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Veröffentlicht am 19.12.2020

Voller schräger Situationen, grusliger Wahrheiten und negativen Emotionen...

The Music of What Happens
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In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen ...

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen Themas große Hoffnungen gesetzt. Anders als gedacht, ist der Roman jedoch keine lockerleichte LGBT-Sommerlektüre über zwei Jungs in einem Foodtruck. Eher begleiten wir die beiden auf einem schweren Stück Weg und sehen, wie sie sich gegenseitig Halt und neue Perspektiven schenken, während die Welt um sie herum zusammenbricht...


Max: "There are the mud-flowers of dialect,
And the immortelles of perfect pitch
And that moment when the bird sings very closely
To the music of what happens."


Das Cover ist einfach hinreißend, sendet meiner Meinung nach aber falsche Signale. Zu sehen ist ein blassblauer Sommerhimmel mit einzelnen Wolken und zwei Jungs im Cartoon-Stil, die entfernt an Max und Jordan erinnern und sich an den Händen halten. Der aus dem Englischen übernommene Titel aus dem Gedicht des irischen Dichters Seamus Heaney thront darüber in Großbuchstaben. Zusammen mit den zum Titel passenden Leselaschen mit Kakteen und den Kapitelanfängen, die mit einem Foodtruck und Herzchen beginnen, würde mich das Cover komplett überzeugen, wenn es nicht so... heiter wäre. Und das ist die Geschichte nun mal leider nicht. "The Music of What Happens" ist ehrlich, düster und voller schräger Situationen, gruseliger Wahrheiten und negativen Emotionen, sodass man sich beim Lesen nicht gerade wohlig seufzend in die Geschichte fallen lassen kann.


Max: "Mom redet immer davon, dass in der Welt so viel Scheiße abgeht und dass es meine Entscheidung ist, wie ich damit umgehe. Der sicherste Weg, unglücklich zu werden, ist, mit finsterem Blick durchs Leben zu gehen, sagt sie, und da hat sie recht. Man muss in der Dunkelheit immer nach Licht und Farbe Ausschau halten, denn die sind immer da, auch wenn es einem manchmal schwerfällt, sie zu erkennen."


Zu sagen, dass mein Start in die Geschichte holprig war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Während der ersten zwei Kapitel habe ich mich ein paar Male gefragt, ob ich irgendwelche essenziellen Informationen verpasst oder den Klapptext falsch gelesen habe. Denn zwischen äußerst problematischen Kindheitserinnerungen, rätselhaften Flashbacks über eine traumatische Erfahrung, einem mütterlichen Nervenzusammenbruch in einem ramponierten Foodtruck, einem "80er-Jahre-Puff-Zimmer", einer Ode an den Joghurt, den "Amigos" und den "Ehefrauen" sah ich einfach keine Perspektive für die Geschichte. Auf den folgenden 100 Seiten wurde das zwar von Szene zu Szene besser und es begann sich eine langsame und äußerst süße Liebesgeschichte zu entfalten, ganz los wurde ich das verwirrende Gefühl von Orientierungslosigkeit und Ablehnung aber nicht, das mich schon von Beginn an befallen hatte. Das wurde unter anderem auch dadurch verursacht, dass im Verlauf der Geschichte mehr abgefahrene Szenen vorkommen als alltägliche, in denen man sich wiederfinden würde. Hooligan-Wohltätigkeiten, spontane Kunstaktionen, Kreislaufkollapse beim Katkusfeigenklau in der Wüste, Zuckerschocks bei Limonadenverkostungen, Trampolinhallenbesuche nach Schalentierexzessen und nächtliche Fitnessstudiobesuche würden einzelnen einen exzentrischen Schwung in die Geschichte bringen. In Kombination wirken die vielen Übersprunghandlungen der beiden aber eher verwirrend.


Max: "Am Zoo von Phoenix mit einem wunderschönen Jungen, der überhaupt nicht weiß, wie schön er ist. Ich bin unbesiegbar. Wie ein Superheld!"


Mein Hauptproblem mit "The Music of What Happens" lag jedoch nicht in der Handlung, sondern vielmehr in der Atmosphäre. Ich mochte schlicht und einfach das Gefühl nicht, das ich beim Lesen hatte. Wie gesagt mochte ich die zarte Liebesgeschichte und die Entwicklung von Max und Jordan, welche unglaublich süß beschrieben ist, genauso sehr wie das Setting in einem Foodtruck im gnadenlosen Sommer von Arizona. Dass eine ausgelassene Sommerferien-Stimmung aufkommt, wird aber erfolgreich und nachhaltig durch sehr ernste Themen verhindert, die angesprochen werden. Das an sich ist natürlich noch nicht das Problem - im Gegenteil. Ich finde es üblicherweise eher positiv, wenn schwierige Themen angesprochen werden, wenn Protagonisten auch mal nervig, schwierig und ambivalent sind und man nicht nur die positiven Gefühle mit den Figuren teilt. Doch hier wurde man unangeleitet mit so viel Düsternis konfrontiert, dass ich schlichtweg kein Spaß mehr beim Lesen hatte. In den 442 Seiten stecken so viel Homophobie, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Objektivierung, toxische Männlichkeit, Fetischisierung und andere Probleme in Interaktionen, die der Autor natürlich verurteilen will. Doch statt sich damit auseinanderzusetzen und diese als Themen zu behandeln, werden die meisten Bemerkungen unkommentiert gelassen, viele Handlungsstränge werden nur angeschnitten und dann fallengelassen, sodass all diese angestaute Negativität einfach im Raum stehen bleibt und die ganze Geschichte verdirbt.


Max: "Du zeigst Gefühle, und schon lachen die Leute. Nichts ist schlimmer, als ausgelacht zu werden, wenn man jemandem sein Herz öffnet. (...) Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schließe die Augen und denke an Jordans einsames Gedicht. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir Jordan vor, der sich hochschaufelt und plötzlich hoffe ich, dass oben jemand ist, der sich ihm entgegengräbt."


