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Veröffentlicht am 11.09.2020

Contenance um jeden Preis

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
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Dieser Roman handelt von der Pubertät der anfänglich 13 jährigen Giovanna, die in Neapel in einer intellektuellen Familie aus dem Bildungsbürgertum aufwachst. Bildung und Erfolg sind ihr in die Wiege gelegt, ...

Dieser Roman handelt von der Pubertät der anfänglich 13 jährigen Giovanna, die in Neapel in einer intellektuellen Familie aus dem Bildungsbürgertum aufwachst. Bildung und Erfolg sind ihr in die Wiege gelegt, jedoch ist das Aussehen für jedes Mädchen von großer Bedeutung. Als sie ihre Eltern belauscht und ihren Vater sagen hört, Giovanna werde immer häßlicher und zunehmend seiner verhassten Schwester ähnlicher, bricht eine Welt für sie zusammen. Die Familie hat keinen Kontakt zu dieser Tante, denn sie lebt in einem Arbeitermilieu in einem heruntergekommenen Wohnviertel.
Die Aussage ihres sehr verehrten Vaters verletzt und berührt Giovanna so sehr, dass sie die Schule vernachlässigt und immer nachdenklicher wird. In der Vergangenheit hat es Probleme zwischen ihrem Vater und seiner Schwester gegeben, und Giovanna fühlt sich stark zu ihrer so wenig vornehmen Tante hingezogen. Getrieben von Selbstzweifeln macht sie sich auf die Suche nach dieser geheimnisvollen Frau. Im Rahmen ihrer Entwicklung von einem naiven Mädchen, zu einer 16-jährigen Frau, verliert sie immer mehr den Glauben an die Unfehlbarkeit ihrer Eltern und der anderen Erwachsenen. Sie muss erkennen, dass die Erwachsenen alle eine Rolle im gesellschaftlichen Gefüge spielen, denn sie lügen und manipulieren, um selbst eine möglichst gute Figur zu machen. Für sie ist Contenance alles!
Giovanna macht sich viele Gedanken über sich selbst, ihre Position im Leben, und ihre Beziehungen zu Verwandten, Freunden und natürlich Jungen.
Sie hinterfragt zunehmend den ihr aufgezwungenen Lebensstil und muss im rahmen ihres Erwachsenwerdens viele Probleme bewältigen um zu einem selbstbestimmten Individuum zu werden.
Zunehmend ändert sich aber auch ihre Haltung. Sie wird ruhiger und abschätzend, und versucht, das Verhalten der Erwachsenen zu verstehen. Aber sie bleibt ehrlich.
Dieser emotionsgeladene Roman endet mit der unspektakulären Entjungferung der 16-jährigen, die zu einer Frau geworden ist.
Elena Ferantes Fähigkeit, die Charaktere vor unserem inneren Auge entstehen zu lassen, wird durch ihren präzisen, differenzierten, gehobenen Schreibstil vermittelt. Meine Erwartungen an dieses Werk wurden voll erfüllt.

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Veröffentlicht am 06.09.2020

Unser Leben mit Technik

Keine Panik, ist nur Technik
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In 13 Kapiteln gibt die sympathische Autorin Kenza Ait Si Abbou, die auch auf der Vorderseite tanzenderweise abgebildet wurde, einen Einblick in die Wirkungsweise, die Vorteile, aber auch die Tücken der ...

