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Veröffentlicht am 15.09.2016

Hoffnungsträger

Sturmland - Die Kämpferin
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Womöglich steht Schweden in 50 Jahren kurz vor einem Regierungswechsel, noch tobt erbarmungsloser Krieg. Tod und Manipulation machen auch vor Elins Familie nicht Halt, die um ein weiteres Mitglied gewachsen ...

Womöglich steht Schweden in 50 Jahren kurz vor einem Regierungswechsel, noch tobt erbarmungsloser Krieg. Tod und Manipulation machen auch vor Elins Familie nicht Halt, die um ein weiteres Mitglied gewachsen ist: Elins Tochter. Die Protagonistin steht nun vor gänzlich neuen Aufgaben, deren Erfüllung die jüngsten Ereignisse deutlich erschweren. Sie steht vor einer Kette grausamer und lebensverändernder Erfahrungen.

Wie erhofft verdichtet sich die Handlung, jedoch sehr gemächlich; Elin wächst, wegen des Mutterseins und der Tragödien, die sie erlebt, über ihr kindisches Wesen des ersten Bandes hinaus. Auch die anderen Figuren, die schon bekannt waren, erfahren eine realistische Veränderung. Sie wachsen einem beinahe ans Herz, besonders die kleine Schwester Lisa und Gunnar, der Vater.
Eine weitere Intensivierung der Charaktere und Beziehungen ist somit für die Folgebände zu erwarten.
Obwohl die Figur Elin erwachsener geworden ist, hat sie jedoch bisher kaum an Tiefe gewonnen. Es mag an dem Schreibstil liegen, der uns ihre innersten Gedanken nicht mitteilt – ihr Charakter ist noch immer flach und man hat das Gefühl, die Handlung spiele sich weniger mit ihr als um sie herum ab.
Wann immer ein Problem auftaucht, welches ein Eingreifen erfordert: Elin zeichnet sich nicht gerade dadurch aus, auf besondersintelligente oder kreative Weise improvisieren zu können.
Ich frage mich immer wieder, ob solchen – auf dem ersten Blick negativen – Effekten des Erzählens nicht immer auch eine volle Absicht vorangegangen ist. Davon gehe ich einfach aus, weil ich es dem Autor grundsätzlich zutraue.

An Spannung hat die Geschichte an sich bereits zugelegt. Trotz wiederkehrender, langweiliger Situationen wie Verhöre, Stillen des Kindes und weitere, wird es besonders interessant, mehr über den Hintergrund der Geschehnisse zu erfahren. Mit der Zeit erhält man doch den Eindruck, dass auf einen besonderen Nervenkitzelhingearbeitet wird. Jedenfalls entspricht das meinen Hoffnungen.

Die Emotionen, die der Erzählweise gänzlich fehlen, werden nun sekundär über Elins Tochter Gerda vermittelt. Wenn sie schreit, herrscht im Allgemeinen eine gespannte Stimmung, wenn das Kind gluckst, weiß der Leser: alles ist in Ordnung. Mir persönlich missfällt die Präsenz eines ständig schreienden und nach Muttermilch verlangenden Kindes, sowohl in der Realität, als auch in der Lektüre. Es ist wie ein ständiges dröhnendes Rauschen in den Ohren.
Die Handlung schreitet dadurch nur sehr langsam voran, der Fokus wird immer wieder zurück auf Gerda gelegt. Andererseits gibt Elin als Teenie-Mutter immerhin ein ungewöhnliches Bild ab.

Geschickt eingefädelt! Obwohl nicht hundertprozentig zufrieden mit den ersten beiden Bänden, dominiert zumindest bei mir der Wille, zu erfahren, ob die Hoffnungen und Erwartungen und Wünsche im nächsten Buch vielleicht doch noch erfüllt werden könnten. Klugerweise wurde das ganze Potential der originellen und faszinierenden Grundidee noch längst nicht ausgeschöpft.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Quasi Rohzustand

Totes Land - Ausnahmezustand
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Ganz und gar unfertig: Der Lektor gehört mit faulen Tomaten beworfen.

Die Apokalypse, dargestellt in Deutschland. Was von Hobbyüberlebenden normalerweise (mehr oder minder) professionell simuliert wird, ...

Ganz und gar unfertig: Der Lektor gehört mit faulen Tomaten beworfen.

