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Veröffentlicht am 12.10.2020

Die Leichtigkeit des Todes

Die Gespenster von Demmin
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Larry, die eigentlich Larissa heißt, spielt schon seit Jahren mit dem Tod. Gewissermaßen. Denn ihr Karriereziel heißt: Kriegsreporterin und das wird man nicht einfach so ins Blaue hinein. Denkt Larry und ...

Larry, die eigentlich Larissa heißt, spielt schon seit Jahren mit dem Tod. Gewissermaßen. Denn ihr Karriereziel heißt: Kriegsreporterin und das wird man nicht einfach so ins Blaue hinein. Denkt Larry und trainiert schon mal für gewisse Situationen, in die sie möglicherweise geraten könnte. Vor allem Gefangenschaft inklusive Folter: darauf bereitet man sich wunderbar mit Übungen wie Kopfüber vom Baum hängen oder Waterboarding vor. Fär Einsätze unter schwierigen Bedingungen, bei denen eine gewisse Balance erforderlich, ist ein stundenlanges Auf-dem-Stuhl stehen eine gute Vorbereitung. Unter anderem. Dass ihre Mutter das nicht so sieht und am besten gar nicht mitbekommt, daran hat Larry sich längst gewöhnt. Überhaupt ihre Mutter: sie nervt durch ständig wechselnde Männerbekanntschaften, die den Mädelshaushalt gehörig durcheinander bringen. Wobei sie sich fast danach zurück sehnt: ist doch die neueste Errungenschaft offenbar etwas für länger, wenn nicht für die Ewigkeit: er zieht schon bald mit in den Haushalt ein, ohne dass Larry so richtig gefragt wird.

Ihren Vater sieht sie nur selten, der hat nämlich bereits kurz nach ihrer Geburt die Flucht ergriffen - und das nicht wegen Larry, sondern aus einem wirklich tragischen Grund: Larrys älterer Bruder verunglückte, während ihre Mutter mit ihr schwanger war: eine Tragödie, die auch Larry spürt. Und zwar bereits ihr ganzes Leben lang.

Wobei das Sterben insgesamt eine große Rolle spielt in diesem Roman, der in Demmin angesiedelt ist, einer Stadt, in der vor dem Anrücken der Roten Armee ein Massenselbstmord stattfand: vor allem Frauen mit Kindern ertränken sich im Fluss oder erhängten sich.

Es gibt einen zweiten, wesentlich kürzeren Erzählstrang aus der Sicht einer alten Dame, einer Überlebenden dieser Tragödie. Auch für sie ist der Tod ein lebenslanger Begleiter gewesen.

Auch wenn der Tod über allem schwebt und sozusagen das verbindende Element der beiden Handlungsstränge ist, erzählt Autorin Verena Keßler mit leichter Hand, die jedoch alles andere als oberflächlich wirkt. Im Gegenteil, die junge Autorin offenbart ein Talent, ihr Sujet mit knappen Worten lebendig darzustellen, das seinesgleichen sucht. Sowohl Handlung als auch Setting und Figuren wirken kraftvoll und lebendig. Es bleibt genug Raum für den Leser, um eigene Bilder zu entwickeln. Und auch, um den subtilen Humor, der sich durch den Roman zieht, zu genießen.

Ein großartiger Coming-of-Age-Roman, ebenso eindringlich wie ungewöhnlich. Eine neue Autorin, die zu begeistern vermag - mich jedenfalls!

Veröffentlicht am 07.10.2020

Leckeres und problemloses Essen

MODERN AYURVEDA
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Die Bloggerin Katharina Döricht aka Tasty Katy hat hier ein ganz besonderes Kochbuch geschaffen, eines, das ich nicht so schnell vergessen werde! Sie wenden - ganz zurecht - ein, dass es dazu ja auch gar ...

Die Bloggerin Katharina Döricht aka Tasty Katy hat hier ein ganz besonderes Kochbuch geschaffen, eines, das ich nicht so schnell vergessen werde! Sie wenden - ganz zurecht - ein, dass es dazu ja auch gar keine Möglichkeit gibt, wenn ich regelmäßig Rezepte daraus nachkoche (was ich mir tatsächlich ganz fest vorgenommen habe)?

