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Veröffentlicht am 31.10.2020

Gefährlicher Widerstand

Nachtzug
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SS-Rottenführer und KZ-Aufseher Hans Keppler hat zwei Wochen Weihnachtsurlaub, den er in der polnischen Kleinstadt Sofia verbringt. Er ist psychisch am Ende, kann und will nicht mehr ins Lager zurück, ...

SS-Rottenführer und KZ-Aufseher Hans Keppler hat zwei Wochen Weihnachtsurlaub, den er in der polnischen Kleinstadt Sofia verbringt. Er ist psychisch am Ende, kann und will nicht mehr ins Lager zurück, zu viel hat er gesehen und erlebt. Er vertraut sich deshalb einem Priester an, schildert ihm seine Nöte. Zusammen mit den beiden Ärzten Dr. Jan Szukalski und Dr. Maria Duszynska entwickeln die vier einen Plan, wie sie Hans helfen und gleichzeitig den deutschen Besatzern schaden können – Hans soll eine Fleckfieber-Erkrankung vortäuschen, die sich dann zur Epidemie ausweiten soll. Etwa zur selben Zeit versammelt sich in einer Höhle eine Gruppe von Widerstandskämpfern. Sie wissen, was nachts in den versiegelten Zügen nach Auschwitz transportiert wird und planen, einen Zug zu überfallen und die dem Tod geweihten Menschen darin zu befreien. Ihre Aktivitäten bleiben nicht unentdeckt und gefährden ungewollt den Plan einer vorgetäuschten Fleckfieber-Epidemie …

Barbara Wood wurde 1947 in Warrington bei Liverpool geboren, wanderte aber 1954 mit den Eltern und ihrem älteren Bruder in die USA aus und wuchs in Südkalifornien auf. Nachdem Besuch der High School in Los Angeles schrieb sie sich an der University of California in Santa Barbara ein, um das Hauptfach Französisch mit dem Nebenfach Anthropologie zu studieren. Seit 1980 ist sie hauptberuflich als Schriftstellerin tätig und schrieb zahlreiche Romane, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden. Die Heldin fast jeder Geschichte ist eine emanzipierte Frau. Ihre Bücher spielen an den unterschiedlichsten Schauplätzen, die sie vor dem Schreiben genau recherchiert und meist mit ihrem Mann George auch aufsucht.

Mit dem Roman „Nachtzug“ zeigt die Autorin eine andere Facette ihres vielseitigen Könnens. Auf eindrückliche, höchst lesenswerte Weise verbindet sie ein Kapitel dunkelster Zeitgeschichte mit einem Romangeschehen, in dem alles überzeugt und nichts konstruiert wirkt. Der Schreibstil ist lebendig und flüssig, Ereignisse und Begebenheiten des aktiven und passiven Widerstandes gegen den Terror der Nazis sind dabei realitätsnah und stimmig erfasst. Es ist ein Denkmal für alle, die im Krieg ihr Leben lassen mussten und zugleich ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, gegen Hass und Feindseligkeit. Das Buch endet in der Gegenwart mit einer erfreulichen Begegnung, die den Leser nach dieser doch sehr traurigen und bedrückenden Geschichte wieder hoffnungsvoll stimmt.
Fazit: Empfehlenswert für Leser, die an der Geschichte des II. Weltkrieges interessiert sind.

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Ehekrise und andere Probleme

Unter uns das Meer
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Seit der Geburt ihrer Kinder steckt die Ehe der Partlows in einer Krise. Deshalb versucht Michael seine Frau Juliet zu einem Segeltörn in die Karibik zu überreden. Ein Jahr nur sie beide und ihre 2½ und ...

Seit der Geburt ihrer Kinder steckt die Ehe der Partlows in einer Krise. Deshalb versucht Michael seine Frau Juliet zu einem Segeltörn in die Karibik zu überreden. Ein Jahr nur sie beide und ihre 2½ und 7 Jahre alten Kinder, das sollte die Familie wieder einander näher bringen und gleichzeitig Juliet von ihren Depressionen befreien. Zunächst ist sie noch skeptisch, denn sie ist noch nie gesegelt und Michaels Segelerfahrungen beruhen aus der Jugendzeit, dann aber willigt Juliet ein - ein Jahr Sonne, Südsee, Freiheit und Abenteuer klingt zu verlockend. Doch die Traumreise sollte bald zum Alptraum werden …

Amity Gaige ist eine us-amerikanische Schriftstellerin, die zuvor bereits drei Romane veröffentlichte. Sie wurde 1972 in Charlotte/North Carolina geboren und studierte Englisch und Theaterwissenschaft. Sie ist verheiratet mit Tim Watt und lebt mit ihrer Familie in Connecticut.