Ich kann also definitiv nachvollziehen, warum viele Leser diese Geschichte nicht mögen, kann aber auch verstehen, wenn sie es tun. Denn trotz der negativen Atmosphäre, der wirren Handlung und der sehr oberflächlichen Behandlung wichtiger Themen ist sie intensiv, echt, originell, verrückt und sie lässt dich definitiv nicht kalt beim Lesen. Bill Konigsbergs Erzählweise hat mich ein bisschen an John Green erinnert, was man als Kompliment sehen kann, da ich ein großer Fan dieses Autors bin. Bill Konigsberg schreibt genauso unverblümt, manchmal unangenehm aber insgesamt doch sehr süß und nahegehend wie der Meister des Coming-of-Age. Verdrehte Logik, Teenager-Drama, Fremdschammomente und bittersüße Gefühle gibt es dabei obendrauf. Ein Manko dabei ist, dass wie oft bei übersetzten Büchern mit Jugendsprache, diese an einigen Stellen ein bisschen gezwungen und gekünstelt wirkt. Ob das am Alter des Autors oder an der Übersetzung liegt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist dass die eingebundenen Gedichte von Jordan und die Szenen, in denen Max zeichnet, zu meinen persönlichen Highlights des Romans gehören. Ein sehr nettes Plus ist, dass die Gedichte in Originalsprache am Ende des Buchs angehängt sind.


Jordan: "Zum Teufel, Alter, na klar. Ich bin dabei, wo auch immer."
"Berühmte letzte Worte", sage ich noch."


Max und Jordan habe ich als zwei sehr spannende Figuren empfunden, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie tatsächlich irgendwo genauso leben. Dass ich sie als sehr realistische und runde Personen wahrgenommen habe bedeutetet aber noch lange nicht, dass sie mir auch sympathisch waren. Max´ Angewohnheit, Probleme wegzulächeln, nicht anzusprechen, was ihn stört und seine Verletzlichkeit nicht zu zeigen lässt ihn oft ein wenig verloren und widersprüchlich erscheinen. Das ist jedoch noch nichts im Vergleich zum emotionalen Chaos in Jordan, welcher nicht nur ein sehr niedriges Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl hat, sondern auch eine ausgewachsene Drama-Queen ist. Auch die meisten Nebenfiguren machen es einem zuerst nicht ganz leicht, sie zu mögen. Man denke hier zum Beispiel an Jordans Freundinnen Pam und Kayla, seine manisch-depressive Mutter, die noch ganz andere Probleme mit sich herumschleppt oder an Max´ verantwortungslosen Vater oder dessen sprüchereißenden Bro-Freunde Zay-Rod und Betts. Ein Lichtblick in all dem Chaos war Max´ Mutter Rosa.


Jordan: "Die Welt ist groß, wie sind alle nur Sternenstaub. Alles ist bedeutungslos. Manchmal, wenn ich mich aufrege, sollte ich daran denken."


Während die Geschichte von Seite zu Seite nach dem schwierigen Einstieg besser wurde und mich mehr fesseln konnte, war das Ende nochmal eine herbe Enttäuschung für mich. Zwar hat sich die inhaltliche Entwicklung schon angedeutet, die Wendung kommt aber trotzdem sehr knapp, plump und liegt wie ein Fremdkörper am Ende der Geschichte und weiß diese nicht wirklich abzuschließen. Nach dem Platzenlassen der Bombe steht einfach noch zu viel im Raum, zu viel ist in der Schwebe, um die Geschichte guten Gewissens abschließen zu können.




Fazit:


Wer eine leichte, romantische Coming-of-Age-Geschichte mit Witz und großen Gefühlen erwartet wird enttäuscht werden. Hier muss man mit schwierigen Figuren, ernsten Themen, teilweise wirrer Handlung, einer sehr negativen Atmosphäre und einer unverblümten Erzählweise zurechtkommen. Da "The Music of What Happens" aber trotz aller enttäuschten Erwartungen intensiv, echt, originell, verrückt ist und den Leser definitiv nicht kalt lässt, gibt es eine eingeschränkte Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.10.2020

Ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade leicht macht.

Fans des unmöglichen Lebens
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Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, ...

Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade einfach macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Mit den vielen ernsten Themen und dem bissigen Humor ist die Geschichte definitiv keine Komödie, aber auch kein düsteres Drama. Stattdessen steht das Werk auf wunderbare Art und Weise dazwischen und lässt einen gleichzeitig lachen und weinen.


Jeremy: "Mögen wir unmöglich leben", sagte Sebby, als er die Augen aufschlug. "Allen Erwartungen zuwider. Mögen die Leute uns angucken und sich fragen, wie solche Juwelen in der traurigen Wüste der Welt funkeln können. Mögen wir das unmögliche Leben leben."


Cover und Klapptext lassen die Story wie ein süßes Jugendbuch über Außenseiter klingen. Das mag auch nicht ganz verkehrt sein, die Geschichte kommt jedoch weitaus düsterer und schwieriger daher als ich das aufgrund der Gestaltung vermutet hätte. Der weiße Hintergrund, die farbenfrohen Striche und Kringel, die drei kleinen Figuren und der große, blaue Titel schreien geradezu "süß und harmlos", was zwei Adjektive sind, die mir im Zusammenhang mit dieser Geschichte wohl nie eingefallen wären. Mein Fazit zur Gestaltung also: sehr süß und rund, jedoch ein bisschen irreführend. Auch innerhalb der Buchdeckel ist mit zwei Titelseiten, die die Geschichte in zwei Teile einteilen, viel Schönes dabei, mir fehlt aber etwas ganz Essenzielles: eine Triggerwarnung. Denn zwischen den so hübschen Seiten stecken unter anderem die Themen Selbstmord, Depression, Selbstverletzung, Panikattacken und Drogenmissbrauch.


Erster Satz: "Am ersten Tag meines zweiten Highschooljahres war mir irgendwie die Fähigkeit, einen Schlips zu binden, abhandengekommen."


