1892 Wien. Aufgrund eines tragischen Reitunfalls lag Komtess Luise, die Tochter des Grafen von Waldenberg, im Koma. Als sie nun erwacht, kann sie sich weder an den Unfall erinnern noch an ihre Familie, ...
1892 Wien. Aufgrund eines tragischen Reitunfalls lag Komtess Luise, die Tochter des Grafen von Waldenberg, im Koma. Als sie nun erwacht, kann sie sich weder an den Unfall erinnern noch an ihre Familie, Freunde, ihren Verlobten oder ihr Zuhause. Selbst sie ist sich fremd. Um langsam wieder etwas Normalität in ihr Leben zu bringen und ihre Unsicherheit vor ihrer eigenen Familie zu verbergen, erhält sie Unterstützung durch Zofe Dana und den Haushofmeister Milan. Während Luise alles neu kennenlernen und sich hineinfinden muss, stößt sie sich an den gesellschaftlichen Hierarchien innerhalb des elterlichen Palastes ebenso wie an dem Standesdünkel zwischen den Adeligen und den Bürgerlichen. Als sie Bekanntschaft mit dem Hofzuckerbäcker Stephan Bruckner macht, der schon lange heimlich in Luise verliebt ist, eröffnet dieser ihr mit seiner Familie und seiner Bäckerei eine Welt der Geborgenheit, sinnlicher Düfte und mit Liebe gemachter köstlicher Leckereien, die Luise wieder an eine ehrliche und normale Welt glauben lassen. Aber kann sie so einfach die Standesunterschiede übergehen und auch ihre Verlobung zu Fürst Rudolf von Thernitz ignorieren?
Ulrike Schweikert hat mit „Hinter den Spiegeln“ einen faszinierenden und packenden historischen Roman vorgelegt. Der Erzählstil ist flüssig, atmosphärisch-dicht und sehr bildgewaltig, der Leser wird schon mit dem Prolog in die Kaiserzeit Wiens transportiert. Mit einem eingefügten Zeitsprung von 24 Jahren reist man mit Luise in deren Vergangenheit, wo der Leser aus deren Sicht ihr Schicksal kennenlernen und dieses mit ihr teilen darf. Tagebucheinträge stützen wunderbar den Eindruck von Erinnerungen und lassen die Geschichte sehr realistisch wirken, da der Leser Luisa so auch von einer anderen Seite kennenlernt. Ebenso versteht es die Autorin sehr geschickt, die gesellschaftlichen Unterschiede und die Standesdünkel in ihrer Geschichte zu verweben sowie den historischen Hintergrund mit einzuweben. Die familiären Beziehungen im Hause Waldenberg sind ebenfalls sehr aufschlussreich wie kompliziert. Nicht nur die Grafenfamilie, sondern vor allem die eingenistete Verwandtschaft scheint Geheimnisse zu haben und alles zu versuchen, diese unter dem Teppich zu halten. Diese ruft mit ihren Intrigen so einige Spannung hervor. Der Titel ist also regelrecht Programm, denn man sieht im Spiegel meist nur, was man sehen will. Auch die Stadt Wien kommt in der Handlung nicht zu kurz, die Beschreibungen sind wunderbar bildhaft und laden während der Lektüre auf ein schönes Kopfkino ein.
Die Charaktere sind sehr differenziert ausgearbeitet und besitzen individuelle Ecken und Kanten, die sie glaubwürdig und sehr lebendig wirken lassen. Luisa ist eine junge Frau, die in eine adelige Familie hineingeboren wurde und deren Verhaltensformen angenommen hat. So ist sie zu Beginn hochnäsig, schaut auf die einfachen Leute und Dienstboten hinab, doch nach ihrem Unfall entwickelt sie sich zu einer liebenswerten und kritischen Frau, die althergebrachte Dinge in Frage stellt und sich den Konventionen nicht mehr beugen will. Stephan Bruckner liebt seinen Beruf als Zuckerbäcker und so schmecken auch seine Kreationen. Er kommt aus einer liebevollen Familie, in der sich alle sehr zugetan sind. Philipp von Dalbach hat sich mit seiner Frau Irma und den Kindern Max und Gabriele unter dem Dach der Waldenbergs eingenistet. Mit Intrigen versuchen sie ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten. Aber auch die Waldbergs selbst sowie Rudolf von Thernitz sorgen für einiges an Spannung in der abwechslungsreichen Handlung.
„Hinter den Spiegeln“ ist ein fesselnder und bildgewaltiger Roman vor der historischen Kulisse der österreichischen Monarchie in Wien. Meisterlich erzählte Geheimnisse, Intrigen und gesellschaftliche Barrieren bilden eine spannende Handlung, die den Leser bis zum Schluss in Atem hält. Absolute Leseempfehlung!