Der fast 13-jährige Felix wohnt mit seiner Mutter in einem kleinen Bus. Vorrübergehend. Bis es im Job wieder besser läuft. Natürlich sollte möglichst niemand von Felix’ Wohnsituation erfahren. Das ist aber gar nicht so einfach, weil Felix nie Freunde zu sich nach Hause einladen kann. Letztlich sucht Felix nach einem Plan, wie er Geld verdienen kann, damit sie sich wieder eine Wohnung leisten können…
Ich habe das Buch über Vorablesen erhalten, wo als Altersempfehlung „ab 10 Jahre“ angegeben ist. Auf der Verlagsseite ist es ab 11 Jahren eingruppiert.
Beides halte ich für zu früh. Natürlich sind Kinder unterschiedlich reif, aber pauschal finde ich diese Einstufung wirklich schwierig. Die Gründe folgen:
Mit „spannend und voller Situationskomik“ wird das Buch beworben, die Geschichte als „abenteuerliches Versteckspiel“ bezeichnet. Dies weckt bei mir völlig andere Erwartungen.
Nun, spannend ist ein dehnbarer Begriff. Ein paar witzige Szenen gibt es durchaus, meist sind es eher skurrile Situationen, die für die Beteiligten eher unangenehm oder peinlich sind.
Ich fand das Buch vor allem sehr bedrückend. Und auch streckenweise hoffnungslos.
Felix kommt im Großen und Ganzen mit seiner Situation zurecht. Er liebt seine Mutter. Er will ihr glauben, dass die Situation bald besser wird. Und dann wird wieder alles „normal“. Doch die Monate ziehen ins Land, und es wird eben nicht besser. Stattdessen gerät Felix in allerlei komische, für ihn in der Regel aber wenig witzige, Situationen.
Astrid, Felix’ Mutter, lügt. Sie stiehlt. Sie betrügt. Felix will nicht lügen. Aber was bleibt ihm anderes übrig, wenn seine Freunde ihn besuchen wollen. Er will nicht stehlen. Aber er hat dauerhaft Hunger. Und er traut sich nicht, sich jemandem anzuvertrauen, da er Angst hat, von seiner Mutter getrennt und in eine Pflegefamilie gesteckt zu werden. Diese Sorge wird von seiner Mutter stetig geschürt, sodass Felix jedes Mal der Mut verlässt, wenn er sich eigentlich Hilfe suchen möchte.
Das ganze Thema der Wohnungslosigkeit – dafür zu sensibilisieren, dass Obdachlosigkeit nicht immer sofort ersichtlich ist – finde ich als Thema für ein Kinderbuch total interessant.
Eindrucksvoll und anschaulich wird dargestellt, mit welchen Tricks Felix arbeitet, um morgens frisch und sauber in der Schule zu erscheinen, aber auch welche Schwierigkeiten die Abwesenheit von Wasser oder einer Toilette ihm bereiten können. Und wie problematisch es ist, aus diesem Kreislauf wieder herauszukommen, da Vermieter einen Jobnachweis wollen, während Arbeitgeber eine Adresse benötigen.
Als wäre dieser Aspekt aber nicht schon genug schwere Kost, schwingen noch ganz viele andere ernste Themen in der Geschichte mit:
Depressionen, Prostitution, Trauer und Verlust… nicht alles wird explizit angesprochen, aber hier werden extrem viele Themen angedeutet, die dann kaum weiter bearbeitet werden.
[Ab hier einige Spoiler]
So erinnert sich Felix, wie er einst einen Anwalt zuhause angetroffen hat, während seine Mutter für diesen Geschäftstermin nur mit einem Bademantel bekleidet war. Diesen Anwalt erpresst Astrid später.
Felix schläft in der Bibliothek. Als er aufwacht, wird er von einem Mann beobachtet, der „sein Teil rausgeholt“ hatte.
Astrids Bruder wird mit 16 zuhause rausgeworfen, nachdem er sich geoutet hat. Um Geld zu verdienen, muss er Dinge tun, die er nicht möchte. Letztlich stirbt er an einer Überdosis.
Eines nachts rütteln betrunkene Männer am Bus, weil sie mit Astrid eine Party feiern wollen, um … ja was wollen sie wohl…
Als wäre die Situation der Wohnungslosigkeit und Astrids psychischer Zustand, der es ihr so schwer macht, wieder auf die Füße zu kommen, nicht schon genug, werden hier unglaublich viele kleine andere Themen am Rande angeschnitten und machen Felix’ ganze Lebenssituation umso brenzliger. Sicher mag hier auch ein Stück weit die Realität abgebildet werden. Astrid scheint in ihrem Umfeld und ihrer Vergangenheit allerdings ausnahmslos jedes Übel mitgenommen zu haben, das nur geht. Viele der Themen werden nur in kurzen Absätzen oder Nebensätzen erwähnt und finden dann keinerlei Beachtung mehr. Und die kleinen Leser/innen müssen dann mit diesen Infos, Andeutungen und Schrecken allein zurechtkommen.
Aber natürlich – oder zum Glück – ist in der Geschichte nicht alles negativ. Es geht auch um Freundschaft und Zusammenhalt. Um Nächstenliebe und Hoffnung. Und so hat die Geschichte, in der es einige Wendungen und noch andere kleine Dramen gibt, ein schönes Ende, das einen positiven Abschluss schafft.
Ich sehe das Buch eher als Jugendbuch ab 13/14 statt als Kinderbuch. Dafür spricht auch die regelmäßige Verwendung von Fremdwörtern (Antrophologie, Pseudojournalismus, investigativ…) sowie die teils komplexen Satzstrukturen. Hinzu kommen durch Felix’ schwedische Abstammung ein paar schwedische Ausdrücke, die zwar erklärt werden, sich aber dann auch durch die Geschichte ziehen, sodass das Buch nicht schwierig, aber eben auch nicht so ganz leicht zu lesen ist.
Zudem sind die 280 Seiten für ein Kinderbuch auch vergleichsweise klein bedruckt.
Fazit
Falls das bis hierhin nicht so geklungen haben mag: ich fand das Buch gut.
Das Thema der Wohnungslosigkeit ist interessant umgesetzt. Das Buch sensibilisiert für die verschiedenen Formen der Obdachlosigkeit und zeigt die kleinen Hinweise, die nicht sofort ins Auge springen, sowie die zahlreichen Schwierigkeiten und Notlügen, die die Situation für die Betroffenen mit sich bringt.
Ich habe oft mit Felix mitgelitten und mitgehofft, dass seine Situation sich bessert. Diesen Aspekt finde ich auch halbwegs kindgerecht, auch wenn ich Felix’ Lebensumstände insgesamt als recht bedrückend empfunden habe und auch in den vermeintlich witzigen Momenten Mitleid mit ihm hatte. Weil die Situationen auch für ihn eben in den wenigsten Momenten tatsächlich spaßig ist.
Meine Hauptkritik gilt vor allem der Altersempfehlung, die ich aufgrund zu vieler ernster Themen, die zwar teilweise nur angedeutet werden, aber dennoch mitschwingen, zu niedrig angesetzt finde.
Dafür ist das Buch allerdings auch für Erwachsene definitiv lesenswert.