Cover-Bild Der Halbbart
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26,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Historische Romane
  • Seitenzahl: 688
  • Ersterscheinung: 26.08.2020
  • ISBN: 9783257071368
Charles Lewinsky

Der Halbbart

Der Sebi ist nicht gemacht für die Feldarbeit oder das Soldatenleben. Viel lieber mag er Geschichten. Im Jahr 1313 hat so einer es nicht leicht in einem Dorf in der Talschaft Schwyz, wo Engel kaum von Teufeln zu unterscheiden sind. Vom Halbbart, einem Fremden von weit her, erfährt er, was die Menschen im Guten wie im Bösen auszeichnet – und wie man auch in rauen Zeiten das Beste aus sich macht.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.10.2020

Das Gute und das Böse im Menschen

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Vor dem historischen Hintergrund des Marchenstreits um 1313 erzählt Charles Lewinsky die Geschichte eines Flüchtlings und der Menschen, die ihn in ihrem Dorf aufnehmen. Während wir die Charaktere mit ihren ...

Vor dem historischen Hintergrund des Marchenstreits um 1313 erzählt Charles Lewinsky die Geschichte eines Flüchtlings und der Menschen, die ihn in ihrem Dorf aufnehmen. Während wir die Charaktere mit ihren persönlichen Herausforderungen kennenlernen, schwelt der Konflikt, ist von Beginn an zu spüren. Die Unterdrückung der Landbevölkerung durch die Kirche mündet schließlich in ausufernden Gewalttaten, Auge um Auge, Zahn um Zahn, die der Autor so schonungslos präsentiert, dass meine Reaktion von ungläubigen Entsetzen geprägt ist. Über den geschichtlich belegten Anteil hinaus habe ich den Roman als Gesellschaftskritik empfunden. Fast alles, was geschieht, lässt sich ins heute transferieren.

In diesem Sinne sind die streitbaren Figuren angelegt, sie führen uns sehr genau verschiedene Archetypen des Menschen vor Augen. Es gibt den Intellektuellen, den jungen Formbaren, den mit Durchhaltevermögen, den Starken, den Depp, es gibt Lügner und Hinterhältige. Dazu kommt die Quotenfrau. Wie im echten Leben heute, tritt nur eine Dame ins Rampenlicht der wirklich wichtigen Charaktere. Der Autor fokussiert stark auf die Entwicklung der Charaktere und deren Beziehungsgeflecht.
Meine Lieblingsfigur ist Eusebius, genannt Sebi. Er hat aus meiner Sicht einen Entwicklungssprung hingelegt, der deutlich über das für seine Herkunft Erwartbare hinausgeht. Überzeugt hat er darüber hinaus, weil er sich selbst stets treu geblieben ist. Gut gefallen hat mir auch die Unerschütterlichkeit des wahren Glaubens, die sich in seiner Figur manifestiert.

Die gewählte Sprache und Benamung der Figuren erzeugen den Lokalkolorit des Romans. Das dörflich Ungebildete seiner Zeit spendet Glaubwürdigkeit, ist gleichzeitig sehr amüsant. Es hat ein paar Kapitel gedauert, bis ich mich an den von
Helvetismen durchsetzten Text mit dem aus hochdeutscher Perspektive betrachteten, falschem Satzbau gewöhnt hatte. Danach war ich von dem sympathischen Sprachgebrauch mit seinen lautmalerischen Wörtern wie Finöggel, Gsüchti und Rossbollen begeistert. Negative Wörter, Gefühle und Zustände erfahren eine Verniedlichung, lassen den Leser trotz des Ernstes der Ereignisse schmunzeln.

Insgesamt war „Der Halbbart“ kein einfaches Buch. Durchgehend regt der Roman zum Reflektieren an, da sich ganz automatisch eine Fülle von Parallelen in unserem Leben heute ergibt. Fake News sind in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel. So habe ich den Roman fast nach jedem Kapitel ein paar Minuten zur Seite gelegt, um das Gelesene auf mich wirken zu lassen. Neben dem mir bisher unbekannten geschichtlichen Hintergrund habe ich beim Nachsinnen auch mich selbst und meine Mitmenschen wieder ein bisschen besser kennengelernt. Diese Anregung hat mir sehr gefallen.

