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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2020

10 Kostbarkeiten.

Letzte Erzählungen
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Der Autor erzählt in diesem Werk, das aus seinem Nachlass stammt, tiefgründig, feinfühlig und einfühlsam von den verborgenen und abgründigen Tiefen des menschlichen Seins.

Er hat in diesem Buch brillante, ...

Der Autor erzählt in diesem Werk, das aus seinem Nachlass stammt, tiefgründig, feinfühlig und einfühlsam von den verborgenen und abgründigen Tiefen des menschlichen Seins.

Er hat in diesem Buch brillante, ruhige und überwiegend melancholische Erzählungen versammelt, die meist kein Happy End haben oder offen enden.

Es geht meist um alltägliche, zufällige oder schicksalshafte Begegnungen, die bedeutsam sind und doch keine großen Auswirkungen haben.

Die totgeglaubte Mutter ist lebendig und kerngesund.
Eine Klavierlehrerin duldet, dass ihr Schüler sie bestiehlt, weil er so gut spielt.
Ein Mord wird geflissentlich übersehen.
Eine Freundschaft zerbricht wegen einer Liebe.
Der Verlust der Ehegatten.
Der Einsatz von KO-Tropfen.
Eine tote italienische Haushaltshilfe nach der kein Hahn kräht.
Ein italienischer Cafébesitzer, der sein Café nach der Frau benennt, die ihn verlassen hat...

Es sind präzise formulierte Erzählungen von Durchschnittsbürgern, Einzelgängern, Gescheiterten, Scheiternden oder Ausgegrenzten in Alltagssituationen.
Keine großen Dramen, eher vertraute oder unspektakuläre Schicksalsschläge.
Nichts Außergewöhnliches?
Doch!
Schon allein wegen der beeindruckenden Sprache.

Meines Erachtens sollte man jede Erzählung für sich ganz aufmerksam lesen, das Gelesene auf sich wirken lassen und dann darüber sinnieren.
So ist der Lesegenuss am größten.

Diese zehn großartigen, melancholischen, manchmal etwas verstörenden Geschichten wurden erst nach dem Tod des irischen Schriftstellers William Trevor, der 2016 verstarb, veröffentlicht.

Ich empfehle sie sehr gerne weiter! 10 Kostbarkeiten, die man in Häppchen genießen kann.

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Veröffentlicht am 15.09.2020

Bezaubernd und märchenhaft!

Der Meisterkoch
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Historisch, kulinarisch und abenteuerlich.

Schon die Gestaltung des Covers ist eine Augenweide. Ich konnte nicht umhin, mich dem Buch zuzuwenden und den Klappentext zu lesen.
Und dann war klar: an diesem ...

Historisch, kulinarisch und abenteuerlich.

Schon die Gestaltung des Covers ist eine Augenweide. Ich konnte nicht umhin, mich dem Buch zuzuwenden und den Klappentext zu lesen.
Und dann war klar: an diesem Roman komme ich nicht vorbei.

Wir begeben uns auf eine genussvolle und abenteuerliche Reise nach Istanbul und landen circa im Jahre 1600.
Es ist die Blütezeit des osmanischen Reiches.

Im Topkapi-Palast erblickt ein ganz besonderes Kind das Licht der Welt: ein Kind, mit einem außergewöhnlichen, perfekten Geschmackssinn.
Dieses Kind entkommt dem mörderischen Massaker des Sultans.
Mithilfe des Küchenchefs überlebt es und kann flüchten.
Nach seinen Lehrjahren im „Tempel der Genüsse“, während derer er sich in die Tänzerin Kamer verliebt, kommt der junge Mann als Koch an den Hof zurück, um den Waffenmeister zu bekochen.

Er zaubert wunderbare Gerichte, bereitet herrliche Genüsse und versteht es, mit seinen Kreationen bestimmte Gefühle auszulösen, was ihm große Macht verleiht.
Er scheint aber neben Kochen auch noch etwas anderes im Sinn zu haben...

Mit einer blumigen und poetischen Sprache, mit einer wunderbaren Wortwahl und mit anschaulichen Bildern erschafft der Autor eine verzauberte und märchenhafte Stimmung.