Kein Wunder also, dass ich "Fans des unmöglichen Lebens" nicht gerade als Wohlfühlbuch bezeichnen würde. Schon von Beginn an lag hier etwas Seltsames, Erdrückendes in der Luft, das mich instinktiv aus Selbstschutz Abstand zu den Figuren hat wahren lassen. Auch wenn wir relativ harmlos in das Leben der drei Hauptcharaktere eingeführt werden und erst später mehr über die Hintergründe ihres Außenseitertums und ihre Probleme erfahren, ist der Erzählton eher ironisch-anklagend, sodass ich mich emotional und auch inhaltlich nie ganz auf die Geschichte einlassen konnte. Verstärkt wurde diese negative Vorahnung durch die sehr ungewöhnliche Erzählweise aus drei verschiedenen Perspektivarten. Während Jeremy als Ich-Erzähler fungiert und für Mira ein personaler Er-Erzähler gewählt wurde, erzählt Sebby aus der gewöhnungsbedürftigen Du-Perspektive. Nachdem sich meine Verwunderung über diesen stilistischen Zug der Autorin gelegt hatte, verstand ich, dass sich durch die Erzählperspektive in gewisser Weise das Verhältnis von Leser und Figur abbildet. Während man mit Jeremys inneren Prozessen noch mitfühlen kann, ist Mira mit ihren Gedanken und Gefühlen schon weiter entfernt vom Leser. Und Sebbys den Leser direkt ansprechendes "Du" wirkt fast wie ein Vorwurf an den Leser, der sagt "Du könntest das hier sein", "Du könntest durch das Raster gefallen sein", "Du könntest dich so fühlen" wie er.


Sebby: "Erzähl mir eine Geschichte", sagst du. "Okay", sagt sie. "Was für eine?"
"Eine, die davon handelt, dass wir immer weglaufen können."
Sie lächelt. Du atmest ihren Duft ein. Sie riecht wie ein sicherer Ort. Wie Geborgenheit."



Dementsprechend leicht fiel es mir, den unsicheren Jeremy ins Herz zu schließen und die Verletzlichkeit und Unschuld, mit der er neue Erfahrungen macht sowie seine liebenswürdige Unbeholfenheit zu feiern. Auch Mira, die ihren Selbsthass durch bunte Tücher und schreiende Farbe versteckt und Hilflosigkeit mithilfe von magischen Ritualen wegzuzaubern versucht ist eine sehr interessante Figur, bei der jedoch vieles im Dunklen liegt. Wie sie zusammen mit Sebby ihren Nonkonformismus feiert und Jeremy eine komplett neue Welt zeigen, als sie ihn in ihre Clique aufnehmen, macht sie ebenfalls grundsätzlich sympathisch. Sebby hingegen... ist schwierig. Er ist widersprüchlich, unehrlich, sprunghaft, leidend und ergibt ein so verwirrendes Bild ab, dass man als Leser gar nicht genau weiß, was man mit ihm anfangen soll. Hier konfrontiert die Autorin uns wohl mit genau der Hilflosigkeit der Gesellschaft, die nicht weiß, was sie mit jemandem anfangen soll, der so durchs Raster fällt. Mein Fazit also: ziemlich heftig und aufrüttelnd, aber auf eine gute Art.


Mira: "Bye, Sebs."
Mira beendete das Gespräch und legte sich wieder auf ihr Bett. Sie schaute an die Wand über ihr. Dort hingen ausgebreitete Nylonflügel an einem Haken, wie die Trophäe einer erfolgreichen Feenjagd. Unter diesen Flügeln wünschte sie sich, es möge sich alles zum Guten wenden. Für sie beide."


"Fans des unmöglichen Lebens" ist ein Roman, den man nicht einfach so liest, sondern dem man sich stellen, den man verarbeiten und begreifen muss. Denn Kate Scelsa lässt uns die Emotionen und Probleme der Figuren auch ohne Holzhammer-Methode spüren, auch wenn ihr Schreibstil an einigen Stellen etwas holprig wirkt. Was magisch wirken soll, wirkt oftmals eher seltsam, was emotional daher kommt, ist eher tragisch umgesetzt und alles dazwischen hat mich vor allem: verwirrt. Ob das ebenfalls ein stilistischer Kniff der Autorin ist, oder hier vielleicht einiges Lost in Translation gegangen ist, kann ich dabei nicht sagen. Von Stimmung, Themen und Figuren hat die Geschichte mich sehr an Stephen Chobsky "Das ist also mein Leben" erinnert. Diese Feststellung soll zugleich Lob (denn ich liebe dieses Werk und den dazugehörigen Film) und Erklärung dafür sein, weshalb die Wirkung der Geschichte so schwer festzuhalten ist. Außenseitersein, Erfahrungen mit der ersten Liebe, Homosexualität, Freundschaft und Abenteuer auf der einen - Drogen, Selbstmord, Depression und Verlust auf der anderen Seite - die Spannbreite der gezeigten Themen ist weit. Statt uns ganz explizit und mit heftigen Szenen zu schocken, thematisiert die Geschichte jedoch Vieles nur im Vorbeigehen, sodass ein unaufmerksamer Leser auch über das ein oder andere hinwegsehen kann. Wie feinfühlig und tiefgründig das Drama sich mit wichtigen Themen auseinandersetzt, merkt man auch daran, dass der Roman beim Lesen Spuren hinterlässt, nachdenklich macht, aber nicht deprimiert und versucht, vieles mit bissigem Humor und jugendlichem Gefühlschaos zu retten.


Jeremy: "Er beugte sich vor. "Das interessiert keinen", flüsterte er mir ins Ohr. "Und wenn, dann scheiß drauf." Ich holte tief Luft und nickte, versuchte zu lächeln - und dann neigte er meinen Oberkörper weit nach hinten - und ich stolperte rückwärts und musste so lachen, dass mir alles egal war. Scheiß auf die anderen. Ja, das war´s. Genau das war´s."


Das Ende ist dann der perfekte Höhepunkt all meiner ambivalenten Gefühle zu dieser Geschichte: es ist seltsam, unbefriedigend, emotional nahegehend, brutal und lässt den Leser verwirrt in der Luft hängen. Durch diese Ungenauigkeit wird dem Leser einen gewissen Interpretationsspielraum überlassen, was ich weder als besonders gelungen noch als schlecht gemacht empfunden habe - einfach als extrem unbefriedigend. Und so weiß ich auch nach dieser Ausführung meiner Leseerfahrung noch nicht so genau, was ich von der Geschichte halten soll, die mich verwirrt und auf Abstand gehalten, gleichzeitig aber auch berührt und mitgerissen hat.


