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Veröffentlicht am 15.02.2017

Eine gelungene Mischung aus Tatsachen und Fiktion

Sein blutiges Projekt
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Vorsicht, dieses Buch sollte man nicht mit falschen Erwartungen lesen, um es genießen und schätzen zu können. Wer sich einen klassischen fiktiven Thriller oder Ermittlungsarbeit erwartet, wird hier enttäuscht. ...

Vorsicht, dieses Buch sollte man nicht mit falschen Erwartungen lesen, um es genießen und schätzen zu können. Wer sich einen klassischen fiktiven Thriller oder Ermittlungsarbeit erwartet, wird hier enttäuscht. Der Autor fügt reale Ereignisse, die vor rund 150 Jahren in Schottland stattgefunden haben, zu einem ausführlichen Protokoll zusammen, die er mit fiktiven Personen und einigen eigenen literarischen Ideen zusammenfügt. So ergibt sich eine ganz besondere Geschichte rund um einen Teenager, dessen Familie in ärmlichen Verhältnissen lebt und die als arme Bauern mehreren Herrschaften unterstellt sind.
Im Heimatdorf dieses Teenagers, Roderick Macrae, geschehen drei bestialische Morde. Der Autor, Graeme Macrae Burnet (ob irgendwie verwandt oder einfach nur zufällige Namensgleichheit wird nicht angesprochen), lässt den Leser mit auf Spurensuche gehen, wie es denn zu den Taten kam, die Roderick angelastet werden. Im Gefängnis schreibt dieser ein Manuskript, gewissermaßen eine Autobiografie und zusammen mit den Augenzeugenberichten von damals und den Prozessakten leben die Beteiligten und die Ereignisse von damals wieder auf.
Auch wenn, besonders im Prozess-Abschnitt, sehr viel immer wiederholt wird und die Geschichte dadurch schon etwas langatmig wirkt, ist die Idee und die Umsetzung doch sehr besonders und eine ganz eigene Herangehensweise. Realität und Fiktion ergänzen sich so gut, dass man sie nicht unterscheiden kann (der Autor erklärt aber, was von ihm stammt) und so wie sich die Geschichte liest, kann sie sich wohl tatsächlich ereignet haben.

Als „Thriller“ würde ich das Buch nicht bezeichnen, dazu ist die Spannung doch eine ganz andere, denn sie ergibt sich nicht aus einer Tätersuche oder grausigen Andeutungen. Spannend ist vielmehr zu sehen, wie damals, 1869, die Menschen im schottischen Hochland gelebt haben. Zudem erfährt man wie Disziplinen, die uns heute bei der Verbrechensaufklärung selbstverständlich erscheinen, damals erst in ihren Anfängen steckten und auch noch teilweise sehr abstruse Theorie vertreten wurden, als es darum geht, ob ein Täter denn nun zurechnungsfähig ist oder nicht.
Zusätzlich birgt dieser Roman die Möglichkeit, die eigenen Grundsätze und Moralvorstellungen zu prüfen. Wie hätte ich in dem Prozess entschieden? Was hätte ich an Rodericks Stelle getan? Was ist nötig, um Machtmissbrauch beweisen zu können? Somit bleibt das Buch auch nach dem Ende im Gedächtnis und macht durchaus nachdenklich.

Veröffentlicht am 07.02.2017

Ein blaues Buch und ein sehr glücklicher Koch

Gefährliche Empfehlungen
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Auch wenn Essen in ausreichendem Maß in diesem Krimi Verwendung findet, so ist das zentrale Thema, worum sich Xavier Kieffers Ermittlungen drehen, nicht zum Verzehr geeignet. Der berühmte Restaurant-Guide ...

Auch wenn Essen in ausreichendem Maß in diesem Krimi Verwendung findet, so ist das zentrale Thema, worum sich Xavier Kieffers Ermittlungen drehen, nicht zum Verzehr geeignet. Der berühmte Restaurant-Guide „Gabin“ trägt offenbar ein jahrzehntealtes Geheimnis mit sich herum, das nun plötzlich wieder aktuell zu sein scheint. Dieses Buch mit dem kobaltblauen Einband spielte schon vor und im Zweiten Weltkrieg eine größere Rolle als man vermuten könnte und das obwohl es zu Kriegszeiten natürlich nicht erscheinen konnte.

Ausgerechnet auf der großen prunkvollen Eröffnungsfeier eines neuen Gabin-Gebäudes, das Kieffers Freundin Valérie Gabin, herrichten ließ, nehmen die Ereignisse ihren Lauf und der Koch muss nun nicht nur ein Buch sondern auch noch das Geheimnis finden. Dabei trachten ihm scheinbar sehr gewiefte Gegner nach dem Leben. Kieffers Reisen führen quer durch Luxemburg und Frankreich bis sie in einem etwas skurrilen Showdown zwischen ihm, den „Guten“ und den „Bösen“ gipfelt. Wobei Gut und Böse gar nicht so weit auseinanderliegen.