Die Apokalypse, dargestellt in Deutschland. Was von Hobbyüberlebenden normalerweise (mehr oder minder) professionell simuliert wird, überschreitet die Grenze zur Realität. Infizierte, die andere Menschen angreifen. Ein unbekanntes Virus mit ekelerregenden Folgen. Markus weiß sofort, dass die Lage ernst ist, also flieht er. Sein einziges Ziel ist Sicherheit: Anette, seine Freundin, kilometerweit entfernt von ihm, befindet sich höchstwahrscheinlich in Gefahr. Und das Böse nimmt bereits die Fährte auf, den Geruch gesunden Fleisches in seiner Nase. Noch gesunden Fleisches.

Ein simples Gleichnis fasst im Grunde genommen alle störenden Aspekte des Romans zusammen:
Wenn man sich ein Omelett bestellt, erwartet man nicht, ein rohes Ei serviert zu bekommen.
Das Huhn, welches mit aller Liebe und Müh jenes Ei gelegt hat, sein geliebtes Kind, kann eigentlich gar nichts dafür, dass dieses nicht weiter bearbeitet worden ist. In dem Fall handelt es sich bei dem Huhn um den Autor. Ist doch klar. Das soll natürlich keine Beleidigung sein, eher ein Kompliment. Wobei es dem Huhn egal ist, ob man sein Kind roh verspeist oder erst, nachdem es in der Pfanne gelegen hat - dann wiederum steckt ja kein echtes Kind drin, wenn das Ei unbefruchtet war und überhaupt, das war ein blödes Gleichnis (bin ja auch nicht Jesus).

Man findet sich einer Idee mit recht großem Potenzial entgegengestellt. Hier und da hätten Szenen ausgearbeitet werden können, vielleicht auch sollen - im Gegenzug gibt es sicherlich auch Längen, die eine Kürzung gut vertragen hätten. Ein ganz und gar unvollkommenes Werk, ein vermutlich durchschnittliches Maß an Arbeit für das Lektorat. Was sich zwischen den hübschen Buchdeckeln befindet, scheint jedoch eher ein Manuskript zu sein, Rechtschreibfehler, unbeholfene Dialoge häufen sich, Probleme, die nach wenigem Korrigieren behoben sein müssten. Ich stelle mir das jedenfalls so vor; schließlich habe ich noch niemals in einem Verlag gearbeitet. Aber mal im Ernst: das hätte sogar ich geschafft, und ich bin auch nicht gerade ein Duden mit Haaren auf dem Kopf. Sogar kostenlos!

Die Charaktere sind mehr oder weniger realistisch dargestellt; Markus, der Hauptcharakter, gewinnt Sympathien durch seine Eigenheiten und Charakterfehler. Und Antipathien. Je nach Geschmack.
Ich persönlich wurde nicht damit warm, welchen Stellenwert eine feste Beziehung für ihn zu haben scheint. Mir obliegt es nicht, hier zu viel zu verraten, jedoch wage ich zu hoffen, dass meine Abneigung Positives über mein eigenes Beziehungsverhalten aussagt, immerhin. Ob die Figuren logisch handeln, kann ich kaum beurteilen. Was ist schon Logik, wenn man dem Weltuntergang ins Auge sieht? Andererseits hat, wenn ich meinen Gedankengang verfolge, also gar nichts eine Bedeutung, im Grunde sind alle Regeln aufgehoben und der Roman kann sein, wie er will. Auch grammatikalisch. Das geht ja nun wieder nicht.

Die Handlung an sich klettert ab dem letzten Drittel die Spannungskurve blitzschnell hinauf, wo sie plötzlich stoppt: ein Ende, das viel verspricht und selbst den zunächst abgeneigtesten Leser auf den zweiten Teil neugierig macht. Viele offene Fragen, die Präsenz des Bösen, eine beinahe selbstständige Dynamik - Zutaten, die sogar einige förmliche Schwierigkeiten verzeihen lassen. Wenn man vorher keine Salmonellen bekommen hat, wenn man bis hierhin durchgehalten hat, will man mehr: Zu hoffen gibt auch die Ankündigung eines neuen Lektors für die folgenden Bände. Hoffentlich ist das jemand, der versteht, aus Eiern ein Omelett zu machen. Oder vegan: Aus einem Salatblatt ... ein Salatblatt. Eines, das schmeckt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Modernes Amateurporno-Märchen

Royal Passion
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Man munkelt, hier sei gewissermaßen Abstauberei des schon recht verblassten Sensationserfolges „Shades of Grey“ betrieben worden. Das würde ich gern bestätigen, jedoch kam ich mit angewiderten Blick und ...

