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Veröffentlicht am 10.07.2020

Ein Thriller, der in die Zeit wie die Faust aufs Auge passt

Innere Unsicherheit
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Heute kommt ein Thriller in den Buchhandel, der in die Zeit passt wie die Faust aufs Auge. Der Titel: „Innere Unsicherheit“ von Markus Kompa.

„Bereits in seinem Romandebüt nahm er die subversive Beeinflussung ...

Heute kommt ein Thriller in den Buchhandel, der in die Zeit passt wie die Faust aufs Auge. Der Titel: „Innere Unsicherheit“ von Markus Kompa.

„Bereits in seinem Romandebüt nahm er die subversive Beeinflussung einer Wahl in Social Media durch Leaks vorweg, die in den USA Realität wurde“, wie der Westend Verlag über Kompa schreibt.

Im neuen Roman, einem spannend erzählten Thriller, führt uns Markus Kompa nicht nur in die Welt der Geheimdienste. Darin spielen auch populistische Politiker, hochdekorierte Militärs, karrieregeile Beamte und schrille Medien eine Rolle. Gegen all das kämpft Dr. Ellen Strachwitz, die attraktive Chefin des Verfassungsschutzes. Es gibt Brandanschläge auf Autos von Politikern der rechtspopulistischen AEP (Anti Euro Partei), die seit neuestem mit der Union in einer Koalition ist und zusammen mit ihr die Regierung stellt und schließlich einen terroristischen Anschlag. Die Täterschaft wird promptLinken zugeschrieben. Das ist – wie wir wissen können – beileibe nichts neues und schon gar keine Erfindung von Romanautoren. Nur ein Beispiel: Im August 1980 wurde ein von Rechtsextremisten verübtes Sprengstoffattentat auf den Bahnhof von Bologna, bei welchem 85 Menschen starben, zunächst den kommunistischen Roten Brigaden in die Schuhe geschoben. Oder nehmen wir das „Celler Loch“ - die „Aktion Feuerzauber - die hierzulande einst der RAF zugeschrieben wurde, aber vom niedersächsischen Verfassungsschutz ausgeführt worden war. Vom Celler Loch ist auch im Roman die Rede.

Im Roman führen die Spuren allerdings eben auch nicht zu Linksextremisten, sondern reichen u.a. in Wirklichkeit bis ins Lager des KSK (Kommando Spezialkräfte), einer berüchtigten Spezialeinheit der Deutschen Bundeswehr. Einer Einheit, wie wir wissen können, die sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht. Das KSK war etwa im Afghanistan tätig. Was die Soldaten dort taten – wir wissen es nicht. Eine Ahnung kommt allerdings auf, wenn wir erfahren haben, dass der Bremer Murat Kurnaz vor einem Berliner Untersuchungsausschuss einen Soldaten – mutmaßlich der deutschen Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) zugehörig - beschuldigte, ihn in Bagram/Afghanistan misshandelt zu haben. Wo die Deutschen offenbar Wache für die US-Army standen. Auf eine weitere Verfolgung der Angelegenheit verzichtete Kurnaz schließlich.

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die nun dieser Tage plötzlich Aktivität hinsichtlich des Treibens des KSK zeigt, „bleibt Getriebene und ist nicht Akteurin”, erklärte kürzlich Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, anlässlich Auftritts der vom Kramp-Karrenbauer vor dem Verteidigungsausschuss. Pflüger weiter:
„Die Ministerin muss nun aufklären, wo sich die enorme Anzahl der ‘verschwundenen’ Waffen- und Munitionsvorräte (60.000) befindet und wie viele sich davon in Händen von rechten oder rechtsextremen Akteuren befinden. Zugleich wird klar, dass nun die weiteren rechten Netzwerke in und rund um die Bundeswehr angegangen werden müssen – beispielsweise im Bereich der Reservisten. Da helfen Andeutungen der Ministerin wenig, auch da muss jetzt durchgegriffen werden.”
Das alles erscheint einem als Leser von Fall zu Fall im Buch sofort vorm inneren Auge!

Und im Verlauf der Handlung werden wir uns ebenfalls an das fragwürdige Agieren des sogenannten - wie ich mir zu schreiben erlaube - Verfassungsschutzes, im Rahmen der „Betreuung“ des NSU erinnern. Das darin gipfelte, dass Beamte des Verfassungsschutzes nach Bekanntwerden des NSU relevante Akten schredderten.

Weiter zum Buch: Seit die AEP in der neuen Regierung sitzt, wird nicht mehr nur geredet wie vor der Wahl, sondern gründlich Hand an die demokratischen Rechte gelegt. Alte und neue Nazis wittern sogleich Morgenluft und werden – nun durch die nach rechts gerutschte Regierung gegen Andersdenkende aktiv und bereiten sich für einen Tag X (inklusive geheimer Waffenlager) vor, der aufgrund einer drohenden außenpolitischen Krise winkt. Prepper bereiten sich auf diesen Tag X vor. Wie ebenfalls erfahren haben müssten, ist so etwas nicht aus der Luft gegriffen und keine Fiktion. Wie war das noch mit dem Stay-Behind-Netzwerk Gladio?


Die Verfassungsschutzpräsidentin im Buch hält viel von Datenschutz, der Verfassung und den Gesetzen. Die Butter lässt sie sich von niemandem vom Brot nehmen. In einer männerdominierten Welt versteht sie sich durchzusetzen und Respekt einzufordern. Der Bundesregierung dient Ellen Strachwitz loyal. Wie auch der neuen Heimatministerin [sic!] Felizitas Delius von der AEP.

Als Delius von Terroristen entführt wird, klagt die Berliner Politik – weil das quasi mit der Muttermilch aufgesogen wurde - das linke Lager an.
Ellen Strachwitz nimmt den Kampf auf, um den Tätern auf die Spur zu kommen und sie zu stellen.
Schließlich versichert sich die taffe Frau der Hilfe des gestandenen und mit allen Wassern
gewaschenen Elitesoldaten Jörg. Die Verfassungsschutzchefin gerät brenzlig zwischen die Fronten. Sie gewinnt ungewöhnliche Verbündete und spielt sozusagen va banque. Der Showdown wartet dann jedoch mit überraschendem Ausgang auf.

Das alles ist flott und den Leser fesselnd geschrieben. Ach, sagt man sich da, da man das Buch eigentlich schon wegzulegen gedachte, noch ein Kapitel … und dann noch eins. Das der Autor vom Verlag als Geheimdienstexperte ausgewiesen wird, bestätigt sich nahezu in jedem Kapitel stimmig. Auch, dass Kompa kompetent hinsichtlich der staatlichen Organisationen und Ämter, deren Zuständigkeit, Funktionsweise und deren Beziehungen zueinander unterrichtet ist, erweist sich im Buch. Auch über im Ausland sitzende – dem Laien vielleicht weniger bekannte – Organisationen hat der Autor gründlich recherchiert. All das verleiht der Story die für einen Thriller wie diesen notwendige Glaubhaftigkeit.

Für die Leserinnen findet sich ab Seite 278 des Buches eine „Übersicht über staatliche Organisationen und Ämter, die in diesem Roman vorkommen“ zur genauen Information.

Was soll man noch sagen? Prima Urlaubslektüre ist die „Innere Unsicherheit“ von Markus Kompa. Wo immer man das spannende und kenntnisreich geschriebene Buch auch in diesem Sommer 2020 lesen mag. Unterhaltsam und informativ. Eine – wie ich meine – perfekte Mischung. So manches mal werden Sie, liebe Leser
innen, beim Lesen aufmerken, mit dem Kopf nicken oder ihn schütteln, weil bestimmte Zustände perfekt getroffen und zum schreien sind. Heute, aktuell! Fiktion und Realität verschwimmen. Eine Verfilmung dieses Thrillers erscheint mir durchaus denk- und machbar.

Markus Kompa
Innere Unsicherheit
Thriller
Ladenpreis: 16,95 (D) €
Umfang: 288 Seiten; ISBN 978-3-86489-283-7
Zu Markus Kompa

Markus Kompa ist Geheimdienstspezialist und Medienanwalt. Zu seinen Mandanten gehören Enthüllungsjournalisten, Hacker und Politiker – sowie ehemalige Geheimagenten. In seinem Romandebüt „Das Netzwerk“ nahm er die subversive Beeinflussung einer Wahl in Social Media durch Leaks vorweg, die in den USA Realität wurde.

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Veröffentlicht am 28.06.2021

Wir könnten dem Kauf unserer Demokratie entgegenwirken. Wir müssen!

Lobbyland
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Ich fürchte, unsere Demokratie ist in einer ziemlichen Krise. Und das schon seit längerem. Dass kann man erkennen, wenn man genau hineinsieht und hineinhorcht in unser Land. Wer das nicht sieht, profitiert ...

Ich fürchte, unsere Demokratie ist in einer ziemlichen Krise. Und das schon seit längerem. Dass kann man erkennen, wenn man genau hineinsieht und hineinhorcht in unser Land. Wer das nicht sieht, profitiert womöglich von diesem Zustand. Oder ist blind und taub zugleich. Das Parteiensystem ist einigermaßen verkommen. Dass Parteien sich zuweilen das Land sozusagen unter den Nagel reißen, als gehöre es ihnen, hat schon sehr früh der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker kritisiert. Die Parteien seien „machtversessen“, beschied der Politiker ihnen. Hat sich seither etwas verändert? Ja, muss man glasklar konstantieren: Es ist noch viel schlimmer geworden! Heute tritt ja nicht einmal mehr ein Minister zurück, der nachprüfbar teure Fehler gemacht hat. Ja, Sie haben richtig gedacht: gemeint ist unseren Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)! Aber die Liste bzw. die Latte von Verfehlungen von Politikern ist lang. Die jüngste Schweinerei ist die Maskenaffäre. Kritik – so sie sich denn überhaupt aus Presse und via anderer Medien erhebt – läuft ins Leere oder ist lediglich ein laues Lüftchen. Denn auch der Journalismus – Ausnahmen bestätigen die Regel – ist seit Jahren in bedenklich-grässlichem Zustand. Aber dies ist ein anderes Thema.

Ist BRD womöglich inzwischen zu einer Bananenrepublik verkommen? Oder nur auf dem Weg dahin? Zumindest müffelt immer öfters faulig bananig. Wer ein Näschen dafür, der rieche. Neulich brabbelte jemand, Deutschland sei mindestens so korrupt wie Gambia. Nur ginge hierzulande freilich alles vornehmer, irgendwie galanter zu. Na ja, ich will Gambia nicht zu nahe treten…

Demokratie?

Mit der Demokratie ist es so eine Sache. Nehmen wir deren Definition, wonach diese Form Volksherrschaft bedeute, dann kommen wir schon ins Grübeln. Haben wir eine Demokratie? Hatten wir je eine? Fassadendemokratie ist da wohl eher die passendere Bezeichnung. Fakt ist: Die Wirtschaft hat mit der Demokratie ohnehin nicht viel am Hut. Der Kognitionswissenschaftler und emeritierte Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Kiel, Rainer Mausfeld, schrieb in einem seiner Bücher sinngemäß: Wirtschaft und Demokratie seien ein Widerspruch in sich.

Freilich weiß die Wirtschaft aber auf die Demokratie, auf die gewählten Regierenden sowie die Volksvertreter zu ihrem Nutzen Einfluss zu nehmen.

