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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.09.2020

Beeindruckend und hochaktuell

Wir hofften auf bessere Zeiten
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„...“Warum hat er sie angegriffen?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Solche Männer brauchen keinen Grund.“ Was für Männer?“ „Sie wissen schon, wichtige weiße Männer. Sie brauchen für gar nichts einen ...

„...“Warum hat er sie angegriffen?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Solche Männer brauchen keinen Grund.“ Was für Männer?“ „Sie wissen schon, wichtige weiße Männer. Sie brauchen für gar nichts einen Grund.“...“

Das Gespräch zwischen Nora und William fand in Detroit im Jahre 1963 statt. William ist ein dunkelhäutiger Fotograf. In einer Ausstellung ist ein Bild von ihm zu sehen. Es zeigt einen Weißen, der dem Fotografen die Kamera zerschmettert hat. Der Weiße ist Noras Vater.
Diese Episode gehört zu Elizabeths Familiengeschichte. Das weiß sie aber noch nicht, als ein alter Mann an sie herantritt und sie bittet, eine Kamera und Fotos an ihre Verwandte namens Nora weiterzugeben. Von der Verwandten hat Elizabeth nie gehört. Doch sie ist Journalistin und wittert eine Geschichte.
Die Autorin hat eine bewegende Familiengeschichte geschrieben. Sie reicht vom amerikanischen Bürgerkrieg bis in die Gegenwart.
Drei Generationen der Familie lerne ich kennen. Elizabeth hat einen Fehler gemacht und verliert ihre Festanstellung als Journalistin. Plötzlich hat sie Zeit, um nach Nora zu suchen. Anrufe bei Verwandten weisen ihr den richtigen Weg. Nora wohnt in Lapeer County und freut sich auf Elizabeth. Letztere möchte ein paar Tage dort bleiben, um in Ruhe über ihre Zukunft nachdenken zu können.
Der Schriftstil ist ausgereift. Er bringt die Probleme konkret auf den Punkt und lässt viel Platz für die Emotionen der Protagonisten. Es sind die starken Frauen, die die Familiengeschichte dominieren.
Das Gespräch, das ich anfangs zitiert habe, hat gravierende Folgen. Nora stammt aus begüterten Haus und wohnt in der besten Gegend von Detroit. Nora und William sehen sich öfter. Nora spürt, dass William tiefer sieht. Für ihn ist sie nicht nur eine Puppe, mit der man angibt.

„...In genau dem Moment verliebte sich Nora auf einem unscheinbaren hellbraunen Sofa in eine tadellos sauberen Wohnzimmer an der Ecke Zwölfte Straße und Seward Street in den falschen Mann...“

Sie heiraten. Das stellt beider Leben auf den Kopf, denn weder seine, noch ihre Familie sind begeistert.
Bei Nora sieht Elizabeth eine schöne, aber sehr alte Quiltdecke. Nora hat sie von ihrer Ahnin Mary. Auch von der hatte Elizabeth noch nie gehört.

„...Meine Großtante schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich sollte mich das nicht überraschen.“ „Warum nicht?“ „Weil die Geschichte immer von den Siegern geschrieben wurde.“...“

Im Jahre 1861 war Mary hochschwanger. Ihr Mann Nataniel ist gegen die Sklaverei und meldet sich deshalb für den amerikanischen Bürgerkrieg. Plötzlich ist Mary allein für die Farm verantwortlich. Als sie geflohene Sklaven bei sich aufnimmt, wird sie angefeindet. Auch Nataniels Mutter ist dagegen.

„...Sie war immer für die Sklavenbefreiung. Aber sie glaubt einfach, Schwarze wären grundlegend anders als Menschen westeuropäischer Herkunft und die Freigelassenen sollten nach Afrika geschickt werden...“

Dass die Probleme ihrer Vorfahren auch heute noch nicht gelöst sind, wird Elizabeth klar, als ihr ein Zeitungsartikel in die Finger kommt, in dem darüber informiert wird, dass ein weißer Polizist einen schwarzen Jungen erschossen hat.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeigt in drei unterschiedlichen Handlungssträngen, welche Konsequenzen das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe haben kann. Dabei macht die Autorin deutlich, dass ein friedliches Zusammenleben Respekt auf beiden Seiten erfordert und dass Gewalt keine dauerhafte Lösung ist.