Damit liegen Sie natürlich ganz und gar richtig, allerdings kann ich oft gekochte Rezepte (mit eigenen Abwandlungen natürlich) ganz schnell auswendig und zudem blättere ich das Kochbuch ja nicht jedes Mal von neuem durch.

Was ich hier aber ganz oft machen werde. Denn Katharina Döricht stellt ihren Rezepten ihre eigene Geschichte voran. Und obwohl sie locker meine Tochter sein könnte, kann ich daraus eine Menge lernen. Sie hat nämlich genau wie ich vieles nicht vertragen können, war sogar ernsthaft krank und hat - ganz zufällig - zu Ayurveda gefunden.

Wovon sie nicht mehr loskam, da es tatsächlich half. Aber natürlich nicht so, wie es in den Lehrbüchern steht, sondern die junge Frau musste sich ihren eigenen Weg bahnen. Und hat dazu eine Menge Tipps in petto sowohl zu den einzelnen Ayurveda-Typen als auch zum Abwandeln ihrer Rezepte.

Ein so kluges, warmherziges und mitreißendes Kochbuch, wie ich es selten erlebt habe! Ich bin sehr begeistert von Tasty Katies Buch, das mich nun fast täglich begleitet. Und das ich jedem empfehle, der gerne isst, der es damit aber nicht ganz einfach hat!

Veröffentlicht am 25.09.2020

Mittelalterliche Gestalten der besonderen Art

Der Halbbart
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Sebi, der Erzähler und maßgebliche Protagonist dieses Romans wächst in einem kleinen Dörfchen nahe Schwyz auf und lernt früh, dass das Leben hart ist. Er ist der jüngste von drei Brüdern, der Vater stirbt ...

Sebi, der Erzähler und maßgebliche Protagonist dieses Romans wächst in einem kleinen Dörfchen nahe Schwyz auf und lernt früh, dass das Leben hart ist. Er ist der jüngste von drei Brüdern, der Vater stirbt früh an einem Arbeitsunfall, Geni, der älteste Bruder, verliert bei einem ebensolchen sein Bein. Als auch noch die Mutter dahin scheidet, wird Sebi ins Kloster verbracht - das war sowieso eine Überlegung für seine Zukunft - aber nicht mehr. Und so fühlt er sich dort auch nicht wohl, da er den Glauben dort nicht als warm und behütend erlebt, sondern als Machtspiel. Als der Prior Unglaubliches von ihm verlangt, nimmt er Reißaus.

Sein Beschützer wird der Halbbart, ein Mann, der sich außerhalb des Ortes angesiedelt hatte und dessen Nähe Sebi bereits vorher gesucht hatte - als einer der Wenigen im Dorf, da der Halbbart als Ausgestoßener gilt: sein Gesicht ist nämlich halb verbrannt, weswegen sein Bart auch nur auf der Hälfte des Gesichts wächst. Dadurch hat er seinen Namen weg, den er auch selbst gern verwendet.

Er bringt Sebi zu einem Schmied ins Nachbardorf, der ihn als seinen Verwandten ausgibt und gewinnt seinerseits an Ansehen, als sich der einbeinige Geni, der im Dorf respektiert wird, für ihn stark macht.

Ein Roman, in dem dem Leser sowohl die Brutalitäten des Mittelalters vorgeführt als auch der Zusammenhalt und die Stärke von Menschen mit gemeinsamen Zielen dargelegt werden. Die leider auch schnell wieder brechen können aus dem ein oder anderen Grund.

Charles Lewinsky hat mit Sebi einen wachen Geist geschaffen, der hinterfragt, staunt, erschrickt - und "seine" Welt des frühen 14. Jahrhunderts in Frage stellt. Auf eine wunderbar anrührende Art und Weise, die sicher nicht typisch fürs Mittelalter ist, die es jedoch dem Leser ermöglicht, ihm aus der Gegenwart dorthin zu folgen.

Ein Roman mit starken Figuren, heftigen, aber auch warmherzigen Szenen, bei dessen Lektüre mir warm ums Herz wurde!

Veröffentlicht am 24.09.2020

Sippenhaft

Bis wir uns wiedersehen
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Können Sie sich das vorstellen? Ihr Vater begeht ein politisches Verbrechen, wird verhaftet - aber Sie ebenfalls. Und Ihre Kinder auch - obwohl keiner von Ihnen ein Verbrechen begangen hat. Nur der Vater ...

