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Veröffentlicht am 29.09.2020

Eine abenteuerliche Reise in längst vergangene Zeiten

Mitternacht in Charlbury House
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Eine abenteuerliche Reise in längst vergangene Zeiten

Mitternacht ist eine gefährliche Zeit, wenn man als Dreizehnjährige in einem geheimnisumwitterten alten Herrenhaus zu Besuch ist. Die Protagonistin ...

Eine abenteuerliche Reise in längst vergangene Zeiten

Mitternacht ist eine gefährliche Zeit, wenn man als Dreizehnjährige in einem geheimnisumwitterten alten Herrenhaus zu Besuch ist. Die Protagonistin Evi Tregarron fühlt sich vernachlässigt, nachdem sie für die Zeit der Hochzeitsreise ihrer Mutter bei ihrer schrillen Patentante Anna in Charlbury House untergebracht wird. Nicht nur die Trennung von der Mutter, sondern auch die Tatsachen, dass es dort weder Internetempfang, noch ein Fernsehgerät gibt, machen ihr zu schaffen. Evi ist außer sich, und als sie in ihrer ersten Nacht noch dazu einen Geist erblickt, ergreift sie die Flucht. Doch dabei wird sie auf unerklärliche Weise in eine längst vergangene Zeit katapultiert und mit einem ungelösten Rätsel konfrontiert. Evi darf tief in die Ereignisse des Jahres 1814 eintauchen, lernt den Alltag und die Gepflogenheiten dieser Zeit kennen und erlebt als Hausmädchen in Charlbury House das harte, arbeitsame und mühevolle Dasein der dienenden Klasse. Obgleich Evi den Komfort und all die Errungenschaften der modernen Zeit vermisst, darf sie dennoch von ihrem spannenden Ausflug in die Vergangenheit profitieren. Sie lernt interessante Menschen kennen, gewinnt eine gute Freundin, und stellt sich dabei stets die Frage, wie es ihr wohl gelingen wird, wieder in ihre eigene Welt zurückzufinden…

Helen Peters präsentiert mit diesem Jugendbuch einen höchst interessanten, lehrreichen und amüsanten Zeitreise-Roman, in welchem die junge Protagonistin Evi einige Abenteuer in der Vergangenheit bestehen muss. Die verwöhnte junge Dame lernt bei ihrem Ausflug die Bequemlichkeit und die vielen technischen Hilfsmittel ihres Lebens in London so richtig zu schätzen. Denn als Hausmädchen im Jahre 1814 ist sie zu körperlich anstrengender Arbeit verpflichtet. Die Idee der Zeitreise ist nicht neu, und dennoch hat die Autorin es geschafft, mich vom ersten Augenblick an dafür einzunehmen. Man verfolgt gespannt Evis Aktivitäten, wird vom Zauber längst vergangener Zeiten gefangen, erfährt aber auch viele Einzelheiten vom harten Leben der Hausmädchen, Küchenmädchen, Mägde und Diener eines solch imposanten Anwesens. Standesdünkel und Kinderarbeit, Aufbegehren gegen die soziale Ungerechtigkeit, und nicht zuletzt ein mysteriöses Familiengeheimnis sind Themen dieses Buches.