Sebby: "Du hast die Augen geschlossen und dein ganzer Körper hat gelauscht. Die Worte flüsterten in dich hinein, das Geheimnis der Schönheit in all deiner vertrackten Verletzlichkeit. Glück war für dich nie von Dauer gewesen. Und deshalb hast du die Grenzen immer weiter hinausgeschoben und den darauffolgenden unvermeidlichen Schmerz willkommen geheißen. Du hast dagelegen in der langsam tauenden Erde und plötzlich begriffen, dass das von dir verlangt werden würde, solange du hier warst. Solche Dinge zu fühlen, solche starken schwierigen Dinge - und zu wissen, dass du dadurch dem Göttlichen am nächsten kommst. So bist du göttlich."




Fazit:


Kate Scelsa erzählt hier brutal ehrlich, nicht romantisiert und trotz all der Probleme fast verträumt vom schweren Los der Außenseiter. "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es durch verschiedene Perspektiven und einen eher distanzierten Schreibstil dem Leser nicht gerade leicht macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Da ich je nach Blickwinkel so ziemlich alles zwischen einem und fünf Sternen für diese Geschichte gerechtfertigt sehen würde, gebe ich neutrale 2,5 Sterne für diese ambivalente Story.


Zum Abschluss noch drei weitere Zitate, die ich unbedingt mit euch teilen will, die aber nirgends mehr hingepasst haben:

Jeremy: "Ein bisschen Drag hat noch keinem Selbstbewusstsein geschadet, glaub mir." Sie wischte die Finger an einem Kosmetiktuch ab. "Denk immer daran, was RuPaul sagt: Wir werden nackt geborgen - und der Rest ist Drag. Und das", sie legte den Lippenstift weg und setzte sich neben mich, "das ist fabelhaft."

Mira: "Das war die Essenz der Depression. Wenn nichts irgendeine Bedeutung hatte, dann gab es keine Wahlmöglichkeiten. Wenn sie in die Tiefen der Müdigkeit fiel, steckte sie tief in einem Mangel an Möglichkeiten. Sie kam sich vor, wie ein Haufen Fleisch, der ohne jeden Grund an diesen Planeten gebunden war. Ein nebelhafter Traum von einer Zukunft, in der sie ihre ganze Zeit damit verbringen konnte, Dinge zu tun, die sie liebte, statt notgedrungen Pflichten zu erfüllen, war nichts als eine Fantasievorstellung."

Mira: "Buddhistische Mönche konnten ihre Gehirne auf die Wellen des Universums einstellen. Was, wenn die Verrückten nicht erfahren genug waren zu wissen, welche Sender real waren und welche nur weißes Rauschen?"

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.10.2020

Ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade leicht macht.

Fans des unmöglichen Lebens
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Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, ...

Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade einfach macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Mit den vielen ernsten Themen und dem bissigen Humor ist die Geschichte definitiv keine Komödie, aber auch kein düsteres Drama. Stattdessen steht das Werk auf wunderbare Art und Weise dazwischen und lässt einen gleichzeitig lachen und weinen.


Jeremy: "Mögen wir unmöglich leben", sagte Sebby, als er die Augen aufschlug. "Allen Erwartungen zuwider. Mögen die Leute uns angucken und sich fragen, wie solche Juwelen in der traurigen Wüste der Welt funkeln können. Mögen wir das unmögliche Leben leben."


Cover und Klapptext lassen die Story wie ein süßes Jugendbuch über Außenseiter klingen. Das mag auch nicht ganz verkehrt sein, die Geschichte kommt jedoch weitaus düsterer und schwieriger daher als ich das aufgrund der Gestaltung vermutet hätte. Der weiße Hintergrund, die farbenfrohen Striche und Kringel, die drei kleinen Figuren und der große, blaue Titel schreien geradezu "süß und harmlos", was zwei Adjektive sind, die mir im Zusammenhang mit dieser Geschichte wohl nie eingefallen wären. Mein Fazit zur Gestaltung also: sehr süß und rund, jedoch ein bisschen irreführend. Auch innerhalb der Buchdeckel ist mit zwei Titelseiten, die die Geschichte in zwei Teile einteilen, viel Schönes dabei, mir fehlt aber etwas ganz Essenzielles: eine Triggerwarnung. Denn zwischen den so hübschen Seiten stecken unter anderem die Themen Selbstmord, Depression, Selbstverletzung, Panikattacken und Drogenmissbrauch.


Erster Satz: "Am ersten Tag meines zweiten Highschooljahres war mir irgendwie die Fähigkeit, einen Schlips zu binden, abhandengekommen."


Kein Wunder also, dass ich "Fans des unmöglichen Lebens" nicht gerade als Wohlfühlbuch bezeichnen würde. Schon von Beginn an lag hier etwas Seltsames, Erdrückendes in der Luft, das mich instinktiv aus Selbstschutz Abstand zu den Figuren hat wahren lassen. Auch wenn wir relativ harmlos in das Leben der drei Hauptcharaktere eingeführt werden und erst später mehr über die Hintergründe ihres Außenseitertums und ihre Probleme erfahren, ist der Erzählton eher ironisch-anklagend, sodass ich mich emotional und auch inhaltlich nie ganz auf die Geschichte einlassen konnte. Verstärkt wurde diese negative Vorahnung durch die sehr ungewöhnliche Erzählweise aus drei verschiedenen Perspektivarten. Während Jeremy als Ich-Erzähler fungiert und für Mira ein personaler Er-Erzähler gewählt wurde, erzählt Sebby aus der gewöhnungsbedürftigen Du-Perspektive. Nachdem sich meine Verwunderung über diesen stilistischen Zug der Autorin gelegt hatte, verstand ich, dass sich durch die Erzählperspektive in gewisser Weise das Verhältnis von Leser und Figur abbildet. Während man mit Jeremys inneren Prozessen noch mitfühlen kann, ist Mira mit ihren Gedanken und Gefühlen schon weiter entfernt vom Leser. Und Sebbys den Leser direkt ansprechendes "Du" wirkt fast wie ein Vorwurf an den Leser, der sagt "Du könntest das hier sein", "Du könntest durch das Raster gefallen sein", "Du könntest dich so fühlen" wie er.


