Obacht, Leser, dass dir nichts entgeht!
Ich mag Geschichten über büchernärrische Menschen sehr. Bereits das Cover von Ingo Schulzes Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ weckte mein Interesse, der Klappentext tat sein Übriges.
Norbert Paulini ...
Ich mag Geschichten über büchernärrische Menschen sehr. Bereits das Cover von Ingo Schulzes Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ weckte mein Interesse, der Klappentext tat sein Übriges.
Norbert Paulini ist ein eigenwilliger Antiquar, der praktisch in seinen Beruf geboren wurde. Seine Mutter Dorothea verschied kurz nach seiner Geburt und konnte ihr frisch eingerichtetes Antiquariat in Dresden nicht eröffnen. Ihr Mann sowie ihre Mutter leben fortan in einer Wohnung, in der jede Ecke vollgestopft ist mit Büchern, so dass der kleine Norbert eine Liebe zu ihnen entwickelte. Die Schulzeit überstand er als Sonderling gerade so, die Einberufung verbrachte er in der Regimentsbuchhandlung, und als er seinen Wehrdienst abgeleistet hatte, wollte er einfach nur einen Beruf ergreifen, bei dem er lesen kann. Nachdem ihm durch den Tod seiner Großmutter ein Erbe beschieden wurde, verwirktlichte er den Traum seiner Mutter und eröffnet ein Antiquariat sowie eine Volksbuchhandlung, entscheidet sich jedoch bald dazu ausschließlich Bücher aus zweiter Hand zu verkaufen. Über Dresdens Stadtgrenzen hinaus ist sein Antiquariat bekannt, Buchliebhaber kommen von nah und fern, um das einzigartige Angebot zu durchstöbern. Die Blütezeit seines Geschäfts endet mit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze 1989, und das Oderhochwasser 1997 zerstört einen großten Teil seiner Buchbestände. Norbert Paulini findet immer wieder zu seiner antiquarischen Krämerei zurück, auch nach einer Insolvenz, während der er über einen Zeitraum von einigen Jahren in einem Lebensmittelgeschäft angestellt war.
Der Roman von Ingo Schulze ist ein wahres Sammelsurium an Bücherwissen. Autorennamen, Buchtitel, Verlage, in einem Buchliebhaber wie mir weckt das Neugier so manches Genannte mal nachzuschlagen. Die Mannigfaltigkeit dieses Wissens lässt mich als Leserin zudem den sokratischen Ausspruch tun: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Jemand, der mit der Geschichte Ostdeutschlands vertrauter ist als ich, wird sicher die nicht klar benannten, sondern nur in Teilen beschriebenen Ereignisse historisch zuordnen können, ich musste recherchieren, um zu erfahren, was z.B. für eine Sintflut den Protagonisten heimgesucht hat.
Das Buch ist mehrschichtig und besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird Norbert Paulinis Lebensgeschichte von einem Ich-Erzähler beschrieben. Hier offenbart sich Paulins Desinteresse an Veränderungen und Neuerungen. Nach der Öffnung der DDR hegt er keine Westneugier, kehrt gar nach einem Besuch dort kopfschüttelnd zurück. Politik und Tagesgeschehen hält er für Zeitverschwendung, hält sie ihn doch davon ab Bücher zu lesen. Neuerscheinungen bemisst er kaum Bedeutung bei, die Klassiker und zeitlose Literatur ist das einzig Wichtige.
Im zweiten Teil offenbart sich der Ich-Erzähler, der das Antiquariat Paulini siebzehnjährig erstmals betrat und eine ehrfürchtige Bewunderung für den Antiquar entwickelt. Diese Bewunderung des Erzählers Schultz kehrt sich im Laufe der Jahre jedoch in Missgunst um, und er entschließt sich ein Buch über Norbert Paolini zu schreiben. Den dritten Teil beherrscht ein Blick von außen durch die Lektorin Theresa, die Schultz' Manuskript betreut. Sein Manuskript weckt Theresas Neugier über dessen Ende hinaus zu erfahren. Da ich selbst nicht genau verstanden habe, was in den vorangegangenen Teilen vor sich gegangen ist, habe ich mich umgehend mit ihr identifiziert, und ihre Fragen wurden zu meinen. Ich muss gestehen, dass ich nur mit Hilfe den Wandel erkannt habe und mich ansonsten vom blumigen und nicht immer leichten Leben des Antiquars habe verzaubern lassen.
„Die rechtschaffenen Mörder“ richtet sich an ein anspruchsvolles Lesepublikum, dem ich nicht gerecht werden konnte, wie ich zugeben muss. Ich habe das Gefühl Ingo Schulzes falschen Fährten voll auf den Leim gegangen zu sein und frage mich immernoch, ob Norbert Paulini zu dem mutieren konnte, was ihm unterstellt wurde.
Auch wenn mein Intellekt nicht ausgereicht hat die Komplexität des Werks differenziert zu erfassen, bin ich dennoch total fasziniert von diesem Buch.