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Veröffentlicht am 01.01.2021

Behaglich und süß - mehr aber leider nicht.

Sweet like you
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"Sweet Like You" war mein letztes Buch des Jahres 2020 und gleichzeitig mein zweiter Buddyread, diesmal mit Sofia von "Sofias kleine Bücherwelt". Jetzt weiß ich einmal mehr, warum "Buddyreading" überall ...

"Sweet Like You" war mein letztes Buch des Jahres 2020 und gleichzeitig mein zweiter Buddyread, diesmal mit Sofia von "Sofias kleine Bücherwelt". Jetzt weiß ich einmal mehr, warum "Buddyreading" überall im Trend ist: es steigert das Lesevergnügen und vertieft die Leseerfahrung einfach ungemein, wenn man sich noch während dem Lesen mit einer anderen Person über tolle und ausbaufähige Aspekte der Story austauschen, über den Fortlauf der Handlung spekulieren und durch die Sichtweise des anderen einen anderen Blickwinkel auf die Geschichte einnehmen kann. Nach einigen Diskussionen ist mir jetzt klar: diese Liebesgeschichte hat mich behaglich und süß über das Jahresende gebracht - mehr aber leider nicht.

Die Gestaltung ist einfach zauberhaft. Nicht nur dass das Cover mit dem hellbeigen Hintergrund, den Tannenzapfen, Blättern und dem Etikettartigen Hintergrund des Titels total heimelig aussieht, auch innerhalb der Buchdeckel ist "Sweet Like You" wundervoll gestaltet. Das beginnt schon mit den Leselaschen. In diese sind nämlich zwei Rezepte abgedruckt. In der vorderen Lasche laden Beas berühmte Erdnussbutter-Honig-Cookies zum Nachbacken ein, während ganz am Ende der Geschichte eine Anleitung zur sehr einfachen Herstellung von Nicks Lippenpeeling mit Honig zu finden ist. Ich finde ergänzende Rezepte und Anleitungen sowieso immer eine tolle Idee, hier hat sich das Verlagsteam aber wirklich besonders viel Mühe mit der Ausgestaltung gegeben! Ebenfalls sehr passend finde ich die kleine gezeichnete Biene, die jeden der 24 Kapitelanfänge ziert. Was äußerst selten vorkommt ist außerdem, dass mir der neue Titel des Kyss Verlags sogar besser gefällt als der Originaltitel der englischsprachigen Ausgabe "Her Purrfect Match".


Erster Satz: "Cassie Wilkerson neigte den Oberkörper nach vorn, um in den herabschauenden Hund zu kommen, und atmete tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus."


Robyn Neeley startet ganz gemütlich mit einer Yoga-Übung in den ersten Teil ihrer neuen Honey-Springs-Reihe. Zuerst sind wir aber noch gar nicht in dem beschaulichen Dorf in Kalifornien mit 5000 Einwohnern (von denen 4000 einen Stachel haben) und einem Faible für Honig, sondern in Cassies Büro in New York. Seit sie mit ihrer Mutter wegen eines Streits mit ihrer Tante vor Jahren aus Honey Springs weggezogen ist und ihre Teenager-Liebe Nick zurücklassen musste, war sie nicht mehr an ihrem ehemaligen Sehnsuchtsort und hat sich stattdessen in der Großstadt eine Karriere in einer Werbeagentur aufgebaut. Als sie dann zur Testamentseröffnung ihrer Tante in die Kleinstadt zurückkehrt, erwarten sie drei schockierende Neuigkeiten. Erstens: Ihre Tante Etta hat ihr die Farm samt Imkerei und Ländereien vererbt. Zweitens: Sie soll die Interimsbürgermeisterin der Kleinstadt sein, bis in drei Wochen ein neuer Bürgermeister gewählt wird. Und drittens: Ihre ehemalige Jugendliebe Nick arbeitet immer noch auf der Farm ihrer Tante und weckt nach all den Jahren noch Gefühle in ihr...


"Ich war so auf das Chaos hier unten auf der Erde konzentriert, dass ich ganz vergessen habe, zum Himmel aufzuschauen." Sie senkte ihren Kopf wieder. "Danke, dass du mich daran erinnert hast."


Anders als das zuckersüße Setting mit Kleinstadtromantik und Honig- und Bienenmerch überall vermuten lässt, bietet sich Cassie ein äußerst frostiger Empfang, als sie von ihrem unverhofften Erbe und dem Bürgermeisteramt nicht allzu begeistert ist. Eigentlich will sie viel lieber schnell zurück nach New York und einen wichtigen Pitch vorbereiten. Ihre Mitarbeiter und vor allem die inoffizielle Bienenkönigin und offizielle Café-Besitzerin Bea machen ihr das Leben schwer und spielen ihr eine Menge böser Streiche. Vor allem Madison und Bea, die Cassie ohne jeden ersichtlichen Grund loswerden wollen, haben dabei aber eher als Nebenfiguren genervt als die Geschichte vorangebracht. Die Verbohrtheit, mit der viele der Kleinstadtbewohner Cassie begegnen, ist an manchen Stellen nicht nur lächerlich, sondern mir gänzlich unverständlich. Klar, Cassie hat sich beim ein oder anderen Anlass auch ein bisschen unglücklich angestellt und stellte mit ihrer Naivität auch ein leichtes Opfer dar, sie derart abzulehnen und zu demütigen ist aber trotzdem auf keinen Fall angebracht.
Einzig und ausgerechnet Nick, dem Cassie mit ihrem Wegzug das Herz gebrochen hatte und der insgeheim verärgert ist, dass Etta nicht ihm die Farm vererbt hat, ist ein freundliches Gesicht und hilft Cassie, wo er nur kann. Mit seiner fürsorglichen Art muss man ihn einfach mögen, auch wenn er im Verlauf der Geschichte ein bisschen blass und der eindimensionale Good-Guy bleibt. Trotz dass Robyn Neeley hier einen personalen Erzähler gewählt hat und somit zwischen den beiden Erzählperspektiven von Nick und Cassie wechseln kann, liegt ein klarer Fokus auf Cassie, von deren Gedanken und Gefühlen wir mehr mitbekommen. Warum meine bevorzugte Erzählperspektive bei Liebesgeschichten die Ich-Perspektive ist und bleibt, hat sich auch hier wieder gezeigt: durch einen Er-Erzähler kann man einfach keine so große Nähe zu den Figuren aufbauen.


"Sie brachte die Lippen an Belles Ohr und flüsterte: "Willst du ein Geheimnis wissen?" Die Katze blickte sie unter halb geschlossenen Lidern schläfrig an. "Ich mag ihn auch."