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Veröffentlicht am 22.09.2020

Spannende Fortsetzung

Morgan's Hall
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„...Das Leben ist leider nicht immer eitel Sonnenschein, wie du weißt, und ich hoffe, dass er mit harten Zeiten umgehen können wird. Vor allem, wenn ich eines Tages nicht mehr bin...“

Als Charles diese ...

„...Das Leben ist leider nicht immer eitel Sonnenschein, wie du weißt, und ich hoffe, dass er mit harten Zeiten umgehen können wird. Vor allem, wenn ich eines Tages nicht mehr bin...“

Als Charles diese Worte 1937 zu Dickie, dem besten Freund seines Sohnes John sagt, kann er nicht ahnen, dass ihm nicht mehr viel Lebenszeit bleibt.
Dann wechselt die Geschichte ins Jahr 1959 und schließt zeitnah an Band 2 an. James zieht zu Olivia. Er hat sich für Karriere, nicht für Liebe entschieden. Ein Freund warnt ihn:

„...Ich denke, deine Liebe zur Musik ist mehr Fluch als Segen. Du opferst sehr viel. Womöglich zu viel, aber das weiß du selbst besser als ich...“

Liz dagegen kämpft mit allen Mitteln für das Land ihrer Väter. Dass John einen Teil verkauft hat, ist sie nicht bereit zu akzeptieren.
Die Autorin hat erneut eine fesselnde Familiensaga geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Natürlich erfahre ich als Leser, was sich in den nächsten Jahren auf Morgan´s Hall tut. Es bleibt aber viel Raum für die Gefühle der Protagonisten. John hat Dickies Tod aus der Bahn geworfen. Seine bitteren Gedanken – sind sie Reue oder Selbstmitleid? Derjenige, der eigentlich den Überblick hat und weiter sieht, ist Phil, Johns ältester Freund. Er erlaubt sich auch, John gehörig den Kopf zu waschen.

„...Untreue hat schon vielen stolzen Männern das Genick gebrochen, doch ich habe mehr von dir erwartet...“

Allerdings erstaunt es mich immer wieder, wie oft er sich auf die Seite von Isabella stellt.
Auch James gerät in eine Abwärtsspirale. Der Tod seines Vaters belastet ihn. Jede Begegnung mit Elizabeth zeigt ihm, was er aufgegeben hat.

„...Sie war die einzige Sonne in der Finsternis, das helle Flackern in pechschwarzer Dunkelheit und vollkommener als Jeder, der sie umgab. Elizabeth hatte allen Grund, ihre Familie zu hassen, zu verurteilen, doch sie tat es nicht...“

Das Zitat zeigt ebenfalls, wie gekonnt die Autorin das Spiel mit Worten und die Wahl passender Metapher beherrscht.
Der Griff zu Tabletten macht es für James nicht besser. Und seine Hoffnung, sich aus den Fängen von Josef Wulf zu lösen, steht auf tönernen Füßen.
Als besonderes Stilmittel nutzt die Autorin Briefe. Dort formulieren die Protagonisten ihre Emotionen und Verletzungen, aber auch Hoffnungen. Dickies letzter Brief ist fast eine Lebensbeichte. Elizabeths Brief an James rührt ihn zu Tränen. Noch aber kann er nicht über seinen Schatten springen. Einige Jahr später wird er ihr einen schreiben, ihn aber nie abschicken.
Ab und an gibt es Rückblicke in die Vergangenheit der Protagonisten.
Die Geschichte ist gespickt mit unerwarteten Überraschungen, neuen Protagonisten, besonderen Begegnungen und wichtigen Entscheidungen. Auch politische Verhältnisse, insbesondere die Kubakrise, beeinflussen die Handlung.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich warte gespannt auf den nächsten Teil.

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Veröffentlicht am 21.09.2020

Spannender Krimi mit Tiefgang

Grantlkatz
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„...Er wollte doch nur einen größeren Bildschirm und die Katze einen Fernseher mit Internetzugang...“

Und dann versucht der Handwerker Steinböck zu erklären, wie die neue Technik funktioniert. Das sind ...

