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heleneM22

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.09.2020

Sehr empfehlenswertes Kinder- und Jugendbuch!

Adresse unbekannt - Nominiert zum Deutschen Jugendliteraturpreis
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Schon seit vier Monaten wohnt Felix mit seiner Mutter Astrid in einem Minibus in Vancouver. Seine Mutter findet keinen Job, und wenn sie einen findet, verliert sie ihn schnell wieder. Sie haben daher kein ...

Schon seit vier Monaten wohnt Felix mit seiner Mutter Astrid in einem Minibus in Vancouver. Seine Mutter findet keinen Job, und wenn sie einen findet, verliert sie ihn schnell wieder. Sie haben daher kein Geld für die Mietzahlungen.
Felix geht nach dem Sommer auf eine neue Schule, in der er seinen alten Freund Dylan wieder trifft. Zu den beiden gesellt sich schon bald die schlaue, aber auch recht wenig beliebte Winni aus ihrer Französischklasse. Die drei schreiben Artikel für den französischen Teil der ansonsten englischsprachigen Schülerzeitung. Winni nervt zwar, aber eigentlich ist sie auch ganz nett...ziemlich nett sogar..:)
Felix Lage spitzt sich allerdings immer mehr zu, da er manchmal nichts zu essen hat und auch nicht regelmäßig duschen kann.

Man erfährt alles aus der Perspektive von Felix. Anfangs berichtet er auf dem Polizeirevier seine Geschichte, wie es dazu kam, dass seine Mutter und er in einem Minibus wohnen. Was mit seiner Großmutter geschah, wer eigentlich sein Vater ist, wie sie zu dem Bus gekommen sind und wie sich das Leben im Bus anfühlt (auf Dauer nicht so gut). Aber - Felix hat nun ein wenig Hoffnung auf einen Geldgewinn, da er sich bei einer Junior Fernseh- Quiz Show angemeldet hat....

Die Geschichte hat mir wirklich wunderbar gefallen. Sie ist rund erzählt, spannend, fesselnd und witzig. Abenteuerlich, träumerisch und auch sehr liebenswürdig. Es gibt Unglücks- und auch Glücksmomente, die Begebenheiten sind überwiegend recht realistisch. Ich wurde oft berührt und konnte das Buch nicht mehr zur Seite legen.
Die drei Freunde Felix, Dylan und Winni sind mir ans Herz gewachsen (wenn sie mich auch etwas an das Harry Potter Trio erinnerten..:))

Es geht um Freundschaft, Familie, Werte, Ehrlichkeit, Geldsorgen, Obdachlosigkeit und den ganz normalen Alltag von fast Dreizehnjährigen. Es geht aber auch um eine psychisch labile Mutter. Das bereitete mir Bauchschmerzen, da dies letztlich nur hingenommen wurde, aber langfristig keine Veränderung/ Verbesserung angenommen werden kann. Diesbezüglich tat mir Felix leid und ich fand seine Situation insgesamt vielleicht etwas zu optimistisch dargestellt. Wenn gleich die Dynamik zwischen ihm und seiner Mutter sehr realistisch gezeichnet wurde.

Das Buch wird ab 10 Jahren empfohlen, ich werde es meinen erst mit 13 geben, da sie dann etwas mehr verstehen und mehr damit anfangen können.
Der Roman bereitete auch mir als Erwachsene ein großes Lesevergnügen..:)

Veröffentlicht am 06.12.2024

Vielschichtiger, kritischer, zu Herzen gehender Blick in die russische Gesellschaft

Der Schatten einer offenen Tür
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Ich kenne und schätze den Autor sehr, weshalb ich genau wusste, worauf ich mich einlasse: einen tiefgehenden, kritischen Blick auf die russische Gesellschaft, gewürzt mit satirischem und schwarzem Humor ...

Ich kenne und schätze den Autor sehr, weshalb ich genau wusste, worauf ich mich einlasse: einen tiefgehenden, kritischen Blick auf die russische Gesellschaft, gewürzt mit satirischem und schwarzem Humor sowie emotionaler Intensität.