„Unter uns das Meer“ ist keinem bestimmten Genre zuzuordnen, sondern ist eine gut dosierte Mischung aus Abenteuer- und Familienroman mit psychologischen und zum Teil kriminalistischen Betrachtungsweisen. Die Autorin bedient sich zweier Erzählperspektiven: zum einen der rückblickenden Erinnerungen Juliets und zum anderen Michaels Logbuch, das er vor und während des Segeltörns geführt hat. Aus beiden, sich teils widersprechenden und teils ergänzenden Stimmen entsteht die Spannung, die den Leser in ihren Sog zieht und der nahenden Katastrophe entgegen fiebern lässt.

Der Schreibstil ist durch die verschiedenen Perspektiven recht abwechslungsreich. Sehr schöne Schilderungen des Meeres, der Inseln und der Bevölkerung der Karibik wechseln mit teils ziemlich langatmigen Beschreibungen über die Technik des Segelns und gut gelungenen, sehr lebensecht und authentischen Charakterbeschreibungen. Obwohl ein dramatischer Ausgang des Segeltörns zu erwarten ist, hat die Handlung doch einige interessante und unerwartete Wendungen. Der Schluss ist angenehm stimmig, der danach folgende Anhang mit Briefen, Gedichten etc. jedoch ist überflüssig und gibt Rätsel auf.

Fazit: Eine fesselnd erzählte Geschichte, eine Mischung aus Tiefsinn, Problemen und Spannung, die eine angenehme Unterhaltung bietet.

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Veröffentlicht am 02.09.2020

Endzeitszenario – beklemmend realistisch …

Ein Jahr voller Wunder
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Es war ein schöner sonniger Herbstmorgen im Süden Kaliforniens als die Medien die Nachricht verbreiteten, dass sich die Rotation der Erde verlangsamen würde. Die 12jährige Julia und ihre Eltern saßen am ...

Es war ein schöner sonniger Herbstmorgen im Süden Kaliforniens als die Medien die Nachricht verbreiteten, dass sich die Rotation der Erde verlangsamen würde. Die 12jährige Julia und ihre Eltern saßen am Frühstückstisch, als sie davon erfuhren. Zunächst machte man sich keine Sorgen, waren es doch nur 56 Minuten, die der Tag nun länger war. Doch die Zeit dehnte sich täglich mehr, und bald zeigten sich die ersten schrecklichen Auswirkungen. Tage wurden zur Nacht und Nächte zu Tagen, Vögel fielen vom Himmel, Wale strandeten, Wasser wurde knapp, die Vegetation verdorrte und unter den Menschen breitete sich Hektik und Schlaflosigkeit aus. Während all dieser Wirren geht Julias Vater plötzlich eigene Wege – und Julia wird langsam erwachsen und erlebt ihre erste Liebe. Doch wie lange wird es dauern, wird bald alles ausgelöscht sein? …

Die US-amerikanische Schriftstellerin Karen Thompson Walker wurde im kalifornischen San Diego geboren. Sie studierte Englisch und Kreatives Schreiben an der University of California, arbeitete danach als Journalistin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften und später als Lektorin in einem Verlag. 2012 erschien ihr Debütroman „The Age of Miracles“, der großes Aufsehen erregte und für den Sie mit dem „Bomb Best Fiction Preis“ ausgezeichnet wurde. Die deutsche Übersetzung erschien 2013 beim btb-Verlag unter dem Titel „Ein Jahr voller Wunder“. Die Autorin ist verheiratet und lebt heute mit ihrem Ehemann in Brooklyn/New York.