Der frühere SPD-Politiker Marco Bülow meldet sich mit neuem Buch zu Wort

Marco Bülow (geboren 1971), der frühere SPD-Bundesabgeordnete aus Dortmund, der nachdem er enttäuscht über die Entwicklung seiner Partei aus der SPD ausgetreten ist, hat sich wieder mit einem neuen Buch zu Wort gemeldet. Im September 2002 war er – in einem Brennpunktstadtteil aufgewachsen – das erste Mal mit sensationellen 57,8 Prozent der Wähler in seinem Dortmunder Wahlkreis direkt in den Bundestag gewählt geworden. Ende 2018 hatte Bülow nach 26 Jahren die SPD verlassen.

Seit seinem Austritt sitzt Bülow als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament. Inzwischen er Mitglied der Partei Die PARTEI. Sein Buch darüber trägt den Titel: „Lobbyland“. Untertitel: „ Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“.

Gewidmet hat er es seiner Tochter:

„Für meine Tochter Kaya und die nachfolgende Generation:

Wir sind alle Vorfahren der Zukunft“

Das Vorwort zum Buch hat Bülows Parteikollege, der Abgeordnete des Europäischen Parlaments Martin Sonneborn geschrieben:

(…)“Lobbyismus und Korruption. Abgeordnete, die sich bei ihrer Tätigkeit im Bundestag (oder im EU-Parlament) nicht mehr an den Interessen der Bürger orientieren, sondern an denen der Finanz- und Großindustrie, an denen der spendenfreudigen Firmen in ihrem Wahlkreis. Mitglieder des Bundestags, die in erster Linie ihre eigenen Nebenverdienste im Blick haben (wenn nicht in einigen Fällen sogar eher das Mandat die Nebentätigkeit bedeutet), das eigene Wohl anstelle des Gemeinwohls. Fraktionszwang. Zu viele Politiker lassen sich Schneid und Überzeugung abkaufen, in dem Moment, in dem sie in den Bundestag einziehen. Eigentlich nur ihrem Gewissen verpflichtet, unterwerfen sie sich aus Bequemlichkeit oder Karrieregründen einer Disziplin, die in unserer Verfassung so nicht vorgesehen ist. Intransparenz. Eben erst hat die Groko Haram zum wiederholten Male die Einführung eines »exekutiven Fußabdrucks« verhindert, den Organisationen wie Lobbycontrol schon lange fordern und der aufzeigen soll, welche Interessengruppen an der Verfassung von Gesetzestexten beteiligt sind.

Als Marco Bülow Kontakt zu uns aufnahm, habe ich mich sehr gefreut. Ich kannte ihn als ehrlichen, empathischen und empörten Kämpfer gegen Lobbyismus, Korruption, Fraktionsdisziplin und Intransparenz. Außerdem als unbestechlichen Kopf, der früh die Gefährlichkeit des Klimawandels und der katastrophalen Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland erkannt hat und politisch dagegen angeht. Ich habe Politikwissenschaften studiert, schaue mir in der Süddeutschen und der FAZ nicht nur die Bilder an und interessiere mich für die politischen Verhältnisse, in denen wir leben. Trotzdem kenne ich viele Zusammenhänge nicht. Wie konnten unter einer rot-grünen Regierung die asozialen Hartz-IV-Gesetze durch den Bundestag gehen? Wie kam es zur ersten deutschen Beteiligung an einem Krieg, nachdem wir den letzten doch recht deutlich verloren hatten? Gibt es wirklich eine realistische Chance auf eine rot-rot-grüne Regierung in Deutschland? Wer macht in diesem Lande eigentlich die Politik? Nach fast 20 Jahren im Bundestag kann Bülow diese Fragen beantworten.“

Und Sonneborn schließt sein Vorwort mit diesem Satz, dem man ohne Weiteres zustimmen kann: „Wenn es in der SPD mehr Menschen wie Marco Bülow gäbe, hätten wir Die PARTEI niemals gründen müssen.“

Der Prolog (S.15) hebt mit »Monopoly, Monopoly, wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel …« Klaus Lage, Text Diether Dehm an.

„DEM DEUTSCHEN VOLKE“ steht über dem Hauptportal des Reichstagsgebäudes. Die Glaskuppel verheißt Transparenz – Marco Bülow befindet nüchtern: „Eine Illusion. Viel Fassade und viel Schein. Es ist eine Glocke, eine abgeschottete Welt“

„ReichsTag

»DEM DEUTSCHEN VOLKE« – steht auf einer Länge von 16 Metern in großen Lettern über dem Hauptportal des Reichstagsgebäudes. Schon 1916 wurde diese Inschrift von der Berliner Bronzegießerei S. A. Loevy, einem jüdischen Familienunternehmen, hergestellt und angebracht. Seit 1999 krönt den Bundestag eine große gläserne Kuppel. 3000 Quadratmeter Glas, als Symbol für Transparenz und Offenheit. In der Kuppel stehend blickt die Bevölkerung ihren Abgeordneten symbolisch über die Schulter. Es gibt ein Gefühl von Nähe und Kontrolle. Direkt gegenüber: das Kanzleramt und drum herum ein Bienenschwarm von Menschen. Die Politik ist mittendrin. Eine Illusion. Viel Fassade und viel Schein. Es ist eine Glocke, eine abgeschottete Welt. Die Bevölkerung ist nur zu Besuch, so wie man eine entfernte Verwandte mal zum Kaffee einlädt. Der Widerspruch zwischen Darstellung und Handlung in der herrschenden Politik wächst. Einige ihrer Regeln und Strukturen sind so absurd, dass es mich überrascht, wie der Schein der Normalität überhaupt so lange gewahrt werden konnte. Risse in der Fassade gibt es. Einige Initiativen, einzelne Politikerinnen und Journalistinnen blicken immer wieder hinter die Kulissen und decken wahre Zustände auf. Aber ernsthafte Argumente und Kritik beeindrucken unter der Kuppel fast niemanden. Die Interessen der zukünftigen Generationen und der weniger privilegierten Menschen spielen hier im hohen Haus und in den Ministerien eine immer unwichtigere Rolle.“

Marco Bülow: „Die Bevölkerung ist meine Chefin“

Um so quasi das Kapitel „P-Day“ einzuleitend, schreibt Bülow:

„Können Satire, zugespitzte Darstellung, gnadenlose Aufklärung und vor allem Öffentlichkeit im Zusammenspiel die Fassade einreißen und das Fundament freilegen?“

Gelingt es mit seinem Eintritt in Die PARTEI an einem grauen Novembertag 2020 vor dem Reichstag?

„Die Bevölkerung ist mein Chef“, schrieb sich Marco Bülow schon eine Weile vor diesem Ereignis auf die Fahnen. Nachzulesen u.a. in meinem Beitrag über eine Veranstaltung in Dortmund.

Im Buch schreibt der Politiker: „Wir werden von der Bevölkerung gewählt und dafür bezahlt, dass wir sie vertreten. Deshalb möchte ich auch mit neuem Team, weiter »multiparteiisch« sein, übergreifend arbeiten, ohne die Scheuklappen der Parteitaktik. Denn: Die Bevölkerung ist die Chefin – nicht eine Partei- oder Fraktionsvorsitzende oder gar die Kanzlerin oder die Konzernchefin.“

Der Politiker ist ein Geerdeter

Diese Einstellung Bülows resultiert aus seinem Leben. Im Gegensatz selbst zu vielen Bundestagsabgeordneten der SPD entstammt er keinen Akademikerhaushalt. Auf Seite 18 lesen wird:

„Dagegen habe ich eine für das Ruhrgebiet typische Biografie. Mein Großvater hat unter Tage und dann als Stahlarbeiter gearbeitet, meine Eltern waren in der Pflege tätig. Ich bin derjenige, der von den Bildungsreformen und erpressten sozialen Zugeständnissen der siebziger und noch achtziger Jahre profitiert hat. So konnte ich mein Abi machen, durfte sogar studieren, auch wenn ich immer gejobbt habe.“ Das prägte den Dortmunder.

Im Bundestag angekommen – unter Rot-Grün – wird Bülow bald mit einer Realität konfrontiert, die ihn bald mehr und mehr irritiert und dann auch frustriert. Gerhard Schröder regiert nach Gutsherrenart. Marco Bülow erinnert sich: „Schröder führt damit eine Welle von selbsternannten Expertengremien und -runden ein. Ein sehr effizientes Mittel, gewählte Parlamente auszuschalten. Und da die Mehrheiten knapp sind, geht es bei Schröder mit der Drohung los, alles platzen zu lassen, wenn wir Abgeordnete nicht folgen. Damit wäre Rot-Grün am Ende, alle Möglichkeiten zu gestalten dahin. Es gäbe keine Energiewende und die Sozialpolitik dann wieder von Union und FDP.“

Die Abgeordneten sollen spuren, nicht viel fragen und schon gar nicht mit Kritik stören. Bülow schrieb vor Jahren über „Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“ das viel beachtete Buch „Wir Abnicker“.

Schon damals machte er sich – wie man sich denken kann – damit keine Freunde. Schon gar nicht in bestimmten Kreisen der Partei. Auf Seite 36 seines aktuellen Buches zitiert Bülow aus dem 2010 erschienen Buch:

»Eine Demokratie muss wachsen, sie muss sich auf den Rückhalt der Menschen stützen und – vor allem – auf deren aktive Beteiligung. Denn selbst, wenn mancherorts irgendwann formal alle Kriterien für eine Demokratie erfüllt sind, verfügen in der Praxis häufig doch nur wenige Personen über die politische Macht – ein Problem, das sich immer öfter aber auch in gewachsenen Demokratien zeigt. (…) Demokratie lebt nur dann, wenn sich das Volk nicht darauf beschränkt, bei der Wahl die Stimme abzugeben. Zur Verantwortung jedes Einzelnen gehört es auch, die Repräsentanten und ihre Arbeit kritisch zu begleiten und sie auf

Ungerechtigkeiten und sinnvolle Änderungsmöglichkeiten hinzuweisen. Außerdem ist es wesentlich, die Demokratie weiterzuentwickeln. Eine Demokratie, die ihren Namen wirklich verdient, benötigt Mitbestimmung, Einmischung, Diskussionen.«

Die Postdemokratie lässt grüßen

Demokratie? Fassadendemokratie. Colin Crouch hat früh beschrieben wohin die Reise geht: Richtung Postdemokratie nämlich. Sind wir schon angekommen?

„Das Werk des britischen Politikwissenschaftlers Colin Crouch ist in dieser Frage schon fast zum Klassiker geworden“ führt Marco Bülow auf den Seiten 39/40 seines Buches aus. „Er benennt im Jahr 2000 die Phase und damit den Zustand der westlichen liberalen Demokratien erstmals als »Postdemokratie« (Crouch 2008). Dies lässt sich kurz so zusammenfassen: Die parlamentarische Demokratie mit geheimen Wahlen, Regierungsbildungen, der Gewaltenteilung, Parteienkonkurrenz und freien Medien ist noch völlig intakt. Doch hinter dieser funktionierenden Fassade entwickelte sich eine Machtstruktur, die sich vom eigentlichen demokratischen System entfernt hat. Eine kleine Gruppe oder Elite beherrscht und kontrolliert weitgehend die politischen Entscheidungen. Wahlkämpfe sind zu einem auch in den Medien personalisierten Spektakel verkommen. Politische Entscheidung werden hinter geschlossenen Türen und dort von wenigen und meist nicht demokratisch legitimierten Personen getroffen. Die Regierungen handeln Gesetze mit Lobbyisten und nicht mit den Parlamenten oder gar der Bevölkerung aus. Die Bevölkerung spielt dabei hauptsächlich eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle. Eine Ohnmacht hat sie ergriffen, die zwar spürbar ist, aber deren Ursache von den betroffenen gesellschaftlichen Kräften nicht genau identifiziert wird. Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt dagegen zu. Die Demokratie erleidet einen Substanzverlust. Crouch beschreibt diese Entwicklung sehr eindrücklich. Parteien tragen laut seiner Auffassung eine Hauptverantwortung, da sie sich diesem System angepasst, es sogar dahingehend beeinflusst hätten. An die Stelle von Programmdebatten, des Wettstreits von politischen Zielen und Visionen, treten seiner Ansicht nach immer mehr Personenkult, Richtlinienkompetenz und von Beratern und Marketing-Agenturen ritualisierte Diskussionen. Parteien degenerieren zu Dienstleistern, Klientelvertretungen und Kanzlerwahlvereinen. Auch die Medien und der Journalismus gehen diesen Weg mit. Statt seriöser Berichterstattung gibt es Infotainment, statt der großen politischen Auseinandersetzung zelebrieren sie Personaldebatten, beschäftigen sich mit Nebenschauplätzen und dem Streit um Nuancen.“

Hauptsache es sieht demokratisch aus? Nicht einmal das ist inzwischen m. E. mehr gegeben. Gut, dass Bülow das Buch geschrieben hat. Die Menschen sollten sich wirklich damit auseinandersetzen. Denn es pressiert!