Die Rahmenhandlung des Romans wird durch vier Suizide von Bewohnerinnen eines Kinderheims in der russischen Provinz geprägt, das in der Stadt Ostrog ("Gefängnis") liegt – einer Ortschaft, die rund um eine Strafanstalt entstanden ist. Der Originaltitel "Rückkehr nach Ostrog" trägt durchaus eine vielschichtige Bedeutung, die sich in diesem kurzen Roman entfaltet.
Die Suizide haben eine hohe Medienwirksamkeit, weshalb ein Kommissar aus Moskau zusammen mit seinem Assistenten entsandt wird, um den Fall zu untersuchen und der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass Maßnahmen ergriffen werden. Der Kommissar hat dafür vier Tage Zeit, die die eigentliche Erzählhandlung umfassen.
Kommissar Koslov, ein Kriegsveteran aus Tschetschenien, ist ein kluger und gewissenhafter Mann, der jedoch aus der Bahn geworfen ist, da ihn die Trennung von seiner Frau vor einigen Jahren stark getroffen hat. Sie fragte ihn einmal ernsthaft verwundert: „Du hast so eine Katastrophe [Tschetschenienkrieg] verdaut, wie kann es da sein, dass du mich nicht vergessen kannst?!“ Sein Assistent ist ein stets gut gekleideter junger Mann, der wenig Interesse an der eigentlichen Ermittlungsarbeit zeigt und diese eher widerwillig erledigt.
Der Revierinspektor vor Ort, sieht nur noch die reale Trostlosigkeit, den nahenden Winter, der mit Stromausfällen, eingefrorenen Rohren und erforenen Säufern in der Schneewehe daher kommen wird und für den nur das Recht des Stärkeren gilt. Nur mit Gewalt lasse sich der Frieden in dieser besch... Welt herstellen.
Eine weitere Hauptfigur ist Petja, ein ehemaliges Heimkind. Er gilt als der "Dorftrottel" und ist zwar ein etwas eigenwilliger junger Mann, aber der Einzige,der fest an Werte und Überzeugungen glaubt. Er denkt und lebt nach humanistischen Prinzipien, wird jedoch von allen verspottet und nicht ernst genommen.

Der Roman ist in "Gesänge", gleich einer griechischen Tragödie unterteilt, die in schneller Abfolge wechseln und verschiedene Perspektiven sowie Zeiten beleuchten. Immer wieder werden Bezüge zur griechischen Mythologie oder Griechenland hergestellt, zudem auch eine Reise nach Griechenland eine wichtige Rolle spielt.
Wie es in Russland üblich ist, findet man Anspielungen auf russische Werke und es fließen Zitate aus Liedern, Gedichten und Filmen ein, die in Fußnoten erläutert werden.

Im Fokus steht zum einen die Lösung des Falls- waren es wirklich Suizide oder gar Morde? Zum anderen wird die russische Gesellschaft beleuchtet und insbesondere die prekäre und harte Lage von Heimkindern in der russischen Provinz. Ihre Herkunft, Lebenslage und Lebensperspektiven werden hier eindrücklich dargestellt.
Erwähnenswert ist zudem die kleine Nebengeschichte um die siamesischen Zwillinge Vera und Ljubov (Glaube und Liebe), die aufgrund des Ukrainekrieges in einen unversöhnlichen Streit geraten sind, da die eine auf der Seite Russlands und die andere auf der Seite der Ukraine steht. Ebenfalls erwähnenswert ist eine in sich geschlossene Kurzerzählung, die die Absurdität des russischen Justizsystems thematisiert.

Dern Roman konnte ich gut in einem Rutsch lesen, ich fand ihn fesselnd, spannend und interessant. Ich empfand das Setting sehr realistisch und glaubhaft gezeichnet, manchmal vielleicht etwas überzeichnet- aber diesen Humor braucht man auch, um gewisse bittere Realitäten zu ertragen. Eine der Rezensentinnen bemerkte, dass ihr bei diesem Roman das Herz gebrochen wurde – und genau so erging es mir auch.
Der vielleicht einzige Kritikpunkt, den ich anbringen möchte, ist, dass der Autor an einigen Stellen ruhig etwas mehr ins Detail hätte gehen können, um den Figuren noch näher zu kommen und noch mehr die Lebensrealität kennen zu lernen.

