Wie eine erwachsene Version eines Joël-Dicker-Romans
Jenseits der ErwartungenLincoln, Teddy und Mickey: Drei Männern in ihren Sechzigern, Freunde seit Studienzeiten, treffen sich eines Spätsommers in Lincolns Ferienhaus auf Martha’s Vineyard. Es ist Jahrzehnte her, seit sie zuletzt ...
Lincoln, Teddy und Mickey: Drei Männern in ihren Sechzigern, Freunde seit Studienzeiten, treffen sich eines Spätsommers in Lincolns Ferienhaus auf Martha’s Vineyard. Es ist Jahrzehnte her, seit sie zuletzt gemeinsam dort waren. Damals hatten sie gerade das College abgeschlossen und blickten teils einer hoffnungsvollen, teils einer ungewissen Zukunft entgegen: Es war die Zeit, in der das Los darüber entschied, ob man in den Vietnamkrieg eingezogen wurde, und Fortuna meinte es nicht mit jedem der drei gut. Und es war die Zeit, in der alle drei in dasselbe Mädchen verliebt waren, die hinreißende, freiheitsliebende, wunderhübsche Jacy. Jacy war in jenem schicksalhaften Sommer mit den drei Jungs im Ferienhaus – und wurde danach nie wieder gesehen.
Jetzt, fast vierzig Jahre später, kann Lincoln – obgleich seit Ewigkeiten glücklich verheiratet, stolzer Vater und Großvater, beruflich auf soliden Füßen – Jacys unbekanntes Schicksal noch immer nicht vergessen. Er nimmt das Wiedersehen mit den Freunden zum Anlass, die Umstände ihres Verschwindens zu erforschen, auch wenn er insgeheim befürchtet, dass Teddy oder Mickey daran beteiligt waren – in welcher Form auch immer.
Der Inhaltsangabe nach rechnet man mit einem Spannungsroman, wenn nicht gar Thriller, und zweifellos wird während der gesamten Handlung eine gewisse Grundspannung gehalten. Doch tatsächlich ist der Roman in meinen Augen weitaus vielschichtiger: Er ist eine Art Lebensbilanz dreier höchst unterschiedlicher Männer mit ebenso unterschiedlichen Lebenswegen, deren früheres, jüngeres, unverfälschtes Ich auch mit sechzig noch immer durchscheint (wer je auf einem Klassentreffen war, weiß vermutlich, was ich meine). Es ist zugleich eine subtile Gegenüberstellung eines vergangenen Amerikas mit dem gegenwärtigen, die indes beide die drei Freunde, jeden auf seine Weise, geprägt haben. „Jenseits der Erwartungen“ (fantastisch übersetzt von Monika Köpfer) war für mich – eingefleischte Dicker-Fans hören bitte mal kurz weg –, als läse ich eine bedeutend reifere und erfahrenere, gekonnte und auch kunstvollere Version eines Joël-Dicker-Romans.
Ganz große Leseempfehlung!