Fabio Geda über das Leben, das Schicksal und seine Möglichkeiten
Ich glaube wir alle kennen das Gefühl, dass die Zeit rast, wir einfach immer älter werden, weiter kommen wollen und dabei irgendwie den Sinn und die tägliche Chance auf einen Neuanfang aus den Augen verlieren. ...
Ich glaube wir alle kennen das Gefühl, dass die Zeit rast, wir einfach immer älter werden, weiter kommen wollen und dabei irgendwie den Sinn und die tägliche Chance auf einen Neuanfang aus den Augen verlieren. Irgendwann ist alles festgefahren, wir haben unsere Strukturen gefunden und folgen unserem täglichen Trott und dann? Dann gerät alles so ein bisschen aus den Fugen, für viele ist es der Eintritt in das Rentenalter und der damit verbundenen Aufgabe des Alltags oder es ist der Verlust des Partners/der Partnerin und die Abnabelung der Familie. Alles passiert schrittweise im Leben und dann prasselt irgendwann die Einsamkeit auf uns herab.
“Es stimmt schon, die Zeit tut das ihre. Man könnte es Evolution nennen. Wir mutieren, ohne es zu merken, jeden Tag ein bisschen, derweil wir damit beschäftigt sind, zu leben, Rechnungen zu bezahlen oder Urlaube zu buchen.”
Ähnlich ergeht es dem siebenundsechzig jährigen Witwer in Fabio Gedas Roman Ein Sonntag mit Elena. Früher reiste er als Ingenieur durch die Welt, baute Brücken und Überführungen, lebte, liebte und jetzt? Jetzt sitzt er allein in seiner Turiner Wohnung. Seine Frau starb vor gerade einmal acht Monaten bei einem tragischen Unfall und seine Familie hat sich in alle Richtungen verteilt. Sein Sohn Alessandro lebt im Ausland, die jüngste Tochter Gulia spricht nicht mehr mit ihm und auch seine älteste Tochter Sonia hat kaum noch Zeit für ihn. Als sie ihn nun mit ihrer Familie besuchen will , bereitet “Papa” zum ersten Mal gefüllte Zwiebeln zu. Doch zu dem geplanten, gemeinsamen Mahl soll es gar nicht erst kommen, denn Sonias Tochter stürzt von einem Kaki-Baum, als sie ihrem Opa einige Früchte pflücken wollte und muss nun im Krankenhaus untersucht werden. Da sein Auto leider in der Werkstatt ist, er nun das Mahl für fünf Personen völlig umsonst gekocht hat, entschließt er sich kurzerhand spazieren zu gehen. Langsam wird ihm dabei bewusst, dass er vieles falsch gemacht und sich nur selten mit dem wirklich Wichtigen auseinandergesetzt hat. In der Nähe des Skateparks trifft er dann zufällig auf Elena und ihren Sohn Gaston, und ohne dass er es ahnt, ist es eine Schicksalsbegegnung, die einfach alles verändern soll und damit ist ausnahmsweise mal nicht der Anfang einer neuen Liebe gemeint.
“Wissen Sie […] wenn die Menschen sich aus anderer Leute Angelegenheiten raushalten, dann tun sie das meist nicht, weil sie gut erzogen sind oder ihrem Gegenüber nicht zu nahe treten wollen, sondern um sich selbst einen Gefallen zu tun […] denn sobald man eine Frage gestellt und eine Antwort bekommen hat, kann man nicht mehr so tun, als wäre nichts. […] Dann hängt man mit drin.”
Diese Geschichte war für mich etwas ganz besonderes. Ich habe dieses Buch zu einer Zeit gelesen, als ich mich oft gefragt habe und das eigentlich immer noch tue, wie alles weitergehen soll und ob der jetzige Weg, der richtige für mich ist. Und irgendwie hat mir Gedas unaufgeregte und ruhigere Geschichte da sehr gut getan. Es ist oder eigentlich könnte man es auch einfach einen einfühlsamen Lebensratgeber nennen, denn Fabio Geda erzählt hier von einer zufälligen Begegnung, die beinahe alles wieder ins Rollen bringt und zeitgleich viele verschiedene Themen, wie verschiedene Blickwinkel einer Situation, andere Kulturen, Vorurteile, Herzensbildung, Leben, Sorgen, Abhängigkeiten, Einsamkeit, Erinnerung… streift. Ohne nun zu viel erzählen zu wollen, ist dieser Roman ein Zeuge einer schicksalhaften Begegnung an einem Tag, an dem sich mehrere Menschen einsam gefühlt haben und das Leben ihnen einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gibt. Man muss dem Leben mehr Vertrauen schenken und jeden Moment und Hinweis nutzen, ohne stets das große Ganze verstehen zu wollen. Jeder Rückschlag ist gleichzeitig die Chance einen Neuanfang zu wagen, zu verzeihen oder einfach das Leben so zu leben, wie man es wirklich möchte.
Mit dieser kleinen, feinen Geschichte hat Fabio Geda mich sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht und darüber bin ich sehr froh, zumal ich seinen letzten Roman nicht ganz so begeistert beendet habe. Dieses Buch ist wieder so ganz versöhnlich, anders und bereichernd. Und ich glaube, es ist eins dieser locker, leichten Bücher, die man einfach immer mal wieder lesen kann und beinahe in jeder Lebenssituation eine Stütze sind. Es ist nie zu spät, Hauptsache du fängst einfach irgendwann damit an.