Neben den Figuren an sich war ich auch ein bisschen von ihrer Beziehung zueinander enttäuscht. Trotz dass die beiden schon erwachsen sind, erinnert die Atmosphäre zwischen ihnen eher an einen Young Adult Roman, denn bis auf ein kurzes, zaghaftes Küsschen nach über 200 Seiten passiert nicht besonders viel zwischen den beiden. Im Gegenteil: Cassie und Nick schleichen lange Zeit etwas verzagt umeinander herum, verlieren sich in Floskeln und sorgen mit Aktionen, die zwar süß aber manchmal ein bisschen drüber sind, (so wie auch zum Beispiel die Idee mit Belle, der Ehe-stiftenden Katze) für Seufzen. Von großen Gefühlen, Leidenschaft oder gar Anziehungskraft kann man kaum sprechen - prickelnde Romantik sucht man hier also vergebens. Die Geschichte ist in erster Linie süß und gewinnt ihre Spannung durch die Schwierigkeiten, in denen sich Cassie plötzlich wiederfindet.

Und das funktioniert auch über einen Großteil der Geschichte hinweg. Zwischen Kuchen-Skandalen, Walking-Gruppen, diplomatischer Überzeugungsarbeit, fiesen Streichen und romantischen Bootstouren vergehen die 336 Seiten wie im Flug. Was dem Lesevergnügen dann aber einen deutlichen Dämpfer versetzt, sind die letzten Seiten. Zu sagen, dass das Ende unbefriedigend war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts und das hat gleich mehrere Gründe. Zuerst einmal ist es einfach viel zu knapp und schnell abgehakt. Viele Fragen, die man sich im Laufe der Geschichte gestellt hat, also zum Beispiel was denn überhaupt vor all den Jahren zwischen Tante Etta und Cassies Mutter vorgefallen war, bleiben offen und werden gar nicht erst angeschnitten. Ihre Entscheidung, also der eigentliche Wendepunkt der Geschichte fällt ebenfalls geradezu lächerlich knapp zwischen zwei Sätzen und lässt dem Leser gar keine Zeit, diese nachzuempfinden. Auch erfährt man nie, was Cassie nun wegen ihres New-York-Jobs anstellt, oder wie es allgemein mit ihrem Leben weitergeht - und das war ja einer der springenden Konfliktpunkte. Ganz davon abgesehen gab es einfach Punkte, die mir als äußerst realitätsfern aufgestoßen sind. Außerdem musste ich über die (nicht so ganz überraschende aber immerhin nett eingefädelte) Wendung und Ettas Plan die Stirn runzeln.


"Sehr bald schon würde sie wieder fortgehen... Vielleicht würde er Bea bitten müssen, ihm einen Kühlschrank voller Kirschkäsekuchen zu backen, damit sein Herz das überlebte."


Die Geschichte ist also nicht allzuleicht zu bewerten, da einem zuckersüßen Setting und vielen tollen Ideen ein Mangel an Gefühlen und teilweise nervige Nebenfiguren gegenüberstehen. Dass "Sweet Like You" alles in allem weit davon entfernt ist, ein Jahreshighlight zu sein, wurde dann durch das überhastete und teilweise seltsame Ende besiegelt, das zu viele offene Fragen hinterlässt. Ob ich den zweiten Teil der Reihe über Madison und den rebellischsten Café-Besitzer der Stadt (er hat seinem Laden keinen Namen mit Bienenbezug gegeben, welch verbrecherische Handlung) Patrick lesen werde, der im März dieses neuen Jahres erscheint, bin ich mir noch nicht ganz sicher.



Fazit:

Robyn Neeley hat hier eine nette Geschichte geschrieben, die man in wenigen Stunden durchlesen kann, die aber leider kaum einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Einem zuckersüßen Setting und vielen tollen Ideen stehen ein Mangel an Gefühlen und teilweise nervige Nebenfiguren gegenüber, sodass "Sweet Like You" zusammen mit dem überhasteten Ende alles in allem weit davon entfernt ist, ein Jahreshighlight zu sein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.12.2020

Voller schräger Situationen, grusliger Wahrheiten und negativen Emotionen...

The Music of What Happens
0

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen ...

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen Themas große Hoffnungen gesetzt. Anders als gedacht, ist der Roman jedoch keine lockerleichte LGBT-Sommerlektüre über zwei Jungs in einem Foodtruck. Eher begleiten wir die beiden auf einem schweren Stück Weg und sehen, wie sie sich gegenseitig Halt und neue Perspektiven schenken, während die Welt um sie herum zusammenbricht...


Max: "There are the mud-flowers of dialect,
And the immortelles of perfect pitch
And that moment when the bird sings very closely
To the music of what happens."


Das Cover ist einfach hinreißend, sendet meiner Meinung nach aber falsche Signale. Zu sehen ist ein blassblauer Sommerhimmel mit einzelnen Wolken und zwei Jungs im Cartoon-Stil, die entfernt an Max und Jordan erinnern und sich an den Händen halten. Der aus dem Englischen übernommene Titel aus dem Gedicht des irischen Dichters Seamus Heaney thront darüber in Großbuchstaben. Zusammen mit den zum Titel passenden Leselaschen mit Kakteen und den Kapitelanfängen, die mit einem Foodtruck und Herzchen beginnen, würde mich das Cover komplett überzeugen, wenn es nicht so... heiter wäre. Und das ist die Geschichte nun mal leider nicht. "The Music of What Happens" ist ehrlich, düster und voller schräger Situationen, gruseliger Wahrheiten und negativen Emotionen, sodass man sich beim Lesen nicht gerade wohlig seufzend in die Geschichte fallen lassen kann.


Max: "Mom redet immer davon, dass in der Welt so viel Scheiße abgeht und dass es meine Entscheidung ist, wie ich damit umgehe. Der sicherste Weg, unglücklich zu werden, ist, mit finsterem Blick durchs Leben zu gehen, sagt sie, und da hat sie recht. Man muss in der Dunkelheit immer nach Licht und Farbe Ausschau halten, denn die sind immer da, auch wenn es einem manchmal schwerfällt, sie zu erkennen."