Sebby: "Erzähl mir eine Geschichte", sagst du. "Okay", sagt sie. "Was für eine?"
"Eine, die davon handelt, dass wir immer weglaufen können."
Sie lächelt. Du atmest ihren Duft ein. Sie riecht wie ein sicherer Ort. Wie Geborgenheit."



Dementsprechend leicht fiel es mir, den unsicheren Jeremy ins Herz zu schließen und die Verletzlichkeit und Unschuld, mit der er neue Erfahrungen macht sowie seine liebenswürdige Unbeholfenheit zu feiern. Auch Mira, die ihren Selbsthass durch bunte Tücher und schreiende Farbe versteckt und Hilflosigkeit mithilfe von magischen Ritualen wegzuzaubern versucht ist eine sehr interessante Figur, bei der jedoch vieles im Dunklen liegt. Wie sie zusammen mit Sebby ihren Nonkonformismus feiert und Jeremy eine komplett neue Welt zeigen, als sie ihn in ihre Clique aufnehmen, macht sie ebenfalls grundsätzlich sympathisch. Sebby hingegen... ist schwierig. Er ist widersprüchlich, unehrlich, sprunghaft, leidend und ergibt ein so verwirrendes Bild ab, dass man als Leser gar nicht genau weiß, was man mit ihm anfangen soll. Hier konfrontiert die Autorin uns wohl mit genau der Hilflosigkeit der Gesellschaft, die nicht weiß, was sie mit jemandem anfangen soll, der so durchs Raster fällt. Mein Fazit also: ziemlich heftig und aufrüttelnd, aber auf eine gute Art.


Mira: "Bye, Sebs."
Mira beendete das Gespräch und legte sich wieder auf ihr Bett. Sie schaute an die Wand über ihr. Dort hingen ausgebreitete Nylonflügel an einem Haken, wie die Trophäe einer erfolgreichen Feenjagd. Unter diesen Flügeln wünschte sie sich, es möge sich alles zum Guten wenden. Für sie beide."


"Fans des unmöglichen Lebens" ist ein Roman, den man nicht einfach so liest, sondern dem man sich stellen, den man verarbeiten und begreifen muss. Denn Kate Scelsa lässt uns die Emotionen und Probleme der Figuren auch ohne Holzhammer-Methode spüren, auch wenn ihr Schreibstil an einigen Stellen etwas holprig wirkt. Was magisch wirken soll, wirkt oftmals eher seltsam, was emotional daher kommt, ist eher tragisch umgesetzt und alles dazwischen hat mich vor allem: verwirrt. Ob das ebenfalls ein stilistischer Kniff der Autorin ist, oder hier vielleicht einiges Lost in Translation gegangen ist, kann ich dabei nicht sagen. Von Stimmung, Themen und Figuren hat die Geschichte mich sehr an Stephen Chobsky "Das ist also mein Leben" erinnert. Diese Feststellung soll zugleich Lob (denn ich liebe dieses Werk und den dazugehörigen Film) und Erklärung dafür sein, weshalb die Wirkung der Geschichte so schwer festzuhalten ist. Außenseitersein, Erfahrungen mit der ersten Liebe, Homosexualität, Freundschaft und Abenteuer auf der einen - Drogen, Selbstmord, Depression und Verlust auf der anderen Seite - die Spannbreite der gezeigten Themen ist weit. Statt uns ganz explizit und mit heftigen Szenen zu schocken, thematisiert die Geschichte jedoch Vieles nur im Vorbeigehen, sodass ein unaufmerksamer Leser auch über das ein oder andere hinwegsehen kann. Wie feinfühlig und tiefgründig das Drama sich mit wichtigen Themen auseinandersetzt, merkt man auch daran, dass der Roman beim Lesen Spuren hinterlässt, nachdenklich macht, aber nicht deprimiert und versucht, vieles mit bissigem Humor und jugendlichem Gefühlschaos zu retten.


Jeremy: "Er beugte sich vor. "Das interessiert keinen", flüsterte er mir ins Ohr. "Und wenn, dann scheiß drauf." Ich holte tief Luft und nickte, versuchte zu lächeln - und dann neigte er meinen Oberkörper weit nach hinten - und ich stolperte rückwärts und musste so lachen, dass mir alles egal war. Scheiß auf die anderen. Ja, das war´s. Genau das war´s."


Das Ende ist dann der perfekte Höhepunkt all meiner ambivalenten Gefühle zu dieser Geschichte: es ist seltsam, unbefriedigend, emotional nahegehend, brutal und lässt den Leser verwirrt in der Luft hängen. Durch diese Ungenauigkeit wird dem Leser einen gewissen Interpretationsspielraum überlassen, was ich weder als besonders gelungen noch als schlecht gemacht empfunden habe - einfach als extrem unbefriedigend. Und so weiß ich auch nach dieser Ausführung meiner Leseerfahrung noch nicht so genau, was ich von der Geschichte halten soll, die mich verwirrt und auf Abstand gehalten, gleichzeitig aber auch berührt und mitgerissen hat.


Sebby: "Du hast die Augen geschlossen und dein ganzer Körper hat gelauscht. Die Worte flüsterten in dich hinein, das Geheimnis der Schönheit in all deiner vertrackten Verletzlichkeit. Glück war für dich nie von Dauer gewesen. Und deshalb hast du die Grenzen immer weiter hinausgeschoben und den darauffolgenden unvermeidlichen Schmerz willkommen geheißen. Du hast dagelegen in der langsam tauenden Erde und plötzlich begriffen, dass das von dir verlangt werden würde, solange du hier warst. Solche Dinge zu fühlen, solche starken schwierigen Dinge - und zu wissen, dass du dadurch dem Göttlichen am nächsten kommst. So bist du göttlich."




