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Veröffentlicht am 24.11.2020

Literarischer Leckerbissen

Der Koch
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Palak Gosht nach Punjabi-Art gegart, Aloo Gobi Adhraki mit leichter Ingwernote – für Maravan, einen tamilischen Asylbeweber und leidenschaftlichen Koch, gibt es nichts Schöneres als die indische Küche. ...

Palak Gosht nach Punjabi-Art gegart, Aloo Gobi Adhraki mit leichter Ingwernote – für Maravan, einen tamilischen Asylbeweber und leidenschaftlichen Koch, gibt es nichts Schöneres als die indische Küche. Doch in der Realität arbeitet er als Hilfskraft im Zürcher Sternelokal Chez Huwyler. Als er seiner Kollegin Andrea bei einem Rendezvous ein aphrodisisches Menü kocht, ermutigt sie ihn dazu, ein gemeinsames Catering für Liebesmenüs zu eröffnen. Zu Beginn kochen durch Vermittlung einer Sexualtherapeutin nur für Paare, die wieder das Feuer in der Beziehung zu entflammen versuchen, aber der Erfolg von „Love Food“ spricht sich bald herum: Wirtschaftsmogule, Politiker, Waffenhändler, alle wollen sich der kulinarischen – und letztlich auch physischen – Liebe hingeben. Schnell wird es Maravan zu viel, das Catering zu anrüchig, doch er braucht das Geld, um seiner Familie in Sri Lanka zu helfen.

Wer denkt, in dieser Geschichte ginge es lediglich ums Kochen, das Verführen, den feinen Gaumen, der täuscht: Martin Suter hat mit seinem unvergleichlichen schweizerischen Charme ein modernes Märchen komponiert, das unter dem Deckmantel einer seichten Liebesgeschichte intensive Themen behandelt. Neben dem damals schon länger andauernden Bürgerkrieg in Sri Lanka, der Maravans Familie direkt betrifft, beeinflussen die zeitaktuellen Geschehnisse im Jahr 2008 Handlungsverlauf und -intentionen, seien es die Wahl von Präsident Obama oder der Börsencrash der Lehman Brothers. Sprachlich brilliant und mit erzählerischer Finesse beschreibt er, wie Maravan und Andrea ihren Catering-Service etablieren, mit welchen Problemen er zu kämpfen hat und nicht zuletzt, welche grandiosen Gerichte er für „Love Food“ zaubert. Alleine bei der Vorstellung wurde mein innerer Pawlow’scher Hund wach und verlangte sehnsüchtig nach indischem Essen. Die Charaktere bilden ein bunt-diverses Potpourri und fügen sich optimal in die komplexe Handlung ein. Teils zog sich diese ein wenig in die Länge, aber letztlich hat mir die Geschichte rund um Maravan und seine Kochkünste sehr gefallen.

Vielen Dank an den @diogenesverlag für das #Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Berührend und wichtig!

Herzfaden
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Wohin gehen, wenn es keinen Weg gibt? Welche Richtung schlägt man ein ohne Ziel? (S. 103)

Jeder sollte einmal reisen in das schöne Lummerland… Allerdings hatte sich das ein kleines Mädchen so nicht vorgestellt: ...

Wohin gehen, wenn es keinen Weg gibt? Welche Richtung schlägt man ein ohne Ziel? (S. 103)

Jeder sollte einmal reisen in das schöne Lummerland… Allerdings hatte sich das ein kleines Mädchen so nicht vorgestellt: Durch Zufall gerät sie nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste auf einen geheimnisvollen Dachboden, der von den hölzernen Darstellern, den Marionetten, bewohnt wird. Doch sie sind nicht alleine, denn Hatü Oehmichen, die sie alle gemeinsam mit ihrem Vater geschnitzt hat, ist bei ihnen und erzählt die Geschichte ihrer Familie und der Entstehung des transportablen Theaters. Mitten im Zweiten Weltkrieg lernte Walter, ihr Vater und Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Kriegsgefangenschaft einen Puppenschnitzer kennen und baute gemeinsam mit ihm ein Marionettentheater für die eigene Familie – bis es in der Bombennacht 1944 zerstört wird. Nach dem Krieg bauen sie es gemeinsam wieder auf, lassen die Puppenfamilie wachsen und gehören schon bald zum Kulturgut, als die Augsburger Puppenkiste die erste TV-Serie im westdeutschen Fernsehen wird.