In 13 Kapiteln gibt die sympathische Autorin Kenza Ait Si Abbou, die auch auf der Vorderseite tanzenderweise abgebildet wurde, einen Einblick in die Wirkungsweise, die Vorteile, aber auch die Tücken der digitalisierten Welt, mit der sich heutzutage jedermann auseinandersetzen muss.
Das Werk ist in einem lockeren, gut verständlichen Schreibstil verfasst. Die Zeichnungen und praxisnahen Beispiele helfen dem Laien, diese eigentlich recht trockene Materie zu verstehen, aber auch kritisch zu hinterfragen, indem sie auf die gefahren beim Umgang mit der künstlichen Intelligenz hinweist. Sie geht auch humorvoll an die Materie heran, wenn es beispielsweise darum geht, „ die Technik zu überlisten“. Interessant fand ich auch die Entwicklung in der Technologie von einer komplizierten Codierung hin zu einer vereinfachten Anwendung.
Die Autorin sagt auch voraus, dass in naher Zukunft wohl jeder interessierte Laie Computer programmieren könne.
Mir hat das Werk sehr gut gefallen. Ein einziger Kritikpunkt ist jedoch, dass im 2. Kapitel die schwarz unterlegten Beschriftungen mit minikleiner weißer Schrift nur mit einer Lupe korrekt lesbar sind. Als Geschenk für Jugendliche besonders geeignet.

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Veröffentlicht am 02.07.2020

Ausverkauf einer Insel

Ozelot und Friesennerz
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Klassenreisen nach Sylt und diverse kurähnliche Aufenthalte in einer wunderschönen Landschaft während der 60er Jahre prägten mein Syltimage. Als ich dann um 2000 herum erneut dahin zurückkehrte, war ich ...

Klassenreisen nach Sylt und diverse kurähnliche Aufenthalte in einer wunderschönen Landschaft während der 60er Jahre prägten mein Syltimage. Als ich dann um 2000 herum erneut dahin zurückkehrte, war ich schockiert. Westerland voller steriler Bausünden, keine Inselbahn mehr, Kampen als Rückzugsort der Schönen und Reichen. Die Insel gehört jetzt nicht mehr den Insulaner, sondern den Investoren und Reichen.
Die Autorin schildert eindrucksvoll diese einschneidenden Veränderungen von kleinen Pensionen, in denen das Elternschlafzimmer vermietet wurde hin zum Luxusressorts für die sehr zahlungskräftige Klientel. Dabei liefert sie viele Anekdoten und Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die sie humorvoll und nordisch nüchtern verpackt. Wehmut kommt bei diesem eklatanten Wandel auf, denn die Sylter können sich wegen der sehr hohen Mieten „ihre“ Insel kaum noch leisten.
Zwar wurden die Sylter Kinder früher während der Sommermonate vielfach sich selbst überlassen, denn die Frauen mussten bei der Privatvermietung ordentlich mit anpacken, aber es war eine heile Welt für die Familien. Heutzutage gibt es keine Geburtsklinik mehr, und auch die Panzerfahrer sind vom Strand verschwunden, denn sie stören den supertollen Eindruck, den die Insel „verkauft“.
Susanne Matthiessen berichtet voller Herzblut und Wehmut von dem zunehmenden Wohlstand für die Insulaner, der aber bedingungslos die eigenen Identität verkaufte. Andererseits muss angemerkt werden, dass in dieser Zeit kritiklose Anpassung an das Kapital, teilweise auch Korruption in vielen aufsteigenden Tourismusgebieten an der Tagesordnung waren, um auch den Privatbürger eine Gewinnmaximierung zu ermöglichen.
Die Autorin hat eindrucksvoll die Situation dargelegt und mir schöne Lesestunden beschert, aber aber auch eine starke Kritikneigung der Tourismusindustrie bei mir vertieft. Ich kann das tolle Werk jedem empfehlen

Veröffentlicht am 30.06.2020

Katz und Maus-Spiel in US-Kleinstadt

Miracle Creek
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Mit sehr gekonnten Formulierungen zieht Angie Kim in ihrem Debüttriller „ Miracle Creek“ in ihren Bann. Hinzu kommen die zahlreichen Perspektivwechsel, welche immer mehr Geheimnisse, Verrat und Verletzungen ...