Der einnehmende Schreibstil der Autorin und der mit dem rätselhaften Verschwinden einer der Figuren des Buches einhergehende Spannungsfaktor machen diese Lektüre zum reinen Vergnügen. Interessante Figuren bereichern die Handlung, ein aufregendes Finale mit einer Überraschung am Ende des Buches runden das Ganze ab. Es hat mir große Freude bereitet, Evis Ausflug in das Jahr 1814 mitzuverfolgen und die hasserfüllte Küchenmagd Alice, die verängstigte Spülmagd Nell, die gefürchtete Haushälterin Mrs. Hardwick, die singende Waschmagd Mary, den kreativen und sensiblen Gärtnergehilfen Robbie und den üblen Stallburschen Jacob kennenzulernen. Die herrschende Klasse wird durch den stark verschuldeten Hausherrn Sir Henry Fane, dessen strenge und hoheitsvoll auftretende Schwester Mrs. Bailey sowie den schwerreichen Mr. Charles Ellerdale vertreten, dem sein arrogantes Auftreten, sein Alter und sein Hang zur Gewalttätigkeit die Brautwerbung um die junge Tochter des Hauses erschweren. Im Handlungsstrang der Gegenwart fungieren Evis Patentante Anna sowie Evis Mutter Lara als Nebenfiguren. Obgleich Anna relativ große Aufmerksamkeit zuteilwurde und ihre Person ausführlich beschrieben wurde, konnte ich mich mit ihr nicht anfreunden. Ihr schrilles Aussehen und ihre Marotten bildeten einen eigenartigen Gegensatz zu ihrem Beruf als forensische Anthropologin, ihre nüchterne und kühle Art und ihr offensichtliches Desinteresse an ihrer jungen Besucherin konnten mich letztendlich nicht von dieser Figur überzeugen.

Fazit: „Mitternacht in Charlbury House“ war ein faszinierendes Abenteuer und eine interessante und lehrreiche Zeitreise in die Vergangenheit dieses alten Herrenhauses, die mir großes Lesevergnügen bereitet hat. Evis Erlebnisse und ihre Bestrebungen, in das Schicksal der Menschen einzugreifen und zu versuchen, die Vergangenheit zu verändern, boten aufregende Momente. Ich kann dieses Buch jedem jungen Leser ans Herz legen, der sich für vergangene Epochen interessiert und Spannung und Abenteuer zu schätzen weiß.

Begeisterte fünf Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 20.09.2020

Mord vor der Küste Dänemarks

Tödliches Wattenmeer. Ostfrieslandkrimi
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Mord vor der Küste Dänemarks

Als Melanie Hauke nach einem romantischen Ausflug mit ihrem Ehemann alleine auf dem führerlos treibenden Segelboot „Meli“ entdeckt wird, glaubt niemand ihren Unschuldsbeteuerungen. ...

Mord vor der Küste Dänemarks

Als Melanie Hauke nach einem romantischen Ausflug mit ihrem Ehemann alleine auf dem führerlos treibenden Segelboot „Meli“ entdeckt wird, glaubt niemand ihren Unschuldsbeteuerungen. Eine große Blutlache auf dem Deck und ihre blutüberströmte Kleidung sprechen für Melanies Schuld am gewaltsamen Tod ihres Ehemannes Christian. In ihrer Verzweiflung schickt die Mordverdächtige ihre elfjährige Tochter Maximiliane zu Dr. Philipp Schorlau und informiert ihn in einem Schreiben über dessen Vaterschaft. Der arrogante und zynische Chefpathologe, der stets genüsslich verbale Wortgefechte mit seinem besten Freund Richard Faber zelebriert, ist sprachlos. Um seiner ehemaligen großen Liebe wegen ersucht er Faber und Waatstedt, den Fall zu übernehmen und zu versuchen, Melanies Unschuld zu beweisen. Doch die Beweise scheinen erdrückend und Philipp muss sich langsam fragen, ob Melanie tatsächlich noch die gleiche Frau ist, die er einst liebte – oder aber eine hervorragende Schauspielerin und eiskalte Mörderin.