Zu sagen, dass mein Start in die Geschichte holprig war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Während der ersten zwei Kapitel habe ich mich ein paar Male gefragt, ob ich irgendwelche essenziellen Informationen verpasst oder den Klapptext falsch gelesen habe. Denn zwischen äußerst problematischen Kindheitserinnerungen, rätselhaften Flashbacks über eine traumatische Erfahrung, einem mütterlichen Nervenzusammenbruch in einem ramponierten Foodtruck, einem "80er-Jahre-Puff-Zimmer", einer Ode an den Joghurt, den "Amigos" und den "Ehefrauen" sah ich einfach keine Perspektive für die Geschichte. Auf den folgenden 100 Seiten wurde das zwar von Szene zu Szene besser und es begann sich eine langsame und äußerst süße Liebesgeschichte zu entfalten, ganz los wurde ich das verwirrende Gefühl von Orientierungslosigkeit und Ablehnung aber nicht, das mich schon von Beginn an befallen hatte. Das wurde unter anderem auch dadurch verursacht, dass im Verlauf der Geschichte mehr abgefahrene Szenen vorkommen als alltägliche, in denen man sich wiederfinden würde. Hooligan-Wohltätigkeiten, spontane Kunstaktionen, Kreislaufkollapse beim Katkusfeigenklau in der Wüste, Zuckerschocks bei Limonadenverkostungen, Trampolinhallenbesuche nach Schalentierexzessen und nächtliche Fitnessstudiobesuche würden einzelnen einen exzentrischen Schwung in die Geschichte bringen. In Kombination wirken die vielen Übersprunghandlungen der beiden aber eher verwirrend.


Max: "Am Zoo von Phoenix mit einem wunderschönen Jungen, der überhaupt nicht weiß, wie schön er ist. Ich bin unbesiegbar. Wie ein Superheld!"


Mein Hauptproblem mit "The Music of What Happens" lag jedoch nicht in der Handlung, sondern vielmehr in der Atmosphäre. Ich mochte schlicht und einfach das Gefühl nicht, das ich beim Lesen hatte. Wie gesagt mochte ich die zarte Liebesgeschichte und die Entwicklung von Max und Jordan, welche unglaublich süß beschrieben ist, genauso sehr wie das Setting in einem Foodtruck im gnadenlosen Sommer von Arizona. Dass eine ausgelassene Sommerferien-Stimmung aufkommt, wird aber erfolgreich und nachhaltig durch sehr ernste Themen verhindert, die angesprochen werden. Das an sich ist natürlich noch nicht das Problem - im Gegenteil. Ich finde es üblicherweise eher positiv, wenn schwierige Themen angesprochen werden, wenn Protagonisten auch mal nervig, schwierig und ambivalent sind und man nicht nur die positiven Gefühle mit den Figuren teilt. Doch hier wurde man unangeleitet mit so viel Düsternis konfrontiert, dass ich schlichtweg kein Spaß mehr beim Lesen hatte. In den 442 Seiten stecken so viel Homophobie, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Objektivierung, toxische Männlichkeit, Fetischisierung und andere Probleme in Interaktionen, die der Autor natürlich verurteilen will. Doch statt sich damit auseinanderzusetzen und diese als Themen zu behandeln, werden die meisten Bemerkungen unkommentiert gelassen, viele Handlungsstränge werden nur angeschnitten und dann fallengelassen, sodass all diese angestaute Negativität einfach im Raum stehen bleibt und die ganze Geschichte verdirbt.


Max: "Du zeigst Gefühle, und schon lachen die Leute. Nichts ist schlimmer, als ausgelacht zu werden, wenn man jemandem sein Herz öffnet. (...) Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schließe die Augen und denke an Jordans einsames Gedicht. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir Jordan vor, der sich hochschaufelt und plötzlich hoffe ich, dass oben jemand ist, der sich ihm entgegengräbt."


Ich kann also definitiv nachvollziehen, warum viele Leser diese Geschichte nicht mögen, kann aber auch verstehen, wenn sie es tun. Denn trotz der negativen Atmosphäre, der wirren Handlung und der sehr oberflächlichen Behandlung wichtiger Themen ist sie intensiv, echt, originell, verrückt und sie lässt dich definitiv nicht kalt beim Lesen. Bill Konigsbergs Erzählweise hat mich ein bisschen an John Green erinnert, was man als Kompliment sehen kann, da ich ein großer Fan dieses Autors bin. Bill Konigsberg schreibt genauso unverblümt, manchmal unangenehm aber insgesamt doch sehr süß und nahegehend wie der Meister des Coming-of-Age. Verdrehte Logik, Teenager-Drama, Fremdschammomente und bittersüße Gefühle gibt es dabei obendrauf. Ein Manko dabei ist, dass wie oft bei übersetzten Büchern mit Jugendsprache, diese an einigen Stellen ein bisschen gezwungen und gekünstelt wirkt. Ob das am Alter des Autors oder an der Übersetzung liegt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist dass die eingebundenen Gedichte von Jordan und die Szenen, in denen Max zeichnet, zu meinen persönlichen Highlights des Romans gehören. Ein sehr nettes Plus ist, dass die Gedichte in Originalsprache am Ende des Buchs angehängt sind.


Jordan: "Zum Teufel, Alter, na klar. Ich bin dabei, wo auch immer."
"Berühmte letzte Worte", sage ich noch."


Max und Jordan habe ich als zwei sehr spannende Figuren empfunden, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie tatsächlich irgendwo genauso leben. Dass ich sie als sehr realistische und runde Personen wahrgenommen habe bedeutetet aber noch lange nicht, dass sie mir auch sympathisch waren. Max´ Angewohnheit, Probleme wegzulächeln, nicht anzusprechen, was ihn stört und seine Verletzlichkeit nicht zu zeigen lässt ihn oft ein wenig verloren und widersprüchlich erscheinen. Das ist jedoch noch nichts im Vergleich zum emotionalen Chaos in Jordan, welcher nicht nur ein sehr niedriges Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl hat, sondern auch eine ausgewachsene Drama-Queen ist. Auch die meisten Nebenfiguren machen es einem zuerst nicht ganz leicht, sie zu mögen. Man denke hier zum Beispiel an Jordans Freundinnen Pam und Kayla, seine manisch-depressive Mutter, die noch ganz andere Probleme mit sich herumschleppt oder an Max´ verantwortungslosen Vater oder dessen sprüchereißenden Bro-Freunde Zay-Rod und Betts. Ein Lichtblick in all dem Chaos war Max´ Mutter Rosa.


Jordan: "Die Welt ist groß, wie sind alle nur Sternenstaub. Alles ist bedeutungslos. Manchmal, wenn ich mich aufrege, sollte ich daran denken."