Man munkelt, hier sei gewissermaßen Abstauberei des schon recht verblassten Sensationserfolges „Shades of Grey“ betrieben worden. Das würde ich gern bestätigen, jedoch kam ich mit angewiderten Blick und gerümpfter Nase damals nicht über die ersten zehn Seiten des ersten Bandes hinaus. Ich bin nicht konservativ oder prüde, aber eben auch nicht sexuell frustriert oder hatte jemals das Bedürfnis, die Reihe wirklich zu lesen. Der Schreibstil war einfach bäh. Genug dazu:
Inwiefern sich also die Handlungen und Inhalte ähneln, kann ich gar nicht sagen. Sowieso würde ich absichtlich niemals spoilern.

Trotzdem stelle ich fest: Auch Royal Passion funktioniert nicht wegen literarisch-künstlerischer Leistung oder irgendwelcher komplizierten Rhetorik. Die Sache funktioniert, eigentlich sogar recht gut, weil primitive Unterhaltungsmechanismen eingesetzt werden. Sex, heimlicher Sex, sexuelle Fantasien, der Allerweltstraum junger (?) Frauen, Erwählte eines Prinzen zu sein; bewusste oder unbewusste, aber traditionell eingeprägte Rollenbilder, habe ich schon Sex erwähnt? Ach ja, und die wichtigsten Zutaten einer typischen Telenovela: Intrigen und große Liebe mit Hindernissen.
Heutzutage sind Sado-Maso-Beziehungen in Romanen längst kein Tabu mehr, ansonsten hätte das Buch bestimmt noch erfolgreicher verkauft werden können. Die Leute lieben Tabus und wagen sich gern an angetastete Grenzen heran, um sie letztlich freudestrahlend zum Einsturz zu bringen – das finde ich übrigens großartig. Die Wirkung bleibt aus, wenn es all das schon einmal gegeben hat (unsere Gesellschaft hat manchmal die Aufmerksamkeitsspanne eines kleinen Babys).

Geneva Lee schafft es dank oben genannter Komponenten definitiv, zu unterhalten; wie ein primitiver Traum, den man hin und wieder mal hat: ein absurder, kaum realistischer, unterdrückte Sehnsüchte enthüllender Traum, von dem man am nächsten Tag (wenn man sich denn an ihn erinnern kann) denkt: Was war das schon wieder für ein Blödsinn?
Auch das ist meiner Meinung nach eine vollkommen legitime Technik; wenn man so simpel schreibt, dass genau dieser Eindruck erweckt wird. Das sind dann Bestseller für besonders anspruchslose Leser, oder eben ambitionierte Leser, die eine Pause von ihrem literarischen Anspruch brauchen. Das heißt ja nicht, dass die Autorin nichts von dem versteht, was sie tut. Wahrscheinlich tut sie das umso besser.

Um nun auf den Klappentext zurückzukommen: Im Nachhinein ist klar, inwiefern sich zwischen den Zeilen Hinweise auf einen Erotikroman herauslesen lassen. Natürlich weiß man das auch, wenn man diesen in der Buchhandlung oder online in einer entsprechenden Abteilung oder Rubrik eingeordnet findet. Ich jedoch habe es im Rahmen einer Leserunde erstanden, kannte nur den Klappentext und habe auch nicht näher recherchiert. Unter diesen Umständen kann ich jede andere Leserin verstehen, die schließlich einen halben Herzkasper bei der Lektüre erlitten hat. Was für eine Überraschung! Ich für meinen Teil fand es zum Schreien. Also, zum Schreien komisch.

Ebenso die Wortwahl, insbesondere die des Prinzen gegenüber seiner Angebeteten. Er spricht haargenau so, wie die unverschämten Kinder damals in der Schule oder in der Nachbarschaft bei uns im „Ghetto“, die Passanten mit faszinierender Dreistigkeit unverpackte Obszönitäten an den Kopf werfen. Ich ärgere mich immer über sie und meine, solche Worte in dem Alter nie und nimmer gekannt zu haben...
Ich möchte sie nicht ausschreiben, dadurch erscheinen sie mir umso lebhafter.