Insgesamt handelt es sich um einen dichten Roman, der spannend und berührend, gleichzeitig kritisch und humorvoll ist und mich nachdenklich, betroffen und etwas hoffnungslos zurücklässt. Geeignet für Menschen, die sich mit den russischen Verhältnissen auskennen oder auch für Menschen, die einen Einblick in russische Verhältnisse gewinnen möchten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.10.2020

Bereichernder Einblick in das Leben und Denken der Amateurboxerin Zeina Nassar

Dream Big
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Die 21 jährige Berlinerin Zeina Nassar boxt seit ihrem 13.Lebensjahr sehr erfolgreich im Amateurbereich. Sie gewann 2018 die Deutschen Meisterschaften sowie mehrfach die Berliner Meisterschaften.
In ...

Die 21 jährige Berlinerin Zeina Nassar boxt seit ihrem 13.Lebensjahr sehr erfolgreich im Amateurbereich. Sie gewann 2018 die Deutschen Meisterschaften sowie mehrfach die Berliner Meisterschaften.
In der vorliegenden Autobiographie lässt sie die Leser*innen sehr nahe an ihrem Leben teilhaben, in dem der Boxsport zwar im Mittelpunkt steht, aber auch viele andere Themen angesprochen werden, da sie eine vielseitig interessierte und talentierte junge Frau ist!

Ihre Eltern stammen aus dem Libanon, worüber man auch einige spannende Einblicke durch sie erhält, insbesondere die Fluchtgeschichte der Mutter wirkte sehr nach.
In Zeinas Leben spielt insbesondere der Sport eine große Rolle: Fußball, Basketball – Boxen, sie liebt den Sport generell. Insbesondere das Boxen – die einstige Männerdomäne. Sie berichtet von der entfachten Leidenschaft, von der anfänglichen Skepsis ihrer Eltern, vom Training, von den Wettkämpfen, von Erfolgen und Misserfolgen. Sie und ihre Trainerinnen setzten mit viel Beharrlichkeit durch, dass Frauen mit Hidjab/ Kopftuch, die bislang von Wettkämpfen ausgeschlossen wurden, nun sowohl in Deutschland als auch international starten können.

Das Buch ist aber auf keinen Fall ein reines Sportbuch. Zeina ist beeindruckend vielseitig interessiert und hinterfragt viele Erscheinungen des politischen und sozialen Lebens um sich herum. Sie äußert sich zu Diversität, Feminismus, Religionsfreiheit und mehr. Für diese Werte tritt sie zudem politisch aktiv ein und ist sich vor allem auch außerhalb des Sports ihrer Vorbildfunktion bewusst.

Sie wirkt sehr energetisch, zielstrebig, mutig und zäh. Sportlich und mental absolut fit, musste sie sich das aber auch erarbeiten und viel Zeit und Herzblut investieren. Das ist spannend und gut nachvollziehbar beschrieben. Sie spricht zudem sehr ehrlich von ihren Schwächen und Rückschlägen, über ihre „Sportsucht“. Das gefiel mir sehr gut, da so ein ausgewogenes Bild entstand. Ein wenig fehlte mir dennoch der Einblick, welche Dinge in ihrem Leben wirklich zu kurz kamen und für den Sport „geopfert“ wurden.

Insgesamt macht Zeina aber immer wieder Mut, inspiriert, gibt Kraft und Stärke: „Ich bin nach Rückschlägen immer wieder aufgestanden, so wie man sich nach einem Unfall wieder ans Steuer setzt, weil man sonst nie wieder fährt. Ich habe es nochmal getan, und es war schlimm, da mache ich niemandem etwas vor. Doch beim zweiten Mal, na gut, da war es auch schlimm. Aber beim dritten Mal war es weniger schlimm und beim zwanzigsten Mal schön."