Fazit:


Kate Scelsa erzählt hier brutal ehrlich, nicht romantisiert und trotz all der Probleme fast verträumt vom schweren Los der Außenseiter. "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es durch verschiedene Perspektiven und einen eher distanzierten Schreibstil dem Leser nicht gerade leicht macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Da ich je nach Blickwinkel so ziemlich alles zwischen einem und fünf Sternen für diese Geschichte gerechtfertigt sehen würde, gebe ich neutrale 2,5 Sterne für diese ambivalente Story.


Zum Abschluss noch drei weitere Zitate, die ich unbedingt mit euch teilen will, die aber nirgends mehr hingepasst haben:

Jeremy: "Ein bisschen Drag hat noch keinem Selbstbewusstsein geschadet, glaub mir." Sie wischte die Finger an einem Kosmetiktuch ab. "Denk immer daran, was RuPaul sagt: Wir werden nackt geborgen - und der Rest ist Drag. Und das", sie legte den Lippenstift weg und setzte sich neben mich, "das ist fabelhaft."

Mira: "Das war die Essenz der Depression. Wenn nichts irgendeine Bedeutung hatte, dann gab es keine Wahlmöglichkeiten. Wenn sie in die Tiefen der Müdigkeit fiel, steckte sie tief in einem Mangel an Möglichkeiten. Sie kam sich vor, wie ein Haufen Fleisch, der ohne jeden Grund an diesen Planeten gebunden war. Ein nebelhafter Traum von einer Zukunft, in der sie ihre ganze Zeit damit verbringen konnte, Dinge zu tun, die sie liebte, statt notgedrungen Pflichten zu erfüllen, war nichts als eine Fantasievorstellung."

Mira: "Buddhistische Mönche konnten ihre Gehirne auf die Wellen des Universums einstellen. Was, wenn die Verrückten nicht erfahren genug waren zu wissen, welche Sender real waren und welche nur weißes Rauschen?"

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Veröffentlicht am 02.10.2020

Ein überhetzter Einstieg, ein viel zu hohes Handlungstempo und ein verwirrendes Worldbuilding!

Der Verlorene Sektor: Die Dimensionsspringer
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Die Eindrücke:

Handlung: Wenn ich genauer darüber nachdenke, warum mich der Auftakt der neuen "Der Verlorene Sektor"-Reihe leider nicht packen konnte, hat mich Nicole Sälzle wahrscheinlich schon während ...

Die Eindrücke:

Handlung:
Wenn ich genauer darüber nachdenke, warum mich der Auftakt der neuen "Der Verlorene Sektor"-Reihe leider nicht packen konnte, hat mich Nicole Sälzle wahrscheinlich schon während der Einleitung verloren. In nur 50 Seiten führt sie hier ihre Protagonistin ein, konfrontiert sie und den Leser mit der schwerverdaulichen Nachricht, dass es zahllose weitere Dimensionen gibt, lässt sie die Ausbildung zum Guardian durchlaufen, nur um kurz nachdem der Hauptantagonist vorgestellt wurde, alles durch dessen Machtübernahme im Chaos versinken zu lassen. Aus diesem Material machen andere Autoren einen ganzen Roman oder vielleicht sogar zwei. Nicht so Nicole Sälzle. Auch nachdem der Leser sich einigermaßen zurechtfindet, bleibt das Handlungstempo irrwitzig hoch und wir hetzen an der Seite der Protagonisten absurd schnell von einem Kampf in den nächsten, sodass ich zwar stirnrunzelnd weiterlas, inhaltlich, kognitiv und vor allem emotional aber gar nicht mehr mitkam.

Schreibstil: Die Autorin schreibt flüssig, schaffte es aber nicht, mich wirklich zu fesseln. Zwar gibt es viel und spannende Handlung - es vergeht kaum ein Kapitel, in dem die Protagonisten nicht fliehen, kämpfen oder sich auf einer brenzligen Mission befinden - doch leider habe ich das Geschehen nur wie aus der Ferne beobachtet und konnte keine Nähe zur Geschichte entwickeln. Dazu kommt, das mir durch den überhetzten Start im Worldbuilding von Anfang an wichtige Informationen, Beschreibungen und vor allem Zeit zum Einfinden in das interessante aber verwirrende Dimensionsgefüge gefehlt haben, sodass ich durch zahlreiche neue Namen, Dimensionen, Planeten und Interessensgruppen wie den alten Ruhm oder die Protectors irgendwann ein wenig verwirrt war. PS: Was sollen die Codes zu jedem Kapitelanfang?

Protagonisten: Auch die Protagonisten entwickeln sich wie im Zeitraffer. Entscheidungen werden zwischen zwei Sätzen getroffen, es braucht ein Kapitel, um aus Kay die geborene Anführerin zu machen und ein weiteres bis sie und das Team die besten Freunde werden. Außerdem trifft Kay immer wieder auf "alte Freunde", von denen man aber noch nie zuvor gehört hat und was angesichts der Tatsache, dass sie zumindest für den Leser gefühlsmäßig erst vor zwanzig Seiten überhaupt von den Dimensionen erfahren hat, extrem seltsam erscheint. Auch die Nebenprotagonisten sind bunt und interessant konzipiert, kommen aber durch die Vielzahl an anderen Schwerpunkten überhaupt nicht zur Geltung.


Das Urteil:

Ein überhetzter Einstieg, ein viel zu hohes Handlungstempo und ein verwirrendes Worldbuilding ließen mich bald etwas ratlos zurück und verhinderten, dass ich von der ansonsten spannend konzipierten Abenteuergeschichte gepackt wurde.

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Veröffentlicht am 11.08.2020

Verliert nach grandiosem Anfang immer mehr an Glaubwürdigkeit, Tiefe und Sympathie1

V is for Virgin
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Eine erklärte Jungfrau und ein Rockstar-Playboy? Wenn das nicht mal eine absolute Klischee-Kombination ist... Das dachte ich mir zumindest, bevor ich mit dem Lesen angefangen habe. Entgegen meiner Erwartungen ...