Können Sie sich das vorstellen? Ihr Vater begeht ein politisches Verbrechen, wird verhaftet - aber Sie ebenfalls. Und Ihre Kinder auch - obwohl keiner von Ihnen ein Verbrechen begangen hat. Nur der Vater - aus damaliger Sicht, nämlich im Sommer 1944 - er war involviert in Vorbereitung und Durchführung des Stauffenberg-Attentats gegen Hitler, das ja leider mißlang. Aus heutiger Sicht ist Ulrich von Hassell, denn um ihn handelt es sich, ein Held. Und zwar einer, der alles verlor, denn er musste, wie so viele seiner Mitstreiter, sein Leben lassen.

Ebenfalls verhaftet - und zwar wenige Tage später - wurde seine Tochter Fey von Hassell, die mit einem Italiener verheiratet war und zwei niedliche kleine Söhne hatte - die gleich mit verhaftet wurden. Wenige Tage später wurde sie von ihnen getrennt und auf eine wahre Odyssee geschickt, die sie unter anderem nach Buchenwald und andere Konzentrationslager verschlug und auf Capri endete - da war der Krieg schon vorbei. Was mit den Jungs geschehen ist, das wusste sie nicht.

Spannender als jede Fiktion ist diese real erzählte Familiengeschichte. Autorin Catherine Bailey schildert sie ebenso fesselnd wie fundiert - im Anhang befinden sich ausführliche Anmerkungen sowie ein Personenregister. Wer nicht vergessen und im Gegenteil mehr erfahren will über das Unrecht, das Nazideutschland über so viele Menschen brachte, der sollte dieses Buch lesen! Nein, verschlingen!

Veröffentlicht am 14.09.2020

Weiß - jedenfalls fast

Die verschwindende Hälfte
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Die Zwillingsschwestern Desiree und Stella wachsen gemeinsam in einem kleinen Ort, Mallard, im Staate Louisiana auf, wo sie nur "Die Zwillinge" genannt werden. Denn gemeinsam: das bedeutet bei ...

Die Zwillingsschwestern Desiree und Stella wachsen gemeinsam in einem kleinen Ort, Mallard, im Staate Louisiana auf, wo sie nur "Die Zwillinge" genannt werden. Denn gemeinsam: das bedeutet bei den beiden Mädchen - unzertrennlich.

Dass fast weiß dennoch schwarz ist, das lernen sie früh, als ihr Vater in ihrem Beisein zu Tode getreten wird. Einfach nur so. Denn wenn einer nur fast weiß ist, kann man es mit ihm ja machen.

Als späte Reaktion darauf verlassen die fast weißen, nun fast erwachsenen Schwestern ihr Kaff in Richtung New Orleans, wo sie eine Unterkunft finden und auch Arbeit - natürlich gemeinsam. Doch bald zeichnet sich ein unterschiedlicher Weg ab - während die kesse Desiree in der Wäscherei, in der sie beide starteten, bleibt, findet die wesentlich stillere Stella einen Job im Schreibbüro.

Und damit trennen sich irgendwann ihre Wege - Stella nämlich gilt im Büro nicht als fast, sondern als ganz Weiße und kehrt irgendwann einfach nicht mehr zu ihrer Schwester zurück, die eine gegensätzliche Richtung einschlägt: sie heiratet den dunkelhäutigsten Mann, dem sie begegnet und bekommt eine ebenso dunkle Tochter, mit der sie eine Dekade später zur Mutter in Mallard zurückkehrt - der Mann hat sich als Schläger entpuppt.

Ein wirklich fesselnder Roman, der gerade durch den klaren und gelegentlich distanziert erscheinenden, dann wieder emotional rüberkommenden Stil punktet. Ja, die junge Autorin Brit Bennett hat es wirklich drauf, ich muss nur bemängeln. dass einige Gewichtungen aus meiner Sicht hätten anders gesetzt sein sollen und die Zeit, in der der Roman spielt, nicht ganz klar ersichlich ist. Also rein subjektive Aspekte, die einem anderen Leser möglicherweise gerade besonders zusagen!

Insgesamt ist dies gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehenisse in den Vereinigten Staaten ein wichtiger und eindringlicher Roman über Abgrenzung, Anpassung und Loslösung. Und über vieles mehr. Finden Sie es heraus!