Eine weite Reise, nicht nur im physischen Sinne
Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr...- Nach einer wahren Geschichte -
"Du kannst werden, was du willst, wenn du nur etwas willst."
Dass da etwas dran sein muss, beweist der junge Inder Pikay, dessen Lebensgeschichte hier erzählt wird. Denn ...
- Nach einer wahren Geschichte -
"Du kannst werden, was du willst, wenn du nur etwas willst."
Dass da etwas dran sein muss, beweist der junge Inder Pikay, dessen Lebensgeschichte hier erzählt wird. Denn er ist ein Unberührbarer, gehört somit zur untersten Gesellschaftsschicht Indiens, die nichteinmal mehr wirklich ins Kastensystem fällt. Schon als kleines Kind erfährt er Ablehnung und Ausgrenzung, darf beispielsweise nicht mit den anderen Kindern spielen oder mit ihnen im Klassenzimmer sitzen, sondern muss draußen vor der Tür warten. Berührt er jemanden und "befleckt" ihn damit, läuft dieser sofort zum Fluss, um sich zu waschen. Doch vor wie vielen verschlossenen Türen Pikay in seinem Leben auch steht, er hat das Mittel, sie früher oder später alle zu öffnen: Seine Kunst. Denn Pikay zeichnet leidenschaftlich gerne, und so besucht er schließlich eine Kunstschule, muss jedoch oft auf der Straße schlafen und verdient gerade genug Geld, um nicht zu verhungern. Mit der Zeit allerdings findet er heraus, wie er mit seiner Kunst etwas verdienen kann, er beginnt, in der Stadt Menschen zu zeichnen und die Porträts zu verkaufen. Auf diese Weise lernt er irgendwann auch die junge Schwedin Lotta kennen, die sich gerade ihren Traum erfüllt und durch Indien reist. Die beiden verlieben sich, doch schon bald muss Lotta wieder zurück nach Schweden.
Nach Titel und Klappentext hatte ich eine Art Reisebericht erwartet, und es wird auch tatsächlich von dem langen Weg erzählt, den Pikay auf sich nimmt - doch dabei steht weniger die Reise nach Schweden im Vordergrund als vielmehr die Entwicklung Pikays von einem kleinen Jungen aus dem Dschungel, dessen Leben in den Augen vieler wertlos ist, zu einem allgemein anerkannten und geschätzen Künstler, der in seiner Heimat zu einer regelrechten Berühmtheit wird. Sie erinnert ein wenig an Slumdog Millionaire, diese Geschichte eines Jungen, der anfangs Nichts hat und das ganz große Los zieht. Doch es ist nicht so, als habe Pikay nichts für seinen Erfolg getan, oder als sei es gar sein Ziel gewesen, reich oder bekannt zu werden. Mehr als einmal versucht er, sich das Leben zu nehmen, sieht keinerlei Sinn mehr hinter dem, was er tut, denn wie könnte er jemals auch nur halb so viel wert sein wie ein Brahmane - er, der Unberührbare? Alles, was er will, ist einen Platz zum Leben und die Möglichkeit, zu zeichnen. Er arbeitet hart, er hungert, er nimmt eine weite Reise auf sich, er lernt, mit einer Kultur umzugehen, die ihm fremder nicht sein könnte - und erhält dafür letzten Endes das, was er sich schon immer am meisten gewünscht hat. Er ist glücklich.
Die eigentliche, sagen wir körperliche, Reise beginnt nach etwa 3/5 des Buches. Bis dahin erfährt der Leser viel über das Kastensystem Indiens, die Konflikte zwischen Brahmanen und Unberührbaren, die Schere zwischen Arm und Reich und auch ein wenig über die Politik des Landes zu Zeiten Nehrus und Indira Gandhis. Das hatte ich zwar so nicht erwartet, hat mir aber sehr gut gefallen und war wirklich interessant.
Nachdem Pikay in Schweden angelangt ist, erhält der Leser außerdem einen Einblick in seine erste Zeit dort und erfährt, als wie befremdlich das Leben und die Kultur Europas Pikay im ersten Moment erscheinen müssen: der Umgang der Menschen miteinander wirkt kalt auf Pikay - als säßen alle in ihrem eigenen Kühlschrank und würden ständig frieren, wie er es beschreibt.
Der Sprachstil ist angenehm und lässt sich gut lesen. Besonders schön sind die Karte vorne im Umschlag des Buches, die Pikays Route von Neu-Delhi bis Borås zeigt (welche er übrigens nicht komplett mit dem Fahrrad bewältigt hat), sowie die Fotos am Ende der Geschichte, auf denen u. A. Lotta, Pikay und dessen Familie in Indien zu sehen sind.
Fazit: Das Buch war anders, als ich es erwartet hatte, hat mir jedoch sehr gut gefallen. Ich kann es bedenkenlos jedem Indien- und Reiseinteressierten weiterempfehlen!