Trilogie erlebt im ersten Band der Reihe „Rabenklinge“ neue, blutige Abenteuer, die das Schicksal ihm vorherbestimmt hat. Dass es eine Vorgängertrilogie ...

Vaelin al Sorna ist zurück – der Held der „Rabenschatten“-Trilogie erlebt im ersten Band der Reihe „Rabenklinge“ neue, blutige Abenteuer, die das Schicksal ihm vorherbestimmt hat. Dass es eine Vorgängertrilogie gibt, ist wichtig zu wissen, denn auf den ersten einhundert Seiten arbeitet sich Ryan an den notwendigen, hinreichenden oder wissenswerten Informationen der Rabenschatten-Romane ab. Einiges ist unwichtig, anderes hingegen essentiell – die Erläuterungen darüber etwas, was ein inneres „Lied“ eigentlich bedeutet, warum Vaelin al Sorna in der ganzen Welt als Heerführer bekannt ist oder warum er seinen Mitstreiter Nortah „Bruder“ nennt – sie waren im selben geistlichen Ritterorden in Ausbildung. Als Leser dürfte einen sehr häufig das Gefühl beschleichen, etwas verpasst zu haben, wenn man das „Lied das Wolfes“ nicht als viertes Buch über Vaelin al Sorna liest, sondern als erstes. Deshalb: Rabenschatten zuerst lesen.

Ist der Auftakt zur neuen Trilogie gelungen? Im Grunde genommen ja, aber: Der Abschlussband von Rabenschatten war so schlecht, dass Ryan gezwungenermaßen ein Drittel seines neuen Romans aufwenden muss, um Fehler zu heilen – etwa den Fehler, in eine Fantasywelt zu erschaffen, die keine wirklichen Götter besitzen soll. Vaelin al Sorna ist gelernter Atheist, er hat nämlich erfahren müssen, dass es die Götter, an die er glaubte, nicht gibt. Entsprechend abgeklärt ist sein Umgang mit Menschen seiner Welt, die an göttliches Wirken glauben. Macht das in einer Fantasywelt Spaß Nein. Es erklärt nämlich vor allem nicht die Magie in er Welt, zu der ja das innere Lied Auserwählter auch gehört. Es erklärt auch nicht, was dann eigentlich den großen Widersacher „des Guten“ antreibt, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Asch so – dieser große Widersacher war „der Verbündete“, von dem man im „Lied des Wolfes“ auch hört, als sein „Bote“ nämlich die Handlung ins Rollen bringt. Der „Verbündete“ aber ist nicht mehr, untergegangen im Chaos der Vorgängergeschichte, Nun ab er gibt es etwas „noch Größeres“, von dem auf 500 Seiten nur zu erfahren ist, dass es den Anführer des Barbarenstammes der Stahlhast – Kehlbrand die „Dunkelklinge“ – verführt und zu gottgleicher Führung seines Volkes verholfen hat. Diese Stählerne Horde droht nun, das westliche Kaiserreich zu überrennen, und Vaelin al Sorna ist zur Stelle, obschon er eigentlich nur seine ehemalige große Liebe Sherin retten möchte.

Ryan benutzt zwei Erzählperspektiven: Von den inneren Vorgängen der Stahlhast berichtet ein chronikaler Text von Luralyn, Wahrträumerin und Schwester des hochfahrenden Anführers. Diese Chroniktexte fungieren als Prologe der großen Abschnitte und geben Einblicke in die faschistoide Welt eines barbarischen Reitervolkes. Der Rest der Handlung wird von einem auktorialen Erzähler berichtet, der die Vorgeschichte mitreferieren muss. Dieser Erzähler besitzt eine eindringliche und gefällige Stimme, die es auch braucht, um die Lektüre durch die länglichen ersten 250 Seiten zu tragen. Dann aber nimmt die Handlung rasante Fahrt auf, und Ryan bugsiert seine Leser mitten ins Schlachtgetümmel.

Gelungen sind die Hauptfiguren: Vaelin und Sherin auf der der einen, Luralyn und Kehlbrand auf der anderen Seite. Ausbaufähig sind de Nebenfiguren, die als klischeehafte Abziehbilder in der Kulisse stehen oder effektvoll verbraucht werden.

Gelungen ist die Sogwirkung der Handlung zum Ende des Bandes hin, ausbaufähig die Glaubwürdigkeit der Geschehnisse. Ein bisschen weniger Zufall („Deus ex machina“) wäre ansprechender.

Gelungen ist die politische Struktur des Kontinentes, auf die „Das Lied des Wolfes“ uns führt, als Fantasywelt aber ist sie das Gegenteil von „High Fantasy“. Mit der ansprechenden Idee einer wachsenden Zahl von „Begabten“ mit unterschiedlichen magischen Fähigkeiten mag sich das ändern.

Sehr gut gefällt der Cliffhanger, mit dem Ryan den Leser fast zwingt, den nächsten Band zu erwerben, um der Spannung hinterherzuhecheln. Vielleicht erfährt man dann auch endlich, was das sein soll, dieses kaum erwähnte „Lied des Wolfes“.

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