In dieser Neuerscheinung aus der Feder Elke Nansens durfte ich erneut in die Welt des ostfriesischen Ermittlerpaares Richard Faber und Rike Waatstedt eintauchen, die sich im aktuellen Fall große Sorgen um ihren Freund Philipp Schorlau machen. Während dieser sich langsam an seine neue Vaterrolle und die freche Elfjährige gewöhnt, die so unvermittelt ins Haus schneite, verdichtet sich zugleich der Verdacht gegen Melanie Hauke. Philipp zuliebe gehen die beiden Kriminalkommissare jeder noch so kleinen Spur nach, werden vom gesamten Team, aber auch vom kriminalistischen Spürsinn Opa Knuts und dessen scharfsinnigen Hinweisen unterstützt. Den Kriminalkommissaren Laurien Heiligenstadt, Sonja Withuus, Tamme Hehler, Friedhelm Steiner und Torben Husman werden kleine Nebenrollen zuteil, während der Chefpathologe Dr. Philipp Schorlau zwar im Zentrum des Geschehens steht, aufgrund seiner persönlichen Befangenheit an den Ermittlungen jedoch offiziell nicht beteiligt ist. Ich fand es interessant, wie das vorwitzige kleine Mädchen die sensible und weiche Seite dieses ansonsten brummigen und elitären Snobs zu Vorschein brachte. Auch der alte Ostfriese Opa Knut, dessen liebevolle und gastfreundliche Art ich bereits in den Vorgängerbüchern zu schätzen lernte, schloss den schlagfertigen kleinen Wirbelwind namens Maxi sofort ins Herz. Mit Andreas und Heidrun Hauke und der Assistentin Anja Schulte betraten weitere relevante Nebenfiguren den Schauplatz der Handlung.

Der flüssige Schreibstil der Autorin sorgte gemeinsam mit dem durchgehenden Spannungsbogen dafür, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen mochte. Unerwartete Wendungen und geschickt inszenierte falsche Fährten trugen zu meinem Lesevergnügen bei, die Auflösung des Falles hat mich letztendlich überrascht. In einigen Konversationen bedienen die handelnden Figuren sich zudem plattdeutscher Ausdrücke und Redewendungen, was ich besonders beim alten Ostfriesen Opa Knut überaus charmant fand.

Fazit: Mit „Tödliches Wattenmeer“ bescherte die Autorin mir einen interessanten Kriminalfall, der mich ausgezeichnet unterhalten und mir sehr gut gefallen hat. Die sympathischen Figuren dieser Buchreihe aus der Feder von Elke Nansen sind mir mittlerweile ans Herz gewachsen und ich freue mich bereits auf weitere Ermittlungen mit Faber und Waatstedt sowie dem gesamten Team des Kriminal- und Ermittlungsdienstes Emden.


Veröffentlicht am 23.08.2020

„Codename Marigold“ – ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang

Hill House - Der Wind in den Lilien
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„Codename Marigold“ – ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang

Die drei Freundinnen Alice, Rose und Vera stehen trotz des wütenden Weltkrieges und widriger Umstände zueinander, geben sich gegenseitig Kraft ...

„Codename Marigold“ – ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang

Die drei Freundinnen Alice, Rose und Vera stehen trotz des wütenden Weltkrieges und widriger Umstände zueinander, geben sich gegenseitig Kraft und Halt in dieser schwierigen Zeit. Während Alice Buxton, nunmehr Ehefrau des italienischen Kriegsberichterstatters Lorenzo Ranieri, mit ihrem Vater und ihrer kleinen Tochter noch immer in Hill House lebt, ist auch die blonde Schönheit Rose Mandeville mittlerweile verheiratet. Vera Lyttleton hingegen hält zu ihrem verhassten Elternhaus Distanz, sie arbeitet immer noch als Krankenschwester im Kriegsgebiet und ist unter dem Codenamen „Marigold“ als Spionin für den britischen Geheimdienst aktiv. Die intelligente junge Frau agiert furchtlos und unerschrocken, sie besitzt eine große innere Stärke und setzt sich mit großem Mut für ihre Aufgaben, aber auch mit großer Menschlichkeit für ihre Mitmenschen ein. Veras turbulente Geschichte führt sie an die Krankenlager verletzter Soldaten, sie verheddert sich beinahe im Netz verräterischer Spione, und begibt sich schließlich in eine kenianische Missionsstation, wo sie die prachtvolle Schönheit, aber auch die unbarmherzige Härte Afrikas kennenlernt.