Beim Lesen fragte ich mich hin und wieder, wie sie wohl 30 Jahre später über ihre Lebenseinstellung denken wird und überhaupt, welchen Lebensweg sie einschlagen wird.

Obwohl ich kein Boxfan bin, las ich das Buch sehr gern und mit Gewinn. Es ist sehr fesselnd und interessant geschrieben, so dass ich es in einem Rutsch las. In einen Interview sagte sie, dass ihr Ghostwriter das Buch geschrieben habe, und an dieser Stelle gern ein Kompliment an ihn oder sie, es liest sich gut! Einfach, klar, sehr emotional, nie trivial, sondern voller kluger Gedanken und vor allem sehr ehrlich.
Auch die Fotos gefielen mir sehr gut, wenngleich mich die stete Werbung für ihren Sponsor etwas nervte. Sie machten aber auf jeden Fall Lust, noch über das Buch hinaus, mehr über Zeina Nassar zu erfahren.

Veröffentlicht am 21.09.2020

Ein politisch, psychologisch und soziologisch angelegter Familienroman

Die Topeka Schule
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Der Roman ist in Topeka, der Hauptstadt des Staates Kansas angesiedelt. Der Autor selbst ist hier aufgewachsen und es finden sich etliche autobiographische Anleihen.
Es ist Mitte der 90er, kurz vor Bill ...

Der Roman ist in Topeka, der Hauptstadt des Staates Kansas angesiedelt. Der Autor selbst ist hier aufgewachsen und es finden sich etliche autobiographische Anleihen.
Es ist Mitte der 90er, kurz vor Bill Clintons Wahl.

Im Mittelpunkt steht eine dreiköpfige Intellektuellenfamilie aus der weißen Mittelschicht (Sohn Adam, Vater Jonathan, Mutter Jane) sowie ein problembelasteter Jugendlicher (Darren), der bei seiner Mutter aufwächst. Je Kapitel liest man monologisch die Perspektive einer der vier Hauptfiguren, die in ihren Denk- und Sprechweisen deutlich voneinander unterscheidbar sind.
Die Figuren reflektieren über verschiedenste Aspekte ihres gesellschaftlichen und privaten Lebens. Deutlich werden ihre Lebenssichten, ihre Lebensprobleme und auch die Konflikte untereinander. Insgesamt ergibt sich so ein recht komplexes Bild der Lebenswelt im amerikanischen Mittelwesten.

Im Fokus steht insbesondere Adam. Er steht kurz vor dem Schulabschluss und ist ein sehr erfolgreicher Debattenredner. Er ist klug und scharfsinnig. Regelmäßig leidet er jedoch unter Migräneattacken, steht unter hoher Anspannung und ist voller Wut, die hin und wieder aus ihm herausbricht. „[D]ieser ständige Druck sich als echter Mann auszugeben, sich erwartungsgemäß zu verhalten...“ macht ihm zu schaffen, ohne dass er sich davon distanzieren kann.
Er durchlebt eine erste Liebe, entdeckt seine Liebe zur Lyrik und verbringt viel Zeit beim Debattentraining oder -wettkampf.

Zum gleichaltrigen Darren hat er nicht viel Kontakt. Sie gingen zusammen in den Kindergarten und Darren versucht immer wieder Anschluss an die Cliquen zu finden. Doch er ist anders, war auch einige Zeit Patient bei Adams Vater, einem Psychotherapeuten. Darren ist die „jämmerliche Gestalt“, die„Provokation“, stetiges Opfer, der irgendwann zum Täter wird. Jahrelang verhöhnt und ausgegrenzt. Seine Kapitel sind sehr kurz gehalten und sie schaffen einen Spannungsbogen, der die übrigen Kapitel zusammenhält.

Jonathan, Adams Vater arbeitet in der Topeka Schule, ein innovatives Projekt der Sozialpsychiatrie. Er reflektiert über diese neuen Ansätze der Milieutherapie sowie über die Jugendlichen, die er therapiert. Auch denkt er über seine Filmprojekte nach und wie er Jane kennenlernte.

