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Veröffentlicht am 07.10.2020

Eine Nobelpreisträgerin wie aus dem Märchen

Selma Lagerlöf - Die Liebe und der Traum vom Fliegen
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Eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre märchenhafte Prosa den Literaturnobelpreis erhält, die bereits vor der Jahrhundertwende die Grenzen Europas überwindet, auf Eseln und Kamelen reitend ...

Eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre märchenhafte Prosa den Literaturnobelpreis erhält, die bereits vor der Jahrhundertwende die Grenzen Europas überwindet, auf Eseln und Kamelen reitend die Welt dahinter erkundet - und die Frauen liebt. Hat es so etwas tatsächlich gegeben in der so steifen, von der viktorianischen Ära und dem Kaisertum geprägten engen europäischen Welt?

Die Antwort ist ja. Nämlich Selma Lagerlöf. Die ein ganz besonderer Mensch war, die aber auch das Glück hatte, in einer Art geschützten Enklave aufzuwachsen, nämlich inmitten einer warmherzigen Großfamilie in Europas Norden, nämlich in Schweden. Da, wo sich der Geist schon ein kleines bisschen mehr geöffnet hatte, als dies in vielen anderen Ländern - so auch den deutschsprachigen - der Fall war.

Maria Regina Kaiser hat ein ganz besonderes Werk über sie geschaffen, nämlich eine Romanbiografie, in der sie versucht, das Wesen und die Sehnsüchte der großen Autorin zu ergründen. Auch wenn ihr eine Riesenmenge an Dokumenten - sowohl Primär- als auch Sekundärliteratur- zur Verfügung stand, ist dies aus meiner Sicht ein außerordentlich bewundernswertes Unterfangen - und dazu ein sehr gelungenes. Auch wenn in einer Romanbiografie die subjektive Sicht ausdrücklich erlaubt ist, schafft Autorin Kaiser einen ebenso liebevoll wie sorgfältig gestalteten Rahmen für den Leser, in dem er sich bequem bewegen, sich weiter informieren und seine eigene Meinung herausbilden kann. Dieser besteht aus einem ausführlichen Nachwort und aus einem noch ausführlicheren Anhang mit Zeittafel, Auflistung der wichtigsten Personen und Orte um Selma Lagerlöf und einer Literaturliste.

Ich bin wirklich begeistert von diesem Werk, auch wenn ich es manchmal zu stark in eine Richtung gehend, andererseits wieder in anderen Fällen zu wenig ausführlich empfinde. Doch die Autorin hat hier so sorgfältig gearbeitet, dass sie mir über die von ihr geschaffene Romanbiografie hinaus die Möglichkeit gibt, mein Bild von Selma Lagerlöf selbst zu vervollständigen, es in die ein oder andere Richtung weiter zu entfalten. Ein Buch, mit dem ich letztendlich wunschlos glücklich bin!

Veröffentlicht am 01.07.2020

Familie, wohin man blickt!

Vaters Wort und Mutters Liebe
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Wie sollte es auch anders sein bei einer zweistelligen Zahl von Kindern/Geschwistern. Die Familie von Pentti und Siri hat sich im Nachkriegsfinnland entwickelt, die Kinder sind in einer Zeitspanne von ...

Wie sollte es auch anders sein bei einer zweistelligen Zahl von Kindern/Geschwistern. Die Familie von Pentti und Siri hat sich im Nachkriegsfinnland entwickelt, die Kinder sind in einer Zeitspanne von etwa 30 Jahren geboren, nicht alle haben überlebt.

Eine Familie voller Eigenarten, voller unterschiedlicher Charaktere und Interessen - die Autorin widmet sich jedem Mitglied, auch den beiden jüngsten, die noch im Grund- und Vorschulalter sind.

Schnell zeigt sich: kompliziert und unversöhnbar ist Pentti, der Vater. Nur wenige Kinder stehen ihm einigermaßen nahe, die meisten sind ganz klar ihrer Mutter Siri zugewandt. Denn schnell wird deutlich: dies ist eine Familie mit Fronten. Die sich zwar von Zeit zu Zeit verschieben, immer jedoch klar sind. Der Zusammenhalt der ganzen Riesenfamilie, der ist irgendwann, vor langer Zeit, verschütt gegangen.

Autorin Nina Wähä hat einen ganz eigenen Stil, der mal eher locker flockig, dann wieder ernsthaft ist - sie hat ihren Roman strukturiert wie einen Kriminalfall oder ein Bühnenstück, spricht die Leser durchaus auch mal direkt an und zeigt ganz deutlich, dass sie selbst im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Nichtsdestotrotz gibt sie jedoch einen tiefen Einblick in die Vergangenheit Finnlands - auch das in einem eher leichtfüßigen Stil.