„Der Wind in den Lilien“ ist der dritte und letzte Band der Buchreihe „Hill House“, er stellt einen perfekten Abschluss der Geschicke der drei Freundinnen Alice Buxton, Rose Mandeville und Vera Lyttleton dar. In diesem finalen Band konzentriert die Autorin sich in erster Linie auf ihre Protagonistin Vera, ihr männlicher Gegenpart wird vom attraktiven schottischen Mediziner Frederick Redmond dargestellt. Bei ihren gemeinsamen Bemühungen um die Verletzten des Krieges kommen Arzt und Krankenschwester sich näher, zudem verbindet die beiden auch ihre Tätigkeit im Spionagenetzwerk. Eine wichtige Nebenfigur der Handlung ist der Missionsarzt Doktor Trevor Ingram. Der hervorragende und korrekte Mann, dem für seine Menschlichkeit und seine bedächtige und vorsichtige Art große Sympathie zuteilwird, ermutigt Vera, ihn auf seinem Einsatz in einer Missionsstation auf dem Mount Kenya zu begleiten. Durch diese Reise erhält die Protagonistin die einzigartige Gelegenheit, dieses wilde, aber wunderschöne Land mit eigenen Augen zu sehen und ihre Bewohner kennenzulernen. Ein einflussreicher und reicher Baron in Afrika sowie ein Hotelbesitzer-Ehepaar in Lille spielen relevante Rollen in diesem Buch, das Schicksal des Ehepaares Portman ist beispielhaft für die widrigen Lebensumstände unvorbereiteter europäischer Siedler auf dem afrikanischen Kontinent. In Form von kleinen Gastauftritten darf man sich als Leser der beiden ersten Bände auch über ein ganz kurzes Wiedersehen mit Raymond Saull, May McGregor, Geoffrey Buxton und Jodie Green freuen.

Der einnehmende Schreibstil der Autorin, die bildhaften Beschreibungen der Schauplätze sowie die hervorragende Charakterzeichnung der handelnden Figuren haben mir auch im vorliegenden Buch großes Lesevergnügen bereitet. Die Kriegshandlungen und die Tätigkeit der Mitglieder des britischen Geheimdienstes bilden die Rahmenhandlungen dieser Geschichte, sie bringen Emotionen und große Spannung ins Buch.

FAZIT: Als dritter und letzter Band der Hill House-Trilogie bietet „Der Wind in den Lilien“ erneut eine perfekte Mischung aus Abenteuer, Liebe und Romantik und erlaubt darüber hinaus Einblicke in die Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Das Buch thematisiert die Freundschaft von drei völlig unterschiedlichen Frauen, die sowohl dem Krieg, als auch persönlichen Katastrophen standhält. Mit Veras Schicksal vollendet sich die Geschichte um das Kleeblatt „Alice, Rose und Vera“ – eine Geschichte, die ich außerordentlich gerne gelesen habe.

Sehr gerne vergebe ich fünf Sterne und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.08.2020

Merle, warum lässt du dich denn nicht lieben?

Pullikalb
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Merle, warum lässt du dich denn nicht lieben?

„Du bist wichtig. Du bist wertvoll. Du bist erwünscht. Du bist gewollt!“

Die siebzehnjährige Merle kann dieser Zusicherung in keiner Weise glauben. Sie ist ...

Merle, warum lässt du dich denn nicht lieben?