Während die Geschichte von Seite zu Seite nach dem schwierigen Einstieg besser wurde und mich mehr fesseln konnte, war das Ende nochmal eine herbe Enttäuschung für mich. Zwar hat sich die inhaltliche Entwicklung schon angedeutet, die Wendung kommt aber trotzdem sehr knapp, plump und liegt wie ein Fremdkörper am Ende der Geschichte und weiß diese nicht wirklich abzuschließen. Nach dem Platzenlassen der Bombe steht einfach noch zu viel im Raum, zu viel ist in der Schwebe, um die Geschichte guten Gewissens abschließen zu können.




Fazit:


Wer eine leichte, romantische Coming-of-Age-Geschichte mit Witz und großen Gefühlen erwartet wird enttäuscht werden. Hier muss man mit schwierigen Figuren, ernsten Themen, teilweise wirrer Handlung, einer sehr negativen Atmosphäre und einer unverblümten Erzählweise zurechtkommen. Da "The Music of What Happens" aber trotz aller enttäuschten Erwartungen intensiv, echt, originell, verrückt ist und den Leser definitiv nicht kalt lässt, gibt es eine eingeschränkte Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.12.2020

Voller schräger Situationen, grusliger Wahrheiten und negativen Emotionen...

The Music of What Happens
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In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen ...

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen Themas große Hoffnungen gesetzt. Anders als gedacht, ist der Roman jedoch keine lockerleichte LGBT-Sommerlektüre über zwei Jungs in einem Foodtruck. Eher begleiten wir die beiden auf einem schweren Stück Weg und sehen, wie sie sich gegenseitig Halt und neue Perspektiven schenken, während die Welt um sie herum zusammenbricht...


Max: "There are the mud-flowers of dialect,
And the immortelles of perfect pitch
And that moment when the bird sings very closely
To the music of what happens."


Das Cover ist einfach hinreißend, sendet meiner Meinung nach aber falsche Signale. Zu sehen ist ein blassblauer Sommerhimmel mit einzelnen Wolken und zwei Jungs im Cartoon-Stil, die entfernt an Max und Jordan erinnern und sich an den Händen halten. Der aus dem Englischen übernommene Titel aus dem Gedicht des irischen Dichters Seamus Heaney thront darüber in Großbuchstaben. Zusammen mit den zum Titel passenden Leselaschen mit Kakteen und den Kapitelanfängen, die mit einem Foodtruck und Herzchen beginnen, würde mich das Cover komplett überzeugen, wenn es nicht so... heiter wäre. Und das ist die Geschichte nun mal leider nicht. "The Music of What Happens" ist ehrlich, düster und voller schräger Situationen, gruseliger Wahrheiten und negativen Emotionen, sodass man sich beim Lesen nicht gerade wohlig seufzend in die Geschichte fallen lassen kann.


Max: "Mom redet immer davon, dass in der Welt so viel Scheiße abgeht und dass es meine Entscheidung ist, wie ich damit umgehe. Der sicherste Weg, unglücklich zu werden, ist, mit finsterem Blick durchs Leben zu gehen, sagt sie, und da hat sie recht. Man muss in der Dunkelheit immer nach Licht und Farbe Ausschau halten, denn die sind immer da, auch wenn es einem manchmal schwerfällt, sie zu erkennen."


Zu sagen, dass mein Start in die Geschichte holprig war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Während der ersten zwei Kapitel habe ich mich ein paar Male gefragt, ob ich irgendwelche essenziellen Informationen verpasst oder den Klapptext falsch gelesen habe. Denn zwischen äußerst problematischen Kindheitserinnerungen, rätselhaften Flashbacks über eine traumatische Erfahrung, einem mütterlichen Nervenzusammenbruch in einem ramponierten Foodtruck, einem "80er-Jahre-Puff-Zimmer", einer Ode an den Joghurt, den "Amigos" und den "Ehefrauen" sah ich einfach keine Perspektive für die Geschichte. Auf den folgenden 100 Seiten wurde das zwar von Szene zu Szene besser und es begann sich eine langsame und äußerst süße Liebesgeschichte zu entfalten, ganz los wurde ich das verwirrende Gefühl von Orientierungslosigkeit und Ablehnung aber nicht, das mich schon von Beginn an befallen hatte. Das wurde unter anderem auch dadurch verursacht, dass im Verlauf der Geschichte mehr abgefahrene Szenen vorkommen als alltägliche, in denen man sich wiederfinden würde. Hooligan-Wohltätigkeiten, spontane Kunstaktionen, Kreislaufkollapse beim Katkusfeigenklau in der Wüste, Zuckerschocks bei Limonadenverkostungen, Trampolinhallenbesuche nach Schalentierexzessen und nächtliche Fitnessstudiobesuche würden einzelnen einen exzentrischen Schwung in die Geschichte bringen. In Kombination wirken die vielen Übersprunghandlungen der beiden aber eher verwirrend.


Max: "Am Zoo von Phoenix mit einem wunderschönen Jungen, der überhaupt nicht weiß, wie schön er ist. Ich bin unbesiegbar. Wie ein Superheld!"


Mein Hauptproblem mit "The Music of What Happens" lag jedoch nicht in der Handlung, sondern vielmehr in der Atmosphäre. Ich mochte schlicht und einfach das Gefühl nicht, das ich beim Lesen hatte. Wie gesagt mochte ich die zarte Liebesgeschichte und die Entwicklung von Max und Jordan, welche unglaublich süß beschrieben ist, genauso sehr wie das Setting in einem Foodtruck im gnadenlosen Sommer von Arizona. Dass eine ausgelassene Sommerferien-Stimmung aufkommt, wird aber erfolgreich und nachhaltig durch sehr ernste Themen verhindert, die angesprochen werden. Das an sich ist natürlich noch nicht das Problem - im Gegenteil. Ich finde es üblicherweise eher positiv, wenn schwierige Themen angesprochen werden, wenn Protagonisten auch mal nervig, schwierig und ambivalent sind und man nicht nur die positiven Gefühle mit den Figuren teilt. Doch hier wurde man unangeleitet mit so viel Düsternis konfrontiert, dass ich schlichtweg kein Spaß mehr beim Lesen hatte. In den 442 Seiten stecken so viel Homophobie, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Objektivierung, toxische Männlichkeit, Fetischisierung und andere Probleme in Interaktionen, die der Autor natürlich verurteilen will. Doch statt sich damit auseinanderzusetzen und diese als Themen zu behandeln, werden die meisten Bemerkungen unkommentiert gelassen, viele Handlungsstränge werden nur angeschnitten und dann fallengelassen, sodass all diese angestaute Negativität einfach im Raum stehen bleibt und die ganze Geschichte verdirbt.