Harter Tobak. Aber es ist doch Realität! Das Bülow gut erkannt und in der Wirklichkeit persönlich mitbekommen. Richard von Weizsäcker hatte früh gewarnt. Klar. Crouch beschrieb die bedenkliche immer klarer sichtbar werdende Realität. Bülow hat erlebt, wie ihm die Lobbyisten sein Bundestagsbüro einrannten. Immerhin führte er bald Buch, über die „netten“ Gäste. Andere Abgeordnete ließen ihre Kontakte im Dunkeln.

Marco Bülow stellt fest: „Doch mir wurde immer klarer, dass die Realität Crouch & Co. längst einholt“

„Der dêmos, des Volkes Herrschaft oder modern gesagt: die Beteiligung der Bevölkerung, wird ausgeschaltet“, beklagt Bülow.

Einfluss zu nehmen, so der Politiker bliebe nur noch die Wahl. Doch selbst die verliere an Wert.

Längst herrsche ein „DemokratieFrust“ (S.41). Zunächst habe er, Bülow, noch an neue Politiker, Reformen und eine erneuerte Sozialdemokratie und eine Kehrtwende geglaubt. Dann aber sah zunehmend realistischer: „Doch mir wurde immer klarer, dass die Realität Crouch & Co. längst einholt.“

Der kritische Bundestagsabgeordnete hat gut erkannt:

„Der Kapitalismus ist in der westlichen Welt eine Zweckgemeinschaft mit der Demokratie eingegangen, ein von Beginn an spannungsgeladenes, aber für den Kapitalismus anfangs notwendiges Bündnis. Im ansehnlichen Gewand einer sozialen Marktwirtschaft, die zeitweise auch in Ansätzen zu erkennen war – gerade als Kontrapunkt zum sogenannten realexistierenden Sozialismus autoritärer Prägung. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks konnte diese Ausrichtung nach und nach verschwinden. Die soziale Marktwirtschaft wird immer mehr zu einem Mythos, einem Titel, der sich beruhigend anfühlt. Damit wird aber auch spürbar, dass die einst so zweckdienliche Demokratie an Profitabilität verliert – um gleich mal den passenden Jargon zu benutzen. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche quetscht weiteren Profit aus uns heraus, der angesichts des so notwendigen Wachstums immer spärlicher ausfällt. Angela Merkel bringt es mit ihrem Begriff der »marktkonformen Demokratie« sehr schön selbst auf den Punkt. Und genau diese Verformung ist sicher eine ganz wichtige Säule, wahrscheinlich sogar Basis für die Entwicklung zur Postdemokratie. So wichtig, dass ich dieser Entwicklung noch ein eigenes Kapitel widmen werde.“

Nach dem Anschluss der DDR fielen im neuen Deutschland die Masken

Wichtig, dass Marco Bülow auf den Zusammenbruch des Sozialismus hinweist und die sich daraus sicher ergeben habende Tatsache (die vielen Menschen sicher gar nicht klar ist), dass die BRD, ergänzt durch die einverleibte DDR, dann soziale Absicherungen der Arbeiternehmer gewissermaßen getrost fahren lassen konnte. Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Gewerkschafters, wonach bei Tarifverhandlungen in Westdeutschland die DDR (und das Bild von ihren sozialen Errungenschaften) sozusagen imaginär immer mit am Tisch gesessen hätte, was den Verhandlern aufseiten der Gewerkschaften immer etwas in die Hände gespielt habe. Der Kapitalismus konnte im neuen Deutschland quasi sein wahres Gesicht allmählich enthüllen und Kurs auf den Raubtierkapitalismus (Oskar Lafontaine) nehmen. Um dann mit dem Ritt in den brutalen Neoliberalismus schließlich die Maske ganz fallen zu lassen. Die Regierenden hatte man entsprechend eingelullt. Und Leute wie Schröder, der Genosse der Bosse – nomen est omen – nahmen diesen Ball ohne zu mucken auf. Apropos Mythos „soziale Marktwirtschaft“: Heiner Geißler sagte einmal in einem Interview, die habe es doch in Wirklichkeit nie gegeben.

„Demokratie fällt nicht vom Himmel“

„Demokratie fällt nicht vom Himmel“, schreibt Marco Bülow (S.45) vollkommen richtig. „Sie verformt sich, entfernt sich vom dêmos, wenn sie einigen wenigen überlassen wird. Demokratie muss sich erden, immer neu erkämpft und gewagt werden. Es war mehr als der schon so bedeutungsvolle Satz, als Willy Brandt 1969 von »mehr Demokratie wagen« sprach (Erste Regierungserklärung, SWR Archivradio 1969). Es war ein Bekenntnis und eine Verpflichtung. Die Demokratie mag den Menschen. Sie ist ein Vertrauensbeweis. Sie schenkt uns die Freiheit zur Selbstbestimmung. Häufig mussten sich die Menschen überall auf der Welt ihre demokratischen Rechte teuer erkämpfen, manchmal Leib und Leben riskieren. Wir haben die Demokratie geschenkt bekommen. Sie sollte dazu anregen, sich zu beteiligen, die Freiheit zu genießen und zu nutzen.“

Die Parteien bluteten aus, konstatiert Bülow, ihnen fehle es an Nachwuchs. Allerdings, wendet er ein: „Die alte Leier von den desinteressierten jungen Leuten stimmt auch heute nicht.“ Vor der Pandemie seien die Straßen voll gewesen mit jungen Leuten. Da dürfte er auf Fridays for Future anspielen. Gewiss, das Engagement war überragend gut und machte Mut. Nur hat der Autor außer Acht gelassen, dass es sich bei den Fridays-Demonstranten vielfach um solche handeln dürfte, die aus Gymnasien und bildungsnahen Elternhäusern kommen. Wo ohnehin schon ein gewisses politisch-gesellschaftliches Interesse vorhanden ist und gelebt wird. Nur was ist mit den anderen, den Hauptschülern u.s.w.? Und warum gehen die „Fridays“ nicht zusammen mit der Friedensbewegung zusammen auch die Straße, wie es sich beispielsweise der gestandene Dortmunder Friedensaktivist Willi Hoffmeister – begeistert von dem Engagement der jungen Leute – wünscht? Schließlich ist weltweit das Militär – vorneweg die US-Army – der schlimmste Umweltverschmutzer!

Überhaupt auch im Kampf gegen die über die Jahrzehnte angestiegenen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten wären da nicht jede Menge Synergieeffekte zu generieren? Nur brauchte es da Vermittler zwischen den einzelnen engagierten Menschen. Es ist ja stets immer alles so zersplittert. Und wir wissen auch: die Herrschenden zusammen mit den Medien fördern das. Aus gutem Grund ist Juno rund, sagte man früher einmal. Gerade Marco Bülow wäre derjenige, der den Vielen ohne Rückhalt im Parlament – hoffentlich mit Unterstützung der Partei Die PARTEI ein guter Koordinator sein könnte. Nicht zuletzt in Dortmund, bei der schon erwähnten Versammlung, bekannte er, Sprachrohr sein zu wollen, für die, die keine Lobby haben. Sofern er wieder in den Bundestag gewählt würde. Die Chancen dafür stehen vielleicht gar nicht so schlecht.

Wahlaufrufe – gut und schön: „Wo aber sind diese Stimmen, wenn die Demokratie untergraben und ausgehöhlt wird, wenn wir zu einer Lobbyrepublik verkommen? Und was ist mit denen die sich nicht mehr vertreten fühlen?

Wir stehen nun wieder vor einer Bundestagswahl. Politiker und Medien rufen zum Wohle der Demokratie zum Urnengang auf. Bülow dazu: „Vor einer Wahl – da sind sich alle Demokratinnen einig – ruft man mit voller Überzeugung auf, unbedingt wählen zu gehen. Alles andere ist zweitrangig. An diesem Aufruf beteiligen sich nicht nur Politikerinnen, sondern Prominente, Journalistinnen und alle, die zeigen wollen, was für aufrechte Demokratinnen sie sind.“ Gut und schön. Dann legt der Autor aber den Finger auf die Wunde (S.48): „Wo aber sind diese Stimmen, wenn die Demokratie untergraben und ausgehöhlt wird, wenn wir zu einer Lobbyrepublik verkommen? Und was ist mit denen die sich nicht mehr vertreten fühlen? Denen, die den Versprechungen von Politikerinnen grundsätzlichen nicht mehr glauben?“

Im Kapitel „Wahl oder Übel“ (S.48ff) macht sich der Autor darüber Gedanken:

Wenn die Wahl so verehrt wird, die Wählenden und die zu Wählenden sich aber gegenseitig immer mehr misstrauen und ignorieren, dann müssen alle Alarmglocken schrillen. Der Ethnologe, Historiker und Autor David Van Reybrouck formuliert es provozierend: »Wahlen sind heutzutage primitiv. Eine Demokratie, die sich darauf reduziert, ist dem Tode geweiht.« (Van Reybrouck 2016) Er nennt seinen Bestseller: »Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist«. Am Ende ist Van Reybrouck nicht gegen freie Wahlen, aber er listet hart und ernüchternd auf, wie sehr wir die Wahl in den westlichen Demokratien fetischisiert haben und damit den Einfluss der Bevölkerung und alle anderen Beteiligungsmöglichkeiten ausschalten. So absurd es klingen mag: Wahlen, wenn sie zum Ritual und Spektakel verkommen sind, fördern die Aushöhlung der Demokratie.“

„Elitendemokratie“

Mein Einschub: Zur sehr demokratisch sollte es wohl ohnehin nie zugehen. Da erinnere ich mich an einen früheren Chef, der mal in irgendeiner Diskussion einwarf: „Das wird mir aber zu demokratisch hier.“ So dachte man schon in den Entstehungszeiten der Demokratie etwa in Amerika. Im Grunde hatte man es da mit einer, wie es Rainer Mausfeld nennt „Elitendemokratie“ zu tun. In „Warum schweigen die Lämmer?“ macht Mausfeld deutlich, dass Demokratie von vornherein so angelegt war, dass sie an den bestehenden Verhältnissen nichts zu ändern vermochte.