„Du bist wichtig. Du bist wertvoll. Du bist erwünscht. Du bist gewollt!“

Die siebzehnjährige Merle kann dieser Zusicherung in keiner Weise glauben. Sie ist ein abgrundtief vernachlässigtes Einzelkind, das auf eine einsam durchlebte lieblose Kindheit und Jugend zurückblickt. Ihren Vater hat sie niemals kennengelernt, die Mutter ist lieblos, verletzend, ablehnend und die meiste Zeit abwesend. Merle hat Todessehnsucht, sie hegt den Wunsch, sich selbst wehzutun und ist überzeugt, im falschen Leben gelandet und für niemanden auf der Welt wichtig zu sein. Ein Angebot für ein Praktikum auf einem Bauernhof in Süddeutschland bietet ihr die einmalige Gelegenheit, ihren Traum von einem Leben auf dem Land zu verwirklichen. Die Familie des Hofinhabers nimmt Merle herzlich in ihrer Mitte auf, und auf dem Nachbarshof lernt sie den zwanzigjährigen Simi kennen, der sich rasch als wunderbarer, verständnisvoller und mitfühlender Freund entpuppt. Simi ruht in sich, liebt sein Leben auf dem Hof und seine Familie. Doch Merle ist durch zahlreiche Verletzungen in ihrer Vergangenheit geprägt - „das Gefühl, unerwünscht und ungewollt, ertragen, aber niemals geliebt worden zu sein, tat infernalisch weh.“Eine außergewöhnliche Begegnung stellt für Merle schließlich die Chance auf einen Neubeginn dar – doch die Dämonen in ihrem Inneren lassen sich nicht so einfach vertreiben…

Christina Kunellis Geschichte hat mich vom ersten Augenblick an in den Bann gezogen. Der Leser erhält erschütternde Einblicke in das Leben der Ich-Erzählerin Merle, in ihre inneren Kämpfe, den negativen Einfluss ihrer Freunde und die sträfliche Vernachlässigung durch ihre eiskalte, gefühllose Mutter. In einem Praktikum auf den Bauernhof von Alfred und Elli in Süddeutschland entsteht eine reelle Chance für die Protagonistin, ihr Leben positiv zu verändern. Doch die Qualen dieses seelisch kaputten jungen Mädchens setzen sich auch in ihrem neuen, liebevollen und wertschätzenden Umfeld fort. Merle hat es niemals geschafft, Selbstbewusstsein zu entwickeln, sie ist gefangen in einer Spirale der Selbstzerstörung, der sie scheinbar nicht entrinnen kann. In der Abwertung ihrer eigenen Person und dem selbst zugefügten Schmerz hat sie zumindest noch das Gefühl, etwas zu „spüren“.

Der Autorin ist die Charakterzeichnung ihrer Protagonistin hervorragend gelungen, ich konnte mich den tiefen Emotionen dieses Buches schlichtweg nicht mehr entziehen. Die Beschreibung von Merles abgrundtiefer Verzweiflung, ihrem Selbsthass, aber auch ihrer unerfüllten Sehnsucht nach einer Familie, nach Annahme und bedingungsloser Liebe, verschlugen mir von der ersten, bis zur allerletzten Seite, den Atem. Der Schreibstil der Autorin ist sehr eindringlich, und wie bereits erwähnt von ganz großen Emotionen durchdrungen. Man spürt förmlich die Zerrissenheit der Protagonistin und leidet mit ihr unter den Folgen ihrer Handlungen, die Ausdruck ihrer Hilflosigkeit und Wut, ihrer Ängste und ihres Selbsthasses sind, ihr gesamtes Umfeld jedoch verstören und ratlos zurücklassen. Trotz meiner starken Aversion gegen Kraftausdrücke und Flüche verlieh die derbe und an mancher Stelle vulgäre Sprache von Merle und Anna diesen beiden Figuren der Handlung ganz besondere Authentizität – sie verleiht Annas Verderbtheit und ihrem negativen Einfluss auf Merle ganz besonderen Ausdruck. Vor allem aber verdeutlichte sie auf drastische Weise die zunehmende Entfremdung der beiden durch Merles Gesinnungsänderung und der starken Wandlung, die sie im Verlauf des Buches durchlebt.

