Traurig und fröhlich, liebevoll und brutal
Der HalbbartDas Buch „Der Halbbart“ von Charles Lewinsky, erschienen bei Diogenes, beginnt im Jahr 1313 in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Die Titelfigur, der Halbbart, ist ein Eigenbrötler, ein sonderbarer ...
Das Buch „Der Halbbart“ von Charles Lewinsky, erschienen bei Diogenes, beginnt im Jahr 1313 in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Die Titelfigur, der Halbbart, ist ein Eigenbrötler, ein sonderbarer Fremder, der sich abseits des Dorfes einen Unterstand gebaut hat, seinen Lebensraum. Dort trifft ihn der Sebi, ein Junge, der mit seinen beiden älteren Brüdern im Dorf wohnt.
Das Cover zeigt einen Ausschnitt aus dem Bild „Die Kindheit“ von Ferdinand Hodler. Zu sehen ist ein kleiner Junge, der so aussieht, wie ich mir den Sebi vorstelle.
Der Sebi hört dem Halbbart gerne zu, ist sehr wissbegierig und liebt Geschichten. Der Halbbart erzählt nicht viel aus seinem eigenen Leben, doch es ist spürbar, dass er Schlimmes erlebt haben muss.
Der Einstieg ins Buch ist mir nicht ganz leichtgefallen, weil ich mich in einer ganz anderen Welt wiederfand. Der Autor hat mich nämlich direkt mitgenommen in ein fremdes Land und eine Zeit vor 700 Jahren. Der außergewöhnliche Schreibstil unter Verwendung vieler Helvetismen forderte zu Beginn hohe Konzentration beim Lesen, hatte aber bald einen ganz besonderen Charme. Lewinsky lässt den Sebi erzählen von seinen Erlebnissen – als Totengräber, im Kloster, vom Soldatenleben und von seiner großen Leidenschaft, Geschichten nicht nur zu hören, sondern auch selbst welche zu erfinden und zu erzählen. So wird dieses Buch mit seinen vielen kleinen Geschichten ganz großartig zu einer ganz großen Geschichte zusammengefasst. Dabei bringen nicht nur die historischen Ereignisse der damaligen Zeit, wie zum Beispiel der Marchenstreit, Spannung, sondern auch der Glaube an fremde Mächte, Teufel und Engel findet Raum und sorgt in so mancher Situation für Gänsehaut. Doch das Buch ist bei weitem nicht finster, sondern es bringt mich durch Sebis liebevolle Art immer wieder zum Lachen und bietet vor allem durch seine kleine Perpetua ganz besondere emotionale Momente.
Jedes der fast gleichmäßig langen Kapitel trägt eine Überschrift, die wie eine kleine Zusammenfassung zu lesen ist.
Für mich war „Der Halbbart“ mit seinen vielen ganz unterschiedlichen Charakteren ein ganz besonderes Leseerlebnis und ein großes Vergnügen. Von Herzen gern gebe ich meine Empfehlung für das Buch – das übrigens über viele, viele wunderbare Zitate verfügt, wie dieses Beispiel zeigt:
„Geschichten ausdenken ist wie lügen, aber auf eine schöne Art.“