Sehr realistisch und äußerst packend lässt die Autorin die junge Julia erzählen. Ihre Sorgen und Probleme stehen im Mittelpunkt der Geschichte, während die Welt langsam aber sicher auf eine Katastrophe zusteuert. Durch diese alltäglichen Erlebnisse, die ganz gewöhnlichen Ereignisse im Leben einer Heranwachsenden, wird das Grauen das auf die Menschheit zukommt umso deutlicher. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Verlangsamung der Rotation und die dadurch stetig zunehmende UV-Strahlung der Sonne der Beginn des Weltuntergangs ist. Ich muss gestehen, dass ich während des Lesens öfters mal aus dem Fenster gesehen und den Stand der Sonne mit der tatsächlichen Uhrzeit verglichen habe – und dankbar bin, dass bis heute noch alles noch seine Richtigkeit hat.

Fazit: Ein Endzeitszenario das sich schleichend entwickelt – sehr realistisch und von beklemmender Spannung.

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Veröffentlicht am 31.07.2020

Familiengeschichten

Ein Sonntag mit Elena
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Seit Stunden steht er schon in der Küche, der 67jährige verwitwete Ingenieur, um das Mittagessen für seine älteste Tochter Sonia und ihrer Familie zu kochen, als der Anruf kommt - leider sind sie verhindert, ...

Seit Stunden steht er schon in der Küche, der 67jährige verwitwete Ingenieur, um das Mittagessen für seine älteste Tochter Sonia und ihrer Familie zu kochen, als der Anruf kommt - leider sind sie verhindert, eines der Mädchen hat sich den Arm gebrochen. Enttäuscht verlässt er das Haus, um der drohenden Einsamkeit dieses Sonntags zu entfliehen. Seit seine Frau vor einigen Monaten tödlich verunglückte, ist es still um ihn geworden. Sein Sohn Alessandro lebt und arbeitet in Helsinki, seine Tochter Sonia wohnt mit ihrer Familie eine Autostunde entfernt und zu Giulia, seiner zweiten Tochter die ständig in aller Welt auf Reisen ist, hat er keinen Kontakt mehr. So spaziert er zum nahegelegenen Skatepark, wo ein etwa 11jähriger Junge auf seinem Board in der Halfpipe seine Übungen macht. Bei einem Sturz des Jungen kommt er mit dessen Mutter, die sich als Elena vorstellt, ins Gespräch. Seit ihr Mann verstorben ist, erfährt er, erzieht sie ihren Sohn Gaston alleine. Auch sie ist einsam. Kurzerhand lädt er die beiden zum Essen zu sich nach Hause ein. Eine flüchtige Begegnung und ein Entschluss, der das Leben dieser Menschen in ferner Zukunft nachhaltig verändern wird …

Der italienische Schriftsteller und Journalist Fabio Geda wurde 1972 in Turin geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaften, schrieb für Zeitungen und arbeitete als Lehrer im sozialen Bereich, ehe er mit seinem zweiten Roman „Im Meer schwimmen Krokodile“, der auch in Deutschland auf den Bestsellerlisten stand, bekannt wurde. „Ein Sonntag mit Elena“ („Una Domenica“) ist der neueste Roman des Autors, der am 17.08.2020 im Hanser-Verlag München erscheint.

Anders als vielleicht erwartet steht nicht dieser eine Sonntag im Mittelpunkt des Geschehens, sondern das Leben des Protagonisten mit seiner Familie vor und, gegen Ende der Geschichte, auch nach diesem Sonntag. Der Autor lässt Giulia, die zweite Tochter des Protagonisten, die Ereignisse erzählen. Wir erfahren von ihrem derzeitigen Zerwürfnis mit dem Vater, wie es dazu kam und erleben, wie sie sich allmählich wieder annähern. Wir lernen nach und nach auch die anderen Familienmitglieder kennen und können an ihrem Leben teilhaben. Dass der besagte Sonntag jedoch für die Beteiligten eine entscheidende Bedeutung hatte, merkt der Leser erst am Ende des Buches.

Eine beschauliche Geschichte ohne aufregende Ereignisse, dennoch interessant zu lesen. Es passiert wenig und gleichzeitig sehr viel. Der Schreibstil ist äußerst ausdrucksstark und dabei harmonisch und in angenehm ruhigem Plauderton gehalten. Es werden mannigfache Probleme des Zusammenlebens behandelt, was den Leser oft innehalten und das eigene Leben reflektieren lässt. Die Grundstimmung ist eher etwas schwermütig, wird jedoch zum Schluss hin freundlicher und hoffnungsvoller.