Eine erklärte Jungfrau und ein Rockstar-Playboy? Wenn das nicht mal eine absolute Klischee-Kombination ist... Das dachte ich mir zumindest, bevor ich mit dem Lesen angefangen habe. Entgegen meiner Erwartungen zieht Kelly Oram die Geschichte um Val und Kyle jedoch nicht als Good-Girl-Bad-Boy-Lovestory auf, sondern rückt Val, ihre Entwicklung und ihre Enthaltsamkeitskampagne, die bald Wellen in den Medien schlägt, in den Vordergrund. Grundsätzlich war ich von dem Fokus auf ein inhaltliches Thema und eine Message in einem New Adult Roman sehr positiv überrascht, da aber trotzdem viele Unstimmigkeiten auftraten, über die ich nicht hinwegsehen wollte, bleibt dennoch ein gemischter Eindruck zurück.


"Jemand musste für diese armen Mädchen einstehen, für alle, die sich nicht trauten, Sex abzulehnen. Die Angst davor hatten, dass man sich über sie lustig machte und nicht wollten, dass ihr Freund Schluss machte. Wenn ich diese Person sein musste, dann war es eben so."


Das Cover ist mit dem großen weißen "V" auf rosafarbenem Grund und umrahmt von bunten Farbwirbeln definitiv ein Hingucker. Tatsächlich gefällt mir hier aber die englische Originalversion besser, in der der Ausschnitt eines blonden Mädchens zu sehen ist, der von einer V-Kette geziert wird. Dass der Verlag den passenden Titel aus dem Englischen übernommen hat, ist natürlich ein großer Pluspunkt!


Erster Satz: "Ich wusste, dass es so kommen würde."


Das denkt Val, als sie von ihrem Freund abserviert wurde, nachdem sie ihm erklärt hat, dass sie noch Jungfrau ist und das auch noch bis zur Ehe bleiben will. Statt sich jedoch nach seinen verletzenden Verleumdungen heulend aufs Schulklo zu flüchten, geigt sie ihm vor der ganzen versammelten Schülerschaft die Meinung. Über einen filmenden Mitschüler gelangt ihr Statement so in die sozialen Medien, wo sie bald für Aufruhr sorgt und unter dem Namen "Virgin Val" bekannt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt in der Handlung war ich schon komplett von dieser spritzigen, inspirierenden, kämpferischen Geschichte mitgerissen, die sich liest wie eine Teenie-Netflix-Produktion in Buchformat. Jungfräulichkeit, Keuschheit und Enthaltsamkeit - das sind (gerade in den USA) ja heiß umstrittene In-Themen, doch statt auf eine Ideologie-Welle aufzuspringen (wie ich insgeheim befürchtet hatte), wird hier kein moralischer Zeigefinger erhoben, sondern die Message lautet einfach nur, dass jeder für sich selbst entscheiden soll und sich nicht durch Druck von außen auf Dinge einlassen soll, wozu man noch nicht bereit ist. Zu sehen, wie Val sich rigoros für ihre Message und sich selbst einsetzt, macht wirklich Spaß und mithilfe von Kelly Orams lockerem Schreibstil und fetzigen Dialogen prescht die Story fröhlich voran.


"Ich erschauerte, aber es war nicht seine Berührung, die mein Innerstes zum Schmelzen brachte. Es war der Blick in seine Augen. Leidenschaft. Leidenschaft mir gegenüber. Leidenschaft für diesen Moment. Leidenschaft für seine Musik. Leidenschaft für das Leben. Die pure Leidenschaft. Es war, als würde Kyle Hamiltons gesamtes Wesen daraus bestehen, und er schickte diese Leidenschaft direkt in mein Herz. Es war überwältigend."


Doch dann kommt leider kommt ein Punkt in der Handlung, an dem die Autorin beginnt, plötzlich große Zeitsprünge von mehreren Monaten zu unternehmen. Statt Entwicklungen auszuerzählen, hetzen wir mit großen Schritten durch Interviews, Präsentationen ihrer neuen Schmuckkollektion, Vorträgen und sehen etwas hilflos zu, wie der Medienrummel um Val langsam entgleist und stark in Richtung "Unrealistisch" abdriftet. Ja klar, die Sozialen Medien können schnell eine Bühne für ein großes Publikum bieten, aber alles in allem war mir die "Berühmt-wie-eine-Kardashian-und-das-über-Nacht"-Entwicklung doch zu übertrieben. Paparazzi, Interviews, Hasskommentare, Fans, ... an vielen Stellen fand ich die Geschichte ein bisschen überzeichnet und das wirkt sich auch auf die Protagonistin und die Grundaussage des Buches aus. Denn wo ich sie zu Beginn noch als stark, beeindruckend und als geborenes Vorbild gesehen habe, da sie mutig für sich selbst einsteht, sehr überzeugend sein kann und schlagfertig vor niemandem den Kopf einzieht, empfand ich sie mit zunehmender Seitenzahl und Berühmtheit immer öfter als starrsinnig, intolerant und egoistisch. Sie hetzt von einem Termin zum nächsten, vernachlässigt ihre Freunde, ist schnell dabei andere, die einen anderen Weg gehen als sie selbst, als "Schlampen" abzustempeln und zeigt keinerlei Verständnis für andere Sichtweisen. Leider wird sie im Laufe der Geschichte immer mehr zu "Virgin Val", also ihrer knallharten Rolle, und man verliert als Leser bald das Gefühl für sie selbst als Person.


"Du hast mir gesagt, dass es gewisse Leute auf der Welt gibt, die einfach alles cool aussehen lassen können." (...)
"Aber Dinge cool aussehen zu lassen, ist eine Sache. Du bist die Art Mensch, die etwas wichtig machen kann."