Adams Mutter Jane, ebenfalls Psychologin an der Topeka Schule, ist durch ihre feministischen Publikationen bekannt geworden. Aufgrund dessen erhält sie häufig anonyme Drohanrufe von Männern. Sie macht sich viel Gedanken um Adam sowie um ihre Freundin Sima.

Der Autor nutzt eine schöne Sprache, die mir dennoch manchmal etwas zu viel, zu anstrengend geriet. Das Lesen forderte meine volle Konzentration und ich bin mir sicher, nicht alles erfasst zu haben. Der Roman ist sehr dicht erzählt, manchmal etwas verschlüsselt, etwas abschweifend, manchmal leicht surrealistisch, aber stets fesselnd und gefangen nehmend. Er geriet immer wieder auch überraschend komisch in all seiner Ernsthaftigkeit.

Ein zentrales Thema, das alle Teile des Romans durchzieht, sind die vielfältigen Formen des Gebrauchs und der Funktion von Sprache. Sowohl durch den Gebrauch der Sprache durch den Autor selbst, als auch inhaltlich werden Fragen nach Sinn und Unsinn, Macht und Ohnmacht Sprache thematisiert, einschließlich des Schweigens oder auch der Gebärdensprache. Hochspannend in diesem Kontext gelangen die Einblicke in das Debattentraining. Gipfel der Absurdität ist natürlich das „Schnellsen“, welches bedeutet, dass man so schnell spricht, dass kaum einer mehr etwas versteht und der Gegner dadurch verliert, dass er nicht auf alle Argument antworten kann. Hier geht es letztlich nur um Form und Überredungskunst anstatt um politische Inhalte. Alles in allem befremdlich, merkwürdig, gar erschütternd und erschreckend, insbesondere durch die direkte Parallelen zur Politik.

Neben der Sprache sind Männlichkeitsbilder und -konstruktionen das Thema des Romans. So steht bspw. Jonathans „Sanftheit“ vs. der „umgebenden Marlboro-Mann-Kultur“ zur Diskussion. Auch Adam sowie Darren versuchen sich zu positionieren.

Sehr einprägsam wird insgesamt ein Generationenportrait der 68er und ihrer Kinder gezeichnet. Es gelingt ein eindrucksvolles amerikanisches Gesellschaftsbild der weißen Mittelschicht, das analytisch und kritisch, satirisch und auch kurios, auch letztlich davon erzählt, wie es zu der Wahl Trumps kommen konnte.

Veröffentlicht am 14.09.2020

Berührender Unterhaltungsroman mit spannenden Themen

Die verschwindende Hälfte
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Dieser Roman erhielt in den USA schon sehr viele positive Kritiken, daher wartete ich schon gespannt und voller Vorfreude auf die deutsche Übersetzung.

Im Mittelpunkt dieses Familienromans stehen die ...

Dieser Roman erhielt in den USA schon sehr viele positive Kritiken, daher wartete ich schon gespannt und voller Vorfreude auf die deutsche Übersetzung.

Im Mittelpunkt dieses Familienromans stehen die Zwillingsschwestern Desiree und Stella sowie ihre Kinder Jude und Kennedy.