„...Er wollte doch nur einen größeren Bildschirm und die Katze einen Fernseher mit Internetzugang...“

Und dann versucht der Handwerker Steinböck zu erklären, wie die neue Technik funktioniert. Das sind für ihn böhmische Dörfer, dafür ist die Katze zuständig.
Allerdings wartet auf beide ein neuer Fall. Der Bauunternehmer Maucher wurde tot aufgefunden, seine Frau ist schwer verletzt. Die hatte zuvor noch den Notruf ihres Handys aktiviert.
Doch das soll nicht Steinböcks einziges Problem bleiben. Sein Freund und Polizeipsychologe Horsti ruft ihn an. Wie er den Anruf getätigt hat, wird eine Rätsel bleiben. In seinem Arm liegt eine schwerverletzte Frau, bei der er versucht, mit einer Hand die Blutung zu stillen. In der anderen Hand hält er das Messer.
Der Autor hat erneut einen spannenden und humorvollen Krimi geschrieben.
Die Katze Frau Merkel läuft wieder zu großer Form auf. Sie muss sich ja auch um Horstis Dackel kümmern, so lange der inhaftiert ist. Ihre Kommentare sind köstlich. Als Steinböck feststellt, das der Pathologe ein Alkoholproblem hat, entgegnet sie:

„...Als ob es eine Rolle spielen würde, ob er bei seinen Klienten den Brustkorb mit einem geraden oder mit einem Zickzackschnitt öffnet...“

Horstis Fall hat oberste Priorität. Er wird dringend wieder gebraucht. Wer hat ihn wie reingelegt? Doch die Ermittlungen erweisen sich als genauso schwierig, wie im Fall des Bauunternehmers.
Steinböck möchte wissen, was in der Unterwelt über die Geschichte kursiert. Der tote Bauunternehmer war dafür bekannt, dass er seine Arbeiter aus Bulgarien geholt und eher schlecht als recht bezahlt hat.
Dabei trifft Steinböck auf einen alten Schulfreund, der sich Sokrates nennt, obdachlos ist und gute Kontakte zu den Arbeitern hat. Und hier bekommt die Geschichte eine philosophische und gesellschaftskritische Note. Es werden gekonnt die Finger in die Wunden unserer Zeit gelegt. Zwei davon sind die Flüchtlingspolitik und die Folgen des Klimawandels für arme Länder.

„...Sag mal, Steinböck, kannst du dir vorstellen, dass wir Europäer etwas von unserem Reichtum abgeben, dass unsere Regierung Programme entwickelt, um diesen Leuten wirklich zu helfen?...“

Gute Frage! Steinböck wirkt manchmal knurrig, ist aber ein Mann mit viel Empathie und einen großen Herzen. Das beweist er in diesem Krimi besonders.
An wenigen Stellen kommt der Täter zu Wort. Der ist von sich überzeugt und glaubt sich unangreifbar.

„...Er entschied, wer leben durfte und wer sterben musste. Er liebte diese Aktionen. Vor allem, wenn man ihn freie Hand ließ...“

Erst sehr viel später habe ich begriffen, was dieser Satz wirklich bedeutete.
Es gibt sehr viele Feinheiten, die das Buch zu etwas Besonderen machen. Unübertroffen sind die gut ausgearbeitete Dialoge, aber auch die Nebenfiguren, die nicht nur zur Lösung des Falles beitragen, sondern ihr ganz eigenes Profil in der Geschichte erhalten.
Am Ende bleibt keine Frage offen. Ein Zitat darf es zum Schluss noch sein, mit dem Steinböck das Selbstbewusstsein seiner Katze kommentiert.

„...Nur weil es der letzte Depp, der so a große Gosch g´habt hat, zum amerikanischen Präsidenten geschafft hat, brauchst du net meinen, dass du des auch schaffst...“

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 20.09.2020

Spannender historischer Roman

Der Getreue des Herzogs
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„...Aber ist es nicht ungerecht, wenn Bauern und Handwerker so sehr geschröpft werden und deshalb sich und ihre Familien nicht mehr ernähren können?...“

Diese Frage stellt Johannes dem 11jährigen Ulrich, ...