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Veröffentlicht am 29.09.2020

Geschichten aus dem Mittelalter

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Der Roman „Der Halbbart“ versetzt den Leser nach Schwyz im Jahre 1313. In einem kleinen Dorf wohnt Eusebius, mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern Geni und Poli. Eusebius, den alle Sebi nennen, ist ...

Der Roman „Der Halbbart“ versetzt den Leser nach Schwyz im Jahre 1313. In einem kleinen Dorf wohnt Eusebius, mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern Geni und Poli. Eusebius, den alle Sebi nennen, ist ein aufgeweckter Junge und sehr guter Beobachter.
Als eines Tages ein Fremder im Dorf erscheint, der man aufgrund seines Aussehens Halbbart nennt, sucht Sebi seine Gesellschaft und versucht so viel wie möglich von ihm zu lernen. Der Halbbart scheint ein Mann mit vielen praktischen Fähigkeiten zu sein und er hilft gerne den Menschen im Dorf. Nur über seine tragische Vergangenheit möchte er lieber nicht sprechen.


Dieses Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Im Mittelpunkt steht natürlich Sebi, der die ganze Geschichte erzählt. Er ist ein aufgeweckter Junge, der gut beobachten und noch besser erzählen kann. Er wächst in einer Welt, in der der Glaube und Aberglaube den Alltag beeinflussen und die prägen nachhaltig auch seine Gedanken und Geschichten.
Mit den Augen des 13-jährigen Buben konnte ich in diese mittelalterliche Welt eintauchen und das mühsame Leben der Dorfbewohner betrachten. Mit der Naivität eines Kindes erzählt Sebi über den Alltag der ungebildeten Menschen, über das scheinbar bessere Leben der Reicheren im Dorf und den enormen Einfluss der Kirche. Seine Erzählungen sind so offen, aufrichtig und unkritisch, dass man über seine kindliche Naivität oft schmunzeln muss.
Der geheimnisvolle Halbbart spielt eine große Rolle im Sebis Leben. Es ist offensichtlich, dass der Halbbart ein gebildeter Mensch ist und viel, nicht nur Gutes, in seinem Leben mitmachen müsste. Sein Wissen teilt er gern mit Sebi, der ihn von Anfang an als einen Freund und nicht als einen Fremden behandelt.
Natürlich kommen auch die geschichtlichen Ereignisse in diesem Roman vor. Sebi und seine Brüder wurden in diese Geschehnisse verwickelt. Dazu gibt der Autor zwar keine Quellennachweise, dafür aber erzählt viele interessante Geschichten. Wieviel sie der Wahrheit entsprechen, müsste man es selbst herausfinden. Denn in dem Interview für Literatur-Lounge sagt der Autor selbst:
Ein Roman soll keine Unterrichtsstunde sein. Es geht nicht um Geschichte, sondern um Geschichten.

FAZIT:
„Der Halbbart“ von Charles Lewinsky ist ein wunderbarer Roman voller Geschichten, Märchen und Weisheiten, die das Herz jedes Lesers berühren. Obwohl es eine Geschichte über das Mittelalter ist, ist sie in vielen Punkten aktueller denn je. Wunderschön erzählt, berührend, aufschlussreich – einfach lesenswert!

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Veröffentlicht am 26.09.2020

Kluger Roman über eine erbarmungslose Zeit

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„Der Halbbart“ von Charles Lewinsky beginnt im Jahr 1313, also im tiefsten Mittelalter. Hauptfigur ist der ca. 12- oder 13-jährige Eusebius, der von allen Sebi genannt wird (oder Stündelerzwerg – einer ...