Inhaltlich allerdings ist dieses Buch alles andere als oberflächlich. Schon jetzt bin ich überzeugt, dass dies eines der Bücher sein wird, an die ich mich mein Leben lang erinnern werde, auf das ich mich beziehen bzw. verweisen werde. Gewissermaßen eine Perle, wenn auch eine mit ein paar unebenen Stellen. Aber hier schreibt eine Autorin, die ihren eigenen Weg geht und hoffentlich auch noch mehrfach gehen wird, soviel ist mal sicher!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.06.2020

Klein-Hannah war ein freches Ding

Hannah Arendt
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So hätte man das in den Jahren ihrer Kindheit gesagt: aufmüpfig und störrisch hätte man sie genannt! Denn es waren andere Zeiten als heute! Ein Mädchen hatte sich anzupassen, brav zu sein und nicht nach ...

So hätte man das in den Jahren ihrer Kindheit gesagt: aufmüpfig und störrisch hätte man sie genannt! Denn es waren andere Zeiten als heute! Ein Mädchen hatte sich anzupassen, brav zu sein und nicht nach Wissen zu streben.

Nein, sie hatte eine gute Hausfrau zu sein und wenn sie unbedingt glänzen wollte, dann mit einem leckeren Sonntagsbraten oder einer sauberen Stickarbeit. Das alles war jedoch sowas von weit weg von Hannah Arendt, schon in den Jugendjahren ging sie ihren eigenen Weg. Sie hat sich echt was getraut, nämlich sich zu wehren: wenn sie etwas falsch fand, riskierte sie mal eben einen Aufstand. Und flog dafür von der Schule.

Damit nicht der Eindruck entsteht, ich wolle hier jemanden aufhetzen: das sollte man nur dann nachmachen, wenn man sich sicher ist, dass man auch so seinen Weg macht. War Hannah sicher nicht, aber sie hat das Abi auch so gemacht und auch ein Studium gewuppt.

Hannah war also immer eine, die bereit war, den schwereren Weg zu gehen, wenn nötig. Auch, als sie bereits die große Hannah war.

Ein Kinderbuch, das man den Kindern präsentieren sollte, denen man wünscht, dass sie sich zu eigenständigen Wesen mit einer eigenen Meinung entwickeln - also eigentlich allen, hoffe ich! Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch Erwachsene Freude an diesem ganz besonderen Bilderbuch haben werden! Mit Zeichnungen, die Hannahs Lebensweg nachgehen, der vielleicht gar nicht sooo interessant ist für die ganz Kleinen. Aber das macht nichts, denn sie können mit dem Buch wachsen und es auch in späteren Jahren nochmal lesen. Das ist nämlich eines, das (zunächst) kleine Leser ihr Leben lang begleiten kann. Und auch ihren erwachsenen Verwandten jede Menge Freude bescheren wird! Einfach toll!

Veröffentlicht am 14.06.2020

Ende und Anfang in Holt

Kostbare Tage
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"Kostbar", das bedeutet für jeden Akteur in diesem Roman etwas anderes: für die Familie Lewis: Vater Dad, Mutter Mary und Tochter Lorraine, die über ihre besten Jahre bereits hinaus ist, erleben ...

"Kostbar", das bedeutet für jeden Akteur in diesem Roman etwas anderes: für die Familie Lewis: Vater Dad, Mutter Mary und Tochter Lorraine, die über ihre besten Jahre bereits hinaus ist, erleben ihre letzten Monate, Wochen oder auch nur Tage als Familie, denn bei Dad wurde Krebs im Endstadium festgestellt. Lorraine kehrt aus diesem Grund zurück ins Elternhaus - es ist ein warmherziger Umgang, den die Drei miteinanander pflegen, auch wenn nicht alles in der Familie eitel Sonnenschein war, denn Sohn Frank ist seit Jahrzehnten abgängig, niemand weiß, wo er sich befindet.

Dad Lewis ist ganz klar die Hauptperson in diesem Roman, er lässt sein Leben Revue passieren, zum Ende des Romans und seines Lebens hin wird der Leser auch Zeuge seiner Halluzinationen. Diese werden mit der Haruf eigenen Klarheit und einer gewissen Reduziertheit dargestellt, die diesen Vorgang zumindest aus meiner Sicht durchaus realistisch wirken lässt.