„...Aber ist es nicht ungerecht, wenn Bauern und Handwerker so sehr geschröpft werden und deshalb sich und ihre Familien nicht mehr ernähren können?...“

Diese Frage stellt Johannes dem 11jährigen Ulrich, der an diesem Tag im Jahre 1498 als Herzog in Stuttgart eingesetzt wurde. Natürlich sieht Ulrich das anders.
Beide kennen sich seit 5 Jahren. Damals wurde der 6jährige Grafensohn Ulrich von seinem Onkel, Graf Eberhard, auf Schloss Hohentübingen aufgenommen. Er langweilte sich und war seiner Kinderfrau ausgebüxt. Als er den 8jährigen Johannes in der Küche arbeiten sah, befahl er ihm, mit ihm zum Murmelspielen zu kommen. Er setzte auch durch, dass Johannes sein Spielgefährte wird. Der bekam später ein Stipendium und durfte studieren.
Die Autorin hat einen gut recherchierten und spannenden Roman über Ulrich von Württemberg geschrieben.
Ulrich war schon als 6jähriger ein selbstbewusstes Kind, den man schwer Zügel anlegen konnte. Er wuchs ohne Eltern und Geschwister auf und hatte nach dem frühen Tod seines Onkels niemand mehr, der das aufbrausende Temperament in den Griff bekam.
Der Schriftstil ist ausgereift und passt sich den historischen Gegebenheiten an. Als Leser erlebe ich, wie Ulrich sich mehr und mehr zu seinem Nachteil verändert. Er setzt auf Macht und hat keinen Blick mehr für die Nöte seiner Untertanen. Außerdem hat er nicht immer die besten Berater. Er traute nur wenigen, und wenn, dann den Falschen, über den Weg. Trotzdem steht ihm Johannes, der sich zum Arzt ausbilden ließ, treu zur Seite in guten wie in schlechten Tagen. Er wusste allerdings, dass dies nicht ungefährlich war, denn Ulrich ließ auch treue Bedienstete hinrichten, wenn er es für richtig hielt. Anfangs versucht Johannes noch, auf Ulrich einzuwirken. Eine Antwort sah so aus:

„...Du hast recht, es steht dir nicht zu. Der Vollzug der Strafe wird allen Stallbediensteten eine Lehre sein. Ein Mann muss hart durchgreifen, um seinen Besitz zu schützen, Johannes. Und ich als Regent dieses Landes umso mehr...“

Ulrichs Verschwendungssucht führt zu Aufständen der Bauern und der städtischen Bevölkerung. Allerdings kreiden sie die Missstände mehr seinen Räten an, als ihm selbst. Erstes Einlenkung führt später zur harter und grausamer Bestrafung. Die Tagelöhner kreieren ein besonders Gottesgericht:

„...Wenn der Herrgott die neuen Gewichte für richtig hält, werden sie schwimmen. Gehen sie unter, ist das der Beweis, dass wir betrogen werden...“

Die veränderten Gewichte sollten mehr Geld in die Kasse des Adels spielen, da die Bauern schlechter bezahlt wurden.
Als Ulrich den Bogen überspannt, wird ihm sein Herzogtum genommen. Jetzt bleibt Johannes als Leibarzt an seiner Seite, obwohl er gerade ein privates Problem hat. Bei Ulrich vollzieht sich eine Wandel. Er hält sich zu Philipp von Hessen und stellt sich auf die Seite der Reformation.
An Johannes` Seite lerne ich als Leser die Lebensverhältnisse in allen Schichten der Bevölkerung kennen, denn als Arzt geht er auch zu den Handwerkern und Bauern, und behandelt sie kostenlos. Deutlich wird, wie unterschiedlich die Arbeit und vor allem die Ausstattung der Hospitäler in der damaligen Zeit war. Bei einigen wurde Hygiene schon großgeschrieben, andere waren bessere Verwahranstalten.
Auch die Schattenseiten der Reformation werden thematisiert. Dem Pfarrer Brenz gelingt es in Hall mit einer beeindruckenden Rede, die Bevölkerung von der Zerstörung der Bilder in der Kirche abzuhalten.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeigt einen Herrscher, der sehr vielschichtig ist und über die Folgen seines Handelns für andere viel zu selten nachdenkt.
Ein ausführliches Personenverzeichnis, eine Zeittafel und inhaltsreiche Anmerkungen ergänzen das Buch.