Max: "Du zeigst Gefühle, und schon lachen die Leute. Nichts ist schlimmer, als ausgelacht zu werden, wenn man jemandem sein Herz öffnet. (...) Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schließe die Augen und denke an Jordans einsames Gedicht. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir Jordan vor, der sich hochschaufelt und plötzlich hoffe ich, dass oben jemand ist, der sich ihm entgegengräbt."


Ich kann also definitiv nachvollziehen, warum viele Leser diese Geschichte nicht mögen, kann aber auch verstehen, wenn sie es tun. Denn trotz der negativen Atmosphäre, der wirren Handlung und der sehr oberflächlichen Behandlung wichtiger Themen ist sie intensiv, echt, originell, verrückt und sie lässt dich definitiv nicht kalt beim Lesen. Bill Konigsbergs Erzählweise hat mich ein bisschen an John Green erinnert, was man als Kompliment sehen kann, da ich ein großer Fan dieses Autors bin. Bill Konigsberg schreibt genauso unverblümt, manchmal unangenehm aber insgesamt doch sehr süß und nahegehend wie der Meister des Coming-of-Age. Verdrehte Logik, Teenager-Drama, Fremdschammomente und bittersüße Gefühle gibt es dabei obendrauf. Ein Manko dabei ist, dass wie oft bei übersetzten Büchern mit Jugendsprache, diese an einigen Stellen ein bisschen gezwungen und gekünstelt wirkt. Ob das am Alter des Autors oder an der Übersetzung liegt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist dass die eingebundenen Gedichte von Jordan und die Szenen, in denen Max zeichnet, zu meinen persönlichen Highlights des Romans gehören. Ein sehr nettes Plus ist, dass die Gedichte in Originalsprache am Ende des Buchs angehängt sind.


Jordan: "Zum Teufel, Alter, na klar. Ich bin dabei, wo auch immer."
"Berühmte letzte Worte", sage ich noch."


Max und Jordan habe ich als zwei sehr spannende Figuren empfunden, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie tatsächlich irgendwo genauso leben. Dass ich sie als sehr realistische und runde Personen wahrgenommen habe bedeutetet aber noch lange nicht, dass sie mir auch sympathisch waren. Max´ Angewohnheit, Probleme wegzulächeln, nicht anzusprechen, was ihn stört und seine Verletzlichkeit nicht zu zeigen lässt ihn oft ein wenig verloren und widersprüchlich erscheinen. Das ist jedoch noch nichts im Vergleich zum emotionalen Chaos in Jordan, welcher nicht nur ein sehr niedriges Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl hat, sondern auch eine ausgewachsene Drama-Queen ist. Auch die meisten Nebenfiguren machen es einem zuerst nicht ganz leicht, sie zu mögen. Man denke hier zum Beispiel an Jordans Freundinnen Pam und Kayla, seine manisch-depressive Mutter, die noch ganz andere Probleme mit sich herumschleppt oder an Max´ verantwortungslosen Vater oder dessen sprüchereißenden Bro-Freunde Zay-Rod und Betts. Ein Lichtblick in all dem Chaos war Max´ Mutter Rosa.


Jordan: "Die Welt ist groß, wie sind alle nur Sternenstaub. Alles ist bedeutungslos. Manchmal, wenn ich mich aufrege, sollte ich daran denken."


Während die Geschichte von Seite zu Seite nach dem schwierigen Einstieg besser wurde und mich mehr fesseln konnte, war das Ende nochmal eine herbe Enttäuschung für mich. Zwar hat sich die inhaltliche Entwicklung schon angedeutet, die Wendung kommt aber trotzdem sehr knapp, plump und liegt wie ein Fremdkörper am Ende der Geschichte und weiß diese nicht wirklich abzuschließen. Nach dem Platzenlassen der Bombe steht einfach noch zu viel im Raum, zu viel ist in der Schwebe, um die Geschichte guten Gewissens abschließen zu können.




Fazit:


Wer eine leichte, romantische Coming-of-Age-Geschichte mit Witz und großen Gefühlen erwartet wird enttäuscht werden. Hier muss man mit schwierigen Figuren, ernsten Themen, teilweise wirrer Handlung, einer sehr negativen Atmosphäre und einer unverblümten Erzählweise zurechtkommen. Da "The Music of What Happens" aber trotz aller enttäuschten Erwartungen intensiv, echt, originell, verrückt ist und den Leser definitiv nicht kalt lässt, gibt es eine eingeschränkte Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.12.2020

Voller schräger Situationen, grusliger Wahrheiten und negativen Emotionen...

The Music of What Happens
0

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen ...

In "The Music of What Happens" habe ich nicht nur wegen des grandiosen Covers, des neugierig machenden Titels, der Vorstellung bei der Blogger Preview Party in der Messezeit, sondern auch wegen des versprochenen Themas große Hoffnungen gesetzt. Anders als gedacht, ist der Roman jedoch keine lockerleichte LGBT-Sommerlektüre über zwei Jungs in einem Foodtruck. Eher begleiten wir die beiden auf einem schweren Stück Weg und sehen, wie sie sich gegenseitig Halt und neue Perspektiven schenken, während die Welt um sie herum zusammenbricht...


Max: "There are the mud-flowers of dialect,
And the immortelles of perfect pitch
And that moment when the bird sings very closely
To the music of what happens."


Das Cover ist einfach hinreißend, sendet meiner Meinung nach aber falsche Signale. Zu sehen ist ein blassblauer Sommerhimmel mit einzelnen Wolken und zwei Jungs im Cartoon-Stil, die entfernt an Max und Jordan erinnern und sich an den Händen halten. Der aus dem Englischen übernommene Titel aus dem Gedicht des irischen Dichters Seamus Heaney thront darüber in Großbuchstaben. Zusammen mit den zum Titel passenden Leselaschen mit Kakteen und den Kapitelanfängen, die mit einem Foodtruck und Herzchen beginnen, würde mich das Cover komplett überzeugen, wenn es nicht so... heiter wäre. Und das ist die Geschichte nun mal leider nicht. "The Music of What Happens" ist ehrlich, düster und voller schräger Situationen, gruseliger Wahrheiten und negativen Emotionen, sodass man sich beim Lesen nicht gerade wohlig seufzend in die Geschichte fallen lassen kann.


Max: "Mom redet immer davon, dass in der Welt so viel Scheiße abgeht und dass es meine Entscheidung ist, wie ich damit umgehe. Der sicherste Weg, unglücklich zu werden, ist, mit finsterem Blick durchs Leben zu gehen, sagt sie, und da hat sie recht. Man muss in der Dunkelheit immer nach Licht und Farbe Ausschau halten, denn die sind immer da, auch wenn es einem manchmal schwerfällt, sie zu erkennen."