Christina Kunellis stellte Merle und Simi interessante und liebenswerte Nebenfiguren zur Seite. Einen wichtigen Part nehmen ein gütiger Mann namens Johannes und Simis liebevoller Vater Jens ein, während Simis steinalter, etwas wirrer Opa sowie Simis Geschwister Gustav, Max, Greta und Lilli Merles Herz bereits beim ersten Zusammentreffen im Sturm erobern. Als eindeutige Antagonisten dieses Buches empfand ich Merles Mutter und Merles Freundin Anna, die für unglaublich großes Leid im Leben der jungen Protagonistin verantwortlich zeichnen.

Die Beschreibung des idyllischen Bauernhofes von Alfred und Elli, der zu Merles neuer Heimat wurde, ist der Autorin ebenfalls vortrefflich gelungen. Allein die Beschreibung der Landschaft, der Tiere auf dem Hof, und vor allen Dingen der titelgebenden Geschichte um das „Pullikalb“ ließ ein deutliches Bild vor meinen Augen entstehen, das um die mehrmals im Buch erwähnte „Astrid-Lindgren-Küche“ zusätzlich bereichert wurde. Ich ertappte mich während dieser Lektüre mehrfach dabei, am liebsten vor Ort zu sein und diese wunderschönen Szenarien selber erleben zu dürfen.

Die Autorin wählte keine einfache Thematik, das Buch ist emotional sehr fordernd und manche Passagen lösten Unverständnis, Ratlosigkeit und Entsetzen in mir aus. Und doch bietet es einen tiefen Einblick in das Seelenleben junger Menschen wie Merle, die nach außen hin rebellieren, in ihrem Innersten jedoch mit unglaublich tiefen Verletzungen zu kämpfen haben und es schlichtweg nicht mehr schaffen, andere Menschen und liebevolle Zuwendung an sich heranzulassen.

Fazit: „Pullikalb“ ist ein Buch, das im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Es machte mich zutiefst betroffen, war fordernd, aufwühlend und an sehr vielen Stellen zu Tränen rührend. Es handelt sich keinesfalls um eine leichte Lektüre für Zwischendurch – man muss sich vielmehr voll und ganz auf Merles tragische Geschichte einlassen, um einige ihrer Handlungen auch nachvollziehen zu können. Nichtsdestotrotz wird der Protagonistin dieser Geschichte aber auch Hoffnung und eine Chance auf einen Neubeginn geschenkt - die Chance, an ihren Schicksalsschlägen nicht zu zerbrechen, sondern stark zu werden und an Schwierigkeiten zu wachsen. Trotz meiner bereits erwähnten Aversion gegen die derben Sprachinhalte war dieses Buch angesichts des umwerfenden Inhalts ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art… eine ganz besondere Perle, die ich zu einem meiner persönlichen Lese-Highlights zähle.

Veröffentlicht am 10.08.2020

Ich werde Schulen zu Orten machen, an denen Freude herrscht!

Lehrerin einer neuen Zeit
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Ich werde Schulen zu Orten machen, an denen Freude herrscht!

Maria Montessori gelingt es bereits in jungen Jahren, sich als ehrgeizige und wissensdurstige Frau in einer Männerwelt durchzusetzen. Nach ...

Ich werde Schulen zu Orten machen, an denen Freude herrscht!

Maria Montessori gelingt es bereits in jungen Jahren, sich als ehrgeizige und wissensdurstige Frau in einer Männerwelt durchzusetzen. Nach einem abgeschlossenen Studium der Naturwissenschaften verfolgt die intelligente junge Frau das Ziel, eine der ersten Ärztinnen Italiens zu werden. Während ihres Medizinstudiums gilt sie als beste Studentin ihres Jahrgangs, anfängliche Skeptiker unter ihren Professoren überzeugt sie durch ihr Wissen und ihre Leistungen. Doch die attraktive und anmutige Maria muss sich ihren Platz in der Welt erkämpfen und wird anfangs auch mit Neid und Anfeindungen konfrontiert, Vertreter der Männerwelt warten nur darauf, die einzige weibliche Medizinstudentin scheitern zu sehen. In der Psychiatrischen Klinik in Rom befasst die angehende Medizinerin sich erstmals mit pädagogischen Schriften und ist zudem fest entschlossen, sich für die Armen einzusetzen. Ihre Arbeit mit schwachsinnigen Kindern führt sie schließlich zu Schriften pädagogischer Größen wie Friedrich Fröbel und Séguin. Als junge und charmante Dottoressa aus Italien verzaubert sie mit ihren Vorträgen, ihrer Intelligenz und ihrem Charme bald ganz Europa und stellt Italiens gesamtes Schulwesen auf den Kopf.