Es ist eine zauberhafte Geschichte, die den Leser in ihren Bann zieht.
Wer in die Atmosphäre von 1001 Nacht eintauchen möchte und exotische Gerichte, Gerüche und Düfte liebt, sollte sich diesem fantastischen Werk, das alle Sinne anspricht, zuwenden.

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Wendephase, Ankunft und Neubeginn im Fokus.

Die Annonce
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Der Inhalt überzeugt!
Die Sprache ist eine Wucht!
Das schmale Bändchen ist eine Perle!

Wir beginnen zu lesen und sind sofort mittendrin.
Mittendrin in dem abgeschiedenen Ort Fridières in Frankreich ...



Der Inhalt überzeugt!
Die Sprache ist eine Wucht!
Das schmale Bändchen ist eine Perle!

Wir beginnen zu lesen und sind sofort mittendrin.
Mittendrin in dem abgeschiedenen Ort Fridières in Frankreich mit seinen Naturgewalten.
Die Nacht ist dunkler als irgendwo sonst, das Gewitter ist „ein wildes Schauspiel“ und der Regen ist eine „rasende Flut“.

In diesem, in tausend Metern Höhe gelegenen Weiler in der Auvergne, einem von Wiesen und Wäldern umgebenen „verblüffenden Landstrich“, gleichermaßen rau und schroff, wie atemberaubend und faszinierend, sind die 37-jährige Annette und ihr 11-jähriger Sohn Éric gelandet.
Hier wollen sie Fuß fassen.

Der 46-jährige Paul lebt dort mit seiner Hündin Lola ... und mit seinen beiden um die 80-jährigen Onkeln Louis und Pierre ... und mit seiner etwas jüngeren Schwester Nicole.

Das Miteinander in dieser Berglandwirtschaft ist nicht unkompliziert und der Ton ist nicht zimperlich. Der Umgang ist bärbeißig und ruppig.

Paul hat, nachdem er auf Tanzfesten und anderweitig über Jahre hinweg nicht erfolgreich war, per Annonce eine Frau gesucht, um nicht wie seine Onkel als rüpelhafter Junggeselle mit mittelalterlichen Vorstellungen und überholten Vorgehensweisen zu altern... und Paul hat Annette gefunden.

Bauer sucht Frau?
Ja!
Aber zu keinem Zeitpunkt klischeehaft, kitschig oder seicht.

Annette lebte am anderen Ende von Frankreich und hatte eine Trennung hinter sich, die der Beziehung mit einem alkoholkranken, gewalttätigen und straffällig gewordenen Mann ein Ende setzte ... und Annette, nun alleinerziehend, hat die Annonce entdeckt und ausgeschnitten.

Zweimal haben sich Paul und Annette getroffen. Dann wurden Nägel mit Köpfen gemacht.

Die beiden Neulinge Annette und Éric haben es nicht ganz leicht in der eingeschworenen und in sich geschlossenen Gemeinde und in dem aufeinander eingespielten Haushalt, in dem Pauls Schwester Nicole das Regiment über die drei Männer führt.

Die konservativen und hochmütigen Onkel und die gleichermaßen stolze wie verbitterte und um ihren Stand besorgte Nicole erleichtern den Beiden die Eingewöhnung nicht.
Und einen guten Stand hat Nicole, weil sie sich als zuverlässige Unterstützung und fleißiges Lieschen nicht nur um die beiden Onkel, sondern um alle Alten und Bedürftigen im Weiler kümmert. Trotzdem meint sie, ihr Revier verteidigen zu müssen...

Es ist interessant, in die Lebensgeschichten der Charaktere einzutauchen, etwas über ihre Vergangenheit und Gedankenwelt zu erfahren und sie und ihren Alltag näher kennenzulernen.

Es macht Spaß diesen beachtlichen kleinen Ort zu erkunden, der von Vater Lemmet, einem „ambulanten Bäcker und Krämer“ versorgt wird.

Die 1962 geborene Marie-Hélène Lafon schreibt sprach- und bildgewaltig.
Sie wählt ihre Worte präzise und bringt das, was sie zu Papier bringen möchte temporeich, prägnant und schnörkellos auf den Punkt.

Staccato-artig und in Forte präsentiert sie virtuos ein wuchtiges Werk mit alltäglichem, aber originell umgesetzten Inhalt.