„Der Halbbart“ von Charles Lewinsky beginnt im Jahr 1313, also im tiefsten Mittelalter. Hauptfigur ist der ca. 12- oder 13-jährige Eusebius, der von allen Sebi genannt wird (oder Stündelerzwerg – einer von vielen schwyzerdütschen Begriffen im Buch, zum Glück gibt es auf der Website von Diogenes ein Glossar der Helvetismen). Der junge Ich-Erzähler lebt mit seiner Mutter und den beiden älteren Brüdern in einem kleinen Dorf. Es gibt ein Stückchen Land, das die Brüder bestellen; Sebi verdient außerdem Geld, indem er dem betagten Totengräber des Ortes hilft, Gräber auszuheben. Außerdem schaut er gerne bei dem Fremden vorbei, der sich in Nähe des Dorfes angesiedelt hat. Dieser wird von allen „Halbbart“ genannt, da sein Bart nur noch auf einer Gesichtshälfte sprießt – die andere ist durch Brandnarben komplett entstellt. Der Halbbart ist ein intelligenter Mann und kennt sich außerdem mit Medizin aus. Als Sebis ältester Bruder Geni einen schrecklichen Unfall hat und die Rosskur der örtlichen Heiler den Sterbeprozess nur zu beschleunigen scheint, wird er schließlich gerufen.

Das könnte jetzt schon die Zusammenfassung eines Romans gewesen sein, in diesem Fall ist es allerdings nur ein kurzer Ausblick auf die ersten 50 Seiten – von 677. Die Handlung des „Halbbarts“ erstreckt sich über vielleicht zwei, drei Jahre. Sie ist Sebis Coming-of-Age-Geschichte und beschreibt seine Suche nach dem eigenen Weg. Sie handelt aber auch vom historisch verbürgten Marchenstreit zwischen dem Kloster Einsiedeln und Schwyz, von der Macht der Kirche, der Macht des Aberglaubens und der Verführung der Massen. Dabei gibt es immer wieder Passagen, die verdeutlichen, dass das Mittelalter in mancher Beziehung nur einen Wimpernschlag von uns entfernt ist: Wenn z.B. jemand im Dorf erscheint, der von einem schrecklichen Überfall erzählt mit vielen, vielen Toten und die Geschichte zwar seltsame Lücken aufweist, sich aber trotzdem wie selbstständig verbreitet. Fake News im 14. Jahrhundert – und ihre Auswirkungen waren genauso bedrohlich wie heute.
Um den titelgebenden Halbbart geht es dagegen nur in Teilen des Buches; in der zweiten Romanhälfte verkommt er zur Randfigur, deren Denken, Handeln, Streben mehr und mehr im Dunkeln bleiben. Und so hätte Lewinsky sein Buch vielleicht doch besser „Eusebius“ genannt.

Sebi bewahrt sich bei aller Gräuel ein reines Herz und war so immer wieder mein Rettungsanker während der Lektüre – aus seiner Perspektive ließen sich auch die düstersten Kapitel irgendwie bewältigen, ob es nun um Amputationen, Bestrafungen oder Schlachten ging. Mit seinem etwas naiven, aber freundlichen Blick beobachtet Sebi Menschen, durchdenkt Ereignisse und teilt seine Gedanken dann mit dem Leser. Dabei ist er ein begnadeter Geschichtenerzähler. Und so hat Lewinsky einen einerseits anrührenden und weisen Roman geschaffen, der andererseits brutal ist und mit den Menschen an sich hart ins Gericht geht. Etwas desillusioniert hat er mich schon zurückgelassen, war die lange Lektüre aber allemal wert.

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Schöner Erzählstil - aber für mich zu grausam und zu lang

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Der Junge Sebi ist etwas 11 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Es ist das frühe 14. Jahrhundert. Das Leben ist hart, anerkannt ist, wer stark ist und sich durchsetzen kann. ...

Der Junge Sebi ist etwas 11 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Es ist das frühe 14. Jahrhundert. Das Leben ist hart, anerkannt ist, wer stark ist und sich durchsetzen kann. Sebi ist dafür kaum geeignet. Er ist ein sogenannter "Finnögel", ein zartes Kerlchen - weder fürs Kämpfen noch für die Feldarbeit zu gebrauchen. Er ist zwar sehr intelligent - genauso wie sein älterer Bruder Geni - aber das zählt in diesen Zeiten wenig. Schule gibt es nicht. Und Lesen und Schreiben können nur einige Mönche im Kloster Einsiedeln. Dort will er vielleicht mal hin - denn was soll er sonst machen? Doch dann kommt ein Fremder ins Dorf. Er hat ein verunstaltetes Gesicht und nur einen halben Bart - daher der Titel "Der Halbbart". Der Fremde macht sich bald als Ratgeber und Helfer bei medizinischen Dingen einen Namen. Und er wird für Sebi zu einer Art Vater-Ersatz. Denn sein eigener Vater ist früh gestorben und auch die Mutter wird bald das Zeitliche segnen. Sebi wird also durch viele Wechselfälle des Lebens gehen - und das alles, bis er ungefähr 14 ist. Diese Zeit erzählt das Buch bzw. Sebi erzählt. Seine Erzählweise ist lakonisch, auch humorvoll und voller Weisheiten. Manchmal schon fast zu viel Weisheiten für so einen jungen Kerl - aber Kindheit in dem Sinne gab es damals nicht. Kinder mussten helfen und arbeiten und ganz früh erwachsen werden.