Bei Bülow lesen wird: „Gerade nach den Revolutionen in Frankreich und den USA hat man sich bewusst für ein gewähltes repräsentatives System entschieden. Dazu der französische Politologe Bernard Manin: »Das Repräsentativsystem errichtete man im vollen Bewusstsein, dass die gewählten Vertreter angesehene Bürger sein würden und sein sollten, die sich sozial von ihren Wählern abhoben.« Er setzt sogar noch einen drauf: »Gegenwärtige demokratische Systeme sind aus einer politischen Ordnung hervorgegangen, die von ihren Begründern als Gegenentwurf zur Demokratie gedacht war.« (Spiegel Online, 25. 01. 2018)

Eine kleine Bombe. Die Bevölkerung hatte sich Mitbestimmung und Demokratie erkämpft, dennoch wollte man klare Unterscheidungen vor allem bei den Positionen, die diese Macht ausüben. Der arme und ungebildete Pöbel sollte weiter rausgehalten werden.“

Zu Mausfelds Buch notierte ich:

„Demokratie bedeutet also, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Professor Rainer Mausfeld hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon im Mutterland der Demokratie, den Vereinigten Staaten von Amerika, war sie von vornherein so angelegt, dass sich durch sie nichts an den Machtverhältnissen ändern konnte. Das Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen konnten nicht angetastet werden. Auch heute, auch bei uns, das im Grunde genommen so. Die repräsentative Demokratie hat gravierende Mängel. Das fängt ja schon bei der Auswahl und Aufstellung der KandidatInnen der einzelnen Parteien an. Auf die wir Wähler – und nicht einmal alle Mitglieder einer Partei – keinerlei Einfluss haben.“

Marco Bülow befasst sich mit Wählerverhalten, mit Protestwählern und Gruppen, die enttäuscht darüber, dass sich keine der Parteien ihrer Probleme annimmt, überhaupt nicht mehr wählen.

Dankenswerterweise schreibt der Autor auch über die skandalöse Missachtung es Bundestags betreffs Pandemiemaßnahmen und damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen im Kapitel „Exekutierte Legislative“ (S.66) nachdem er über einen jungen Grünen-Abgeordneten geschrieben hat, der im Netz über das Abstimmungsverhalten und Gewissensentscheidungen informierte:

„Ein knappes Jahr später beschließt der Bundestag, dass die Regierung in Bezug auf die Corona-Pandemie und in Absprache mit den Ministerpräsidentinnen ohne die Parlamente weitreichende Entscheidungen allein treffen kann. Fühlt sich fast an wie im Kriegszustand. Kein Aufschrei, zarte Einsprüche der Opposition, volle Zustimmung natürlich bei Union und SPD. Mal eben wird das Parlament seines Grundrechts beraubt. Wofür? Alle Entscheidungen bei Corona wurden immer im Prozess und mit Vorbereitung getroffen, an der Dringlichkeit kann es also nicht liegen. Es wurde keine einzige Maßnahme wegen einer außerordentlichen Situation innerhalb kürzester Zeit beschlossen. Auch ein Parlament kann jederzeit sehr schnell auch außerregulär zusammengerufen werden. Das ist bei anderen, wesentlich unwichtigeren Angelegenheiten immer wieder geschehen.“

Wir erinnern uns? Heribert Prantl forderte damals in seiner SZ-Kolomne: „Der Bundestag muss seine Selbstverzwergung beenden. Und verdeutlichte: „Solange Corona-Politik ohne rechte parlamentarische Beteiligung gemacht wird, bleibt sie verfassungsrechtlich zweifelhaft und gesellschaftlich angreifbar. Der Deutsche Bundestag hat am 25. März den Löffel abgegeben.“

Wir erfahren, dass heute viele jüngere Politiker äußerst stromlinienförmig auch im Parlament agieren. Sie haben rasch verinnerlicht, was ihnen droht, wenn in ihrer Fraktion abweichende Meinungen vertreten und gar auch noch vom eigenem Gewissen getragenen Abstimmungen zum Ausdruck bringen. Um meinerseits hier eine Redewendung eines mir bekannten Professors hier zur Kenntlichmachung zu verwenden, die er damals auf die Grünen benutzte: Sie sind rundgelutscht. Womöglich gar im Vergleich zu früher war das nicht einmal nötig gewesen: Sie merken früh wie der Hase läuft. Was sicher auch damit im Zusammenhang steht, wie Marco Bülow an anderer Stelle schon kritisierte: Sie haben nie im Leben richtig und wenn, dann schon gar nicht lange, gearbeitet. Und somit so gut wie keine Lebenserfahrung. Berufspolitiker, die abgeschottet vom Volk, das sie zu vertreten vorgeben, unter der Glaskuppel des Reichstagsgebäudes Entscheidung mit treffen, die am Großteil des Volkes vorbeigehen.

„Ich frage mich, wen wir denn noch vertreten“

Marco Bülow ist nachdenklich geworden (S.103): „Ich frage mich, wen wir denn noch vertreten. Sauber geordnet sitzen die Landesverbände zusammen. Völlig dominant ist vor allem eine Alterskohorte: die 50- bis 60-Jährigen. Ein anderes Missverhältnis ist noch größer, auch wenn es nicht gleich ins Auge springt: In der Fraktion sitzen nur vier Abgeordnete mit Hauptschulabschluss. Sehr viele haben einen Uni-Abschluss, bei den Jüngeren sind es nahezu alle. Als ich 2002 neu in den Bundestag kam, war es schon auffällig, dass echte Arbeitnehmer rar gesät waren. Es wirkte noch anders, weil sich auch mehrere aktive Gewerkschaftsvertreter in der Fraktion wiederfanden, einige den zweiten Bildungsweg eingeschlagen hatten. Vor allem kannten viele die anderen Lebenswirklichkeiten, weil häufig die Eltern noch zur Arbeiterklasse gehört oder einen Lehrberuf ausgeübt hatten. Davon ist fast nichts geblieben. Ein ähnliches Bild ergibt sich sicherlich längst bei den Landesvorständen und dem Bundesvorstand.“

Marco Bülow verweist auf Hildgard Hamm-Brücher: „Die meisten Abgeordneten verstehen sich als Funktionäre ihrer Partei und gucken nicht über den Tellerrand. Sie können gar nicht mehr frei denken und handeln und vergessen dabei den Bürger“

Der Autor verweist auf eine großartige Politikerin. Leute wie sie finden sich eigentlich gar nicht mehr in der Politik: „Die liberale Vordenkerin Hildegard Hamm-Brücher sagte über Parteien: »Die meisten Abgeordneten verstehen sich als Funktionäre ihrer Partei und gucken nicht über den Tellerrand. Sie können gar nicht mehr frei denken und handeln und vergessen dabei den Bürger. Die Parteien haben den Machtanspruch über alles bis in die Kommunalpolitik. Außerdem wird kein Grundgesetzartikel so verhöhnt wie das Gebot, was ein Abgeordneter eigentlich soll. (…) Er ist nur seinem Gewissen verantwortlich.« (Cicero, 4/2007) Dem kann ich in Bezug auf den Machtanspruch und das Gewissen nur zustimmen. Aber sind Parteien wirklich so übermächtig, oder werden sie genau wie die Parlamente nur durch einzelne Personen bestimmt?“

Wenn man bei Bülow liest wie es auf Parteitagen zugeht und wie schwierig es ist mit Vorschlägen in Parteigremien und auch in der Fraktion durchzudringen, fragt man sich, wie er überhaupt solange in der SPD hat durchhalten können bei all dem Gegenwind. Da wird von Oben Druck ausgeübt, dass ja die „richtige“ Entscheidung fällt. Ein Olaf Scholz – der nun, sich dabei höchstwahrscheinlich völlig überhebend dabei – Kanzler werden will, muss da eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

Im Hauptkapitel „II. Es ist die Lobby, Baby!“ unter „1. Die Lobbyvertretung“ zitiert der Autor abermals Colin Crouch, der auch damit richtig lag:

» In einer Postdemokratie, in der immer mehr Macht an die Lobbyisten der Wirtschaft übergeht, stehen die Chancen schlecht für egalitäre politische Projekte zur Umverteilung von Wohlstand und Macht sowie die Eindämmung des Einflusses mächtiger Interessengruppen. Bei diesem Konzept der Demokratie stehen folgende Aspekte im Vordergrund: die Wahlbeteiligung als wichtigster Modus der Partizipation der Massen, große Spielräume für Lobbyisten – wobei darunter vor allem die Lobbys der Wirtschaft verstanden werden – und eine Form der Politik, die auf Interventionen in die kapitalistische Ökonomie möglichst weitgehend verzichtet. Für die wirkliche, umfassende Beteiligung der Bürger und die Rolle von Organisationen außerhalb des Wirtschaftssektors interessieren sich die Befürworter dieses Modells allenfalls am Rande.«

Marco Bülow nimmt kein Blatt vor dem Mund. Im Grunde kann man sagen, in diesem Lande setzten sich Interessen der Wohlhabenden und Konzerne durch, die über eine starke Lobby verfügen. Bülow bringt es auf den Punkt: „Eine Reihe von Entscheidungen, die im Sinne der oberen Klassen waren, wurden gegen jene der unteren Klassen durchgesetzt.“

Marco Bülow setzt weiter nach (S.109): „Es passt ins Bild, dass Anfang 2021 ein Buch der investigativen Journalistin und Bestsellerautorin Julia Friedrichs mit dem Titel »Working Class« erschienen ist. Die Klassen sind zurück. Eigentlich waren sie nie ganz weg, nur aus dem öffentlichen Bewusstsein verbannt. Friedrichs beschreibt anhand von Beispielen den langfristigen Prozess in Deutschland, dass trotz Jobs, trotz der Wohlstandsjahre immer mehr Menschen kaum von ihrer Arbeit leben können, kein Vermögen besitzen und für Krisenzeiten keine Rücklagen haben. Sie haben nicht von den langen Wachstumszeiten profitiert. Der Spiegel (26. 02. 2021) greift die Frage auf und macht daraus einen Artikel mit Julia Friedrichs und Olaf Scholz mit der Hauptfrage: Vertritt die SPD noch die Arbeiterklasse? Eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf gibt auch die Studie von Elsässer und Schäfer, aber ebenso die Arbeiter selbst. Bei den Europawahlen wählten von ihnen nur 15 Prozent die SPD. Gleichauf mit den Grünen und hinter der Union und der AfD (»Tagesschau«, ARD, 26. 05. 2 019). Dieser Punkt ist wichtig, denn die Menschen, die sich von Wahlen, Parteien und teilweise der Demokratie abwenden, haben von den konservativen und liberalen Parteien sicher nicht so viel erwartet wie von den sozialeren Parteien. Sie mussten feststellen, dass sie über keine wirkliche Alternative mehr verfügen.“

Ein kleiner Lese-Tipp von mir am Rande: „Gibt es überhaupt noch eine Arbeiterklasse“ von Werner Seppmann.

Im Unterkapitel „2. Die Lobbyrepublik“ (S.110) lässt der Autor den Schriftsteller Günter Grass zu Wort kommen:

„» Ob es die Pharmaindustrie, die Banken oder die Autoindustrie sind, ihre geballte Macht, die weder von der Verfassung noch vom Volk, dem eigentlichen Souverän, legitimiert ist, bestimmt mehr und mehr bis in die Gesetzgebung hinein die Politik. (…) Sie sind der Staat im Staate.« Günter Grass 2008 vor der SPD-Bundestagsfraktion.“

Bülow befasst sich auch mit der Entstehung von Lobbyismus und damit, ob es auch guten Lobbyismus gibt. Man müsse immer genau schauen, so Bülow wer dahinter stecke und wer davon profitiere. Momentan, informiert der Bundestagsabgeordnete (S.114), gebe (…) „6000 Lobbyisten in Berlin, also bald zehnmal so viele wie Parlamentarier. Den absolut größten Teil bilden sicherlich die profitorientierten Lobbyisten“.