Einfühlsam und liebevoll einerseits, erschütternd und mit intensiven Bildern auf der anderen Seite erzählt Thomas Hettche von der Entstehung des wohl bekanntesten deutschsprachigen Marionettentheaters, dem Aufwachsen und den zeitgeschichtlichen Ereignissen inmitten des Zweiten Weltkriegs. Schon früh wurde Hannelore von ihren Eltern Empathie und Wärme gelehrt, und so setzte ihre Familie inmitten all dem Elend und der Armut des Krieges alles daran, den Menschen Aufmunterung und Ablenkung zu verschaffen.
Von der Entstehung der Puppenkiste, den damals herrschenden Umständen und der zugrunde liegenden Intention der Familie Oehmichen zu erfahren, hat mich bewegt und begeistert. Der Schreibstil ist rhythmisch, angenehm zu verfolgen und der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart und die sich so aufbauende Spannung erzeugen eine eingehende Grundspannung. Die liebevollen Zeichnungen von Matthias Beckmann haben die Lektüre ungemein bereichert und aufgelockert. Insgesamt hat mir der Roman besonders seiner geschichtshistorischen Tragweite und künstlerischen Elemente, aber auch der sprachlichen Gestaltung wegen unglaublich gut gefallen – nicht umsonst war „Herzfaden“ für den Buchpreis 2020 nominiert.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Tolles Debüt

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
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In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum ...

In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum Sport und zur Literatur, und erzählt intensiv und ergreifend von ihrem Leben als Tennisprofi. Als Flüchtlingskind aus dem ehemaligen Jugoslawien begann sie in Darmstadt, auf dem Tennisplatz Fuß zu fassen, bereit, die Welt zu erobern. Humorvoll und nachdenklich schreibt sie über Begegnungen auf und neben dem Tennisplatz sowie ihren zermürbenden Verletzungsphasen, von ihrer serbisch-deutschen Seele und ihrer großen Liebe zu Literatur, Musik. Es sind Erzählungen über das Leben, das Auf und Ab und eine Erinnerung daran, niemals aufzugeben, weiterzukämpfen.

„Oft sind Niederlagen der eigentliche Auslöser für Fortschritt.“ (S. 21)

Nicht nur als Tennisspielerin, auch als Autorin ist Andrea Petković unglaublich talentiert. Sie schreibt mit einem warmen, fesselnden Wortschatz und erzeugt mit ihrer empathischen Art einen ergreifenden Erzählrhythmus. Reflektiert und nachdenklich erzählt sie von großartigen Erlebnissen als Sportlerin, ihrem Leben als Tochter einer serbischen Flüchtlingsfamilie, und niederschmetternden Erfahrungen wie ihren zahlreichen Verletzungen und ihrem Umgang damit. Dabei gibt sie auch einen Einblick, erzählt von alten Freundschaften und dem Verliebtsein, von ihren liebsten Büchern und was sie ihnen gelehrt haben.

Es war unglaublich interessant, mehr über Andrea Petković zu erfahren, einen Blick hinter die Kulissen des Tennissports zu erhalten. Leider konnten mich nicht alle Erzählungen gleichermaßen in ihren Bann ziehen, uferte sie manchmal doch sehr aus, doch insgesamt ein wirklich tolles Debüt.

Vielen Dank an Kiepenheuer & Witsch!