Es war der Erzählton, der mich die ersten 300 Seiten durch das Buch getragen hat und mich berührt und begeistert hat. Doch danach wurden die Geschehnisse immer grausamer (abgetrennte Beine, Vergewaltigung, tote Babys im Kloster die im Schweinetrog entsorgt werden sollten usw.). Und ich hatte immer weniger Lust, weiter zu lesen. Immer wieder verschwanden lieb gewordene Personen. Und nicht so sehr viele Lichtstreife am Horizont. Sicherlich sind die Beschreibungen realistisch - das Mittelalter war eine grausame Zeit - aber irgendwann mochte ich es nicht mehr lesen. Der Zauber der Erzählkunst wirkte nicht mehr. Besonders betroffen haben mich die Machenschaften und die Scheinheiligkeit der Mönche und Äbte. Und die Bravheit der Dörfler, die mit Drohungen von Fegefeuer und Hölle in Schach gehalten wurden. Das war ja noch bis Anfang des letzten Jahrhunderts sehr verbreitet - auch in Deutschland. Ich erinnere mich noch an die Geschichten meiner Oma....

Nein, das Lesen ist mir dann schwergefallen. Wobei ich sagen muss, dass ich dem Autor großes Können, gute Recherchen und vor allem eine tolle Sprache attestieren muss. Menschen, die sich fürs Mittelalter interessieren, finden mit diesem Buch die ideale Lektüre.

Aber ich habe jetzt beschlossen: Nie mehr Mittelalter!

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Veröffentlicht am 21.09.2020

Berührend und erschütternd

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Wir schreiben das Jahr 1313. Der Junge Eusebius, genannt Sebi, lebt in einem Dorf in der Talschaft Schwyz. Er liebt es, Geschichten zu hören und selbst zu erzählen. Die schweren Arbeiten auf den Feldern ...

Wir schreiben das Jahr 1313. Der Junge Eusebius, genannt Sebi, lebt in einem Dorf in der Talschaft Schwyz. Er liebt es, Geschichten zu hören und selbst zu erzählen. Die schweren Arbeiten auf den Feldern und das Leben der Soldaten dagegen sind nichts für ihn. Eines Tages lernt er den Halbbart kennen, einen Fremden, der irgendwann einfach da war. Keiner weiß, wo er herkam. Seinen Namen hat er durch sein Aussehen bekommen, da ihm nur noch auf der einen Geschichtshälfte Bart wächst. Die andere Seite ist überzogen von Brandnarben und schwarzen Krusten. Der Halbbart wird für Sebi zum Vertrauten, zur Bezugsperson, mit ihm kann er sich austauschen und philosophieren. Beider Leben und ihre Freundschaft wird jedoch schwer beeinflusst von den Grausamkeiten des Mittelalters.

Charles Lewinsky hat mit "Der Halbbart" einen wuchtigen Roman geschrieben, der es auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2020 geschafft hat. Es ist eine beeindruckende Geschichte, in die man leicht eintauchen kann. Allerdings hat das Buch mit seinen fast 700 Seiten vor allem im Mittelteil Längen und bringt einen mit seinen detaillierten Schilderungen teilweise sehr brutaler Szenen an die Grenzen des Erträglichen.

Nichtsdestotrotz ist die Lektüre absolut empfehlenswert. Es ist "ein Roman voller Schalk und Menschlichkeit, der zeigt, wie aus Geschichten Geschichte wird."

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