Das wirkt sich auch auf die Message aus, die plötzlich nicht mehr ganz so offen wirkt und einen negativen Beigeschmack erhält. Statt eine wirkliche Diskussion einzugehen und verschiedene Meinungen zu beleuchten, bleibt es hier bei sehr einfachen Plattitüden, weshalb alles in allem doch wieder eine Ideologie verkauft wird. Zwar stimmt die Richtung und gegen die "Tu nur was du willst und lasse dir von anderen keinen Druck machen"-Message ist nichts einzuwenden, aber das ganze Schwarz-Weiß-Denken hier hat mich mit der Zeit schon ein bisschen genervt. An mehreren Stellen dachte ich mir "Ja gut Mädel, du bist 17 und noch Jungfrau, wen interessiert es?", dadurch dass ihre Jungfräulichkeit so aufgebauscht und übertrieben thematisiert wird, wirkt es fast schon wieder unnötig problematisiert, wobei die Autorin ja gerade vermitteln wollte, dass es gar kein Problem ist, noch kein Sex haben zu wollen. Alles in allem war mir der Fokus auf das Thema, Vals Hineinsteigern und der plötzliche Medienrummel also etwas "too much", wodurch die ganze Geschichte stark unrealistisch wirkt.


"Mutig?" Meinte er das etwa ernst?
"Als du in der Kantine vor der gesamten Schule auf den Tisch gestiegen bist?" Er lachte wieder. "Das war der Hammer."
"Das" widersprach ich ihm, während ich versuchte, nicht selbst zu lachen, "war vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit. Nach der Sache mit Zach bin ich echt bis knapp an den Abgrund gedrängt worden."
"Aber du bist nicht gesprungen. Du hast dich durch die Menge zu neuen Höhen gekämpft. Du hast die Leute dazu gezwungen, es aus deiner Sicht zu sehen - dich zu respektieren. Du hast praktisch eine Revolution begonnen."


Ein weiterer negativer Nebeneffekt, der sich durch die Zeitsprünge und den starken Fokus auf Vals Jungfräulichkeits-Kampagne ergibt, ist dass Nebenhandlungsstränge und Nebenfiguren sehr blass bleiben, wenn nicht sogar völlig untergehen. Der Hauptfokus der Geschichte liegt klar auf dem ganzen Trubel und den plötzlichen Veränderungen in Vals Leben, also ihre plötzliche Beliebtheit und Zugehörigkeit zu "A-List" in der Schule, neue Freunde, eine neue Verantwortung etc., und das ist zwar auch alles durchaus interessant, doch leider geht das, was im Klapptext als Herzstück der Geschichte verkauft wurde, nämlich die Liebesgeschichte, dadurch unter. Mit "untergehen" meine ich hier genauer gesagt: Die Liebesgeschichte ist eigentlich nicht vorhanden und besteht aus einigen kurzen Begegnungen, bei denen zwar ein bisschen oberflächlich Funken sprühen, aber keinerlei tiefe Gefühle aufkommen.


"Es sind Leute wie du, die V is for Virgin und die Abstinenz-Challenge erst notwendig machen. Weißt du, was eine echte Schande ist, Kyle? Irgendwo tief in dir steckt dieser unglaubliche Kerl, aber er ist so besessen von Sex, dass er überhaupt nicht verstehen kann, was echte Intimität ist."


Leider zeichnet sich hier auch keine wirkliche Entwicklung ab, da Kyle nur ab und an einen für Wirbel sorgenden Medienauftritt hat, die beiden sich aber nie wirklich kennenlernen und wir deshalb von Kyle auch nur ein sehr eingeschränktes, unsympathisches Bild haben. Und nicht nur das: Der Zusatz mit Kyle, dem sexy Rockstar, der Val unbedingt ins Bett bekommen will, wirkt hier mit zunehmender Seitenzahl wie eigentlich sein ganzer Charakter fast wie eine Parodie und wäre nicht unbedingt notwendig gewesen, da er die Geschichte nicht voranbringt. Nicht nur dass er sehr blass bleibt, nur alle 50 Seiten mal kurz auftaucht und man seine Beweggründe abseits von "Männlichem Jagdtrieb" nicht wirklich verstehen kann - leider wird auch sein aufdringliches und teilweise übergriffiges Verhalten stark verharmlost und romantisiert. Ab und an musste ich über seine machohaften und überaus plumpen Annäherungsversuche lachen, allgemein ist aber schon schade, dass er durch sein unsanktioniertes "Egal ob du mich nicht willst, ich dränge mich dir trotzdem immer wieder auf"-Verhalten die Glaubwürdigkeit der Message weiterhin sabotiert. Ich weiß, zu seinem Charakter und auch zu der Entwicklung von Val gibt es ganz unterschiedliche Meinungen, die sich auch in der weiteren Range an Bewertungen abzeichnen. Alles in allem habe ich den Eindruck, dass ob einem das Buch gefällt oder nicht, stark davon abhängt, ob man sich mit Val identifiziert und wie sehr einem Kyle mit seinem Verhalten auf die Nerven geht.


"Was ich in Kyle Hamilton inspiriert hatte, war offenbar eine Persönlichkeitsstörung."


Auch andere Figuren rund um Val bleiben leider ziemlich blass und es ist zum Beispiel seltsam, dass
kaum erwachsene Autoritätspersonen auftreten, die Stellung zu Vals Kampagne und ihrer Berühmtheit nehmen. Wie um meinen immer weiter enttäuschten Erwartungen den Todesstoß zu setzen, legt Kelly Oram kurz vor dem Ende noch mal ordentlich einen Zahn zu. Val ist plötzlich eine Ewigkeit mit Isaac zusammen, der plötzlich langweilig geworden ist, sie gewöhnt sich an ihre Berühmtheit, Kyle ist der Retter in der Not, in den sie unsterblich verliebt ist (wann ist das denn passiert?), sie entfremdet von Cara und, ...?
Und dann...?
Ja und dann... ist das Buch mitten im Chaos einfach vorbei und die Autorin wagt einen Zeitsprung von 4 Jahren, um uns im Prolog eine gescheiterte Verlobung, den Tod eines Bandmitglieds und ihr Wiedersehen mit Kyle vor die Nase zu setzen. Puh, ich hoffe, das wird im nächsten Teil noch genauer ausgeführt.



Fazit:


Insgesamt hat "V is for Virgin" gut angefangen, dann aber durch starke Überzeichungen, Zeitsprünge und zu gewollter Charakterentwicklung immer mehr an Glaubwürdigkeit, Tiefe und Sympathie verloren, bis man nach einem sehr unbefriedigenden Ende gar nicht mehr weiß, was man von der Geschichte halten soll.

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