Die Gruppe der „Lobbytarier“

„Wie eng verzahnt sind die Lobbyisten mit der Politik?“, fragt Bülow. Und referiert: „Profitlobbyisten haben oft die besseren Kontakte, weil sie schon lange in Wechselbeziehung zu den wichtigsten Politikern stehen. Es gibt immer mehr Politiker, die ihr Mandat als Sprungbrett nutzen, um dann als Lobbyist in die Wirtschaft zu gehen. Häufig dienen sie schon während des Mandats willfährig einer oder mehreren Lobbys, um dort in Zukunft eventuell unterzukommen. Und logischerweise kommen dafür am ehesten die Lobbys in Frage, die einflussreich und lukrativ sind, und nicht die gemeinwohlorientierten Gruppen, die deutlich schlechter bezahlen. Ich nenne diese wachsende Gruppe der Politiker »Lobbytarier«.“

Dem Kapitel über die „Die Lobbytarier“ hat Bülow ein Zitat von Upton Sinclair vorangesetzt:

» Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht. «

Legale Sauereien und saftige Skandale

Bülow weiter: „Die Politik wird privatisiert, sie wird ökonomisiert. Wenn Mann und Frau immer weniger Politik gestalten können, Argumente immer weniger ausrichten, dann bleiben die kreativen und idealistischen Köpfe zunehmend weg, dann muss sich Politik anders auszahlen. So werden die Parteien und Parlamente immer mehr von Machtpolitikerinnen und Opportunistinnen beherrscht. Ökonomische Interessen gehen dann vor Inhalte, Karriere vor Kodex. Wir züchten uns längst eine Generation Amthor, die zwar Moral und Wasser predigt, aber Schampus und Unmoral lebt. Eine Kaste, die vielleicht noch mit Werten startet, aber dann mehr auf Eigennutz als auf Gemeinwohl getrimmt wird. Kein Wunder, dass die Grenzen zwischen Interessenvertretung, Lobbyismus und Korruption verschwimmen. Man macht, was man darf.“ In der Tat: vieles, was wir Bürger als Sauerei empfinden ist ja legal!

Viele uns bekannte Skandale bearbeitet Marco Bülow im Buch. Ob es nun Cum Ex und Cum-Cum ist. Wirecard natürlich u.sw. Wirkliche Konsequenzen für die Schuldigen? Fehlanzeige. Alles zulasten der Steuerzahler. Und freilich der Dreh-Tür-Effekt. Wo Politiker ihr im Amt erlangtes Wissen in den Dienst von Konzernen oder Banken stellen.

Für welche Pille entscheiden wir uns?

Bülow schreibt auch von der „Lobby-Matrix“ und zitierte aus dem Film „Matrix“: » Die Matrix ist allgegenwärtig, sie umgibt uns. (…) Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.«

Es passiert ja so vieles vor unseren Augen. Doch wir sehen nichts.

Wer den Film kennt, wird sich auskennen von was Bülow hier schreibt (S.142): „Wollen wir die bittere Pille schlucken und hinter die Kulissen schauen, unsere Naivität abstreifen und nicht mehr länger verdrängen? Uns ist klar, dass wir nicht auf das Paradies blicken werden. Oder werfen wir die blaue Pille ein und hoffen weiter darauf, dass andere es schon für uns richten werden?“

Unbedingte Lese- und Handlungsempfehlung!

Ein Buch, das alle lesen sollten, die sich als Bürger für die Demokratie interessieren. Eine Demokratie, die schon ziemlich angeknackst ist. Marco Bülow berichtet über seine Erfahrung als Politiker und Mitglied des Bundestages. Er hat uns die Augen geöffnet. Über Skandalöses Kunde gegeben. Aber auch Hoffnung in uns geweckt. Geben wir es doch zu: Wir fühlen doch längst mehr oder weniger alle ein Bauchgrummeln, wenn wir an den Zustand unserer Demokratie und unser Land denken. Ohne, dass jeder von uns etwas – und sei es noch so wenig und anscheinend unbedeutend (wir hören ja oft den Spruch: Da kann man doch sowieso nichts machen) – etwas unternimmt, wird sich nichts ändern und alles eher noch schlimmer werden. Marco Bülow hat sich nichts weniger vorgenommen, als die schon lange nicht mehr hinnehmbaren Verhältnisse umzustoßen. Dazu gehört es, den Parlamentarismus zu demokratisieren, aber auch Bürgerräte zu befördern, um auch die außerparlamentarische Demokratie zu stärken. Kurz: Er möchte im Verein mit möglichst vielen das scheinbar Unmögliche ins Werk zu setzen.

Marco Bülow ist fest entschlossen, weshalb er im Buch sicher auch Bertold Brecht zitiert: »Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen, muss sie zum Angriff übergehen«

Das Bekenntnis des Marco Bülow

„Ich würde mich als einen radikalen Realisten, einen idealistischen Demokraten ohne Illusionen beschreiben. Aber ich bleibe auch Sozialdemokrat, egal wo ich mich engagiere. Damit kann man hadern, wie auch mit meiner neuen Partei. Da komme ich auf Martin Sonneborn zurück, der gern darauf hinweist, dass es Die PARTEI gar nicht geben müsste, wenn die SPD und die anderen Parteien ihre Arbeit machen würden. Oder sie könnte wirklich mit ein wenig Spaß und Satire einige Debatten beleben und eine Randerscheinung bleiben. Die PARTEI zeigt auf, wie absurd die herrschende Politik ist und welche Missstände es gibt. Mit ihren Mitteln. Es gibt weitere Wege und andere Mittel, also let’s do it. Klar ist, das Alte zerfällt, und das Neue muss in die Welt. Dafür brauchen wir Ideale, Aktivismus, die Bewegungen auf der Straße. Der Widerstand muss vielfältig sein. Wir brauchen auch die Satire und die Disruptoren. Im Zusammenspiel kann es gelingen, die Fassade einzureißen, die Parlamente zu hacken und die unfairen Spielregeln zu ändern. Ich habe Fehler gemacht, bin Irrwege gegangen, kenne meine Grenzen, aber ich will einfach mit Herz und Power weitermachen. Der Informatiker und Künstler Jaron Lanier schreibt in seinem Buch »Wem gehört die Zukunft«: »Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass sie auf radikale Art wunderbarer sein wird, als wir sie uns jetzt vorstellen können, bewohnt von Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand

nehmen« (Lanier 2013). Also denke groß, sei mutig, lebe wunderbar. Mache neue Spielregeln. Zieh aber vielleicht auch die Argumente in Erwägung, die dir erst mal nicht gefallen. Und hab Spaß an und in der Politik – das ist immer noch nicht verboten.

Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Profitlobbyismus zerstört werden soll.“ (S.195)

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Veröffentlicht am 02.10.2020

Geld regiert die Welt. Frankfurt in der Krise

Lass Gott aus dem Spiel
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Nun gibt es also den dritten Mitch-Berger-Krimi von Harald Lüders. Ich kannte bislang keinen einzigen der Vorgänger. Und auch Harald Lüders nicht. Lüders war über dreißig Jahre als Autor, Reporter und ...

Nun gibt es also den dritten Mitch-Berger-Krimi von Harald Lüders. Ich kannte bislang keinen einzigen der Vorgänger. Und auch Harald Lüders nicht. Lüders war über dreißig Jahre als Autor, Reporter und Redakteur für das Fernsehen gearbeitet.

Also ging es munter los und hinein in den Thriller Mitch Bergers dritten Fall; „Lass Gott aus dem Spiel“.

Mitch Bergers Konto hatte schon bessere Zeiten gesehen. Da kommt ihm der Auftrag eines bekannten Magazins eigentlich ganz recht:

„Der neue Job ist einfach und doch anspruchsvoll Mitch hat diesmal ein Heimspiel gewonnen. Das Magazin will einen großen Artikel über das Frankfurter Bahnhofsviertel, über das Quartier, das gerade einen Riesenhype erfährt, in dem die Preise für Immobilien explodieren, was Investoren aus aller Welt anzieht. Die paar Straßen zwischen Hauptbahnhof und Städtischen Bühnen, zwischen Mainzer Landstraße und dem Main standen bis vor Kurzem für eine runtergekommenes Rotlichtmilieu, für eine krasse Junkieszene, aber auch für ein weitgehend friedliches Multikultimit- oder besser -nebeneinander.“ (S.10)

Gentrifizierung ist ein großes Thema geworden. Nicht wird mehr sein, wie es einmal war. Alte Mieter und Rotlichtbetriebe werden verdrängt. Leute mit viel Kohle investieren in Luxuswohnungen.

Also frisch ans Werk. Wenn da nur nicht ein Haken wäre: Das Magazin besteht darauf, ihm einen türkischstämmigen Journalistenkollegen, Enis, an die Seite zu geben, der am Artikel mitarbeitet. Die Redaktion wird seiner Meinung wohl so entschieden haben: „Einfache Logik: Tritt man einen Muslim auf die Füße, macht das besser ein anderer Muslim. So machen das deutsche Redaktionen.“ (S.11)

Mitch trifft sich mit Enis in einer Frankfurter Bar, die er noch nicht kennt. Enis erzählt ihm, dass er schon öfters für das Magazin gearbeitet hat, (…)“dass aber aber nach der Affäre um einen fälschenden Reporter neuerdings gerne mit zwei Autoren gearbeitet werde“.

„Wir sollen wohl gegenseitig drauf achten, dass hier keinem die Fantasie durchgeht.“

Mitch stimmt grummelnd zu.

Und leistet sich dann gleich einen Fauxpas: „Von wo aus der Türkei kommst du eigentlich?“

Enis ist natürlich sofort bedient: „Nicht dein Ernst jetzt, ich komme aus Bornheim, habe mein Leben lang hier gelebt, frag bitte nicht so ne dumme Scheiße.“

Das Geplänkel geht weiter. Über dies und das sowie Fußball und die Türken.

Dann sagt Enis etwas sehr Wahres: (…)“Und noch was, ich sage dir, es verdammt schwer sich in dieses Deutschland einzuleben. Weißt du, warum? Weil viele Deutsche zu sich selbst und ihrem Land ein total verklemmtes Verhältnis haben. Manchmal denke ich, die Deutschen ersticken an ihrer Geschichte. Entweder sind sie total stolz darauf, dass ihr Großvater ein verdammter Nazi war. Die ganze 68er-Generation ist doch so drauf. Nur, was habe ich mit dem verdammten Opa zu tun?“ (S.14)

Da wird Mitch nachdenklich und stimmt Enis zu.
„Ein Thriller aus der Hauptstadt des Verbrechens

Sein dritter Fall führt den Journalisten Mitch Berger in seine Stadt – mitten hinein in das Frankfurter Bahnhofsviertel, um vor Ort einen brisanten Auftrag zu erledigen.

Integrationsprobleme, Drogenhandel, offene und versteckte Prostitution, Bandenkriege und die immer heißer werdende Spekulation mit Immobilien im Viertel bilden den Hintergrund dieses atemlosen Thrillers. Was im multikulturellen und schaurig schönen Rotlichtviertel zunächst harmlos beginnt, steigert sich zu einem blutigen Verwirrspiel mit Menschen, die nichts zu verlieren haben – außer ihrem Leben.“ Quelle: Westend Verlag)

Na, da ist man doch gleich „angefixt“. Der Thriller verspricht eine spannende Lektüre zu sein. Und das ist sie tatsächlich. Es dauert nämlich nicht lange und das weltoffene Frankfurt erlebt eine Krise. Ein Anschlag auf eine Moschee ruft ein explosives Klima aus Wut und Hass hervor. Bürgerkriegsähnliche Zustände schaukeln sich hoch. Mitch Berger ist dabei. Und zwar mittendrin. Zwischen den Fronten. Im Visier von Ausländerfeinden, Islamisten und eiskalten Killern. Und selbst die CIA mischt mit. Jede Menge zwielichtige Typen sind ebenfalls im Spiel. Ein verdammt saftige Mischung. Mit brenzligen Momenten. Da kann es gar nicht langweilig werden. Schüsse. Action. Terror. Tote. Es fließt jede Menge Blut. Der Leser glaubt sich immer wieder auf der richtige Fährte und muss dann doch wieder feststellen, dass er sich hat täuschen lassen. So soll ein Thriller auch „gestrickt“ sein.