Neben der „Jagd ums Buch“ kommt aber auch der Magen nicht zu kurz und ein paar interessante Einblicke in die Luxemburger Küche sowie Sprache sind sowohl spannend als auch herausfordernd. Praktisch ist da das Glossar am Ende des Buches.
Stichwort Sprache: Unauffällig und gewandt geleitet Hillenbrand den Leser durch die Gassen und Städte. Eine Prise Humor an den richtigen Stellen sowie Dialoge, über die man noch länger schmunzelt, inklusive.

Xavier Kieffer ist für mich eine oft vom Glück geküsste Hauptfigur, die ansonsten um einiges ärmer dran wäre. Nicht nur, dass er immer wieder seine Haut retten kann, ist er doch auch mit der fabelhaften Valérie liiert, die, wie er sich selbst denkt, ja viel interessantere Partner haben könnte. Zudem trinkt er gerne (viel) Wein, Bier und luxemburgischen Schnaps und noch lieber raucht er eine Zigarette nach der anderen. Es stellt sich passenderweise heraus, dass das neben den gesundheitlichen auch noch andere Nachteile hat…

Veröffentlicht am 02.02.2017

Skandinavischer Pageturner, viele Leichen inklusive

Minus 18 Grad
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Achtung! Dieser Krimi mit viel Thrill ist ebenso fesselnd wie möglichweise verwirrend. Gerade zu Beginn ist es noch schwer, die schwedischen Ermittler von den dänischen zu unterscheiden, sind erstere doch ...

Achtung! Dieser Krimi mit viel Thrill ist ebenso fesselnd wie möglichweise verwirrend. Gerade zu Beginn ist es noch schwer, die schwedischen Ermittler von den dänischen zu unterscheiden, sind erstere doch für Helsingborg und letztere für Helsingör zuständig.
Hat man da erst einmal alle Charaktere kennengelernt und die Handlungsstränge zuggeordnet, wird es richtig spannend. In Dänemark treiben sich skrupellose Jugendliche herum, die auch über Leichen gehen und auf dem schwedischen Festland fährt ein Toter mit seinem Wagen ins Hafenbecken. So verrückt dies und all die weiteren Vorkommnisse (mehrere Leichen inklusive) klingen, Fabian Risk und seine Kollegen entdecken, wie der Serientäter dies gemacht haben kann und nun beginnt ein Wettlauf um die nächsten potentiellen Opfer.
Meist sieht es für die Ermittler schlecht aus, denn obwohl sie vieles wissen, fehlen ihnen entscheidende Puzzleteile (und manchmal auch das nötige Bisschen Glück) und sie kommen zu spät. Ähnlich Dunja Hougaard, ebenso ehrgeizige wie undiplomatische Polizistin in Helsingör: Aus einer scheinbar einfachen Befragung einer blutüberströmten verwirrten Frau entwickelt sich eine zähe Ermittlung, die noch dazu von innerhalb ihrer eigenen Behörde sabotiert wird. Zu viele unnachgiebige und hitzige Köpfe prallen aufeinander, Eitelkeiten stehen im Fokus.
Auch wenn manches in diesem mehr als 550 Seiten starken Krimi zu schlecht für die „Guten“ und sehr glücklich für die „Bösen“ läuft, so ist das Buch dennoch über weite Strecken realistisch und sehr sehr fesselnd. Zwischendurch kommt einem schon einmal der Gedanke „Ach schon wieder jemand tot?“, aber nach rund der Hälfte der Lektüre ist man dann schon so abgehärtet wie Risk und Hougaard. Was nicht bedeutet, dass es ab dann keine überraschenden Wendungen mehr gibt, beileibe nicht.
Wer bei einer großen Zahl vielschichtiger Protagonisten leicht den Überblick verliert, hat mit „Minus 18°“ vielleicht weniger Freude, aber Krimi- und Thrillerfans, die über kleine „handlungsunterstützende Zufälle“ hinwegsehen können, werden mit diesem Pageturner viele unterhaltsame Stunden verbringen. Um am Ende gleich in den Beginn des nächsten Bandes hineinzugleiten…

Veröffentlicht am 30.01.2017

Ein illustres Ermittlerteam und „Land unter“ in Rom

Schattenkiller
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Mit der ihm eigenen literarischen Erzählweise fügt Mirko Zilahy hier typisches Thriller-Stückwerk zu einer sehr intensiven, traurigen Geschichte zusammen, die die Polizei der italienischen Hauptstadt nicht ...

Mit der ihm eigenen literarischen Erzählweise fügt Mirko Zilahy hier typisches Thriller-Stückwerk zu einer sehr intensiven, traurigen Geschichte zusammen, die die Polizei der italienischen Hauptstadt nicht zur Ruhe kommen lässt. In Umgebungsbeschreibungen, die von düsterer Herbststimmung und Dauerregen beherrscht werden, kann sich der Autor so richtig ausleben.

