In keinem Land der Welt wird bzw. wurde vermutlich in den letzten Jahren so heftig gekämpft wie in Syrien. Das Land, aus dem Millionen Menschen unter Einsatz ihres Lebens flüchten, da es für sie in der Heimat keine Zukunft mehr gibt.
Mittlerweile werden auch im Buchhandel immer mehr Flüchtlingsschicksale veröffentlicht. Petra Ramsauers Buch beschäftigt sich nicht (vorrangig) mit Einzelschicksalen, sondern versucht, das große Ganze rund um den Syrien-Konflikt zu umreißen. Als Auslandsreporterin konzentriert sie sich schon seit rund 20 Jahren auf Krisen- und Kriegsberichterstattung aus dem Nahen Osten.
Der Krieg in Syrien ist längst nicht mehr nur ein Kampf zwischen mehreren Kriegsparteien, sondern auch ein gezielter Angriff auf die Zivilbevölkerung. Sie werden systematisch terrorisiert von allen Seiten, gefoltert, getötet oder auch "nur" verwundet, z. B. bei Schießübungen gelangweilter Militärsoldaten.
Während des Lesens habe ich mir das Ganze so vorgestellt: Ein großes Feld, auf dem Zivilisten stehen. Auf der einen Seite ist Assads Regime. Auf einer Seite stehen Rebellen, auf einer Seite der IS. Auf der vierten Seite vielleicht noch ein paar weitere Gruppen Rebellen oder Terroristen, all die vielen Splittergrupen, die noch so mitmischen. Diese bewerfen sich über den Köpfen der Zivilisten hinweg mit Bomben und beschießen sich. Und da die Gruppen sich auch unter die Zivilisten in der Mitte mischen, wird einfach überall gebombt und geschossen. Die Zivilisten haben keine Chance, diesem Wahnsinn zu entgehen. Sie können nur dastehen und hoffen, dass es nicht sie selbst trifft - oder dass es zumindest schnell geht... Sie sitzen in der Hölle und warten aufs Sterben, so wie schon Familienmitglieder, Verwandte und Freunde vor ihnen gestorben sind. So ist auch der Titel "Siegen heißt, den Tag überleben" das traurige Credo der syrischen Bevölkerung. Auch das herzzerreißende Cover, auf dem Männer Babies durch Trümmer tragen, verdeutlicht die Unbarmherzigkeit dieses Krieges.
Das Buch ist an und für sich sehr gut und detailliert ausgearbeitet. Es bietet einen Einblick in die Konflikte in diesem Land, wie sie entstanden, sich entwickelten, welche Parteien kämpfen und welche Auswirkungen dies für das Land und die Bevölkerung bis heute hat. Aber mitunter fiel es mir wirklich schwer, Frau Ramsauers Ausführungen zu folgen und den Überblick zu behalten. Dies liegt nicht unbedingt an der Autorin. Dieser Konflikt ist auch einfach - meiner Meinung nach - wahnsinnig kompliziert, und ich frage mich manchmal, ob die Kämpfer selbst noch wissen, wofür und wogegen sie eigentlich kämpfen... Es wäre jedoch bei dieser komplexen Thematik hilfreich gewesen, das Buch mit "Hilfsmitteln" auszustatten. Eine Karte, die die Aufteilung des Landes zeigt, die wichtigsten Orte, die erwähnt werden. Eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen. Eine Übersicht über die verschiedenen Gruppierungen und ihre Ziele. Dies habe ich leider schmerzlich vermisst.
Es ist ein Sachbuch mit niveauvoller Sprache, das dem Leser auch dementsprechend Aufmerksamkeit abverlangt. Einfach mal so abends im Bett ein bisschen schmökern ist hier eher nicht drin. Zumal die Thematik auch keine leichte Kost ist und man vielleicht nicht gerade mit diesen unschönen Schilderungen im Hinterkopf sanft einschlummern möchte. Ich habe das Buch deshalb über Wochen hin portioniert. Aber ich kenne auch Leute, die es in einem Rutsch gelesen haben. Ich denke, das ist stimmungsabhängig. Es ist ein Buch über den Krieg, und da gibt es nunmal auch viele Stellen, an denen man tief durchatmen muss, bevor man weiterliest. Dennoch versucht die Autorin sachlich zu bleiben, was ihr auch gelingt. Das Buch ist nicht weinerlich oder aufmerksamkeitsheischend. Es beschönigt aber auch nichts. Wie sehr man sich emotional mitreißen lässt, entscheidet letztendlich der Leser.
Man mag von der europäischen Flüchtlingspolitik halten, was man will, aber niemand wird nach Lektüre dieses Buches noch ernsthaft fragen, warum so viele Syrer aus ihrer Heimat fliehen! Eines ist klar: In diesem Konflikt kann es keine Gewinner geben. Es gibt jetzt schon Millionen Verlierer, und jeden Tag werden es mehr. Am schlimmsten ist es für die Kinder, die in ihrem bisherigen kurzen Leben nichts anderes kennengelernt haben als Angst, Zerstörung und Verlust. Wie bzw. ob man mit einer solch gebrochenen Generation ein kaputtes Land wieder aufbauen kann, bleibt offen.