Zu sagen, dass mein Start in die Geschichte holprig war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Während der ersten zwei Kapitel habe ich mich ein paar Male gefragt, ob ich irgendwelche essenziellen Informationen verpasst oder den Klapptext falsch gelesen habe. Denn zwischen äußerst problematischen Kindheitserinnerungen, rätselhaften Flashbacks über eine traumatische Erfahrung, einem mütterlichen Nervenzusammenbruch in einem ramponierten Foodtruck, einem "80er-Jahre-Puff-Zimmer", einer Ode an den Joghurt, den "Amigos" und den "Ehefrauen" sah ich einfach keine Perspektive für die Geschichte. Auf den folgenden 100 Seiten wurde das zwar von Szene zu Szene besser und es begann sich eine langsame und äußerst süße Liebesgeschichte zu entfalten, ganz los wurde ich das verwirrende Gefühl von Orientierungslosigkeit und Ablehnung aber nicht, das mich schon von Beginn an befallen hatte. Das wurde unter anderem auch dadurch verursacht, dass im Verlauf der Geschichte mehr abgefahrene Szenen vorkommen als alltägliche, in denen man sich wiederfinden würde. Hooligan-Wohltätigkeiten, spontane Kunstaktionen, Kreislaufkollapse beim Katkusfeigenklau in der Wüste, Zuckerschocks bei Limonadenverkostungen, Trampolinhallenbesuche nach Schalentierexzessen und nächtliche Fitnessstudiobesuche würden einzelnen einen exzentrischen Schwung in die Geschichte bringen. In Kombination wirken die vielen Übersprunghandlungen der beiden aber eher verwirrend.


Max: "Am Zoo von Phoenix mit einem wunderschönen Jungen, der überhaupt nicht weiß, wie schön er ist. Ich bin unbesiegbar. Wie ein Superheld!"


Mein Hauptproblem mit "The Music of What Happens" lag jedoch nicht in der Handlung, sondern vielmehr in der Atmosphäre. Ich mochte schlicht und einfach das Gefühl nicht, das ich beim Lesen hatte. Wie gesagt mochte ich die zarte Liebesgeschichte und die Entwicklung von Max und Jordan, welche unglaublich süß beschrieben ist, genauso sehr wie das Setting in einem Foodtruck im gnadenlosen Sommer von Arizona. Dass eine ausgelassene Sommerferien-Stimmung aufkommt, wird aber erfolgreich und nachhaltig durch sehr ernste Themen verhindert, die angesprochen werden. Das an sich ist natürlich noch nicht das Problem - im Gegenteil. Ich finde es üblicherweise eher positiv, wenn schwierige Themen angesprochen werden, wenn Protagonisten auch mal nervig, schwierig und ambivalent sind und man nicht nur die positiven Gefühle mit den Figuren teilt. Doch hier wurde man unangeleitet mit so viel Düsternis konfrontiert, dass ich schlichtweg kein Spaß mehr beim Lesen hatte. In den 442 Seiten stecken so viel Homophobie, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Objektivierung, toxische Männlichkeit, Fetischisierung und andere Probleme in Interaktionen, die der Autor natürlich verurteilen will. Doch statt sich damit auseinanderzusetzen und diese als Themen zu behandeln, werden die meisten Bemerkungen unkommentiert gelassen, viele Handlungsstränge werden nur angeschnitten und dann fallengelassen, sodass all diese angestaute Negativität einfach im Raum stehen bleibt und die ganze Geschichte verdirbt.


Max: "Du zeigst Gefühle, und schon lachen die Leute. Nichts ist schlimmer, als ausgelacht zu werden, wenn man jemandem sein Herz öffnet. (...) Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schließe die Augen und denke an Jordans einsames Gedicht. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir Jordan vor, der sich hochschaufelt und plötzlich hoffe ich, dass oben jemand ist, der sich ihm entgegengräbt."


Ich kann also definitiv nachvollziehen, warum viele Leser diese Geschichte nicht mögen, kann aber auch verstehen, wenn sie es tun. Denn trotz der negativen Atmosphäre, der wirren Handlung und der sehr oberflächlichen Behandlung wichtiger Themen ist sie intensiv, echt, originell, verrückt und sie lässt dich definitiv nicht kalt beim Lesen. Bill Konigsbergs Erzählweise hat mich ein bisschen an John Green erinnert, was man als Kompliment sehen kann, da ich ein großer Fan dieses Autors bin. Bill Konigsberg schreibt genauso unverblümt, manchmal unangenehm aber insgesamt doch sehr süß und nahegehend wie der Meister des Coming-of-Age. Verdrehte Logik, Teenager-Drama, Fremdschammomente und bittersüße Gefühle gibt es dabei obendrauf. Ein Manko dabei ist, dass wie oft bei übersetzten Büchern mit Jugendsprache, diese an einigen Stellen ein bisschen gezwungen und gekünstelt wirkt. Ob das am Alter des Autors oder an der Übersetzung liegt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist dass die eingebundenen Gedichte von Jordan und die Szenen, in denen Max zeichnet, zu meinen persönlichen Highlights des Romans gehören. Ein sehr nettes Plus ist, dass die Gedichte in Originalsprache am Ende des Buchs angehängt sind.


Jordan: "Zum Teufel, Alter, na klar. Ich bin dabei, wo auch immer."
"Berühmte letzte Worte", sage ich noch."


Max und Jordan habe ich als zwei sehr spannende Figuren empfunden, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie tatsächlich irgendwo genauso leben. Dass ich sie als sehr realistische und runde Personen wahrgenommen habe bedeutetet aber noch lange nicht, dass sie mir auch sympathisch waren. Max´ Angewohnheit, Probleme wegzulächeln, nicht anzusprechen, was ihn stört und seine Verletzlichkeit nicht zu zeigen lässt ihn oft ein wenig verloren und widersprüchlich erscheinen. Das ist jedoch noch nichts im Vergleich zum emotionalen Chaos in Jordan, welcher nicht nur ein sehr niedriges Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl hat, sondern auch eine ausgewachsene Drama-Queen ist. Auch die meisten Nebenfiguren machen es einem zuerst nicht ganz leicht, sie zu mögen. Man denke hier zum Beispiel an Jordans Freundinnen Pam und Kayla, seine manisch-depressive Mutter, die noch ganz andere Probleme mit sich herumschleppt oder an Max´ verantwortungslosen Vater oder dessen sprüchereißenden Bro-Freunde Zay-Rod und Betts. Ein Lichtblick in all dem Chaos war Max´ Mutter Rosa.