Die eineiigen Zwillinge Desiree und Stella wuchsen in Mallard auf, einem Ort, der es nie auf die öffentlichen Karten geschafft hat. Es ist ein Ort voller Schwarzer, die jedoch im Verlauf der Zeit immer weißer wurden. Je dunkler man ist, umso mehr wird man verachtet.
Den Schwestern reicht diese einengende Kleinstadt irgendwann nicht mehr, sie setzen sich 1954 als 17 jährige nach New Orleans ab. Eine Arbeit zu finden, gestaltet sich schwierig. Stella, die eigentlich gern studieren wollte, gibt sich eines Tages als Weiße aus und erhält so eine Stelle als Sekretärin. Irgendwann verschwindet sie dann einfach. Desiree zieht nach Washington, beginnt eine Tätigkeit beim FBI, heiratet einen Schwarzen und bekommt eine Tochter, die äußerlich sehr nach ihrem Vater kommt.
Einer der Mallard Bewohner denkt, beispielhaft für alle anderen: " [ich] hielt sie beide für ein bisschen verrückt, Desiree vielleicht für die Verrücktere. Sich als Weiße auszugeben, um voran zu kommen, war einfach vernünftig. Aber einen dunkelhäutigen Mann heiraten? Sein blauschwarzes Kind austragen?"
Nach einigen Jahren flüchtet Desiree aufgrund der Gewalttätigkeit ihres Mannes und kehrt zurück an ihren Heimatort zu ihrer Mutter. Von dort verfolgt man nun ihren weiteren Lebensweg, vor allem auch den ihrer Tochter Jude. Jude hatte es in Mallard sehr schwer. Mit einem Stipendium kann sie jedoch aufs College gehen. Sie träumt davon, Ärztin zu werden.
Gleichzeitig verfolgt man auch Stellas Lebensweg, die ebenfalls geheiratet hat und eine Tochter bekam. Ihre Tochter Kennedy möchte gern Schauspielerin werden.

Abwechselnd wird aus den Perspektiven der vier Frauen erzählt. Es gibt dabei immer wieder größere Zeitsprünge sowie Rückblenden. Die erzählte Zeit umfasst ca.1950 - Anfang der 90er Jahre.
Die Sprache ist einfach, der Aufbau klar überschaubar. Der Roman unterhielt und fesselte mich zumeist, auch in Anbetracht einiger Längen. Die anschauliche und einfühlsame Beschreibung der der Frauen berührte mich sehr. Sie sind so nahbar gezeichnet, dass ich mich gut hineinversetzen und mitfühlen konnte. Ihre Anliegen wurden mir sehr nahe gebracht, konnte allerdings einige Handlungen nicht ganz nachvollziehen.
Das Problem der „richtigen“ Hautfarbe wurde jedoch deutlich spürbar, regelrecht erfahrbar und schmerzhaft nachvollziehbar. Der stete Rassismus, die Diskriminierung, Unterdrückung und gar Tötung allgegenwärtig. Und nicht nur das, auch aufgrund ihrer Rolle als Frau waren ihnen manche Wege versperrt.
Alle suchen einen Ort, wo sie hingehören. Sie suchen sich selbst, wer sie wirklich sind. Wer bin ich? Wie sehen mich die anderen? Wie sehe ich mich selbst? Wer darf ich sein? Was bin ich wert? – das sind Fragen, die sich diese Frauen stellen.
Völlig überrascht und positiv beeindruckt hat mich in diesem Kontext die Einführung der transsexuellen Figur Reese mit all der Identitätsproblematik. Zudem wurde die Beziehungsdynamik zwischen Reese und Jude fein gezeichnet und interessierte mich insgesamt am meisten. Diese Abschnitte las ich sehr aufmerksam und genau, da mir die Thematik zwar nicht fremd, aber doch auch nicht allzu nah ist. Hier hätte ich mir sogar gern noch mehr Details und Tiefe gewünscht.

Der Roman zeigt, welch katastrophale Auswirkungen Rassismus und einseitiges, binäres Schubladendenken haben können und wie wenig der Mensch als hochkomplexes Wesen in diese engen Schemata eigentlich passt. Er zeigt, wie verlogen die Gesellschaft und wie destruktiv die gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenzuschreibungen sein können. Und zeigt doch auch, wie Liebe, Verständnis, Respekt und Versöhnung immer wieder möglich sind.

Fazit: Ein niveauvoller, etwas provokanter Unterhaltungsroman mit einigen Längen, der das Leben von vier schwarzen Frauen nachzeichnet, dabei ihre Entscheidungen und Beziehungen betrachtet. Wichtige moderne und essentielle Themen (Hautfarbe, Rassismus, Feminismus, Transsexualität, Identität) werden angesprochen und schmerzhafte Aspekte der Geschichte der USA beleuchtet.