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Veröffentlicht am 19.09.2020

Bewegender Krimi mit sympathischen Ermittlern

Soko mit Handicap: Der Tote und der Taucher
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„...Er hat die Sozialkompetenz eines Blutegels, aber er ist ein äußerst erfolgreicher Arzt, der jede Menge wichtiger Leute kennt...“

Mit diesen Worten äußert sich Martha über Dr. Behrends. Er wurde in ...

„...Er hat die Sozialkompetenz eines Blutegels, aber er ist ein äußerst erfolgreicher Arzt, der jede Menge wichtiger Leute kennt...“

Mit diesen Worten äußert sich Martha über Dr. Behrends. Er wurde in die WG gerufen, weil Mike in der Nacht verstorben ist. Der Arzt diagnostiziert nach einem kurzen Blick auf den jungen Mann einen Tod durch Herzstillstand auf Grund seiner Erkrankung an ALS. Theo, der wegen seiner Muskelerkrankung ebenfalls in der WG lebt und dessen Schwester Lina bei der Polizei arbeitet, ist skeptisch. Mikes Zeit war noch nicht gekommen. Wenig später wird sich herausstellen, dass der Arzt eine Menge übersehen hat.
Der Autor hat einen fesselnden und tiefgründigen Krimi geschrieben. Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Zwei Handlungsstränge laufen parallel. Das ist zum einen der Mordfall in der WG, zum anderen die Erlebnisse eines namenlosen Mannes, der auf der Straße wohnt. Letzterer hat keine Erinnerung an sein Vergangenheit, verfügt aber über erstaunliche Kräfte und Fähigkeiten.
In der WG leben neben den schon Genannten Paula, Lene, Scott und Keno. Keno ist Autist und seit der Mordnacht verstört. Über Lene erfahre ich:

„...Im Grunde war Lene einer der liebenswerteste Menschen, die Theo kannte, aber wenn man sich zwischen sie und eine Bratwurst stellte, wurde es gefährlich...“

Ich mag Lenes trockenen Humor und ihren ganz eigenen Dialekt.
Der Autor versteht es, in einer spannenden Handlung so ganz nebenbei auf die Probleme von Menschen mit Handicap aufmerksam zu machen. Hinzu kommt, dass er ebenfalls geschickt den Pflegenotstand thematisiert. Nicht nur einmal erscheint in der WG eine Pflegekraft, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.
Theo studiert nebenbei Psychologie. Ihm gelingt es, die WG zu gemeinsamen Unternehmungen zu stimulieren und anzuleiten. Ihr Agieren ist reinstes Kopfkino für mich als Leser. Jeder bringt sich dabei mit seinen besonderen Fähigkeiten ein. Und mancher überrascht sogar Theo. Die Polizei zeigt sich nicht besonders engagiert. Lina wird nur beauftragt, den Nachtpfleger zu finden.
Ab und an erinnert sich Theo an seine Gespräche mit Mike. Diese werden kursiv wiedergegeben, gehen in die Tiefe und berühren.

„...Sich selbst zu lieben, ist zu wenig, und Recht und Unrecht ist per Definition ein Aspekt von Beziehungen. […] Wenn wir die Frage nach dem Sinn des Lebens allein in uns selbst suchen, werden wir letztendlich enttäuscht werden...“

Theo hat in der eigenen Familie beides erlebt wegen seiner Erkrankung. Ablehnung von der einen Großmutter, bedingungslose Zuneigung und Liebe von der anderen. Auch die Beziehung zu seiner Schwester ist nicht ohne Konflikte. Theo mag es nicht, wenn sie an seiner Stelle handelt, und sie wirft ihm Besserwisserei vor. Selbst in Fragen des Glaubens gehen sie getrennte Wege. Trotzdem stehen die beiden zusammen, so oft es nötig ist.
Theo hat die Gabe, schwierige Sachverhalte verständlich erklären zu können. So fallen ihm immer wieder passende Vergleiche ein, die zeigen, wie ein Autist die Welt sieht und wie seine Worte zu interpretieren sind. Deshalb ist er sich auch sicher, dass Keno den Täter gesehen hat.
Am Ende bleibt ein heftiger Cliffhanger. Aufgeklärt wird, was in jener Nacht geschah. Die Frage nach dem Warum steht noch im Raum.

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