Erschreckend, erhellend und maximal lesenswert
Die in der Verlagsinfo zu diesem Buch erwähnte allseits herrschende Misogynie fand ich, bevor ich zu lesen begann, zugegebenermaßen sehr übertrieben. Wie falsch ich mit meiner Grundannahme lag, wurde mir ...
Die in der Verlagsinfo zu diesem Buch erwähnte allseits herrschende Misogynie fand ich, bevor ich zu lesen begann, zugegebenermaßen sehr übertrieben. Wie falsch ich mit meiner Grundannahme lag, wurde mir indes sehr schnell klar. Ja, es war eine Atmosphäre der Misogynie, und diese Atmosphäre ist noch immer da. Vielleicht nicht mehr ganz so stark, vielleicht mit mehr Achtsamkeit und einem stärker geschärften Bewusstsein betrachtet – aber zweifellos nicht verschwunden.
Anhand ihrer Lebensgeschichte und der Geschichte ihrer Selbstfindung und -entfaltung als Autorin entwirft Rebecca Solnit ein gesellschaftliches Panorama tiefverwurzelter und erschreckend selbstverständlicher Frauenfeindlichkeit, derer man sich auch heute im Alltag kaum bewusstwird und die doch alle Frauen betrifft. Gewalt gegen Frauen begegnet uns in Filmen, „in denen ein in all seinen grässlichen Einzelheiten dargestellter Mord an einer schönen Frau ein gängiges Motiv war, um die Handlung voranzutreiben, oder ein weiblicher Leichnam als ästhetisches Objekt galt“ (Pos. 611 ff.). Sie begegnet uns in der Werbung, in der Literatur, in der Mythologie, ohne je hinterfragt worden zu sein. Warum diese Misogynie so lange so unerwähnt blieb, erklärt Rebecca Solnit mit dem Fehlen einer Stimme, die darauf hinweist, bzw. mit dem Nicht-Erkennen dieses Fehlens, denn „manchmal fehlt etwas so grundsätzlich, dass selbst das Wissen um sein Fehlen fehlt.“
Rebecca Solnits Buch ist maximal lesenswert: Es ist erschreckend, erhellend, erkenntnisreich. Ich habe mir selten zu einem Buch so viele Notizen gemacht, habe selten ein Buch so oft aus der Hand gelegt, um über das Gelesene nachzudenken, habe mich selten so sehr an der pointierten Sprache (Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum) Buches erfreut und – auch das will ich an dieser Stelle unbedingt betonen! – ich habe selten ein so exzellent lektoriertes Buch gelesen.