Laura Baldinis Roman befasst sich mit dem Zeitraum zwischen 1984 und 1902 und widmet sich der Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen jungen Italienerin namens Maria Montessori, die sich als Ärztin, Psychiaterin, Psychologin, Philosophin, Anthropologin, Biologin, Pädagogin und Wissenschaftlerin in einer von Männern dominierten Welt durchgesetzt und das Bildungssystem weltweit revolutioniert hat.

„Ich werde eine völlig neue Methode der Kindererziehung entwickeln. Ich werde der Methode meinen eigenen Namen geben. Und die Kinder dieser Welt werden damit Respekt, Liebe und Wertschätzung verbinden. Ich werde Schulen zu Orten machen, an denen Freude herrscht.“

Die Autorin erzählt von Marias konservativen Vater, einem hochrangigen Finanzbeamten, der den Plänen seiner Tochter anfangs ablehnend gegenüberstand. Im Gegensatz dazu entpuppte ihre Mutter Renilde sich als aktive Unterstützerin, die sich stets für ihre Tochter einsetzte und sie ermutigte. Marias Freundeskreis, darunter auch die Feministin Rina Faccio, ein wohlmeinender Professor sowie Marias gutaussehender und ehrgeiziger Kollege Dr. Giuseppe Montesano sind wichtige Nebenfiguren dieses Buches. Ein vermeintlich geisteskrankes Kind namens Luigi Tassilo steht beispielhaft für viele Insassen diverser Einrichtungen, in denen Kinder brutal und lieblos behandelt, erniedrigt und an Leib und Seele gequält werden.

„Luigi spürte, dass es nur noch ein winzig kleiner Schritt in die endlose Finsternis war, in der es nichts gab, keine Freude, aber auch keinen Hunger und vor allem keinen Schmerz.“

Die Charakterzeichnung der handelnden Figuren ist der Autorin sehr gut gelungen. Sowohl die Protagonistin Maria, als auch die Nebenfiguren wirken in hohem Maße authentisch. Laura Baldini beschreibt Marias unerschütterliches Bestreben, ihre Träume zu verwirklichen und ihr Studium erfolgreich abzuschließen. Der Leser erhält Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der handelnden Personen, die Seelenqualen des kleinen Luigi haben mich besonders berührt. Der äußerst gelungene Schreibstil der Autorin macht dieses Buch darüber hinaus zu einem ganz besonderen Leseerlebnis.

Fazit: Mit „Lehrerin einer neuen Zeit“ erzählt Laura Baldini die Lebensgeschichte einer beeindruckenden Frau, welche die feste Überzeugung vertrat, dass Kinder mit Liebe und Respekt auf das Lernen und das Leben vorzubereiten sind. Maria Montessoris Hartnäckigkeit, sich in einer Männerwelt durchzusetzen, ihren Überzeugungen Ausdruck zu verleihen und diese auch umzusetzen, wurden hervorragend dargestellt. Der einnehmende Schreibstil und gut gezeichnete Charaktere machten die Lektüre dieses Buches zu einem Vergnügen. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen und ich habe mich gefreut, Einzelheiten aus dem privaten und persönlichen Umfeld jener Person zu erfahren, die bis zum heutigen Tag das Bildungssystem prägt.