Das wahre Leben - wäre es nicht schreiend komisch, würde es mich wohl deprimieren
Bin noch da
Roman
Rowohlt Polaris
Autor: Sven Stricker
ISBN 978-3-499-00195-6
448 Seiten
erschienen am 18. August 2020
Bin noch da heißt der neue Roman von Sven Stricker in dem es um eine Vater-Sohn-Beziehung ...
Bin noch da
Roman
Rowohlt Polaris
Autor: Sven Stricker
ISBN 978-3-499-00195-6
448 Seiten
erschienen am 18. August 2020
Bin noch da heißt der neue Roman von Sven Stricker in dem es um eine Vater-Sohn-Beziehung geht. Oder vielmehr um eine Vater-Sohn-Beziehung die nie wirklich bestand?! - Aber schön der Reihe nach.
Moritz Liebig ist 37 Jahre alt und hat ein eigenes Café. Er lebt mit seiner Frau Jessy und seinem Sohn Elias in einer Wohnung im vierten Stockwerk und ist - so gut es geht - zufrieden. Zu seinen Eltern und seiner Schwester Nina hat er seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr und er bildet sich gern ein, sie auch nicht zu vermissen. Mit 18 ist er zu Hause ausgezogen und hat seitdem sein Elternhaus nicht mehr betreten.
In seinem Café steht er oft selbst hinter dem Tresen und vergibt jedem Kunden in Gedanken einen Namen. Mir gefällt diese Marotte von ihm. Er schaut sich den Menschen vor ihm an und denkt "mhmm, das könnte eine Lily sein, und diese eine Lotte und die dort am Ende der Schlange steht, könnte eine Lea sein". Bis plötzlich ein Karlheinz vor ihm steht. Sein Karlheinz. Sein Vater. Sein Vater, der nie auch nur einen Schritt in sein Café oder eine seiner Wohnungen gesetzt hatte. Doch mit freudigen Nachrichten kommt Karlheinz nicht. Stattdessen teilt er Moritz mit, dass seine Mutter verstorben sei und er auch sterben möchte. Er käme nur nicht an das notwendige Medikament heran. Auch wenn Moritz all die Jahre keinen Kontakt zu seinen Eltern hatte und erstaunt ist, dass seine Mutter bereits seit drei Monaten tot ist und er nicht einmal zur Trauerfeier eingeladen war, seinem Vater helfen aus dem Leben zu scheiden, das will er nun auch nicht. Kann er seinem Vater diesen Wunsch verweigern? Er, Moritz, der sich die ersten 18 Jahre seines Lebens immer gewünscht hatte, dass sein Vater ihn begleitet, für ihn da ist? Dessen Nähe er gesucht hat, sie aber nie bekommen hat. Und jetzt soll Moritz für ihn da sein und ihn begleiten? Beim Sterben?
"Sie nehmen dir nach und nach alle Vergnügungen, das sag ich dir, dann lebst du zwar noch, aber es gibt keinen Grund mehr dafür." - Seite 73
Bei aller Miesepetrigkeit, die Karlheinz an den Tag legt, muss ich trotzdem immer wieder herzlich lachen. Der Roman ist mit einem trockenen unterschwelligen Humor geschrieben, der mich - trotz der ernsten Lage - zum Lachen bringt. Sven Stricker hat eine ganz eigene Art diese Geschichte zu erzählen. So echt, so unverfälscht und mit den Tücken, die das Leben so mit sich bringt. Freunde, Unsicherheiten, Sehnsüchte und familiäres Zusammenleben, Missverständnisse und Freude - ein bunter Strauß an Menschen, Erlebnissen und Gefühlen, die sich am Erlebten festmachen. Die Charaktere wirken echt mit ihren Ecken und Kanten und schon bald fühle ich mich genauso heimisch in der Stadt, in dem Mehrfamilienhaus, in der Straße, in der das Elternhaus steht und im Café, als würde ich dort selbst ein- und ausgehen.
Ich habe das Buch gern gelesen, weil es mir zeigt das - egal wie schwer es in manch einer Lebenssituation sein mag und egal wie verquer es auch gerade läuft - es sieht von außen betrachtet gar nicht so schlimm aus. Schlimm ist es in der Situation nur für einen selbst. Und man selbst ist der Meister, der das Geschick in seinem Wirkungskreis beeinflussen kann.
Bin noch da bringt mich zum Lachen und regt mich ebenso zum Nachdenken an. Ein wundervoller Roman.
Fazit
Bei aller Ernsthaftigkeit des Lebens und der Geschichte habe ich auch immer viel Freude beim Lesen gehabt und laut aufgelacht.
Ein Buch, dessen Geschichte, dessen Wahrheit wohl deprimieren würde, wäre es nicht mit diesem köstlichen Humor geschrieben.
Bin noch da - ein Roman, der einem zeigt, dass man gar nicht so allein ist auf dieser Welt mit seinen ganzen Empfindungen.