Liebe macht alles möglich
Dämonen, Engel und Werwölfe ‑ für mich hatte diese Kombination bereits seit vielen Jahren bereits ihren Reiz verloren. Zu oft wiederholt, zu oft in Literatur und Film verarbeitet. Vielleicht ist diese ...
Dämonen, Engel und Werwölfe ‑ für mich hatte diese Kombination bereits seit vielen Jahren bereits ihren Reiz verloren. Zu oft wiederholt, zu oft in Literatur und Film verarbeitet. Vielleicht ist diese innere Haltung meinerseits auch der Grund, warum ich so selten Urban Fantasy lese. Crescent City konnte mich jedoch trotz dieser Analogien begeistern. Das ist zum großen Teil dem Schreibstil der Autorin und den Charakteren zu verdanken, die mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet wurden.
Ich habe eine Weile gebraucht, um in das Buch zu finden. Das lag nicht nur allein an der eher plumpen Art, wie die Welt den Leserinnen in den ersten 100 Seiten vorgestellt wurde, sondern vorrangig auch an Bryce. Ich hielt sie für arrogant, oberflächlich und verantwortungslos. Einem solchen Charakter wollte ich nicht 900 Seiten lang folgen. Doch im Laufe der Geschichte habe ich sie dennoch lieb gewonnen, als sie immer mehr vor meinen Augen zum Leben erwacht ist.
Nicht nur bei Bryce, auch bei Hunt war ich ebenfalls lange Zeit skeptisch, denn zu seinen schlechten Seiten gehören definitiv ein Beschützerinstinkt mit leicht übergriffigem Verhalten. Doch Bryce geigt ihm hier an einigen Stellen die Meinung, wenn er wieder versucht, über Dinge zu bestimmen, die sie selbst entscheiden möchte. Insbesondere, weil ihre eigene Mutter unter einer toxischen Beziehung litt. Dieses Verhalten wird von ihr nicht beschönigt, sondern ist Streitthema. Schlussendlich habe ich Hunt als relativ unproblematisch erlebt. Die Chemie zwischen ihr und ihm war so gut ausgearbeitet, dass ich ihnen die große Liebe tatsächlich abgekauft habe. Vermutlich, weil Gefühle insgesamt sehr heftig und einnehmend dargestellt werden, sowohl familiäre, freundschaftliche als auch partnerschaftliche Gefühle.
Ich fand es wundervoll dargestellt, wie Hunt und Bryce zusammen an sich arbeiten, heilen und ihre Trauer bewältigen. Wie Freundschaften entstehen oder zerbrechen, wie das Zwischenmenschliche auf allen Ebene der ganzen Geschichte Tiefe verliehen hat. In dieser einen Geschichte werden so viele andere Geschichten erzählt, von Personen, die wieder zueinander finden, die lernen, Verständnis aufzubringen und die besser werden als sie zuvor waren.
„Die Liebe besiegt alles“ ‑ Etwas weniger Pathos wäre mir zwar lieber gewesen, doch im Großen und Ganzen ist vor allem die Liebe zwischen Freundinnen gemeint, die selbst über den Tod noch anhält. Das kann ich akzeptieren.
Was ich jedoch nicht mochte, war die Darstellung von ausschließlich atemberaubend schönen und bevorzugt mächtigen, auch oft selbstgefälligen Charakteren, die nur an Sex dachten. Da musste ich mir mehrmals ein Augendrehen verkneifen. Ich finde es ermüdend, andauernd zu lesen, wie unheimlich elegant jemand sich bewegte oder wie geschmeidig doch das Haar war. Alle waren einfach ausnahmslos perfekt. Viele männliche Nebencharaktere, die unter dem scherzhaft betitelten „dominanten Arschloch‑Syndrom“ litten, wirkten daher identisch. Auch Bryce schien für jeden und alles absolute Traumfrau zu sein.
Kritisch finde ich auch, dass ich mir bei einigen Charakteren nie sicher sein konnte, waren sie jetzt POC oder nicht. Vielleicht wollte die Autorin es einfach schlicht der Vorstellung der Leserinnen überlassen, aber ich persönlich hätte eine konkrete Personenbeschreibung bevorzugt.
Die Welt war an sich schlüssig aufgebaut, auch wenn ich die Namensgebung etwas einfallslos finde. „Midgard“ verbinde ich mit nordischer Mythologie, die konnte ich in der Geschichte jedoch nicht finden. „Umbra Mortis“ ist Latein, jedoch habe ich auch hier keinen Bezug der Charaktere oder der Welt zum Lateinischen gesehen, der diese Bezeichnung erklären würde.
Die ersten 100 und die letzten 400 haben mir am besten gefallen. Dazwischen entstehen einige Längen, die zwar der Charakterentwicklung zuträglich waren, jedoch für mich zu sehr dahinplätscherten. Davon sollte man oder frau sich jedoch nicht abhalten lassen ‑ ebenso wenig von der übereifrigen Informationsflut am Anfang ‑ denn tatsächlich haben die letzten Seiten diese Längen für mich wieder herausgeholt.
Ich habe selten ein Buch gelesen, bei dem ich mit den Charakteren so stark mitfühlen konnte. Es stecken so viel Leid und Freude in den Seiten, dass man entweder atemlos davor sitzt, der ganze Körper sich vor Schmerz verzieht oder vor Glück weint. Das Ende war überwältigend. Als ich dachte, jetzt wäre es vorbei, hatte ich noch mindestens 100 weitere Seiten zu lesen und es wurde noch viel heftiger.
Crescent City war das erste Buch der Autorin, das ich gelesen habe.