Jedenfalls: die Sprache! Die Wortwahl an sich ist mir relativ egal, aber sie muss wenigstens abwechslungsreich sein; zumindest sollte ersichtlich sein, dass man sich Mühe gegeben hat, Synonyme zu finden (das mache ja sogar ich die ganze Zeit). Aber nein. Phrasen wie „hier an Ort und Stelle“ oder das Adjektiv „schmallippig“ und so weiter und so fort – sie wiederholen sich. Wenn sie sich wiederholen, dann nicht ungefähr fünfzig Seiten später einmal, sondern auf derselben Seite oder knapp danach und ständig. Und zwar nicht insofern, dass es als gewollt durchgehen könnte.
Noch dazu diese Flüchtigkeitsfehler bei wörtlicher Rede (wann fängt sie an, wann hört sie auf? Wer redet gerade überhaupt?) oder der Rechtschreibung allgemein. Was man vereinzelt gutmütig ignorieren kann, wird gehäuft zu meiner persönlichen Qual.
Das ist sicherlich eine Pingeligkeit von mir, aber für mich kommt es bei der Atmosphäre der Geschichte eben auch darauf an, wie diese technisch aufgebaut wird. Kleinigkeiten sind da manchmal entscheidend.
Ich befürchte, dass die Übersetzer einfach keine Lust oder Zeit hatten, das sprachliche Fundament durchdacht zu festigen. Jedenfalls fühlen sich die Sätze im Durchschnitt wie hingeschmiert an. Aber nicht wie zarte Marmelade, sondern wie Butter, die frisch aus dem Kühlschrank kommt, und wenn man damit sein Brot zu bestreichen versucht, zerreißt man versehentlich die Struktur des eigentlich wunderbar fluffigen Inneren der Scheibe und hat am Ende so einen löcherigen Mist. Verstanden, was ich meine?

Die Figuren sind ein Thema für sich. Ich könnte mich stundenlang darüber auslassen, wie farblos sie sind und welch nach hinten losgegangener Versuch, sie für möglichst viele Menschen greifbar zu machen. Es gibt die gewöhnliche Hauptdarstellerin, Clara, die zwar eine individuelle Vergangenheit vorweisen kann, deren Charakter jedoch, abgesehen von Eigenschaftslosigkeit, keine besondere Eigenschaft innehat. Mir fiele da höchstens ein, dass sie unnötig viel denkt und vergleichsweise wenig tut oder sagt. Und sie denkt immer dieselben banalen Dinge: Wie schön Alexander sei, zum Beispiel. Er ist auch nicht viel besser, aber dank der vorliegenden Erzählperspektive bleibt man immerhin von seinen inneren Monologen verschont. Deswegen spielt er die aktive Rolle, in allen Lebenslagen, auch im Bett (oder wo sie es sonst so tun).
Die Nebenrollen sind ähnlich langweilig. Sie decken die Bedürfnisse einer Geschichte ab: Man braucht eine beste Freundin, da hat man sie. Eine nervige Mutter, da hat man sie. Ebenso eine nervige Schwester, einen abstinenten Vater, eine intrigante Ziege und einen schwulen Freund. Alles Bedarfshüllen, die nur sporadisch mit Hintergrundinformationen gefüllt werden, der Glaubwürdigkeit halber. Es bleiben noch zwei Bände Zeit, das wiedergutzumachen.

Worauf es im Grunde ankommt, ist die Antwort auf folgende Frage: Verleitet mich Royal Passion womöglich dazu, auch den nächsten Teil zu lesen? Unglaublicherweise tut es das tatsächlich.
Meine Güte, ich muss einfach wissen, ob das Potential der grundlegenden Idee ausgeschöpft wird, was ich hoffe. Mein Kopf platzt vor möglichen Szenarien, eines abwegiger als das andere. Ich gebe mich noch nicht zufrieden.

Den ganzen Preis möchte ich dann allerdings doch nicht bezahlen. Sicherlich ergibt sich irgendwann die Gelegenheit, die Fortsetzung als das Mängelexemplar zu erwerben, welches ihr Vorgänger gewesen ist.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gähnen verursachender Trübsinn

Dolfi und Marilyn
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Es ist eine Qual, den Gedankengängen des Protagonisten zu folgen.

Wir befinden uns im Frankreich des Jahres 2060. Tycho Mercier ist - zumindest sagt er das von sich selbst - angesehenerGeschichtsprofessor; ...

Es ist eine Qual, den Gedankengängen des Protagonisten zu folgen.