Doch gibt es weitere Handlungsstränge, den um die kleine Alice, die gerade ihre Mutter verloren hat - ebenfalls an den Krebs - und nun von ihrer Großmutter, der direkten Nachbarin der Lewis' aufgenommen wird. Für sie bedeutet Holt also einen Neubeginn. Lorraine kümmert sich ebenso wie zwei weitere Bürgerinnen der Stadt; Mutter und Tochter Johnson, intensiv um sie und schnell wird deutlich, dass alle drei Frauen durch den Umgang mit dem Kind eine große Bereicherung erfahren. Als absolutes Highlight habe ich eine Badeszene der vier weiblichen Wesen (Alice kann man ja noch nicht als Frau bezeichnen) in einem Wassertrog auf der Weide empfunden, die für alle vier etwas Neues, ein ganz besonderes Erlebnis darstellt. Ein anderer handelt vom neuen Pfarrer Reverend Lyle, der es nicht gerade leicht hat - vielmehr macht er es sich selbst unendlich schwer. Und all diese Figuren wie auch eine mehr finden sich im Hause Lewis zusammen.

Kent Haruf erzählt mit einer gewissen Distanz, dennoch mit Wärme von seinen Helden des Alltags und immer wieder ist es ganz schön starker Tobak, den sie da durchmachen müssen. Doch immer wieder sind es Momente des Zusammenhalts, der Hilfsbereitschaft, der gegenseitigen Wertschätzung, die eine Wendung bringen und so klappt der Leser - zumindest ich - am Ende das Buch mit einem sehr warmen, wohligen Gefühl im Bauch zu.

Es ist ein leises Buch, aber dennoch eines mit Schwung, eines, in dem ordentlich Handlung drin vorkommt, man sollte nur bereit sein, sich darauf einzulassen. Mit seinem Roman über Helden des Alltags in Nordamerika stellte sich der Autor Kent Haruf - leider bereits 2014 verstorben - in eine Reihe mit Autorinnnen wie Anne Tyler, deren Romane alle in Baltimore spielen oder auch der kanadischen Nobelpreisträgerin Alice Munro, deren Erzählungen ebenfalls an einem Ort angesiedelt sind. Ein Schriftsteller, der etwas zu sagen hat und den es sich kennenzulernen lohnt!

Veröffentlicht am 16.05.2020

Frauen hatten es nicht leicht

Die Tote in der Sommerfrische
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Nein, ganz und gar nicht. Vor allem nicht die, die am unteren Ende der sozialen Abstufung standen, doch nicht nur - auch diejenigen aus besseren Kreisen kamen oft nicht zu Potte. Wie hier Viktoria Berg, ...

Nein, ganz und gar nicht. Vor allem nicht die, die am unteren Ende der sozialen Abstufung standen, doch nicht nur - auch diejenigen aus besseren Kreisen kamen oft nicht zu Potte. Wie hier Viktoria Berg, die Lehrerin werden will. Genauer gesagt, ist sie das schon, denn ihre Ausbildung konnte sie durchsetzen. Auch wenn ihr Vater eigentlich eine lukrative Heirat für sie ins Auge gefasst hat und ihr deshalb noch vor Antritt der ersten Stellen einen schicken Urlaub - damals als Sommerfrische bekannt - auf Norderney spendiert.

Doch Viktoria wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht ein Herz für Menschen hätte, die nicht so auf der Sonnenseite des Lebens stehen. So ist die Bekannte, die sie gleich zu Beginn ihrer Ferien trifft, auch keine Gleichgestellte, sondern ein Hausmädchen aus ihrem Hotel, dem sie früher das Lesen beigebracht hat. Wie furchtbar, dass diese kurz darauf tot aus dem Wasser gefischt wird! Und zwar von dem jungen Journalisten Christian Hinrichs, der ebenso wie sie selbst ein großes Interesse an der Aufklärung der Hintergründe dieses Todesfalls zu haben scheint!

Wundervoll spannend kommt dieser Krimi daher, in dem es Schlag auf Schlag geht - Autorin Elsa Dix legt auch im ruhigen Norderney ein gehöriges Tempo vor. Wobei sie jedoch, was die atmosphärische und historische Einbettung angeht, niemals aus dem Rahmen fällt. Nein, im Gegenteil: sehr gekonnt führt sie den Leser in die sozialen Verhältnisse im Jahre 1912 ein und lässt ihn ebenso versiert die Seeluft der damaligen Zeit schnuppern - ich habe mich während der gesamten Lektüre perfekt in die damalige Umgebung versetzt gefühlt.

Einfach herrlich, obwohl der Todesfall ein so trauriger ist. Aber Ella Dix versteht es, eine Leichtigkeit in die Handlung zu bringen, die an keiner Stelle oberflächlich ist und sogar - immer sehr passend - hier und da ein wenig Humor einbringt. Viel zu schnell musste ich das ausgelesene Buch aus der Hand legen und freue mich nun schon auf den nächsten Band - denn Viktoria Berg wird uns weiterhin als Krimiheldin erfreuen!