Jordan: "Die Welt ist groß, wie sind alle nur Sternenstaub. Alles ist bedeutungslos. Manchmal, wenn ich mich aufrege, sollte ich daran denken."


Während die Geschichte von Seite zu Seite nach dem schwierigen Einstieg besser wurde und mich mehr fesseln konnte, war das Ende nochmal eine herbe Enttäuschung für mich. Zwar hat sich die inhaltliche Entwicklung schon angedeutet, die Wendung kommt aber trotzdem sehr knapp, plump und liegt wie ein Fremdkörper am Ende der Geschichte und weiß diese nicht wirklich abzuschließen. Nach dem Platzenlassen der Bombe steht einfach noch zu viel im Raum, zu viel ist in der Schwebe, um die Geschichte guten Gewissens abschließen zu können.




Fazit:


Wer eine leichte, romantische Coming-of-Age-Geschichte mit Witz und großen Gefühlen erwartet wird enttäuscht werden. Hier muss man mit schwierigen Figuren, ernsten Themen, teilweise wirrer Handlung, einer sehr negativen Atmosphäre und einer unverblümten Erzählweise zurechtkommen. Da "The Music of What Happens" aber trotz aller enttäuschten Erwartungen intensiv, echt, originell, verrückt ist und den Leser definitiv nicht kalt lässt, gibt es eine eingeschränkte Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 21.10.2020

Ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade leicht macht.

Fans des unmöglichen Lebens
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Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, ...

Ich habe diese Geschichte bereits vor eineinhalb Wochen beendet und lange überlegen müssen, was ich von ihr halten soll. Denn "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es dem Leser nicht gerade einfach macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Mit den vielen ernsten Themen und dem bissigen Humor ist die Geschichte definitiv keine Komödie, aber auch kein düsteres Drama. Stattdessen steht das Werk auf wunderbare Art und Weise dazwischen und lässt einen gleichzeitig lachen und weinen.


Jeremy: "Mögen wir unmöglich leben", sagte Sebby, als er die Augen aufschlug. "Allen Erwartungen zuwider. Mögen die Leute uns angucken und sich fragen, wie solche Juwelen in der traurigen Wüste der Welt funkeln können. Mögen wir das unmögliche Leben leben."


Cover und Klapptext lassen die Story wie ein süßes Jugendbuch über Außenseiter klingen. Das mag auch nicht ganz verkehrt sein, die Geschichte kommt jedoch weitaus düsterer und schwieriger daher als ich das aufgrund der Gestaltung vermutet hätte. Der weiße Hintergrund, die farbenfrohen Striche und Kringel, die drei kleinen Figuren und der große, blaue Titel schreien geradezu "süß und harmlos", was zwei Adjektive sind, die mir im Zusammenhang mit dieser Geschichte wohl nie eingefallen wären. Mein Fazit zur Gestaltung also: sehr süß und rund, jedoch ein bisschen irreführend. Auch innerhalb der Buchdeckel ist mit zwei Titelseiten, die die Geschichte in zwei Teile einteilen, viel Schönes dabei, mir fehlt aber etwas ganz Essenzielles: eine Triggerwarnung. Denn zwischen den so hübschen Seiten stecken unter anderem die Themen Selbstmord, Depression, Selbstverletzung, Panikattacken und Drogenmissbrauch.


Erster Satz: "Am ersten Tag meines zweiten Highschooljahres war mir irgendwie die Fähigkeit, einen Schlips zu binden, abhandengekommen."


Kein Wunder also, dass ich "Fans des unmöglichen Lebens" nicht gerade als Wohlfühlbuch bezeichnen würde. Schon von Beginn an lag hier etwas Seltsames, Erdrückendes in der Luft, das mich instinktiv aus Selbstschutz Abstand zu den Figuren hat wahren lassen. Auch wenn wir relativ harmlos in das Leben der drei Hauptcharaktere eingeführt werden und erst später mehr über die Hintergründe ihres Außenseitertums und ihre Probleme erfahren, ist der Erzählton eher ironisch-anklagend, sodass ich mich emotional und auch inhaltlich nie ganz auf die Geschichte einlassen konnte. Verstärkt wurde diese negative Vorahnung durch die sehr ungewöhnliche Erzählweise aus drei verschiedenen Perspektivarten. Während Jeremy als Ich-Erzähler fungiert und für Mira ein personaler Er-Erzähler gewählt wurde, erzählt Sebby aus der gewöhnungsbedürftigen Du-Perspektive. Nachdem sich meine Verwunderung über diesen stilistischen Zug der Autorin gelegt hatte, verstand ich, dass sich durch die Erzählperspektive in gewisser Weise das Verhältnis von Leser und Figur abbildet. Während man mit Jeremys inneren Prozessen noch mitfühlen kann, ist Mira mit ihren Gedanken und Gefühlen schon weiter entfernt vom Leser. Und Sebbys den Leser direkt ansprechendes "Du" wirkt fast wie ein Vorwurf an den Leser, der sagt "Du könntest das hier sein", "Du könntest durch das Raster gefallen sein", "Du könntest dich so fühlen" wie er.


Sebby: "Erzähl mir eine Geschichte", sagst du. "Okay", sagt sie. "Was für eine?"
"Eine, die davon handelt, dass wir immer weglaufen können."
Sie lächelt. Du atmest ihren Duft ein. Sie riecht wie ein sicherer Ort. Wie Geborgenheit."



Dementsprechend leicht fiel es mir, den unsicheren Jeremy ins Herz zu schließen und die Verletzlichkeit und Unschuld, mit der er neue Erfahrungen macht sowie seine liebenswürdige Unbeholfenheit zu feiern. Auch Mira, die ihren Selbsthass durch bunte Tücher und schreiende Farbe versteckt und Hilflosigkeit mithilfe von magischen Ritualen wegzuzaubern versucht ist eine sehr interessante Figur, bei der jedoch vieles im Dunklen liegt. Wie sie zusammen mit Sebby ihren Nonkonformismus feiert und Jeremy eine komplett neue Welt zeigen, als sie ihn in ihre Clique aufnehmen, macht sie ebenfalls grundsätzlich sympathisch. Sebby hingegen... ist schwierig. Er ist widersprüchlich, unehrlich, sprunghaft, leidend und ergibt ein so verwirrendes Bild ab, dass man als Leser gar nicht genau weiß, was man mit ihm anfangen soll. Hier konfrontiert die Autorin uns wohl mit genau der Hilflosigkeit der Gesellschaft, die nicht weiß, was sie mit jemandem anfangen soll, der so durchs Raster fällt. Mein Fazit also: ziemlich heftig und aufrüttelnd, aber auf eine gute Art.


