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Venatrix

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Veröffentlicht am 30.09.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Zwei fremde Leben
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Frank Goldammer, Autor aus Dresden, greift mit diesem Roman ein Thema auf, das nach wie vor durch die Gazetten geistert: staatlich sanktionierter Kindesraub durch die Behörden der DDR. Diese, den leiblichen ...

Frank Goldammer, Autor aus Dresden, greift mit diesem Roman ein Thema auf, das nach wie vor durch die Gazetten geistert: staatlich sanktionierter Kindesraub durch die Behörden der DDR. Diese, den leiblichen Eltern entzogenen Kinder, werden in Heimen oder regimetreuen Familien zu „ordentlichen“ Bürgern erzogen. Solche und ähnliche Geschichten sind aus Nazi-Deutschland belegt.

Doch zurück zum vorliegenden Buch, das die Leser durch mehrere Handlungsstränge und Zeitebenen führt:

Ricarda Raspe unverheiratete Tochter eines angesehen Gynäkologen, bringt 1973 in der Dresdner Universitätsklinik ihr Kind zur Welt. Der Vater ist zwar bei der Entbindung dabei, kann aber das Neugeborene nicht retten. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wird das tote Baby sofort entfernt. Die ohnehin geschwächten Mütter dürfen sich von ihren toten Kindern nicht verabschieden. Das sorgt natürlich für Verunsicherung, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen sein mag.

Thomas Rust junger Volkspolizist, dessen Frau Heike wegen vorzeitiger Wehen, in derselben Klinik liegt, beobachtet just an diesem Tag ein Auto mit Berliner Kennzeichen. Nach einem Gespräch mit Ricardas Freund, hat es seine eigenen Gedanken. Er kennt die Gerüchte, die unter der Hand, von politisch motivierten Kindesentzug, von Zwangsadoptionen und von Babyhandel, wispern. Rust lassen seine Beobachtungen keine Ruhe und beginnt heimlich zu ermitteln. Dabei stößt er auf eine Menge Ungereimtheiten und gerät selbst in den Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit.

Jahre ziehen ins Land, Ricarda hat den Verlust ihres erstgeborenen Kindes nach wie vor nicht verarbeitet. Die Suche nach der Wahrheit ist zu einer Obsession geworden, die nicht nur ihre Ehe und Freundschaften zerstört hat. Der Fall der Berliner Mauer und die anschließende Wende lassen Ricarda neuen Mut fassen und ihre Akte der Stasi einsehen.

Gleichzeitig wird in einem anderen Handlungsstrang das Schicksal von Claudia Behling erzählt, die knapp vor dem Mauerfall 1989 beim illegalen Grenzübertritt zwischen Österreich und Ungarn erwischt wird. Aus Wut über möglich Repressalien schleudert ihr die Mutter „Du bist nicht unser Kind, du bist adoptiert!“ entgegen.

Claudia macht sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter, die erst 2018 mit einer Überraschung enden wird.

Meine Meinung:

Frank Goldammer gelingt es hervorragend die beklemmende Stimmung in der DDR heraufzubeschwören. Niemand kann sich sicher sein, von einem Nachbarn, einem Freund oder Arbeitskollegen nicht dich bespitzelt zu werden. Die IMs, also die Informanten der Stasi sind allgegenwärtig. Die Gründe, warum hinter einem hergeschnüffelt wird, sind vielfältig. Sei es um eine Vergünstigung wie eine neue Wohnung oder ein Auto oder ein paar Lebensmittel mehr zu bekommen oder, weil man selbst durch irgendetwas erpressbar ist.

Doch auch nach 1989 ist nicht alles Liebe-Wonne-Waschtrog. Investoren aus dem Westen kaufen die maroden Staatsbetriebe auf, die ehemaligen DDR-Bürger werden zu Hilfsarbeitern und Menschen zweiter Klasse degradiert. Natürlich schaffen es einige Wendehälse wieder zu Vermögen und Ansehen zu kommen.
Frank Goldammer beschreibt diese Zeit so:

„Die DDR war verschwunden und mit ihr auch alles Vertraute und Bekannte. Sie waren jetzt frei. Doch das Wort Freiheit hatte schnell einen faden Beigeschmack bekommen. Unter all den neuen Düften lag ein fauliger Geruch.“

Als Österreicherin kann ich natürlich nicht aus eignem Erleben berichten, aber diese Sätze klingen plausibel.