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Veröffentlicht am 11.10.2020

Fesselnd und mysteriös

Böse
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In Böse - Die Psychologie unserer Abgründe führt die Kriminalpsychologin Julia Shaw in die psychologischen Hintergründe von Serienmördern wie Jack the Ripper oder Psychopathen wie Charles Manson ein, zeigt ...

In Böse - Die Psychologie unserer Abgründe führt die Kriminalpsychologin Julia Shaw in die psychologischen Hintergründe von Serienmördern wie Jack the Ripper oder Psychopathen wie Charles Manson ein, zeigt jedoch auch auf, mit welchen alltäglichen Abgründen wir selbst uns umtreiben. Gewaltfantasien, Machtmissbrauch - sind wir selbst insgeheim auch "böse"? Mithilfe psychologischer Fallstudien und neusten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen erklärt sie, warum wir handeln, wie wir handeln, in welchen Teilen des Gehirns sich dieses "Böse" entspinnt, wie wir damit umgehen.

Anders, als der Titel annehmen lässt, existiert dieses "Böse" für Shaw allerdings nur als subjektives Konzept, lässt es sich doch nicht objektiv nachweisen. Sie beschreibt eingehend und provokativ, untersucht unterschiedliche Gewalttaten, Verstöße gegen soziale Normen und erörtert beide Seiten der Debatte, sodass der Leser sich selbst eine Meinung bilden kann. Der Schreibstil ist eingehend, teilweise von Fachbegriffen gespickt, die ein gehobenes Gesamtbild erzeugen, und doch merkt man, dass sie - weil es sich um massentaugliche Literatur handelt - die beschriebenen Wesenszüge und Diskussionen nur oberflächlich behandelt. Hier hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, bin ich doch sehr an Psychologie interessiert und daran, auch Unbekanntes selbstständig weitergehend zu recherchieren. Dieser Kritikpunkt kann daher nicht gänzlich der Autorin zugeschrieben werden.

Insgesamt finde ich das Buch gerade im Zuge der True Crime-Bewegung im Podcast- und Unterhaltungsbereich sehr informativ und interessant, wurde zum Reflektieren angeregt und konnte vieles mitnehmen.

Herzlichen Dank an Heyne für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 12.09.2020

Eingehende Diskussion

GOTT
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Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod?

In Gott - Ein Theaterstück diskutiert Ferdinand von Schirach die Frage, wie es um die bewusste und selbstbestimmte Entscheidung eines Menschen ...

Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod?

In Gott - Ein Theaterstück diskutiert Ferdinand von Schirach die Frage, wie es um die bewusste und selbstbestimmte Entscheidung eines Menschen zu sterben bestellt ist.
Richard Gärtner ist ein gesunder Mann, 78 Jahre alt, und möchte nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Um seinem Leben ein Ende zu setzen verlangt er nach einem bestimmten Medikament, das ihm von seiner Ärztin jedoch verwehrt wurde. Nun tagt die Ethikkommission samt Medizinern, Juristen, einem Bischof und Mitgliedern der Gesellschaft, um über die Unterstützung eines Arztes bei seinem Suizid zu diskutieren.

Doch zu einem Urteil muss der Leser letztlich selbst kommen, und die ihm zur Hand gegebenen Argumente gegeneinander abwiegen und mit den eigenen moralischen und ethischen Vorstellungen zusammenbringen.

In seinem unverwechselbaren Stil stellt von Schirach die Debatte zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dar, dass im Februar 2020 beschloss, das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" zu garantieren, wörtlich: "Der Bürger hat dir Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen".

Obgleich der Schlagabtausch sich phasenweise in die Länge zog und die Argumentation brüchig war, habe ich viele Schlüsse aus der Diskussion ziehen können und neue Einblicke erhalten. Ich finde es sehr schwer, eine endgültige Meinung zu der Fragestellung zu finden, da viele unterschiedliche Aspekte und Perspektiven zu berücksichtigen sind; letztlich wird man es immer jemandem nicht Recht machen, aber so ist das Leben.

Vielen Dank an den Luchterhand-Verlag für das #Rezensionsexemplar!

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