„Früher hieß es Blut ist dicker als Wasser, heute heißt es Geld ist dicker als Blut. Willkommen in der Wirklichkeit.“ (Quelle: Westend Verlag)

Da fließen auch wahre Geschichten ein, die Mitch Berger seinem Kollegen Enis erzählt (S.20/21): „Ja, es gibt hier eine Menge starker Geschichten. Mich fasziniert die Story der Beker-Brüder, die lange Zeit als die heimlichen Chefs des Viertels galten. Dass nur gut drei Jahrzehnte nach dem Holocaust sich zwei Juden in einem deutschen Rotlichtviertel durchsetzen konnten, aus dem Stoff würde man in Hollywood einen Blockbuster machen. Aber für unsere Story sind das natürlich alte Kamellen, unsere Geschichte spielt heute und muss danach fragen: Ist das hier wirklich ein friedliches Multikulti-Biotop, oder laufen unter er bunten Decke ganz andere Sachen ab? Wir dürfen auf keinem Fall eine Friede-Freude-Eierkuchen-Story abliefern. Wir müssen auch die bösen Jungs beschreiben, die Konflikte zwischen den alten Bewohnern und den neu Angekommenen. Und dann sehen, wie der Einmarsch des Geldes alles verändert.“ (Zu den Beker-Brüdern hier etwas; Quelle: Spiegel)

Gleich mehrmals bringt Mitch bei seinen Recherchen sich selbst – und das als investigativer Journalist! – ziemlich riskant und geradezu dilletantisch zu Werke gehend, in höchste Gefahr. Das soll gewiss die Spannung steigern. Doch es verstimmt eher. Und ist – jedenfalls für mein Empfinden dann doch ein bisschen zu viel – weil schwer nachvollziehbar.

Während andere Klischees, die bei dem beleuchteten Spektrum an Problemen und Erscheinugen kaum auftauchen, kam Lüders offenbar an einem nicht vorbei: Ein gedungener Killer wird natürlich in Ex-Jugoslawien geordert! Man erinnert sich an manchen Fernsehkrimi in den 1990er-Jahren bis manchmal noch ab und an ins Heute hinein, wo der Bösewicht stets ein Serbe sein musste.

Und noch ein Fauxpas, wenn ich mehr die Mäkelei erlauben darf, die Autor „den neuen Star der Frankfurter Mordkommission“ (S.36), Canan Aydin (auf die toughe und gut aussehende Kriminalistin hat Mitch Berger sofort ein Auge geworfen) an die Adresse ihrer Sekretärin sagen (S.297): „Mach mir rasch einen Termin beim Staatsanwalt. Wir beantragen einen Durchsuchungsbefehl für die Kronberger Villa von Dr. Carl Steinhoff.“

Wieder so ein Begriff, wo sich bei mir so manchem TV-Krimi immer die sträuben! Schließlich heißt es doch juristisch korrekt: Durchsuchungsbeschluss.

Das ist in etwa so, als ob ein Elektriker von einer Glühbirne statt – wie es korrekt wäre – von einer Glühlampe spräche. Heute müsste eigentlich von einem Leuchtmittel die Rede sein. Schließlich sind Glühlampen out und durch LED-Leuchtmittel ersetzt.

Oder mir geht der Hut leicht hoch, wenn ein Aufzug oder Lift „Fahrstuhl“ genannt wird. Mir sagte mal ein Fachmann bei einer Einweisung zum betrieblich Aufzugführerschein: „Fahrstuhl fährt jemand, der den Aufzug regelwidrig benutzt hat!“ Wollte bedeuten, dass derjenige dann in der Regel behindert ist.

Gewiss ist manches halt eingebürgert und Alltagssprache. Aber eine Kriminalhauptkommissarin sollte doch wohl schon fachlich sauber sprechen, oder? Doch nun genug mit der Korinthenkackerei.

Doch sorry, halt, noch eine kleine Stichelbeere: Als Mitch wieder einmal in die Bredouille geraten ist, hat er eine Idee (S.294). Er wählt die 112 (!) Mitch flüstert in den Hörer, um die Polizei zu alarmieren: „Ich glaube, ich beobachte gerade einen Einbrecher, Am Unterberg direkt am Golfplatz.“

Dann schreibt der Autor: „Mitch kalkuliert, dass er einige Minuten hat, bis ein Streifenwagen am Eingang der Villa vorfährt.“ Er wählt also den Feuerwehrnotruf, um die Polizei rufen? Das funktioniert sicher auch. Aber sollte ein Journalist den Polizeiruf 110 nicht kennen? Schwer vorstellbar.

Ein spannender Thriller, der mit vielen Überraschungen aufwartet. Interessant dabei, dass Autor Harald Lüders auch reale Personen und Ereignisse, die so geschehen sind, in seinem Thriller verwendet bzw.benannte hat. Das verleiht dem Buch etwas Authentisches. Und man sagt sich: So ist die Welt. Weniger gut als mancher denkt eben. War es je anders? Und man kann sich angesichts eines Blicks auf die Gegenwart auch des Eindrucks nicht erwehren: Es ist auch so, dass es kaum besser geworden ist. Im Gegenteil.

Noch nie hatte Geld eine solche Macht wie heute. Geld regiert die Welt. Sagt der Volksmund. Und Oskar Lafontaine meinte nach der Finanzkrise: Noch nie habe dieser Satz, Geld regiert die Welt, so gestimmt wie heute. Allein Blackrock verwaltet heute nahezu 8 Milliarden US-Dollar! Mehr als ein einziges Land zur Verfügung hat. Bei Deutschland dürften es etwa um die 4 Milliarden sein. Jean Ziegler konnte sagen: „Die 85 reichsten Milliardäre besitzen einen so großen Anteil an allen pro Jahr weltweit produzierten Reichtümern wie die 4,5 Milliarden ärmsten Menschen. Das muss man sich mal vorstellen. Diese Oligarchen haben eine Macht, wie kein König, kein Kaiser und kein Papst sie je hatte. Deshalb braucht es einen Aufstand des Gewissens, der von der Zivilgesellschaft kommt.“

Ich gebe eine Leseempfehlung für „Lass Gott aus dem Spiel“. Und kann mir sogar eine Verfilmung des Thrillers vorstellen.

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Veröffentlicht am 28.04.2020

Werden, wer man ist ... Ein spannender Entwicklungsroman

Verdammt in alle Kindheit
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Wir Leserinnen haben gewiss schon erlebt, dass wir an einen Roman so recht nicht herankamen. Dann haben wir es vielleicht zur Seite gelegt. Und das Buch sozusagen verworfen. Zunächst. Von Georg Christoph ...

Wir Leserinnen haben gewiss schon erlebt, dass wir an einen Roman so recht nicht herankamen. Dann haben wir es vielleicht zur Seite gelegt. Und das Buch sozusagen verworfen. Zunächst. Von Georg Christoph Lichtenberg stammt folgendes Zitat:

„Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?“

Wie wir unter Umständen nicht selten Jahre später feststellten – wenn uns das Buch beim Aufräumen wieder in die Hände fiel – und ihr es wagten auf einmal frischen Mutes aufs Neue hinein zu tauchen. Und siehe da: Mit einem Male „liegt“ es uns – sagt uns der Autor mit seinem Buch etwas, das sich uns Jahre zuvor partout nicht erschließen wollte! Dabei hat sich das Buch doch nicht im geringsten verändert. Allenfalls tritt es uns nun verstaubt und die Seiten vergilbt entgegen. Aber wir haben uns offenbar verändert! Wir sind reifer und gebildeter geworden – haben an Lebenserfahrung gewonnen und unseren Horizont erweitert.

Umgekehrt kann ein Schriftsteller nach der Vollendung eines Buchmanuskriptes nach reiflicher Überlegung zu der Ansicht kommen, dass dies zur Veröffentlichung nicht taugt. Es gibt Schriftsteller, die ihre Werke sogar vernichtet haben oder verfügten ihre unveröffentlichten Arbeiten auch nach ihrem Tode keinesfalls zu publizieren.

Fast zehn Jahre ruhte Rolf Geffkens Romanmanuskript

Rolf Geffken hat ein Romanmanuskript im Jahre 2010 fertiggestellt. Es ruhte fast zehn Jahre. Geffken wird sicher nicht gedacht haben, dass es am Ablegeort reife wie ein Wein. Die Jahre vergehen. Der Gedanke an den Roman rückte gewiss einfach in den Hintergrund. Zumal, wenn man einem Brotberuf nachgeht, der anspruchsvoll und beanspruchend ist und darüber hinaus anderes im Leben Aufmerksamkeit von einen verlangt. In diesem Jahre nun hat Rolf Geffken das Manuskript – wie er im Vorwort seines Romans bekennt – unverändert in Druck gegeben. Seine Erklärung:

„Man kann die Wahrheit nicht ‚verbessern‘ oder ’schöner‘ machen. Irgendwann steht sie fest und dann ist es (fast) egal wann, wo und wie sie gedruckt wird. Sie sollte aber gelesen und nachvollzogen werden, damit sie einer anderen Generation erspart bleibt.“

„Ein norddeutscher Entwicklungsroman“, welcher im Elbe-Weser-Dreieck spielt

Als Leser von Rolf Geffkens Roman „Verdammt in alle Kindheit: „Verloren in den Wäldern des Mannesalters“, erschienen im Isensee Verlag, bin ich nach der Lektüre des Buches dem Autoren dafür dankbar, dass er das Manuskript aus der Versenkung holte und es hat veröffentlichen lassen! Und Sie, meine verehrten Leser
innen, werden es – das verspreche ich – ebenso zu schätzen wissen.

Es ist „Ein norddeutscher Entwicklungsroman“,welcher im Elbe-Weser-Dreieck spielt.

Am Rande bemerkt kam mir beim Lesen von Geffkens Roman – von der beschriebenen Problematik her – Wolfgang Bittners Roman „Der Aufsteiger oder ein Versuch zu Leben“ wieder in den Sinn.

Eine „Warnung“, denn „Man kann die Wahrheit nicht ‚verbessern‘ oder ’schöner‘ machen…

Ein bisschen muss ich allerdings auch „warnen“. Eine Binsenwahrheit: Uns alle eint ja die Tatsache, eine Kindheit hinter uns gelassen zu haben. Wenngleich wir diese freilich alle unterschiedlich erlebt oder schlechtesten Falls auch durchlitten haben dürften. Wie auch immer. Gute Zeiten – schlechte Zeiten. Das eine bewahren wir nicht selten gern, das andere verdrängen wir. Ein Mechanismus unseres Hirns zum Schutze unsere Psyche. Dennoch ist das Verdrängte quasi stets da. In uns. Abgelegt im Unterbewusstsein. Was ich meine: Das uns vorliegende Buch könnte manches davon wachrufen und uns wieder ins Bewusstsein kommen. Dass das nicht immer angenehm sein wird, liegt auf der Hand. Mir ging das so. Da kam einiges hoch! Zumal ich ja fast zur gleichen Zeit wie der Protagonist des Romans, Robert S., aufwuchs (allerdings nicht wie dieser in der BRD, sondern in der DDR) – nur eben wenige Jahre später -, in welcher der Roman spielt. Doch keine Bange: Wer diesen Effekt nicht scheut und mutig damit umgeht, wird den Roman mit hohem Gewinn lesen und ohne Schaden aus dessen Lektüre scheiden. Wie schreibt Rolf Geffken so richtig im Vorwort seines Romans:

„Man kann die Wahrheit nicht ‚verbessern‘ oder ’schöner‘ machen (…).