Sie spielt mit Worten, Sätzen und Satzzeichen.
Mit dem zeitweisen Weglassen von Kommata zum Beispiel treibt sie das Geschehen voran.
Kurze Zeit später hat man das Gefühl, auf einem Fluss aus Worten und Sätzen dahinzutreiben.
Das Gelesene reißt einen mit und wirkt wie ein endloser Gedankenstrom, der sich in langen Sätzen und aneinandergereihten Wörtern ohne Satzzeichen oder nur durch Kommata getrennt präsentiert.

Die Autorin ist eine genaue Beobachterin, die das Beobachtete gründlich seziert und detailliert, aber niemals langatmig, beschreibt.

Der Leser wird durch ihre nüchterne Sprache auf Distanz gehalten, worin sich der vorsichtige, misstrauische und verängstigte Charakter Annettes, die Schüchternheit Érics, die noch zaghafte Beziehung der sich annähernden Partner und das kühle Verhältnis der zusammengewürfelten neuen Familie zeigt.

Da ist noch wenig Vertrauen und kaum Nähe. Der Text spiegelt, wovon er erzählt.
Und das wirkt unfassbar glaubwürdig.

Nach Gefühlen sucht man im Text vergeblich. Stattdessen gelingt es der Autorin durch ihre Erzählweise, sie während der Lektüre im Leser selbst entstehen zu lassen.
Das ist große Kunst.

Man sieht die überwältigende Natur regelrecht vor sich, nimmt die Gerüche von Heu und Erde wahr und kann unschwer in die Szenerie eintauchen und die Menschen hautnah beobachten.

Trotz aller Sachlichkeit würzt Marie-Hélène Lafon das schmale Bändchen mit einer wohldosierten Portion Witz.

Man sollte dieses besondere, beeindruckende und bewegende Werk meines Erachtens langsam, aufmerksam und bedächtig lesen, damit man sein Lesevergnügen nicht mindert und nichts verpasst.
Das ist nicht ganz einfach, weil die Sprache einen Sog ausübt und den Leser voranzutreiben scheint.

Ein Lesegenuss!
Ein Highlight!


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Veröffentlicht am 14.09.2020

Die Untaten der Vorfahren...

Reingewaschen
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Eine Geschichte über drei Männer.

1984 entdeckt der neugierige Gymnasiast Sebastian in einem verschlossenen Fach des Schreibtisches seines verstorbenen Großvaters zehn Briefe, die ein sog. Herr Müller ...

Eine Geschichte über drei Männer.

1984 entdeckt der neugierige Gymnasiast Sebastian in einem verschlossenen Fach des Schreibtisches seines verstorbenen Großvaters zehn Briefe, die ein sog. Herr Müller während der Nazizeit aus dem Gefängnis an seine Frau Gertrude geschrieben hat.

Auf zwei Zeitebenen wird nun die Geschichte dreier Männer erzählt.

Im 1984-er Strang lesen wir, was der Ich-Erzähler Sebastian zu erzählen hat.
Wir erfahren, dass die Briefe ihre Empfängerin nie erreicht haben und dass Sebastians Vater sie eigentlich deren Nachfahren hätte aushändigen sollen.
Wir erfahren auch, dass Sebastians Vater gar nicht begeistert davon ist, dass sich sein Sohn so intensiv mit seinem Großvater auseinandersetzt. Ich halte seine Reaktion für durchaus nachvollziehbar, weil es sicherlich nicht einfach und auch schambesetzt war und ist, sich mit der Nazivergangenheit des eigenen Vaters auseinanderzusetzen.

Weil sein Vater ihm keine Hilfe ist, machen sich Sebastian und sein Freund allein ans Werk.
Sie recherchieren und finden Unterstützung bei einem freundlichen Bibliothekar und bei Professor Grün.

Daneben gibt es den 1941-er Strang, in dem ein allwissender Erzähler von den damaligen Geschehnissen berichtet.
Hier geht es überwiegend um den Gefangenen Herrn Müller, der von Sebastians Großvater verhört wird.

Claus Wechselmann hat gründlich recherchiert, weshalb eine authentische Atmosphäre entsteht. Er vermittelt Zeitgeschichte glaubhaft, wählt prägnante Formulierungen und schreibt scharfsinnig und analytisch. Die Sprache ist anspruchsvoll und es ist nicht immer ganz leicht, zwischen den Ebenen hin und her zu wechseln. Man muss aufmerksam lesen, aber das mache ich ohnehin.