Mit sehr gekonnten Formulierungen zieht Angie Kim in ihrem Debüttriller „ Miracle Creek“ in ihren Bann. Hinzu kommen die zahlreichen Perspektivwechsel, welche immer mehr Geheimnisse, Verrat und Verletzungen offenbaren. Dabei wird die Spannung sehr gekonnt und mitreißend aufgebaut und bleibt bis zum Schluss erhalten. Wir erhalten detaillierte Informationen über die Lebensweisen und Charaktereigenschaften der verschiedenen Protagonisten.
Mit dem heiklen Thema des vermeidlichen Mordes an einem autistischen Jungen durch seine Mutter begibt sich Kim auf ein schwieriges Terrain, denn in der Kleinstadt „Miracle Creek“ geht eine Scheune, die zu Therapiezwecken eingesetzt wird in Flammen auf und Kitt, eine Mutter von 5 Kindern sowie Henry, ein achtjähriger autistischer Junge, werden dabei getötet.
Das Werk beginnt mit einer Gerichtsverhandlung, in der Elisabeth, Henrys Mutter, angeklagt wird, Brandstiftung begannen zu haben, um sich ihren schwierigen Sohnes zu entledigen, den sie zwar in jeglicher Hinsicht fördert und von morgens bis abends betreuen muss, jedoch manchmal, wenn sie überfordert ist ihm gegenüber Hass, Ungeduld und Scham empfindet.
Widersprüche und Verleumdungen durch diverse Personen während des Prozesses sind an der Tagesordnung, und es wird deutlich, dass jeder in Miracle Creek etwas zu verbergen hat. Viele Personen hätten nämlich tendenziell einen Grund für die schreckliche tat.
Ein mitreißender Gerichtsthriller, den ich ausnahmslos jedem empfehlen kann.

Veröffentlicht am 30.06.2020

Schwarz oder weiß?

Die Schlange
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Da ich Wohnungsnot und Luxussanierung in Hamburg am eigenen Leib erfahren hatte, war ich begeistert davon, dass Martin Wehrle in „Die Schlange“ ach diese brisante Problematik aufgegriffen hat. Hamburg ...

Da ich Wohnungsnot und Luxussanierung in Hamburg am eigenen Leib erfahren hatte, war ich begeistert davon, dass Martin Wehrle in „Die Schlange“ ach diese brisante Problematik aufgegriffen hat. Hamburg als Setting ermöglicht mir zusätzliche Identifikation.
Die Journalistin, Susanne Mikula, arbeitslos und mit massiven psychischen Problemen, wird von einer riesigen Immobilienfirma in Hamburg engagiert, um die korrupten Machenschaften innerhalb dieser Agentur herauszubekommen. Allerdings ist es verwirrend, dass sie von dem steinreichen mit Mitbesitzer der „Stage Bau“ engagiert wird, um angeblich (?) die gesetzlosen Aktionen seiner Schwester aufzudecken. Sie recherchiert undercover und stößt auf ein Geflecht aus Lügen, Betrug und Schweigen. Jede Spur endet in einer Sackgasse. Wird sie gezielt hinters Licht geführt?
Die verwundbare Protagonistin erscheint mir oft naiv und von ihren Gefühlen geleitet. So wirkt die Kollegin und Freundin in der Firma merkwürdig auf mich, die Protagonistin scheint aber keinerlei Misstrauen zu hegen. Es gibt viele unvorhersehbare Wendungen, die oft zu konstruiert wirken.
Der Perspektivwechsel bringt zwar Schwung in die Erzählung, jedoch die Parallelhandlung um den sogenannten „Straßenlotsen“ , nämlich den skrupellosen Mörder, wirkt völlig realitätsfern.
Die sprachliche Gestaltung ist anspruchsvoll und differenziert. In den Kapiteln um Susanne wird oft bildhafte, adjektivreiche Diktion eingesetzt.
Der Mörder wendet sich direkt an den Leser, wirkt oft ironisch und selbstverliebt.
Die Machenschaften, um die Mieter „herrauszuekeln“, wirken auf mich auch teilweise übertrieben. Aber die Intension des Autors, einen kurzweiligen Krimi zu lancieren, ist geglückt, meistens recht gut recherchiert, jedoch, meiner Meinung nach, oft zu realitätsfern.
Über allem schwebt die Frage; „wer ist die Schlange“.