Sehr gut kommt der Spießrutenlauf, dem Ricarda ausgesetzt ist, heraus. Niemand hat Geduld mit ihr. Im Gegenteil, sie muss auf der Hut sein, nicht als psychische Kranke in eine Klinik gesteckt zu werden. Sie gilt als Querulantin, verliert Arbeit und Freunde. Sie hat aber keine handfesten Beweise und wird von einem windigen Reporter ausgenützt.

Die Lebensgeschichte von Claudia ist leider nicht ganz so ausführlich erzählt. Sie steht einfach 2018 vor Ricardas Tür. Gemeinsam gelingt es den beiden, auch unter Mithilfe des damaligen Vopos Rust, ihre Vergangenheit aufzurollen.

Der Roman ist ein beredtes Zeugnis einer Ära, der man im Nachhinein alles mögliche Schlechte andichtet. Ob es diesen staatlichen Kindesentzug und damit einhergehende Zwangsadoptionen in der DDR wirklich gegeben hat, ist nach wie vor nicht beweisen oder widerlegt. Während der Nazi-Zeit gab es tausende solcher Fälle. (siehe u.a. „Raubkind“ oder „L364“ von Dorothee Schmitz-Köster).

Allein die Möglichkeit, dass der allumfassende DDR-Staat hier so in Familien eingegriffen haben könnte, macht betroffen.

Fazit:

Ein sehr emotionales Thema, fesselnd erzählt. Gerne gebe ich hierfür 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Du darfst nicht sterben
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Lili und Anne, Zwillingsschwestern mit höchst unterschiedlichen Charaktereigenschaften, lernen im Urlaub den charismatischen Paul kennen. Beide fühlen sich zu ihm hingezogen. Er erwählt Lili, die etwas ...

Lili und Anne, Zwillingsschwestern mit höchst unterschiedlichen Charaktereigenschaften, lernen im Urlaub den charismatischen Paul kennen. Beide fühlen sich zu ihm hingezogen. Er erwählt Lili, die etwas ruhigere, besonnenere Schwester, um mit ihr eine Beziehung zu beginnen.

Wieder im Alltag angekommen, benimmt sich Paul dominant, übergriffig und manipulativ. Lili scheint das anfangs gar nicht so zu stören. Endlich hat sie ihrer Schwester etwas Voraus! Deswegen kann sie Annes Warnungen vor der dunklen Seites Pauls nicht annehmen. Als die gemeinsamen Eltern kurz hintereinander plötzlich sterben und ein Fremder in Paul seinen Jugendfreund David zu erkennen glaubt, beginnt für Lili und Anne ein wahrer Albtraum, der für Lili beinahe tödlich endet.

Meine Meinung:

Andrea Nagele, im Brotberuf Psychotherapeutin, ist wieder ein exzellenter Thriller gelungen. Der Albtraum, in dem die Zwillingsschwestern gefangen sind, wird aus mehreren Perspektiven erzählt. Besonders dramatisch lesen sich die beiden Wochen, in denen Lili, nach einem Mordanschlag Pauls, im Koma liegt. Hier zeigt sich die beeindruckende Recherche der Autorin bei Medizinerkollegen sowie ihre Erfahrungen aus der eigenen Praxis.

Die Charaktere der Protagonisten sind wieder erstklassig herausgearbeitet.
Das alte Sprichwort, dass Liebe blind macht, scheint hier auf Lili zuzutreffen. Sie verteidigt Paul gegen ihre Mutter und Schwester. Ja, sie nimmt jedes Mal, wenn Paul sich danebenbenimmt, die „Schuld“ auf sich. Hin und wieder regt sich ein kleines Pflänzchen Argwohn und als sie dem nachgeht, geht der Terror erst richtig los, der dann mehrere Jahre dauert.

Der Leser erfährt von Pauls Vergangenheit als David, doch so richtig Mitleid oder Verständnis für seine Taten lassen sich nicht aufbringen.