Fazit: Ein intelligentes kleines Buch über das Leben mit all seinen Facetten – ich habe es sehr gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 16.07.2020

Ein toter Mann und viele Rätsel …

Gleis 4
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Am Bahnsteig zu Gleis 4 des Züricher Bahnhofs bricht ein älterer Herr zusammen. Eben hat er noch den Koffer einer Dame die Treppe hochgetragen, nun macht er seinen letzten Atemzug. Die Dame ist Isabelle ...

Am Bahnsteig zu Gleis 4 des Züricher Bahnhofs bricht ein älterer Herr zusammen. Eben hat er noch den Koffer einer Dame die Treppe hochgetragen, nun macht er seinen letzten Atemzug. Die Dame ist Isabelle Rast, die nach einer überstandenen Operation auf dem Weg zum Flughafen war, da sie sich auf Stromboli erholen wollte. Zwar leistet die gelernte Altenpflegerin sofort erste Hilfe, doch der Mann ist nicht mehr zu retten. Seine letzten Worte an sie waren: „Bitte …“. Notarzt und Polizei werden gerufen - an Urlaub ist nun nicht mehr zu denken. So sucht sie ihre Siebensachen zusammen und fährt wieder nach Hause. Dort erst merkt sie, dass sie versehentlich auch die Mappe des Verstorbenen mitgenommen hat. Natürlich will sie die Mappe zur Polizei bringen, doch dann klingelt darin plötzlich ein Handy. Der Anruf eines Unbekannten an einen Toten - eine bedrohliche Warnung an ihn. Jetzt wird Isabelle neugierig, fühlt sie sich doch am Tod des Mannes auch irgendwie schuldig. Sie informiert ihre Tochter Sarah und gemeinsam mit der inzwischen aus Kanada angereisten Witwe des Verstorbenen beginnen sie nachzuforschen. Die drei Damen spielen Detektiv …

Der Autor Franz Hohler wurde 1943 in Biel/Schweiz geboren. Er studierte Germanistik und Romanistik und gilt heute als einer der bedeutendsten Erzähler der Schweiz. Sein Werk umfasst Kabarettprogramme, Theaterstücke, Film- und Fernsehproduktionen, Kinderbücher, Kurzgeschichten und Romane, für die er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde. Der Schriftsteller lebt heute in Zürich.

Gekonnt weckt der Autor in „Gleis 4“ die Neugierde des Menschen. Er lässt seinen wichtigsten Protagonisten bereits zu Anfang sterben, um dann drei andere Personen auf die Spuren seines Lebens zu schicken. Was führte den Verstorbenen in die Schweiz? Warum erhält er einen anonymen Drohanruf? Isabelle, ihre Tochter Sarah und Véronique, die Witwe des Verstorbenen begeben sich auf eine nicht immer ungefährliche, Spurensuche. Nach und nach erfahren sie immer mehr über seine Herkunft, über die er stets Stillschweigen bewahrte. Dem Leser eröffnet sich so ein trauriges Schicksal, das in seiner Dramatik kaum zu überbieten ist. Behördenwillkür spielt dabei eine große Rolle.

Der Schreibstil ist angenehm klar und schnörkellos. Die Geschichte lässt sich leicht und flüssig lesen, hat aber dennoch Tiefgang. Der Autor spart nicht mit Seitenhieben gegen die Schweiz, prangert deren Ausländerpolitik an und kritisiert treffsicher die Sozialpolitik – und das alles mit einem Augenzwinkern. Sehr schön sind auch Franz Hohlers Beschreibungen der Schweizer Berge und Seen, aber „Eine schöne Landschaft macht die Menschen nicht besser“ (S. 150). Im nachfolgenden Epilog erfährt der Leser, was zuvor noch unklar war. In einem aufgefundenen Heft berichtet der Tote über sein Leben.

Fazit: Ein spannender Roman mit sozialkritischem Hintergrund, ernsthaft und dennoch sehr unterhaltsam.

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