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Veröffentlicht am 20.09.2020

Ungewöhnlicher Krimi

Ihr Königreich
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Was für ein Buch!
So raffiniert, so subtil, einfach ein echter Nesbo!
Roy und sein Bruder Carl sind gemeinsam in einem kleinen norwegischen Bergdorf aufgewachsen. Die Eltern starben bei einem Autounfall, ...

Was für ein Buch!
So raffiniert, so subtil, einfach ein echter Nesbo!
Roy und sein Bruder Carl sind gemeinsam in einem kleinen norwegischen Bergdorf aufgewachsen. Die Eltern starben bei einem Autounfall, als die Kinder noch Jugendliche waren. Während Roy im Dorf blieb und Automechaniker wurde, zog es Carl in die Welt hinaus, er studierte in den USA und kehrt nach vielen Jahren mit seiner exotisch schönen Frau in das Dorf zurück. Dort will er ein schickes Hotel bauen, um für das Dorf neue Gäste anzulocken. Doch dann gibt es Probleme...
Das Grauen kommt in diesem Buch unbemerkt durch die Hintertür. Was erst wie heile Welt aussieht, entpuppt sich als ein grausames Panoptikum, in dem fast nichts ist, wie es scheint. Anfangs erscheint das Buch fast langweilig, die Figuren werden ausgiebig vorgestellt, doch dann kriecht das Verbrechen hervor.
Nesbo hat hier ein Meisterwerk abseits seiner sonstigen Bücher geschrieben, das mich vom ersten bis zum letzten Satz fasziniert hat.
Unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 07.09.2020

Großartig!

Kalmann
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Kalmann ist der selbst ernannte Sheriff von Raufarhöfn, einem kleinen, heruntergekommenen Ort in Island. Die Fischerei ist im Niedergang, junge Leute ziehen weg, der Ort hat keine Perspektive.
Nur Kalmann ...

Kalmann ist der selbst ernannte Sheriff von Raufarhöfn, einem kleinen, heruntergekommenen Ort in Island. Die Fischerei ist im Niedergang, junge Leute ziehen weg, der Ort hat keine Perspektive.
Nur Kalmann fängt weiterhin seinen Hai, den er zur isländischen Spezialität "Gammelhai" verarbeitet. Das hat er von seinem Großvater gelernt, der nun in einem Altenheim in der Stadt lebt und die Welt nicht mehr versteht. Mit der Welt hat auch Kalmann seine Probleme, manchmal versteht er etwas nicht und rechnen kann er auch nicht, aber er kommt auch so ganz gut durchs Leben. Doch eines Tages bringt ein großer Blutfleck im Schnee Kalmanns Leben aus dem Gleichgewicht...
Das Buch ist kein richtiger Krimi, alles wird aus der Sicht von Kalmann erzählt. Die Sprache ist ganz besonders, manchmal naiv, manchmal philosophisch, das hat mir sehr gut gefallen. Man lernt viel über das Leben in Island, aber auch über Kalmanns Weltsicht. Das Buch erzeugt einen Sog, dem ich ich nicht entziehen konnte. Es ist einerseits faszinierend, andererseits aber auch spannend und der Schluss ist sehr überraschend, aber da wird nicht mehr verraten.
Ein ganz außergewöhnlich gutes Buch, auf das man sich einlassen muss, und für mich eine der großen positiven Überraschungen dieses Lesejahres!

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Veröffentlicht am 10.03.2020

Unbekannte Geschichte

Die Schule am Meer
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Sandra Lüpkes kannte ich bisher nur als Krimiautorin und Sängerin, wir haben sie mal bei einer Lesung erlebt und sie war sehr sympathisch.
Nun hat sie einen Roman über ihre Heimat, die Insel Juist, geschrieben. ...

Sandra Lüpkes kannte ich bisher nur als Krimiautorin und Sängerin, wir haben sie mal bei einer Lesung erlebt und sie war sehr sympathisch.
Nun hat sie einen Roman über ihre Heimat, die Insel Juist, geschrieben. Darin arbeitet sie die eher unbekannte Geschichte der "Schule am Meer" auf, eine Reformschule, die 1925 auf der Insel gegründet wurde und nur bis 1933 bestand.
Hauptpersonen in diesem teilweise fiktiven, teilweise auf Tatsachen und realen Menschen beruhenden Werk sind die jüdische Lehrerin Anni Reiner und ihre Familie, "Moskito", der als Sohn eines Zinnminenbesitzers aus Bolivien an die Schule kommt, Marje, die Tochter einer Spülfrau und der Nazi Gustav Wenniger.
Während die Schule die Kinder zu selbständigem Denken und Kreativität erziehen will, wird ihr Treiben von vielen Dorfbewohnern misstrauisch verfolgt, wilde Gerüchte machen die Runde. Besonders schwierig wird es, als die Nazis die Macht übernehmen wollen und Juist "judenfrei" werden soll. Anni muss mit ihren Kindern die Insel verlassen.
Sandra Lüpkes hat für dieses Buch sehr gründlich recherchiert, so konnte sie auch Unterlagen einsehen, die die jüngste Reiner-Tochter Karin aufbewahrt hatte. Sehr intensiv, aber auch sachlich schildert sie die Freuden und Leiden in der Schule, den harten Winter auf der Insel, fröhliche Feste und schwere Stunden.
Das Buch ist sehr gut lesbar geschrieben, man liest es mit viel Empathie. Es zeigt, wie der Faschismus zuerst mit kleinen Begebenheiten, dann aber immer stärker in das Leben der Menschen auf der Insel eingreift. Mitläufer sind ebenso dabei wie überzeugte Nationalsozialisten, auch in der Schule. Aber alle Hoffnungen auf ein Weiterbestehen der Schule zerschlagen sich.
Besonders gelungen finde ich auch den Schutzumschlag. Er versetzt sofort in eine längst vergangene Welt, da zum Glück und durch einen Zufall viele Fotos von der Schule noch vorhanden sind.
Ein Buch, das man gern liest!