Wir befinden uns im Frankreich des Jahres 2060. Tycho Mercier ist - zumindest sagt er das von sich selbst - angesehenerGeschichtsprofessor; in gewisser Weise tröstet ihn diese Tatsache darüber hinweg, dass seine Frau Phoebé sich von ihm getrennt hat und er allein für die Erziehung des Sohnes Bruno verantwortlich ist. Zum Glück scheint dieser ebenso wissbegierig zu sein wie sein Vater. Gerade das dunkle Kapitel deutscher Geschichte fasziniert ihn - so strahlt der Junge übers ganze Gesicht, als ihm die Ehre zuteil wird, mit einem echten Klon (dem sechsten) Adolf Hitlers Kriegsspiele auf dem Computer spielen zu dürfen.
Herrlich, oder?
Jedoch handelt es sich um einen verbotenen Klon. Oh, nein! Was machen wir nun?, fragt sich Tycho, und fragt sich. Und fragt sich. Fast ist er in der Lage, sich seine Frage zu beantworten, da taucht ein Abbild Marilyn Monroes auf, was zu weiteren Verkomplizierungen führt. Man darf sagen: der Professor ist restlos überfordert. Dies ist das Buch seiner sich stets um sich selbst drehenden Gedanken.

Ein Überraschungserfolg, der bei der deutschen Leserschaft nicht recht ankommen will.
Dem Autor fehlt jegliches Talent des Kürzens, habe ich den Verdacht. Das ist beinahe das, was mich am meisten an diesem Roman stört. Dazu kommen die hohen Erwartungen, die der witzige Titel, die verrückte Idee und das ungewöhnliche Cover setzen.
Spannung ist im Grunde nie vorhanden, sicherlich interessante Szenen zwar, aber auf seltsame Weise ungenutzt. Vielleicht soll hierdurch bekräftigt werden, dass Merciers Leben trist und seine Abenteuerlust stark beschränkt ist? Aber wieso schreibt man einen Roman, der die Leser absichtlich langweilt? Nein, der Unterhaltungsversuch ist eindeutig vorhanden - in Form von Adolf Hitler. Zieht ja vermutlich immer, hat nur hier nicht funktioniert, höchstens provokativ, trotzdem effektlos.

Saintonge, das Pseudonym eines angeblich bereits renommierten französischen Autors, konzentriert sich hier auf die Erschaffung eines ganz und gar nervtötenden, leicht beirrbaren und erwürgenswerten Protagonisten. Tycho Mercier steht ständig auf dem Schlauch, auch wenn der Leser bereits Schlussfolgerungen ziehen kann. Das mag ein lustiges Konzept sein, kann einen allerdings auch zur Weißglut treiben.

Man könnte meinen, dass er die instabilen Persönlichkeiten des deutschen Volkes widerspiegeln soll, die es Hitler damals erst recht möglich gemacht haben, als Idealfigur an die Macht zu gelangen. In Dolfi und Marilyn wird die Macht der geschickt manipulierten Atmosphäre thematisiert, die sogar fest verankerte Ideale umkehren kann. Das aber nur am Rande - man muss bis zum Ende durchhalten, um so weit zwischen den Zeilen lesen zu können. Dazu kommt, dass dieses Thema nicht einmal anschaulich, eher langatmig umgesetzt wird.

Kritisiert wird an der Lektüre unter anderem, dass die Zukunftsversion wenig Futuristisches an sich hätte, dem muss ich jedoch widersprechen. Es werden keine Printbücher mehr produziert, ein Teil Deutschlands ist unabhängig geworden, die durchschnittliche Lebenserwartung ist stark gestiegen, und so weiter, abgesehen vom Klonen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um Details, die jedem hätten einfallen können, nicht wirklich originell, nicht wirklich überraschend. Insgesamt kann man sich nur sehr schwer ein Bild vom Leben außerhalb des Professorenhirns machen.
Wie sollen auch die Farben einer Landschaft für deren Schönheit sprechen, wenn einem der Kopf in einer Tüte steckt? Saintonge setzt dem Menschen ungefragt eine Tüte auf, kann man ihn dafür vielleicht anklagen?

Zusammenfassend kein überzeugendes Werk. Ideen sind reichlich vorhanden, man kann sogar einigen Tiefsinn entdecken. Es fehlt jedoch die Würze. Der Humor ist als solcher kaum erkennbar, denn das hieße ja, der Professor sei witzig, oder man könne wenigstens über ihn lachen. Zwar spielt der Autor mit Metaphern und Ironie, die Sprache wird dadurch aber nicht weniger trüb. Tatsächlich ist es eine Qual, Merciers Gedankengänge verfolgen zu müssen, man lacht nur, wenn man das Buch zum letzten Mal zuschlagen darf: vor Erleichterung.