Kunst mit Worten
Erfrorene SeeleIch habe ein paar Kapitel gebraucht, um mich an den metaphorischen, melancholischen Stil zu gewöhnen. Dieses Buch las sich für mich nicht wie ein Thriller, nicht einmal wie ein Roman, eher wie poetische ...
Ich habe ein paar Kapitel gebraucht, um mich an den metaphorischen, melancholischen Stil zu gewöhnen. Dieses Buch las sich für mich nicht wie ein Thriller, nicht einmal wie ein Roman, eher wie poetische Sammlung von Ereignissen. Die Bedeutung der Dinge versteckt sich zwischen den Zeilen, in denen die Protagonistin Wiebke nach ihrer Vergangenheit sucht.
Wiebke wirkte von Anfang an sehr unsicher, sehr nachdenklich und gefühlvoll. Sie verliert sich oft in ihren Tagträumen, vergisst Fragen zu beantworten oder lässt sich von ihrer Umgebung ablenken. Manchmal wollte ich über sie den Kopf schütteln, so wie auch Leonie und Pana es oft genug für mich taten.
Insgesamt konnte mich das erste Drittel des Buches nicht so sehr überzeugen. Erst als Wiebke endlich nach Grönland aufbricht, kam für mich Spannung auf. Die Diskussionen mit ihrem Vater hätten meiner Meinung nach gekürzt werden können. Ihre Dialoge wiederholen sich, während die Charaktere auf der Stelle treten. Doch mit Beginn der Reise war ich vollständig von der Geschichte und der Atmosphäre eingenommen, sodass es mir selbst auf der kuscheligen Couch manchmal eiskalt den Rücken herunterlief. So viele Geheimnisse und ausgesprochene Worte, die erst nach und nach die Wahrheit enthüllen. Dinge werden immer abstruser, seltsamer, fast surreal. Traum und Realität scheinen zu verschwimmen
Dabei ist das Erzähltempo allenfalls als gemächlich zu bezeichnen, doch in dem kleinen Dorf am Ende der Welt scheint ohnehin Zeit ihre Bedeutung zu verlieren. Kleinste Mimiken oder Gedankenfetzen werden ausführlich und anmutig erzählt. Oft versteckt sich mehr in dem, was geschieht, als was gesagt wird. Ich mag diese Art, die Dinge zu betrachten. Ich mag das Nachdenkliche, Träumerische.
Für meinen Eindruck entwickelte sich die Liebe zwischen Wiebke und Pana zu schnell. Einerseits wirkte sie so zaghaft, andererseits waren die Charaktere sehr freigiebig mit großen Worten. Ich mochte jedoch, wie liebevoll sie miteinander umgingen.
Wiebkes Mutter blieb mir leider etwas gestaltlos, eher ein Geist als eine Person. Doch vielleicht sollte sie auch gar nicht mehr sein; nur ein Schemen, dem Wiebke hinterherrennt. Bis zum Schluss irgendwie unnahbar. Rätselhaft.
Manchmal scheint sich die Spannung zu sehr in der Sprache zu verlieren und Dialoge wirkten etwas zu abstrakt. Doch dann wieder empfand ich den Wort‑Minimalismus wunderbar tiefgründig. Oh, dieses Ende ‑ was soll ich denn jetzt nur glauben? 😢
Es war angenehm, gefühlvoll und inspirierend. Ein bisschen wie Kunst mit Worten. Ich bin mir sicher, dass nicht jeder den gleichen Zugang zu der Geschichte finden wird, auch ich musste mich erst darauf einlassen. Doch gerade deshalb ist sie irgendwie so besonders.