„Reingewaschen“ ist ein außergewöhnliches und besonderes Werk, das sich leicht und flüssig lesen lässt, aber niemals seicht oder trivial daherkommt.
Es ein interessanter, spannender, brisanter und kurzweiliger Kriminalroman, durch dessen 288 Seiten man regelrecht fliegt und dessen Ende überrascht.

Ich habe noch nie einen Roman darüber gelesen der davon handelt, wie die Nachfahren mit den Untaten ihrer nationalsozialistisch gesinnten Eltern oder Großeltern umgehen. Schon deshalb interessierte und gefiel mir „Reingewaschen“.

Ich empfehle den absolut lesenswerten Debutroman von Claus Wechselmann sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 14.09.2020

Ein Highlight!

Der steinerne Engel
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Gleich vorab: Wer diesen Roman nicht liest, hat etwas verpasst.

Die kanadische Autorin Margaret Laurence ist mir vor der Lektüre des „steinernen Engels“ noch nie begegnet.
Margaret Laurence wurde 1926 ...

Gleich vorab: Wer diesen Roman nicht liest, hat etwas verpasst.

Die kanadische Autorin Margaret Laurence ist mir vor der Lektüre des „steinernen Engels“ noch nie begegnet.
Margaret Laurence wurde 1926 geboren und wuchs als Waise bei ihrer Tante in der kanadischen Prärieprovinz Manitoba auf, studierte, arbeitete als Journalistin und zog später mit ihrem Mann für einige Jahre nach Afrika.
Nach ihrer Scheidung pendelte sie zwischen England und Kanada hin und her.
Die Schriftstellerin war auch in der Lehre tätig und engagierte sich in der Politik.
Zeitlebens kämpfte sie wohl mit Depressionen und Alkohol.
Nach der Diagnosestellung Lungenkrebs beging sie 1987 Selbstmord.

„Der steinerne Engel“ spielt in den 1960-er Jahren in Kanada.

Gleich zu Beginn erfahren wir, dass es sich beim steinernen Engel um den Grabstein von Hagar Shipleys Mutter handelt, die bei der Geburt ihrer Tochter verstorben ist.
Er steht auf dem Friedhof in Manawaka, dem fiktiven Städtchen in Kanada, in dem Hagar aufgewachsen ist.

Die inzwischen 90-jährige Ich-Erzählerin Hagar Shipley lässt uns in dem Roman an ihren Gedanken und Erinnerungen sowie an ihrem gegenwärtigen Alltag teilhaben.

Hagar, die seit 17 Jahren mit ihrem Sohn Marvin und dessen Frau Doris zusammenlebt und sich vor zehn Jahren aus Langeweile das Rauchen angewöhnt hat, erzählt abwechselnd Anekdoten aus ihrer Vergangenheit und gewährt uns Einblicke in die Geschehnisse der Gegenwart.

Ihr Langzeitgedächtnis funktioniert prima; was kürzlich passiert ist, vergisst sie immer öfter.
Aber was diese Lücken anbelangt, werden wir u. a. vom Sohn und von der Schwiegertochter aufs Laufende gebracht.

Wir bewegen uns fließend zwischen zwei Zeitebenen hin und her und verfolgen zwei Handlungsstränge.

Der eine Strang:
Hagar wuchs mit ihren beiden älteren Brüdern Matt und Dan bei ihrem Vater, einem nicht gerade zimperlichen und eher wortkargen Ladenbesitzer und dem verwitweten Dienstmädchen Tante Doll in Manawaka in Kanada auf.
Hagar muss nicht nur mit dem Verlust ihrer Mutter klarkommen und den Tod ihres Bruders Dan verkraften, sondern auch noch ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, begraben, um die Buchhaltung im Gemischtwarenladen ihres Vaters zu erledigen.
Trotzdem oder gerade deswegen wird sie eine selbstbewusste und couragierte Frau. Sie bezeichnet sich selbst als „stramm und kräftig wie ein Ochse“ (S. 70)
Und dann, mit 24 Jahren, lernt sie auf einem Tanzabend ihren späteren Ehemann Bram Shipley kennen...

