Frauen-Dystopie
Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der eine große Gruppe nichts mehr sagen darf? Wie fühlt ein Mensch sich, der seine Stimme nur für 100 Wörter am Tag klingen lassen darf?
Christina Dalcher gelingt es ...
Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der eine große Gruppe nichts mehr sagen darf? Wie fühlt ein Mensch sich, der seine Stimme nur für 100 Wörter am Tag klingen lassen darf?
Christina Dalcher gelingt es in ihrem utopischen Roman ganz hervorragend, dieses erschreckende Szenario darzustellen. Ganz eindeutig ein dystopischer Roman, zumindest aus Frauensicht, denn um die Unterdrückung aller Frauen in Amerika geht es in diesem Buch, das allenfalls wenige Jahre in der Zukunft spielt, wenn überhaupt.
Die neue amerikanische Regierung beschließt, dass Frauen wieder die Rolle einzunehmen haben, die ihnen von Natur aus - und erst recht aus Sicht religiöser Fanatiker die in der Regierung vornehmlich vertreten sind - zusteht: Den Mann als Herrn betrachten und sich ausschließlich um Familie und Heim kümmern. Keine darf mehr berufstätig sein und sämtliche akademischen Titel werden ihnen aberkannt. Der grausamste Schritt ist jedoch die Limitierung ihrer Sprache, denn sie dürfen lediglich 100 Wörter am Tag sprechen. Um das zu kontrollieren trägt jedes weibliche Wesen einen Wortzähler am Handgelenk (nein... ich werde sie nicht Armband nennen), der ihnen notfalls schmerzhaft zu verstehen gibt, wenn sie über diese Erlaubnis hinaus gesprochen haben. Jean ist 4fache Mutter und war Wissenschaftlerin. Sie leidet stark unter dieser Entrechtung, zumal sie u. a. eine kleine Tochter hat.
Schnell entwickelt sich ein sehr bedrückendes Klima in dieser Geschichte. Es packt einen das Grauen und zugleich auch Unverständnis, dass der männliche Teil der Bevölkerung so still bleibt und dies alles geschehen lässt, bis es zu spät ist, einfach die Uhr zurück zu drehen. Schließlich ist ein großer Teil der Männer verheiratet, hat Töchter und jeder hat eine Mutter.
Alles erinnert mich unweigerlich an die Machtübernahme der Nazis in den 30er Jahren. Auch da begann alles langsam und allmählich und als das Feindbild erkannt und die Hemmungen erst einmal gefallen waren, empfand der größte Teil der Bevölkerung sämtliche rassistischen Übergriffe und Einschränkungen nahezu als normal oder sogar begründet.
Der Roman entwickelt sich immer mehr zu einem packenden Gesellschafts-Thriller, der langsam aber stetig Fahrt aufnimmt. Mich hat er von der ersten Seite an mitgenommen und mitgerissen. Der Schreibstil ist hervorragend zu lesen und ich hoffe, dass von dieser Autorin noch viele Romane erscheinen werden. Ich bin überhaupt keine SiFi-Leserin und erst recht keine von Dystopien - dieses Buch jedoch hat mich absolut überzeugt!