Eine wichtige Rolle in diesem Thriller spielt Hanna, die fünfjährige Tochter von Lili. Mit ihr sind die Zwillingsschwestern (wieder einmal) auf der Flucht vor Paul, als der spitz bekommt, wer Hanna ist. Kinder in den Mittelpunkt solcher Thriller zu stellen, ist immer wieder eine Gratwanderung, der hier ausgezeichnet gelungen.

Fazit:

Ein gelungener Thriller, der einem die Haare zu Berge stehen lässt. Als Gut-Nacht-Geschichte nur bedingt geeignet, da Albträume vorprogrammiert sind. Für diese Geschichte gebühren 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 27.09.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Wenn das Licht gefriert
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Wie wir es von Roman Klementovic gewöhnt sind, ist dieser Thriller anders, als er anfänglich erscheint.

Worum geht’s?

Elisabeth und ihr Mann Friedrich sehen eine reißerische TV-Reportage über den Mord ...

Wie wir es von Roman Klementovic gewöhnt sind, ist dieser Thriller anders, als er anfänglich erscheint.

Worum geht’s?

Elisabeth und ihr Mann Friedrich sehen eine reißerische TV-Reportage über den Mord an Anna vor 22 Jahren. Anna war die beste Freundin ihre Tochter Valerie. Friedrich, schwer an Alzheimer erkrankt, ist immer seltener im hier und heute, erzählt plötzlich, dass Anna einen roten Slip mit weißen Herzerln getragen hat.
Elisabeth erfasst Panik - ist ihr Mann in das Verbrechen verwickelt oder sind diese Infos nur wirre Gedanken eines alten, kranken Mannes? Der Mörder ist niemals gefasst worden. Um ihren Mann zu schützen und endlich Klarheit zu erhalten, beginnt Elisabeth zu recherchieren.

Elisabeth gerät in einen Strudel von Gewalt, der sie und Heinrich beinahe das Leben kostet.

Meine Meinung:

Wie schon in seinen anderen Büchern, gelingt es Roman Klementovic, die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht zu erhalten, ja sogar zu steigern. Dazu trägt die herbstliche Jahreszeit mit Regen und Nebel sowie die namenlose Kleinstadt, in der sich das Drama abspielt, bei. Ein dampfendes Moor, aus dem ungewöhnliche Geräusche und Gerüche hervordringen, ist schon unheimlich genug. Die Gedanken, die in Elisabeths Kopf Karussell fahren und die tätlichen Angriffe auf Elisabeth, das zeitweilige Verschwinden Friedrichs tragen zur Spannung à la Hitchcock bei.

Ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Der Autor führt die Leser mehrmals an der Nase herum. Jedes Mal, wenn man glaubt der Lösung nahe zu sein, gibt es eine überraschende Kehrtwendung.

Sehr anschaulich ist die Demenzerkrankung von Friedrich beschrieben. Einige Handlungen Elisabeths sind auch der Überlastung durch die Pflege Friedrichs geschuldet. Sie schläft kaum und wenn, dann schlecht. Das Schlafdefizit lässt in ihrem Kopf Gedankensprünge galoppieren, die sie immer weiter in den Strudel hineinziehen.

Das Cover finde ich sehr gut gelungen. Das fahrige Gekritzel passt gut zur Geschichte.

Fazit:

Wer einen fesselnden Thriller ohne Geheimdienst oder wilder Verfolgungsjagden sucht, ist hier richtig. Aber nicht als Gute-Nacht-Geschichte lesen, sonst gibt es Albträume. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 27.09.2020

Europas Zukunft hängt auch vom Verhältnis zu Russland ab

Russland und wir
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Hugo Portisch, Doyen des österreichischen Journalismus, kennt Russland seit vielen Jahrzehnten. In diesem, seinem neuen Buch stellt er u.a. die Frage, wie europäisch Russland ist und wie Russland zu dem ...

Hugo Portisch, Doyen des österreichischen Journalismus, kennt Russland seit vielen Jahrzehnten. In diesem, seinem neuen Buch stellt er u.a. die Frage, wie europäisch Russland ist und wie Russland zu dem geworden ist, wie es eben derzeit ist. Dazu erhält der interessierte Leser einen kurzen Abriss der russischen Geschichte.
Sehr interessant ist der Abschnitt über die Besiedlung Sibiriens, das man immer nur mit Strafkolonie und Eiseskälte in Verbindung bringt.