Mira: "Bye, Sebs."
Mira beendete das Gespräch und legte sich wieder auf ihr Bett. Sie schaute an die Wand über ihr. Dort hingen ausgebreitete Nylonflügel an einem Haken, wie die Trophäe einer erfolgreichen Feenjagd. Unter diesen Flügeln wünschte sie sich, es möge sich alles zum Guten wenden. Für sie beide."


"Fans des unmöglichen Lebens" ist ein Roman, den man nicht einfach so liest, sondern dem man sich stellen, den man verarbeiten und begreifen muss. Denn Kate Scelsa lässt uns die Emotionen und Probleme der Figuren auch ohne Holzhammer-Methode spüren, auch wenn ihr Schreibstil an einigen Stellen etwas holprig wirkt. Was magisch wirken soll, wirkt oftmals eher seltsam, was emotional daher kommt, ist eher tragisch umgesetzt und alles dazwischen hat mich vor allem: verwirrt. Ob das ebenfalls ein stilistischer Kniff der Autorin ist, oder hier vielleicht einiges Lost in Translation gegangen ist, kann ich dabei nicht sagen. Von Stimmung, Themen und Figuren hat die Geschichte mich sehr an Stephen Chobsky "Das ist also mein Leben" erinnert. Diese Feststellung soll zugleich Lob (denn ich liebe dieses Werk und den dazugehörigen Film) und Erklärung dafür sein, weshalb die Wirkung der Geschichte so schwer festzuhalten ist. Außenseitersein, Erfahrungen mit der ersten Liebe, Homosexualität, Freundschaft und Abenteuer auf der einen - Drogen, Selbstmord, Depression und Verlust auf der anderen Seite - die Spannbreite der gezeigten Themen ist weit. Statt uns ganz explizit und mit heftigen Szenen zu schocken, thematisiert die Geschichte jedoch Vieles nur im Vorbeigehen, sodass ein unaufmerksamer Leser auch über das ein oder andere hinwegsehen kann. Wie feinfühlig und tiefgründig das Drama sich mit wichtigen Themen auseinandersetzt, merkt man auch daran, dass der Roman beim Lesen Spuren hinterlässt, nachdenklich macht, aber nicht deprimiert und versucht, vieles mit bissigem Humor und jugendlichem Gefühlschaos zu retten.


Jeremy: "Er beugte sich vor. "Das interessiert keinen", flüsterte er mir ins Ohr. "Und wenn, dann scheiß drauf." Ich holte tief Luft und nickte, versuchte zu lächeln - und dann neigte er meinen Oberkörper weit nach hinten - und ich stolperte rückwärts und musste so lachen, dass mir alles egal war. Scheiß auf die anderen. Ja, das war´s. Genau das war´s."


Das Ende ist dann der perfekte Höhepunkt all meiner ambivalenten Gefühle zu dieser Geschichte: es ist seltsam, unbefriedigend, emotional nahegehend, brutal und lässt den Leser verwirrt in der Luft hängen. Durch diese Ungenauigkeit wird dem Leser einen gewissen Interpretationsspielraum überlassen, was ich weder als besonders gelungen noch als schlecht gemacht empfunden habe - einfach als extrem unbefriedigend. Und so weiß ich auch nach dieser Ausführung meiner Leseerfahrung noch nicht so genau, was ich von der Geschichte halten soll, die mich verwirrt und auf Abstand gehalten, gleichzeitig aber auch berührt und mitgerissen hat.


Sebby: "Du hast die Augen geschlossen und dein ganzer Körper hat gelauscht. Die Worte flüsterten in dich hinein, das Geheimnis der Schönheit in all deiner vertrackten Verletzlichkeit. Glück war für dich nie von Dauer gewesen. Und deshalb hast du die Grenzen immer weiter hinausgeschoben und den darauffolgenden unvermeidlichen Schmerz willkommen geheißen. Du hast dagelegen in der langsam tauenden Erde und plötzlich begriffen, dass das von dir verlangt werden würde, solange du hier warst. Solche Dinge zu fühlen, solche starken schwierigen Dinge - und zu wissen, dass du dadurch dem Göttlichen am nächsten kommst. So bist du göttlich."




Fazit:


Kate Scelsa erzählt hier brutal ehrlich, nicht romantisiert und trotz all der Probleme fast verträumt vom schweren Los der Außenseiter. "Fans des unmöglichen Lebens" ist ein sehr ambivalenter, intensiver Coming-of-Age-Roman, der es durch verschiedene Perspektiven und einen eher distanzierten Schreibstil dem Leser nicht gerade leicht macht, ihn zu mögen oder ihn zu verfolgen. Da ich je nach Blickwinkel so ziemlich alles zwischen einem und fünf Sternen für diese Geschichte gerechtfertigt sehen würde, gebe ich neutrale 2,5 Sterne für diese ambivalente Story.


Zum Abschluss noch drei weitere Zitate, die ich unbedingt mit euch teilen will, die aber nirgends mehr hingepasst haben:

Jeremy: "Ein bisschen Drag hat noch keinem Selbstbewusstsein geschadet, glaub mir." Sie wischte die Finger an einem Kosmetiktuch ab. "Denk immer daran, was RuPaul sagt: Wir werden nackt geborgen - und der Rest ist Drag. Und das", sie legte den Lippenstift weg und setzte sich neben mich, "das ist fabelhaft."

Mira: "Das war die Essenz der Depression. Wenn nichts irgendeine Bedeutung hatte, dann gab es keine Wahlmöglichkeiten. Wenn sie in die Tiefen der Müdigkeit fiel, steckte sie tief in einem Mangel an Möglichkeiten. Sie kam sich vor, wie ein Haufen Fleisch, der ohne jeden Grund an diesen Planeten gebunden war. Ein nebelhafter Traum von einer Zukunft, in der sie ihre ganze Zeit damit verbringen konnte, Dinge zu tun, die sie liebte, statt notgedrungen Pflichten zu erfüllen, war nichts als eine Fantasievorstellung."

Mira: "Buddhistische Mönche konnten ihre Gehirne auf die Wellen des Universums einstellen. Was, wenn die Verrückten nicht erfahren genug waren zu wissen, welche Sender real waren und welche nur weißes Rauschen?"

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