Mit an Bord: Enrico Mancini – trauernder, halb depressiver, isolierter Kommissar; Walter Comello – seine rechte Hand; Caterina De Marchi – Polizeifotografin; Antonio Rocchi – Gerichtsmediziner; Carlo Biga – ehemaliger Professor für Kriminologie; sowie Giulia Foderà – Staatsanwältin. Die Charaktere in dieser von Mancini zusammengestellten Truppe könnten nicht unterschiedlicher sein, dennoch ergänzen sie sich mit ihren Stärken und Schwächen wunderbar. Trotz der angespannten Atmosphäre lassen Szenen, wo sie sich beim Brainstorming gegenseitig vor Ungeduld ins Wort fallen, den Leser schmunzeln. Denn jeder will natürlich seine eigenen Ideen ausgiebig präsentieren.

Der Fall, an dem das kleine Team arbeitet, dreht sich um mehrere ungewöhnlich grausame Morde. Ungewöhnlich in mehrerer Hinsicht. Zwar gibt es einen Serienmörder, doch ist die Vorgangsweise bei jeder Tat unterschiedlich und sowohl die Fundort der Toten als auch die Biografie derer weisen zunächst keine Verbindungen auf.

Die Ermittlungen kommen nur schleppend voran, vieles ist mühsam und von Wiederholungen geprägt, die scheinbar zu nichts führen. Daher bleibt viel Raum für die Hauptperson. Das Warten darauf, ob Mancini psychisch noch die Kurve kriegt oder sich in seinen Problemen verliert, lässt niemanden kalt. Entweder man bangt mit ihm mit oder man ist von diesem „Ermittler-Klischee“ gelangweilt. Da dies aber (wie man mit der Zeit annehmen kann) für die Geschichte keine so unwichtige Rolle spielt, muss man dem Kommissar sein teilweise seltsames und abstoßendes Verhalten durchgehen lassen. Ein Charakter mit Kanten.

Schließlich lässt sich die „Lösung“ zwar vor dem Ende ahnen, den Details wird dann aber noch genug Raum gewidmet. Auch wenn nicht jedes davon komplett logisch erscheint, kann man dies unter „schriftstellerischer Freiheit“ einordnen. Kleine Ungenauigkeiten oder Verzögerungen machen die Haupthandlung erst so möglich, wie sie ist. Und die ist keineswegs schlecht.

„Schattenkiller“ ist der erste Band einer geplanten Trilogie mit Enrico Mancini.

Veröffentlicht am 24.01.2017

Atmosphärische Störungen abseits des „Ballermann“

Oktoberstürme
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Stürmische Zeiten brechen im mallorquinischen Herbst für Jan Borsum an. Der deutsche Psychologe verbannt sich selbst nach seinem Jobverlust auf die spanische Insel. Als Isabela Balke, mit der er gerade ...

Stürmische Zeiten brechen im mallorquinischen Herbst für Jan Borsum an. Der deutsche Psychologe verbannt sich selbst nach seinem Jobverlust auf die spanische Insel. Als Isabela Balke, mit der er gerade ein Verhältnis begonnen hat, verschwindet, rückt er mit in den Kreis der Verdächtigen. Comisario Juliano Vargas wird mit dem Fall betreut. Nicht nur Borsum steckt in der Geschichte drin, auch Isabelas Mann und einige andere Deutsche, allesamt gut betuchte Paare, für die Isabela arbeitet. Vargas und seine Assistentin Celia ermitteln ohne Sprachbarriere und dröseln auf, warum Isabela verschwand und Borsum um sein Leben fürchten muss.

Gerd-Rainer Prothmann punktet hier mit eigenwilligen Charakteren, die teilweise auch sehr spezielle Lebensläufe verpasst bekommen haben. Viel Platz widmet er auch der Umgebung. Die „Insel der deutschen Aussteiger und Geschäftsleute“ zeigt sich nicht immer von ihrer sonnigsten Seite, aber Wind und Wetter werden authentisch beschrieben und erzeugen eine ganz eigene Stimmung, die gut zu den ebenso wechselhaften Stimmungen der Hauptpersonen passt. Gut ist auch, dass der allgegenwärtige Tourismus hier ganz außen vor gelassen wird.

Die Geschichte selbst kommt zunächst nicht extrem schnell voran, was aber auch daran liegt, dass diverse wichtige und unwichtigere Charaktere eingeführt werden müssen. Auch die Polizei hat lange nichts in der Hand und wenig Ansatzpunkte, bis ein scheinbar übermächtiger Gegenspieler auf den Plan tritt, der Zugang zu allen wichtigen Gebäuden zu haben scheint und sich Jan Borsum noch entspannt zeigt, bevor er mehrfach versucht, den Psychologen aus dem Verkehr zu ziehen – was in diesem Fall sogar wörtlich zu verstehen ist. Für die Krimihandlung war es notwendig, dass Borsum alles überlebt, doch hat er dabei schon mehr Glück als Verstand, zumal der Unbekannte einerseits extrem professionell und skrupellos vorzugehen scheint und in Summe aber eindeutige Fehler begeht und somit durch die Beweislast überführt werden kann. Leider bleiben nebenbei auch ein paar Nebenhandlungen im Ansatz stecken, die durchaus interessant hätten werden können. Nichts desto weniger ist „Oktoberstürme“ ein zwischendrin sehr packender Roman, der – weil eben kein „Krimi“ – für Krimifans wohl nicht ganz so sehr mit der Spannungshandlung punkten kann.