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Veröffentlicht am 05.01.2020

Grausam und genial

1794
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Nachdem ich im vergangenen Jahr 1793 gelesen hatte und mich das Buch sehr faszinierte, bekam ich auch 1794 zum Vorablesen und es ist fast noch besser.
Mickel Cardell ist nach den Ermittlungen des letzten ...

Nachdem ich im vergangenen Jahr 1793 gelesen hatte und mich das Buch sehr faszinierte, bekam ich auch 1794 zum Vorablesen und es ist fast noch besser.
Mickel Cardell ist nach den Ermittlungen des letzten Jahres erschöpft, trinkt wieder zu viel und lässt sich gehen. Cecil Winge dagegen ist an der Tuberkulose gestorben und begraben. Als eine Mutter Hilfe bei Mickel sucht, weil ihre Tochter in der Hochzeitsnacht angeblich von ihrem Ehemann grausam getötet wurde, sie diese Version aber nicht glaubt, rappelt er sich mühsam wieder auf. Zur Hilfe kommt ihm Erik Winge, der jüngere Bruder von Cecil, der aber nicht ganz richtig im Kopf ist. Auch Anna Stina taucht wieder auf, sie ist hoch schwanger und man hat sie in der Meerkatze vor die Tür gesetzt.
Das Buch ist stellenweise brutal und grausam bis zur Schmerzgrenze, manchmal musste ich die Lektüre unterbrechen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Trotzdem ist das Buch genial geschrieben, in einem leicht altertümlichen Ton, der aber nicht übertrieben ist. Niklas Natt och Dag hat es einfach drauf, man kann das Buch kaum aus der Hand legen und seine literarischen Qualitäten sind unumstritten. Beim Lesen entwickelt es eine ungeheure Wucht, der man sich nicht entziehen kann - und will!
Das Buch ist nicht nur einfach ein historischer Krimi, sondern ein Zeit- und Sittengemälde einer untergehenden Epoche. Während in Paris schon die Revolution in aller Grausamkeit wütet, steht hier der Kessel kurz vor der Explosion. Das lässt das Schlimmste im Menschen hervorkommen.
Unbedingt lesenswert!

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Veröffentlicht am 02.08.2024

Herb

Die Tage des Wals
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Dies ist ein Buch, bei dem alles passt. Das Cover in seiner rauhen Schnörkellosigkeit, die herbe Sprache der Autorin und der berührende Inhalt über eine zerfallende Welt auf der Insel.

Manod lebt mit ...

Dies ist ein Buch, bei dem alles passt. Das Cover in seiner rauhen Schnörkellosigkeit, die herbe Sprache der Autorin und der berührende Inhalt über eine zerfallende Welt auf der Insel.

Manod lebt mit ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester auf einer kleinen Insel vor der walisischen Küste. Die Bewohner leben vom Fischfang, sie sprechen ihre eigenen Sprache und pflegen ihre eigene Kultur. Als ein Wal am Strand auftaucht, erregt die Insel das Interesse der Engländer vom Festland und Joan und Edward kommen auf die Insel, um das abgelegene Eiland zu erforschen. Dabei hift ihnen Manod, denn sie spricht neben der Sprache der Insel auch Englisch und ist intelligent und aufgeweckt. Ihr größter Traum ist es aufs Festland zu gehen und dort zu studieren, aber für sie liegt das außerhalb ihrer Möglichkeiten. Nun sieht sie eine Chance und will sie nutzen.

Elizabeth O'Connor hat ein berührendes Buch in einer sehr prägnanten Sprache geschrieben. Die Kapitel sind kurz und immer wieder kehrt sie zu dem gestrandeten Wal zurück, der am Strand langsam zerfällt. Er zerfällt so wie die Kultur der Inselbewohner, sie sehen keine Zukunft mehr auf der Insel und beim Fischfang, junge Leute ziehen weg, um anderswo ein besseres Leben zu finden. Ob das immer besser ist, das sei mal dahingestellt, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch Manod wird bitter enttäuscht. Statt mit den Forschern gehen zu können, wird sie kommentarlos zurückgelassen und auch ihre geliebten wertvollen Stickereien werden gestohlen. Man erfährt nicht, ob sie ihren Traum verwirklichen kann.

Das Buch hat mich tief beeindruckt und berührt. Die Naturschilderungen sind sehr eindrucksvoll, man lebt quasi mit auf der Insel und lernt ihre Schönheiten, aber auch ihre Herbheit kennen. Leider endet es nicht hoffnungsvoll, man hofft nur, dass Manod ihren Weg finden wird. Auf jeden Fall lesenswert!

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