Der andere Strang:
Einen Sturz Hagars halten Marvin und Doris für den idealen Anlass, um der scharfzüngigen und eigenwilligen 90-Jährigen, die hilfsbedürftig ist, schon mal was vergisst und auch öfter mal gedanklich abdriftet, mitzuteilen, dass sie das Haus, in dem sie zu dritt leben, verkaufen wollen.

Als die alte Dame jedoch nicht sofort in ihrem Sinne reagiert, setzen Sie den Pastor auf Sie an.

Kurze Zeit später entdeckt Hagar per Zufall einen Zeitungsartikel und ihr wird klar: sie soll im Seniorenheim Silberfaden untergebracht werden.
Das will die dickköpfige und ruppige Hagar nicht so einfach hinnehmen...

Umso weiter der Roman fortschreitet, desto unsympathischer wird einem die Protagonistin. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und hat ständig spöttische, ironische, sarkastische oder zynische Kommentare auf Lager.
Gehässigkeiten und Abfälligkeiten sind keine Seltenheit.
Manchmal blitzt zwar ein bisschen Einsicht in ihr auf, jedoch nur, um im nächsten Moment von der nächsten Bosheit abgelöst zu werden.

Beide Stränge, die nicht streng getrennt voneinander verlaufen, sondern fließend ineinander übergehen, verfolgte ich äußerst gerne weiter.

Es war interessant und amüsant, manchmal auch empörend, traurig, unfassbar, erschütternd und spannend, einerseits in Hagars bewegte Biographie einzutauchen und andererseits zu erfahren, wie es in der Gegenwart weiterging.

Hagars Vergangenheit verfolgte ich interessiert, ihre Gegenwart gespannt und besorgt.

Die Lektüre war keine Minute langweilig und löste die ganze Palette der Gefühle bei mir aus, obwohl, oder gerade weil die Autorin überwiegend recht nüchtern und trocken, aber durchgehend flott schreibt.

Sie erzählt einerseits amüsant und unterhaltsam, andererseits sehr ernst und tiefgründig.
An Witz und Humor lässt sie es nicht fehlen.
Dabei driftet sie niemals ins Kitschige, Schnulzige oder Seichte ab.

Ich bewunderte im Verlauf der Lektüre zunehmend die sprachgewaltige Ausdrucksweise und die eindrücklichen Bilder von Margaret Laurence.

Man kann sich unschwer die Szenerien und Figuren vorstellen und hat das Gefühl mittendrin zu sein.

Laurence erzählt derart feinfühlig, ungeschönt, respektvoll, glaubhaft und authentisch. Chapeau!

Ich kann nicht umhin, zwei Beispiele für wunderschöne und anschauliche Formulierungen zu erwähnen:
„Mein Gedächtnis, das unglücklicherweise jetzt klar wie Quellwasser ist, steigt kalt blubbernd an die Oberfläche.“ (S. 283)

„Ich werde aus dem Schlaf gezogen wie ein Fisch in einem Netz.“ (S. 292)

Während ich eine äußerst unterhaltsame Geschichte verfolgte, wurde ich mit brisanten Gedanken zum Thema Altern konfrontiert und zum Nachdenken angeregt:

Die zunehmende Vergesslichkeit und das wiederholte Abdriften in die Vergangenheit.
Immer wieder Stürze und körperliche Gebrechen.
Das Gefühl, nicht mehr ernst genommen, entmündigt und bemuttert zu werden.
Der Versuch, dagegen aufzubegehren.
Sich hilflos und ausgeliefert fühlen.
Die Anfangsphase seiner Demenz bewusst mitzuerleben - absolut klare und helle Phasen, die unterbrochen werden von Momenten der Vergesslichkeit und des Abdriftens.
Momente, die man versucht zu verschleiern.

Ich kann mir den Roman unschwer als Tragikomödie verfilmt vorstellen.

Ich empfehle den circa 350-seitigen bewegenden und fesselnden Roman mit der zugegebenermaßen unsympathischen, dickköpfigen Protagonistin Hagar sehr gerne weiter.
Warum sie so geworden ist, kann man nachvollziehen, aber mögen kann man sie nicht. Manchmal blitzt eine Prise Mitgefühl für sie auf, aber sie schafft es regelmäßig, den Hauch dieser Prise wieder zu vertreiben.

Bei mir wird „Der steinerne Engel“ einen dauerhaften Platz im Regal bekommen. Er hat mich nachhaltig beeindruckt.

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