Erst im Alter erscheint für Robert S. „die Chance, die ‚ewige‘ Kindheit abzuschließen“

Es geht um das Nachvollziehen des Lebensweges eines Menschen. Hier im Roman um die „Wahrheit“ des Protagonisten Robert S., der diese, seine, Wahrheit lange nicht erkennt. Obwohl als Erwachsener durchaus erfolgreich in der Juristerei. Sie offenbart sich ihm erst Stück für Stück mit Hilfe des Psychologen Professor Borck. Erst im Alter begreift Robert Zusammenhänge „und“, wie es im Verlagstext heißt, „erkennt – zu spät? – dass er niemals Grund hatte, seine Kindheit zu idealisieren.“ Und weiter: „Erst jetzt erscheint die Chance, die ‚ewige‘ Kindheit abzuschließen. Allerdings um die gnadenlose Abrechnung mit den ehemals geliebten Geschwistern.“

Die er liebte, trotzdem ihm vermittelt – ja geradezu immer wieder und wieder eingeimpft worden war, ein „Nichts“ zu sein. Beziehungen zu Menschen die ihm nahestanden, die er mochte, die ihn mochten, wie etwa Oma Wohlgemuth, eine Nachbarin, die er nur so nannte, wurden zerstört. Spätere Beziehungen zum weiblichen Geschlecht waren nicht von Dauer, missglückten.

Er war zu einem „Nichts“ gemacht worden. Wir kennen das bisweilen selbst: Wem so geschieht und sein Selbstbewusstsein nicht gestärkt bekommt, der versagt dann auch prompt, wenn es drauf ankommt. Am nötigen Selbstbewusstsein mangelt es dann Robert eben. Und schmerzlich ist letztlich der Verzicht auf Lebensglück. Immer ist er nur für andere da (gewesen). In Roberts Fall muss es einen da schon verwundern, dass er dennoch wer wurde. Aber zu welchem Preis!

Geffken bedient sich einer Sprache, welche jeweils mit angemessenem Werkzeug arbeitet

Rolf Geffken hat das sehr gut und einfühlsam herausgearbeitet. In einer Sprache, die, das zu erzählen, jeweils mit angemessenem Werkzeug arbeitet. So dass uns es als Leserinnen gut gelingt den Lebensprozess des Robert S. nachzuvollziehen. Und man, neugierig geworden, gefesselt weiterliest. Noch ehe Robert selbst verstanden hat, wissen wir Leserinnen. Erahnen wir den Schmerz (oder hoffen auf die Erleichterung, Befreiung?) des Protagonisten, sollte er (sich) erkennen.

Wir erleben im Grunde auch ein „Werde, der du bist“

Im Klappentext lesen wir: „Robert S. ist das fünfte Kind der Familie. An ihm vollziehen die älteren Geschwister – mit einer Ausnahme – das ‚Gesetz der Macht‘. Ein Leben lang bleibt dem immer nach Höherem (noch) Besserem Strebenden das Geheimnis des auf ihm von Anfang an lastenden Drucks, mehr zu sein als ein ‚Nichts‘ verborgen. Selbst da, wo er weit über die beschränkten Horizonte seiner spießigen und reaktionären Geschwister hinaus sein Leben vorantreibt. Allerdings wird Robert auf seine Weise sein Leben zum permanenten Prozess der Arbeit an sich selbst.“

Wir erleben im Grunde auch ein „Werde, der du bist“. Wie es Friedrich Nietzsche in „Ecce homo“ als Inspiration zur Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung beschrieb, sich selbst dabei zwischen den Jahren 1876 und 1888 an mehreren Stellen seines Werkes auf den berühmten Satz des griechischen Dichters Pindar beziehend: „Werde, der du bist“ (Quelle: Tabularasa).

Wie schwierig das ist, merkt unsereiner – wenn wir ehrlich sind – doch auch selbst. Und könn(t)en ebenfalls wissen: Viele von uns werden nie, nie, die sie sind. Es fehlt die Selbsterkenntnis bzw. die Hilfestellung, vermöge anderer, sich selbst erkennen zu lernen.

Robert hat nie – nicht vom Vater, Dr. S, General genannt, und nicht seitens seiner Geschwister physische Gewalt erfahren, jedoch spüren müssen, wie viel schlimmer, schmerzlicher und länger nachwirkend im Gegensatz dazu verbale Gewalt sein kann. Seine Geschwister, eine ihm gegenüber empathielose Schwester (quält Robert verbal seelisch) und drei Brüder (voran Feldwebel und Terrier), unterdrücken ihn mehr oder weniger. Sie machen ein „Nichts“ aus ihm. Robert aber liebt sie, hat sie immer geliebt.

Im Buch schwingt auch Nachkriegszeit mit, wo in der BRD alte Nazis wieder zu Ämtern und Würden gekommen waren. Auch der Vater des Romanprotagonisten, ein Pädagoge, ist nicht unbelastet, war in der SA.

Ebenfalls klingt im Buch „eine Erinnerung an die ganze Widersprüchlichkeit der Biografie der sogenannten deutschen ’68er Generation‘, in der trotz aller Abgrenzung das Erbe einer autoritären Vergangenheit wirksam wurde‘ an“ (Klappentext). Augenöffnend auch die Seiten, da Robert sich – vielleicht das erste Mal mutig durchsetzt – und allein auf die Suche nach dem in der DDR wohnenden Familienteil begibt. Zeitzeugnisse allenthalben. Auch die Zeit der Berufsverbote in der BRD – mit dem der Romanprotagonist – als Linker, als Marxist zu tun bekommt, scheint im Buch auf. Weshalb das Buch auch jungen Menschen zu empfehlen ist, die die ältere Geschichte von BRD und DDR wohl kaum noch so erklärt oder gelehrt bekommen, wie es nötig wäre, um sie zu verstehen.

„Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig“, heißt es im Klappentext. Dennoch dürfen wir als Leserinnen mutmaßen, dass Rolf Geffkens Roman – den ich meinen Leserinnen wärmstens ans Herz lege – zumindest autobiografische Züge trägt.

Der Roman:

Rolf Geffken

Verdammt in alle Kindheit: Verloren in den Wäldern des Mannesalters

Info: Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autoren: Geffken, Rolf
Seitenanzahl: 200
Schlagworte: Geschwister, Geschwisterbeziehung; Romane/Erzählungen, Kindheit; Romane/Erzählungen
Verlag: Isensee
EAN: 9783730816318
Preis: 12 €

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Veröffentlicht am 04.01.2020

Sind die Intellektuellen als "Stützen der Gesellschaft" oder vielmehr der Herrschenden?

Krieg nach innen, Krieg nach außen
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Soeben bei Westend erschienen: Krieg nach innen, Krieg nach außen – und die Intellektuellen als „Stützen der Gesellschaft“?

Mit gutgemeinten Wünschen gehen wir nun gemeinsam ins neue Jahr 2020. Werden ...

Soeben bei Westend erschienen: Krieg nach innen, Krieg nach außen – und die Intellektuellen als „Stützen der Gesellschaft“?

Mit gutgemeinten Wünschen gehen wir nun gemeinsam ins neue Jahr 2020. Werden nun abermals Goldene Zwanziger Jahre anbrechen – wie schon einmal? Wobei wir freilich wissen sollten, dass diese Jahre so golden wiederum – schon gar nicht für alle – waren. Wir werden sehen.

Kein gutes Zeichen m.E. ist die Tatsache, dass 2020 (…) „19 NATO-Mitgliedsländer die Militärübung „Defender 2020“, abgekürzt: DEF 20“ abhalten. „Die Führung dieses Manövers übernehmen die USA, die dazu insgesamt 37.000 Soldaten abstellen wollen. Davon sind 17.000 bereits in Europa stationiert. Der Rest wird zusammen mit zusätzlichen Panzern und anderem Gerät aus Nordamerika eingeflogen und eingeschifft, wie die US-Streitkräfte in Europa gestern bekannt gaben. Mit 20.000 Mann wären das so viele, wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr für eine einzelne Militärübung über den Atlantik gebracht wurden“, schreibt Peter Mühlbauer auf Telepolis.

Die Welt steht zwei Minuten vor Mitternacht, also kurz vor der Apokalypse

Dass der Adressat dieses Manövers Russland ist und für Moskau mit Sicherheit und verständlicherweise eine Provokation bedeuten muss ist klar. Freilich muss nicht gleich vom Schlimmsten ausgegangen werden. Doch zu bedenken gilt aber – wenn man es uns auch in Geschichts- und anderen Büchern so darlegt: Kriege brechen nicht einfach so aus. Auch schlafwandelt man nicht einfach so in sie hinein, wie es der australische Historiker Christopher Clark in seinem Sachbuch „Die Schlafwandler“ darstellt. Kriege werden in der Regel geplant. Das Schlimme: Wie ein Krieg ausgeht, ist nicht zu planen. Kriege entwickeln bekanntlich eigne Dynamiken. Fakt ist, so sagt es das „Bulletin of the Atomic Scientists“ 2018 aus und die „Doomsday Clock“ (Weltuntergangsuhr) – sie besteht seit 1947 – erneut vorgestellt: „Damit steht die Welt zwei Minuten vor Mitternacht, also kurz vor der Apokalypse.“ Darauf verweist das soeben im Westend Verlag erschienene Buch „Der kritische Wegweise der Psychologie“, herausgeben von Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch und Jürgen Günther.

Der Hintergrund des Buches

Im Vorwort des Buches heißt es zur Erklärung nach dem Warum dieses Buches: „Mit dem Symposium „Trommeln für den Krieg“ 201 und dem Kongress „Krieg um die Köpfe2 2015 hat sich die NGfP (Neue Gesellschaft für Psychologie; C.S.) eingehend mit den institutionellen und psychologischen Vorbereitungen auf Kriege und die Rechtfertigung von Kriegen aus angeblicher Verantwortung heraus, beschäftigt. Wir wollen erneut die von der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten angemahnte stärkere Beteiligung Deutschlands ans Kriegseinsätzen, die ausgeweitete deutsche Waffenproduktion und die zunehmenden Feind-Erklärungen nach außen und nach innen thematisieren und in ihren Zusammenhängen, ihren Ursachen und Auswirkungen, verstehen.“

Es gehe doch, heißt es, letztlich um „die Zementierung der bestehenden Macht- und Reichtumsverhältnisse“. Dafür werde „das innenpolitische Klima mit allen Mitteln nach rechts gerückt, soziale Sicherheiten abgebaut, Kontrollen der staatlichen Apparate über Bord geworfen, wird ein Klima des Verdachts und des Misstrauens untereinander geschaffen“.

Hingewiesen wird auf den bedenklichen Zustand unserer Gesellschaft. Darauf, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht, es an der Teilhabe an Bildung und Arbeit fehlt, die Löhne „weiterhin eingefroren“ und die Arbeitsplätze prekär seien.

Des Weiteren werden Bedenken geäußert, die beileibe nicht aus der Luft gegriffen sind (S.11): „Die neuen Gesetze aus Bayern – sie werden vermutlich in den Bund exportiert -, das Polizeigesetz und das Psychiatriegesetz, muss uns als Psychologen und Psychotherapeuten beschäftigen.“

Schon Bert Brecht fragte nach der Verantwortung der Intellektuellen

Und es geht um „Die Verantwortung der Intellektuellen“, heißt es auf der folgenden Seite, „also unsere Verantwortung?“

Von den Mächtigen werde den Intellektuellen zugemutet, „sie von ihren Verbrechen reinzuwaschen, die diese sich auf Kosten der Bevölkerung geleistet haben oder vorhaben.“

Und weiter: „Wenn die Intellektuellen diese Aufgabe übernehmen, so nicht ohne sie zugleich zu verleugnen, denn sie verletzt ihr Selbstbild des von der Macht unabhängigen nur der Wahrheit verpflichteten Vernunftbürgers.“

Die Herausgeber erinnern an Bert Brecht und dessen Auseinandersetzung mit der Figur des Intellektuellen in zwei seiner Stücke: „Leben des Galilei (1939) und „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher (1953/54).