Auch der russisch-orthodoxen Kirche schenkt der Autor einen mitunter kritischen Blick, die nach jahrzehntelanger Unterdrückung durch die (Sowjet)Politik nun wieder salonfähig ist. Die kirchlichen Würdenträger lassen sich gerne mit Präsident Putin ablichten.

Ein interessantes Kapitel der russischen Geschichte ist die Krim und deren Annexion durch Russland, die eine nach wie vor andauernde veritable Krise ausgelöst hat. Doch wenn man die Geschichte dahinter betrachtet, scheint die Annexion nur logisch.

Quo vadis Russland?

Man muss weder Putin als Person noch seine Politik mögen, aber ohne ihn wird es in Zukunft nicht gehen. Hugo Portisch warnt Europa vor allzu engstirniger Ablehnung Russlands, sieht aber Präsident Putin kritisch.
Europa täte gut daran, mit Russland eine tragfähige Zusammenarbeit einzugehen und sich von Amerika abzukoppeln. Diese seltsame, weil nicht immer nachvollziehbare Angst vor den linken Ideen, hat schon einmal die rechten auftrumpfen lassen und die Welt in Chaos gestürzt.


Fazit:

Dieses Buch ist eine kurze Zusammenfassung der Geschichte Russlands und seiner Politik sowie deren Auswirkungen bis heute. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.09.2020

Eine kulinarische Reise nach Wien

Wien by NENI
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Seit über 10 Jahren führt Haya Molcho gemeinsam mit ihren Söhnen ihre Restaurants NENI am Naschmarkt und das Tel-Aviv-Beach am Donaukanal. In diesem Kochbuch erwarten uns nicht nur köstliche Rezepte aus ...

Seit über 10 Jahren führt Haya Molcho gemeinsam mit ihren Söhnen ihre Restaurants NENI am Naschmarkt und das Tel-Aviv-Beach am Donaukanal. In diesem Kochbuch erwarten uns nicht nur köstliche Rezepte aus Hayas Heimat Israel sondern auch jene der traditionelle Wiener Küche, die sie behutsam an die heutuge Zeit anpasst. Tradition trifft Moderne - Orient auf Okzident.

Zusätzlich unternehmen wir gemeinsam mit Haya Molcho und ihren Söhnen einen Streifzug durch Wien, um andere Lokale und deren Besitzer kennenzulernen. Das sind:

Café Korb
Schubert
Usus
Mayer & Freunde
Nautilus
Stomach
Monte Ofelio
Mochi
Zum Herkner
Zur Herknerin
C.O.P.

Dabei werden launige Geschichten zum Besten gegeben, wie das Lokal entstanden und welche Persönlichkeit nun dort nun „herrscht“. Sehr spannend ist auch die Erfolgsstory von Sascha aus dem „Schubert“, dessen Leidenschaft nicht nur das Kochen sondern auch die Keramik ist. Er kreiert zu jedem Gericht, den passenden Teller.

Da Haya Molcho besonderen Wert auf beste Qualität ihrer Zutaten legt, das ein Besuch bei Helga Bernold und Wolfgang Herzog auf deren „Demeterhof“ nicht fehlen.
Die köstlichen Rezepte sind in folgenden Gruppen zusammengefasst:

Gemüse
Fisch
Fleisch
Süsses

Zwischen den hochwertigen Fotos der Speisen findet sich der Leser auf einer Reise durch Wien wieder. Diese Bilder laden zum Verweilen in Österreichs Hauptstadt ein und mach Lust, die eine oder andere Köstlichkeit auszuprobieren.

Die einzige Irritation, die sich bei mir eingestellt hat, ist auf S. 155 zu finden. Hier wird für den Nudelteig der „Kärntner Kasnudl“ Hartweizengrieß verwendet. In den alten Rezepten meiner Kärntner Großmutter bzw. Tanten wird hier Mehl verwendet, niemals Grieß. Aber, das wird wohl eine kleine individuelle Abweichung von der Tradition sein.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem prachtvollen Bildband, der mehr ist, als ein Kochbuch 5 Sterne. Das Buch eignet sich perfekt als Geschenk für Liebhaber von Wien und seiner kulinarischen Seite.