Es wird gefragt: „Müssen wir uns als Psychologen nicht den Vorwurf gefallen lassen, den Subjekten noch bei ihrer Anpassung an im Grunde unmenschliche Zustände zu helfen, sie im Sinn der herrschenden Verhältnisse zu subjektivieren und gegebenenfalls zu pathologisieren?“

Sowie wird daran erinnert: „Die Intervention der NgfP von 2014 in die Kampagne der Bundeswehr und der Bundespsychotherapeutenkammer, deren Ziel es war, die Psychotherapeuten in die Kriegsvorbereitung einzuspannen, hat mit ihrer begrenzten Wirkung gezeigt, wie weit das Bewusstsein dieser Gruppe der Intellektuellen von der Wahrnehmung der Bedrohung entfernt ist.“

Die im Buch versammelten Beiträge von den Teilnehmerinnen des Kongresses sind hochinteressant und geeignet, sich selbst ins Bild zu setzen und mit anderen Menschen darüber zu diskutieren.

Die Leser
innen erwarten in dieser umfangreichen Sammlung gehaltvolle Beiträge von Norman Paech, Susanne Schade und David Lynch, Werner Ruf, Werner Rügemer, Katharina Stalhlmann und vielen anderen.

„Stützen der Gesellschaft“

Hochinteressant und kennzeichnend ist bereit der erste Beitrag (ab s.14) im Buch: „Stützen der Gesellschaft“ – Die Position der Intellektuellen im Diskurs mit der Macht.

Da geht Bruder auf die jüngsten Entwicklungen in Venezuela ein, wo „der Putschist als Staatsmann herumgereicht“ worden ist. Bruder verweist auf den Völkerrechtler Norman Paech: „Dem beabsichtigten Völkerrechtsbruch geht die Zerstörung der Demokratie im Inneren voraus. Den ‚Rückfall in die koloniale Praxis‘ kann sich nur eine Kolonialmacht leisten, beziehungsweise eine, die diesen Status anstrebt und auch innenpolitisch vorbereitet.“

Dies Krieg seien nur möglich, so Bruder, „wenn dem Krieg nach außen ein Krieg im Inneren sekundiert. Wenn die Straßen nach Osten Panzerfest gemacht werden, wenn der Transport von Kriegsmaterial Vorfahrt vor dem zivilen bekommt, sind die Verspätungen bei der Bahn, Staus auf den Autobahnen also Kriegstribute auf Kosten Bevölkerung (IMI-Analyse, 1/2019).“ Hier nachzulesen.

„Stützen unserer Gesellschaft – diese Bezeichnung“, erklärt Klaus-Jürgen Bruder auf S.15 unten, „haben wir von einem Bild von George Grosz (1893-1959) übernommen.“

Welches der Autor erklärt. In der Schwarzweißabbildung allerdings etwas schwer zu erkennen. Hier ist es besser zu sehen und ausführlich beschreiben.

Grosz, so Bruder, habe „mit diesem Bild der Weimarer Republik den Spiegel vorgehalten: Die Stützen der Gesellschaft sind die des alten Regimes.“

„Unsere wichtigsten Intellektuellen“?

Und wie schaut es heute aus?

Da bildet Bruder „Unsere wichtigsten Intellektuellen“, erschienen zum 1. Mai 2006 in der Zeitschrift „Cicero“ ab.

Zur Abbildung schreibt Bruder: „Die Intellektuellen selbst verstehen sich ja gerne als kritische Mahner ihrer Zeitgenossen, als Gewissen der Gesellschaft:“

Wen sehen wir da als „Unsere wichtigsten Intellektuellen“? Hans-Werner Sinn, Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser, Jürgen Habermas, Peter Handke, Alice Schwarzer, Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk, Stefan Aust und Elfriede Jelinek.

Bei dem einen oder anderen Namen dürften meine Leserinnen mit Kopf schütteln.

„Ausgerechnet die Medien!“

Klaus-Jürgen Bruder fragt: „Wie ist diese Liste zustande gekommen?“ Und führt aus: „Die Grundlage bilden die 160 wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Aus diesen wird erhoben, wie häufig auf die einzelnen Personen Bezug genommen wird. Sodann werden in einer Internetrecherche deren Zitate erfasst und Treffer in der wissenschaftlichen Literaturdatenbank ‚Google Scholar‘ gezählt. Schließlich wird ihre Vernetzung anhand von Querverweisen im biografischen Archiv Munzinger festgestellt.“ Aha!

Vielleicht fragt daraufhin Bruder nicht zu unrecht: „Wird damit – mit dieser Methode der Erhebung der ‚wichtigsten Intellektuellen‘ Deutschlands nicht gerade ihre Rolle (Funktion) als Stützen der Gesellschaft bestätigt? Die Intellektuellen als diejenigen, die die Medien uns als solche präsentieren?“

Und wenige Zeilen weiter trifft der Autor den Nagel auf den Kopf: „Ausgerechnet die Medien! – jene „Vierte Gewalt“, deren Gewalt (Macht) darin besteht, dass sie die Ideen der Herrschenden zu herrschenden Ideen macht – und dafür sorgen, dass diese es bleiben.“

Wenn Intellektuelle zu aalglatten Opportunisten werden

Apropos Hans-Magnus Enzensberger. Im Kapitel „Die Medienintellektuellen und der Kreuzzug gegen die Aufklärung und die konkrete Utopie“ merkt Michael Schneider auf Seite 32 – nachdem er an den das Willy Brandt-Wort „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“, welches wiederum auf dem Konsens „Nie wieder Krieg!“ beruhte, erinnert hat, an: „Doch mit dem Zweiten Golfkrieg von 1991 wurde dieser Konsens zu ersten Mal schwer erschüttert. Im Trommelfeuer US-amerikanischer Kriegspropaganda transformierten sich smarte, wortgewandte Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler zu aalglatten Opportunisten und Bellizisten. Allen voran Hans-Magnus Enzensberger, der – getreu der CIA-Sprachregelung – in Saddam Hussein einen ‚Widergänger Hitlers‘ sah, und die deutsche Friedensbewegung der Appeasement-Politik beschuldigte.“ Ins gleiche Horn habe damals Wolf Biermann getutet, schreibt Schneider zu Biermann, den, wie ich finde, der Bildhauer Alfrede Hrdlicka seinerzeit in einem Offenen Brief zurief: „Arschloch!“ – „Verbrecher“ – DU bist ein Arschkriecher – ein Trottel!“

Später habe auch der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, den Joschka Fischer damals gerecht nannte, weil der neues Auschwitz verhindere, in Enzensberger einen Befürworter gefunden. Enzensberger hat noch öfters derartige Volten geschlagen, ohne dass es ihm schadete. Schneider nennt auch andere deutsche und französische Intellektuelle wie André Glucksmann, Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy, die sich ähnlich bellezistisch äußerten.

Schneider dazu (S.33): „Statt öffentlich darüber zu räsonieren, warum sich Kriege nun mal nicht vermeiden lassen – stünde es Intellektuellen und Wissenschaftlern nicht viel besser an, öffentlich darüber nachzudenken, wie und unter welchen Umständen sich Kriege vielleicht doch vermeiden ließen?“

Das Buch ist in vier Hauptkapitel unterteilt. Jedes für sich kann im Wesentlichen mit Gewinn gelesen werden:

„Eine neue reaktionäre Hegemonie“ (S.39). Für mich ragten darin besonders Susanne Schade und David Lynch mit ihrem Beitrag „Blasphemie in Michel Houllebecqs Roman „Unterwerfung“ – Eine linguistische und psychoanalytische Interpretation“ (S. 81) heraus.

In „Intellektuelle als freie Radikale“ (S.119) möchte ich besonders herausheben: Kurt Gritsch: „Gegen Krieg und Propagandasprache – Peter Handkes „Gerechtigkeit für Serbien“ im Kontext seiner Journalismuskritik (S.132).

In „Die Verantwortung von Intellektuellen in der Wissenschaft“ (S.187) war ich besonders gefesselt von Werner Ruf: „Die Domestizierung der Friedensforschung“ – Paradigma für die neoliberale Gleichschaltung der Wissenschaft?“ (S.189).

Interessant aber auch: Ansgar Schneider: „Wissenschaft, Medien und der 11. September“ (S.213)

Das Kapitel „Nicht ohne Umwälzung der Verhältnisse“ (S.255) zog mich besonders in Bann mit Fabian Scheidler „Ausstieg aus der Megamaschine. Warum sozialökologischer Wandel nicht ohne eine Veränderung der Tiefenstrukturen unserer Wirtschaft zu haben ist (S.287).

Auch wäre aus meiner Perspektive zu nennen: Werner Rügemer mit seinem Beitrag „Aus der Defensive gegen das Kapital. Gründung und Vorgehen der Aktion gegen Arbeitsunrecht (S.306)

In „Psychotherapie und Gesellschaft“ weckten beide Unterkapitel Katharina Stahlmann: „Das Gesellschaftliche am individuellen Leiden – Das Politische an Psychotherapie – Die politische Verantwortung von Psychotherapeut
innen“ (S.319) und Falk Sickmann. „Ethik und Psychoanalyse – Normierende Effekte in der psychoanalytischen Kur“ (S.334) näheres Interesse bei mir.

Andere Leserinnen werden sich gewiss an anderen Texten festlesen und diese Beiträge favorisieren.

Ein wichtiges Buch hinsichtlich der Vergewisserung der darin versammelten Autor
innen, der Intellektuellen betreffs deren Verantwortung angesichts der immer mehr ausgeweiteten Kriege und ihrer politischen Rechtfertigung.

Uns Leser mahnt dieses Buch genau hinzuschauen und hinzuhören, was uns nicht nur Politiker, sondern auch bestimmte Intellektuelle – agierend als „Stützen der Gesellschaft“ – beibiegen oder schönreden wollen. Erinnern wir uns der eingangs erwähnten Weltuntergangsuhr, die auf zwei Minuten vor Mitternacht gestellt worden ist. Und der damit einhergehenden Gefahr eines wieder für führbar (mit kleineren, modernisierten, Atombomben) gehaltenen Atomkriegs.

Die Bezeichnung, der Stempel – besonders, wenn von den Medien ausgeteilt – „Intellektuelle“ sollte uns nicht dazu verleiten das von ihnen Verlautbarte unhinterfragt und blindlings zu glauben. Diesbezüglich dürfte auch Albrecht Müllers Buch im Westend Verlag gewordener Hinweis „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ hilfreich anzuwenden sein.

Der kritische Wegweiser der Psychologie

Die hier versammelten AutorInnen fragen nach der Verantwortung der Intellektuellen angesichts der immer mehr ausgeweiteten Kriege und ihrer politischen Rechtfertigung. Sie thematisieren die zunehmende und stärkere Beteiligung Deutschlands an Kriegseinsätzen, die ausgeweitete deutsche Waffenproduktion und bieten Ansätze, diese in ihren Zusammenhängen, ihren Ursachen und Auswirkungen zu verstehen. Mit Beiträgen von: Norman Paech, Susanne Schade und David Lynch, Werner Ruf, Werner Rügemer, Katharina Stahlmann und vielen anderen.

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